1. Presseschau
Jugendwort des Jahres
Das Ergebnis der diesjährigen Umfrage zum Jugendwort des Jahres mag den ein oder anderen überraschen: Der schlichte Anglizismus lost wurde mit 48 Prozent der Stimmen zum Sieger gekürt. Das Wort bedeutet so viel wie verloren, verwirrt oder ahnungslos. Der Linguistikprofessor Jannis Androutsopoulos hätte eher auf einen anderen Sieger gesetzt. So sei das Wort cringe (im Sinne von fremdschämen) populärer unter Jugendlichen und habe sich in den vergangenen Jahren stark verbreitet – in der Abstimmung landete es aber mit 23 Prozent der Stimmen nur auf Platz zwei. Allerdings dürfe man auch nicht vergessen, dass das Jugendwort des Jahres oftmals wenig mit der tatsächlichen Jugendsprache zu tun habe, so Androutsopoulos. „Es gibt keinen gemeinsamen Jugendwortschatz in der ganzen Republik, sondern große lokale, soziale und subkulturelle Unterschiede.“ Jedoch passe der Ausdruck „lost“ gut in die aktuelle Zeit, sagt Torben Krauß, Sprecher der Bundesschülerkonferenz. Es beschreibe die Lebenssituation von Schülern in Zeiten der Pandemie, weil „man nicht so ganz weiß, was gerade los ist“. (sueddeutsche.de, faz.net)
Gesetzesentwurf in generischem Femininum
Das Bundesjustizministerium hat einen Gesetzesentwurf vorgelegt, in dem ausschließlich weibliche Personenbezeichnungen verwendet werden – selbst für juristische Personen wie die GmbH, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung. So ist etwa von der „Schuldnerin“ oder der „Gläubigerin“ die Rede. Das Bundesinnenministerium lehnte den Gesetzesentwurf ab. Das generische Femininum sei „zur Verwendung für weibliche und männliche Personen bislang sprachwissenschaftlich nicht anerkannt“, im Gegensatz zum generischen Maskulinum. Daraufhin passte das Bundesjustizministerium seinen Entwurf an und formulierte den Großteil des Entwurfs in der maskulinen Form. Einzig auf zwei Seiten finden sich noch die Wörter „Gläubigerinnen“ und „Schuldnerin“, und auch „Geschäftsleiterin“ kommt noch vereinzelt vor – warum, ist nicht klar.
Auf den Entwurf gab es verschiedene Reaktionen. So kritisierte der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch die Aussage, das generische Femininum sei sprachwissenschaftlich nicht anerkannt. Es sei nicht die Aufgabe der Sprachwissenschaft, sprachliche Phänomene „anzuerkennen“, sondern vielmehr, diese zu beschreiben und zu erklären. Den Gesetzesentwurf bezeichnete er als eine „interessante Strategie“, um auf die sprachliche Uneindeutigkeit des generischen Maskulinums aufmerksam zu machen.
