1. Presseschau
Sprachen lernen leichtgemacht
„Warum wollen Sie diese Sprache lernen? Was wollen Sie in dieser Sprache lernen? Und wie wollen Sie diese Sprache lernen?“ fragt die Sprachwissenschaftlerin Britta Hufeisen von der TU Darmstadt. Wichtig sei in erster Linie die Motivation, außerdem gebe es kleine Tricks für den Alltag: Auf dem Weg in die Küche oder ins Wohnzimmer kann man sich ins Gedächtnis rufen, wie die Gegenstände dort in der Fremdsprache heißen. Dadurch prägen sich die neuen Wörter leichter ein. Generell geben für das Lernen von Sprachen die Verknüpfungen im Gehirn den Ausschlag. Ein Areal ist zuständig für die Grundlagen, darunter die semantische Frage: Welche Bedeutung hat ein Wort und aus welchen Silben besteht es. Ein zweites Areal knüpft aus den Wörtern sinnvolle Zusammenhänge und stellt die Syntax her. Das Sprachenlernen beginnt schon im Mutterleib, dort „hören“ Kinder die ersten Töne. Sobald sie geboren sind, passen sie ihre Sprache – zunächst nur das Schreien – der Umgebungssprache an: In der Satzmelodie deutscher Babys sinkt nach dem Schreien die Stimme, so wie in unseren Aussagesätzen. Dagegen steigen französische Sätze in der Tonlage, entsprechend schreien die Babys vor dem Luftholen aufwärts. (mdr.de)
Inklusive Opposition
Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch ist bekennender Genderlinguist. Als solcher hat er einen erneuten Angriff auf das generische Maskulinum geritten, zu lesen in der Druckausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 21.Oktober 2020. Anlass war die Kontroverse um den Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums wegen der dort verwendeten femininen Personenbezeichnungen. Das generische Maskulinum sei eine „kuriose Hypothese“, da es zugleich geschlechtsneutral und semantisch männlich sein solle. Es sei ein abwegiges Paradox, dass die „männliche Form“ zugleich als ihr „eigener geschlechtsneutraler Oberbegriff“ gedacht sein könne.
In der FAZ vom 28. Oktober 2020 belehrt ihn der Passauer Sprachwissenschaftler Rüdiger Harnisch über den Stand der Wissenschaft. Es gebe viele ähnliche Fälle in der Sprache. Der Ausdruck „sieben Tage lang“ umfasse selbstredend auch „sieben Nächte“, diese müssten keineswegs ausdrücklich hervorgehoben werden. Keiner käme auf die Idee, dass die Existenz der Nächte verborgen werden solle. Die Linguistik nenne das eine inklusive Opposition: Das jeweilige semantische Gegenteil ist in der grammatisch generischen Begriffsbildung bewusst eingeschlossen. Jede grammatische Kategorie könne generisch verwendet werden. So wie Genus nicht gleich Sexus und Numerus nicht gleich reale Anzahl sein müsse, so auch müsse Tempus nicht Realzeit sein oder der Modus nicht ausschließlich Wirklichkeit oder Möglichkeit ausdrücken müsse.
Zugegeben, Harnischs sachliches und rationales, wenn auch gedanklich anspruchsvolles Gegenargument muss man gegebenenfalls zweimal lesen. Aber auch einem genderorientierten Linguisten sollte es eingängig erscheinen: Die Logik der Mathematik lässt sich der Sprache nicht mit Erkenntnisgewinn überstülpen. Sprachwissenschaftler gehen damit um, statt es zu leugnen.
Wie sprechen wir von Behinderung?