Kritik gab es vom VDS-Vorsitzenden Walter Krämer: Wer ein Gesetz im generischen Femininum verfasse, nutze eine missverständliche Formulierung und lade geradezu dazu ein, das Gesetz anzufechten. Dass Gesetzestexte die Gleichstellung von Mann und Frau abbilden sollen, sei selbstverständlich – die alleinige Benutzung der weiblichen Form sei jedoch bar jeder Vernunft, so Krämer. Bei WDR Aktuell kam Stephanie Zabel vom Verein Deutsche Sprache zu Wort: „Gerade Gesetzestexte sollten […] hieb- und stichfest sein, nicht angreifbar, in der Sprache korrekt.“ Das sei bei einem Gesetzesentwurf im generischen Femininum nicht gegeben. Man dürfe nicht einfach in die grundlegende Grammatik einer Sprache eingreifen. (zeit.de, rnd.de, deutschlandfunk.de, wdr.de von Minute 16:43 bis 19:56 in der halbstündigen Sendung)
Deutschland schreibt in diesem Jahr erstmals digital
Beim Rechtschreibwettbewerb Deutschland schreibt wird in diesem Jahr digital diktiert. Einige Regionalentscheide konnten Anfang des Jahres noch vor Ort stattfinden, nun wurde aber aufgrund der Pandemie das Finale ins Netz verlagert. „Es wird ein sprachlich-sportliches Vergnügen“, verspricht Roland Kaehlbrandt, Leiter der Stiftung Polytechnische Gesellschaft. Gemeinsam mit dem Hessischen Kultusministerium und dem Duden veranstaltet die Stiftung den Wettbewerb. Innerhalb von zehn Minuten muss der Text dieses Jahr geschrieben werden. Da das ganze digital stattfindet, können sogar Menschen aus der ganzen Welt mitschreiben. Sich mit Rechtschreibung zu beschäftigen, sei immer lohnend, so Kaehlbrandt. Es werde geschätzt, wenn jemand fehlerfrei schreibe, falsch geschriebene Mails beispielsweise vermittelten keinen guten Eindruck. „Beim Rechnen akzeptieren wir ja auch nicht, wenn jemand sagt: Fünf plus fünf ist etwa neun oder vielleicht auch elf. Wir haben Regeln für das richtige Schreiben, die kann man lernen.“ (hanauer.de)
Grundsätzliches zur Sprechsprache
Zwei bemerkenswerte Leserbriefe in der FAZ beschäftigten sich mit der gesprochenen Sprache im Rundfunk. (Dr. Manfred Wüstemeyer am 12.10. und Prof. Dr. Michael Job am 16.10.). Nein, es geht ausnahmsweise nicht um das Gendern, sondern um noch Grundsätzlicheres: Die beiden Autoren beklagen, dass viele „Sprecher und Darsteller“ in der kulturellen, politischen und medialen Öffentlichkeit nicht mehr „die früher übliche Sprechausbildung“ durchlaufen, in der es darauf ankomme, „Lippen und Zähne auseinanderzubekommen, um Buchstaben, Silben und Wort sorgfältig zu artikulieren“. Dies bringe einen „dramatischen Niedergang der Sprechkultur“ hervor.
Der zweite Leserbriefschreiber erweitert dabei den Blick auf die Universitäten, wo die Orthoepie leider „ein Schattendasein“ führe. Das richtige Sprechen „drifte“ ebenso wie das richtige Schreiben „Richtung Beliebigkeit“.
Die Beobachtung müsse aber dadurch ergänzt (oder besser gesagt: unterlegt) werden, dass die Wurzel des Übels wohl in den Schulen liege, wo im Zuge der Nivellierung des (sprachlichen) Bildungsanspruchs seit Jahrzehnten nicht nur Rechtschreibung, Grammatik und Wortschatz, sondern auch deutliche Aussprache und konsequente Lautakzentuierung, zum Beispiel von Konsonanten am Wortende – und damit auch klare grammatische Formenunterscheidung sowie die Sensibilität für Bedeutungsnuancen auf der Strecke blieben, betont Claus Günther Maas, Leiter des VDS Arbeitsbereichs „Deutsch in der Schule“. Die Folgen sind beispielsweise in Krimidialogen zu bemerken, wo selbst Muttersprachler oft nicht verstehen, was genau gerade gesagt wurde. (faz.net)
2. Unser Deutsch
Schleichdi!
Dieser deftige Zurufaus dem Süden Deutschlands heißt übersetzt so viel wie hochdeutsch ‚hau ab!‘ ,verschwinde!‘, ‚mach, dass Du fortkommst!‘ In den regionalen Umgangssprachen gibt es zahlreiche weitere Wendungen für diese unverzichtbare soziale Ansprache. Ich nenne nur mach die Mücke, kratz die Kurve, zieh Leine, verpiss dich. Weiteres verraten die Wörterbücher. Ich möchte mich der Wortfamilie des Verbs schleichen zuwenden, von der Blindschleiche bis zur Schleichwerbung, vom Schleichweg bis zum medizinischen Fachwort ausschleichen.
Schleichen ist schon im 9. Jahrhundert belegt (althochdeutsch slīhhan) und bezog sich ursprünglich auf Tiere, die keine Füße haben. Sie laufen nicht, sie springen nicht, sie kriechen am Boden. Zwei semantische Merkmale sind damit verbunden, das Langsame und das Heimliche – auch wenn das tatsächlich nicht immer stimmt. Beides setzt sich in der Wortfamilie fort. Unsere Blindschleiche gehört zoologisch zu den Eidechsen, die wiederum mit anderen Arten – nach Brehm – die Familie der Schleichen bildet. Sie wurde irrtümlich schon in der Antike für blind gehalten, weil sie ihre Augen mit Lidern schließen kann. So ist althochdeutsch blintslīhho wahrscheinlich eine Übersetzung von lateinisch caecula zu caecus ‚blind‘. So setzen sich Irrtümer über Jahrtausende fort.
Während schleichen die ursprüngliche Bedeutung bis heute bewahrt hat, überwiegt bei übertragendem Gebrauch das Heimliche. Wir sehen es im Schleichweg, dem ‚verborgenen Weg (oft eine unerlaubte Abkürzung)‘, ebenso in der Schleichwerbung, der ‚heimlichen Produktwerbung in den Medien‘. Auch eine schleichende Krankheit, die langsam fortschreitet, gehört hierher. Gefürchtet ist die schleichende Inflation, die unmerkliche Geldentwertung. Auch wer sich einschleicht, etwa als Dieb in ein Haus, tut dies heimlich. Schließlich gibt es den Erbschleicher und natürlich die Erbschleicherin, welche sich mit verborgener Absicht an potentielle Erblasser heranmachen.
Dagegen habe ich das Verb ausschleichen erst in der Medikation eines Arztes kennengelernt. Ein Medikament soll ausschleichend eingenommen werden, das heißt die Dosis soll langsam reduziert werden, damit sich der Körper nach und nach daran gewöhnt, ohne diese Pillen auszukommen. Einerseits geschieht das langsam über Wochen und Monate, aber auch heimlich, um die Krankheit zu überlisten. Schön, dass diese Anweisung in verständlichem Deutsch gegeben wird. Schleichdi! können wir hinzufügen.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e.V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de
3. Kultur
Statt Pop-Up-Store die boutique ephemere
Wie hierzulande durchsetzen in Frankreich Anglizismen die Sprache, zumal in der Welt der Mode. Seit den 1920er Jahren haben sich Begriffe wie t-shirt und pullover in der französischen Sprache etabliert. Doch andersherum wurden auch französischsprachige Ausdrücke in andere Sprachen übernommen. So hat sich das englische Wort fashion vom französischen facon abgeleitet – und auch die Boutique ist gemeinhin bekannt. Die Regierung in Frankreich möchte nun die französischen Ausdrücke wieder ins Bewusstsein rufen. Künftig soll aus Designer wieder styliste werden. Statt Model und Pop-Up-Store soll es mannequin vedette und boutique ephemere heißen. Das wurde vom französischen Kulturministerium gemeinsam mit verschiedenen Modeinstitutionen festgelegt und in einem eigenen französischen Modewörterbuch festgehalten. Es gehe jedoch nicht darum, Englisch zu verbannen, so Paul de Sinety, Regierungsbeauftragter für die französische Sprache. „Wir wollen die Möglichkeit anbieten, dass man sich in den Fällen, wo sich die englische Sprache durchgesetzt hat, auch auf Französisch ausdrücken kann.“ (orf.at)
Sprach-Ausstellung in Delmenhorst
Meeting in Language lautet der Titel einer Ausstellung der Städtischen Galerie im niedersächsischen Delmenhorst. Hinter dem denglischen Namen verbergen sich Werke von 30 nationalen und internationalen Künstlern. Die Ausstellung schafft Begegnung mit dem Phänomen Sprache, und sie zeigt Berührungspunkte zu verschiedenen Sprachen auf, alles auch unter dem Aspekt des kommunikativen Miteinanders. Das funktioniert auf vielfältige Weise: als Wandmalerei, auf Postkarten, in Büchern, als Teppich, aus Holz, Papier und gestickt, in Bildern, Videos, als Klang, als Geste. Die Ausstellung läuft bis zum 10. Januar 2021. (weserreport.de)
4. Berichte
15. Festspiel der deutschen Sprache
Am Freitag begann in Bad Lauchstädt das 15. Festspiel der deutschen Sprache. Bis zum 18. Oktober stehen Lesungen, Konzerte und Theaterabende auf dem Programm des Goethe-Theaters. Bei dem Festival steht für Gründerin und Leiterin, VDS-Mitglied Edda Moser, immer die deutsche Sprache selbst im Mittelpunkt. In diesem Jahr werden mit der „Entführung aus dem Serail‟ und der „Zauberflöte‟ die beiden wichtigen Singspiele von W.A. Mozart geboten. Schillers „Kabale und Liebe‟ sowie „Der Raub der Sabinerinnen‟, der Schwank von Franz und Paul Schönthan.
Edda Moser gründete das Festspiel der deutschen Sprache 2006 in Rudolstadt aus der Liebe zu ihrer Muttersprache, wie sie selbst sagt. Schon im Folgejahr zog das Festspiel nach Bad Lauchstädt, wo das Festival seitdem jährlich stattfindet. (mdr.de)
5. Denglisch
Lockdown oder Shutdown – beides falsch
Die einen reden vom „Lockdown“, die anderen vom „Shutdown“. Irgendwie meint jeder dasselbe, die Begriffe scheinen austauschbar – und doch: So richtig trifft keines der beiden Wörter zu. In ihrem ursprünglichen Sinne haben weder der Lockdown noch der Shutdown etwas mit der Bekämpfung einer Pandemie zu tun. Der Shutdown bezeichne im Englischen „die Schließung einer Fabrik, eines Geschäftes oder anderen Unternehmens, entweder für kurze Zeit oder für immer“. So stehe es im renommierten Wörterbuch „Collins Dictionary“, erklärt Annette Klosa-Kückelhaus vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache. Den Shutdown eines ganzen Landes gebe es also nach der bisherigen Bedeutung eigentlich nicht. Der Lockdown hingegen sei ein „Zustand der Isolation, Eindämmung oder des eingeschränkten Zugangs, der normalerweise als Sicherheitsmaßnahme eingeführt wird“, so Klosa-Kückelhaus mit Verweis auf das „Oxford Englisch Dictionary“. Der Ausdruck beziehe sich aber ursprünglich auf die Absperrung eines Gebiets in Folge eines Anschlags oder einer Naturkatastrophe zum Schutz der Menschen – also eher eine Grenzziehung um eine Zone herum als eine Stillegung des öffentlichen Lebens in einer Zone. Sprachlich betrachtet treffen also beide Begriffe nicht auf die Maßnahmen zu, die es in Deutschland zu Beginn der Pandemie gab. Es gab keine Ausgangssperre, keine vollständige Einstellung des öffentlichen Nahverkehrs und auch keine ausnahmslos geschlossenen Unternehmen und Fabriken. Genau genommen sei daher auch die Aussage, dass ein zweiter Lockdown näher rücke, falsch. Es könne allenfalls von einem ersten Lockdown die Rede sein, denn der erste war begrifflich keiner. Wenn schon Entlehnung von Wörtern, dann mit Intelligenz. (rnd.de)
6. Termine
26. Oktober, Region 50/51 (Köln)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Cöllner Hof, Hansaring 100, 50670 Köln
28. Oktober, Region 03 (Cottbus)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Hotel Zur Sonne, Taubenstraße 7, 03046 Cottbus
4. November, Region 07 (Gera, Jena)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Paulaner Wirtshaus Gera, Clara-Zetkin-Straße 14, 07545 Gera
4. November, Region 09 (Chemnitz)
Mitgliedertreffen
Zeit: 17:00-18:30 Uhr
Ort: Solaristurm, Neeferstraße 88, 09116 Chemnitz
IMPRESSUM
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.
Redaktion: Holger Klatte, Alina Letzel, Dorota Wilke
© Verein Deutsche Sprache e. V.