„Bitte bleibt beim Wort Behinderung!“, plädiert eine Sprecherin im Podcast des Bayerischen Rundfunks, die selbst behindert ist. Das ständige Bemühen der Gesellschaft, nach alternativen Begriffen zu suchen, sei nicht zielführend. Oft seien die neuen Wörter mehr schlecht als recht und verstärkten die Wahrnehmung von Behinderten als leidenden Menschen. Schwer-Geschädigte, Schwerstmehrfachbehinderte, besondere Menschen oder auch der Schwerbehindertenausweis seien dafür nur einige Beispiele. Natürlich gibt es Menschen, die unter ihrer Behinderung leiden – diesen sollte das auch zugestanden werden. Das Problem sei aber, so einer der Sprecher im Podcast, dass Behinderte als stark homogene Gruppe gesehen würden. Nicht jeder leide an seiner Behinderung, ein Großteil führe ein glückliches Leben. Wenn wir davon sprechen, dass Menschen an ihren Rollstuhl gefesselt sind, vermitteln wir ein falsches Bild, denn: Für Rollstuhlfahrer bedeutet das Gerät gemeinhin Freiheit. Ohne dieses könnten sie sich kaum oder gar nicht bewegen. Genauso könnte man sagen, dass Rollstuhlfahrer ohne ihren Rollstuhl gefesselt seien, nämlich an Sessel und Bett. Ein dem Autor bekannter Fahrer eines batteriegetriebenen Stuhls bat sogar ausdrücklich um Hilfe: „Wenn Sie einen am Rollstuhl Gefesselten sehen, binden Sie ihn bitte los!“ (br.de)
Keine Sonderzeichen nötig!
Richtige Grammatik brauche keine Sonderzeichen für das Geschlecht, sagt der Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg. Der kürzlich veröffentlichte Vorschlag des Justizministeriums, einen Gesetzentwurf in der weiblichen Form zu verfassen, hätte Männer ausgeschlossen. Die weibliche Form meine nämlich explizit Frauen und nur Frauen – die generische maskuline Form jedoch steht nicht speziell für ein Geschlecht, sondern für eine übergeordnete Sache, die einfach nur einen entsprechenden Artikel im Deutschen besitzt: „In ‚Kommst du mit zum Bäcker‘ ist Bäcker generisch verwendet, in ‚Unser Bäcker flirtet gern mit älteren Damen‘ nicht.“ Wie schwer äußere Eingriffe in die Sprache wiegen, werde klar, wenn man die Syntax bedenkt: Wörter wie „wer, irgendwer, niemand, jemand“ – haben alle eine männliche Form, die nicht gebeugt werden kann. (faz.net)
Grammatik-App
Ein 17-jähriger Schüler aus Erkrath hat eine Grammatik-App erfunden. Das Programm überprüft beispielsweise, ob ein Komma an der richtigen Stelle steht oder wie ein bestimmtes Wort geschrieben wird. Zum Spracherwerb ist die Anwendung nicht gedacht, Sprachkenntnisse müssen bereits vorliegen. Für den Browser im Normalrechner gibt es die Version bereits, aktuell wird sie als Anwendung für Handys programmiert. Im Frühjahr 2021, so der Plan, soll das Programm in den Appstores verfügbar sein. (erkrath.jetzt)
2. Unser Deutsch
Beherbergungsverbot
Dies sperrige Wort ist ein recht langes, typisch deutsches Kompositum der Behördensprache. Es belegt auch unsere ausgeprägte Neigung zum Regulieren und Verbieten, zum Verordnen und zum Bußgeldeinsacken. Zunächst haben Gerichte seine Anwendung untersagt. Aber dann kam es doch, als Teil eines allgemeinen Lockdowns.
Ein Beherbergungsverbot bereitet aber nicht nur existenzielle Sorgen, schon das Wort erzeugt ein gewisses Unbehagen. Dem wollen wir nachgehen, indem wir die ganze Wortfamilie in die Betrachtung einbeziehen.
Zugrunde liegt das Substantiv Herberge, althochdeutsch heriberga, eine Zusammensetzung aus Heer und bergen mit der ursprünglichen Bedeutung ‚Unterkunft für ein Heer‘. Daraus ist die spätere Bedeutung ‚Gasthaus‘ entstanden, zuerst als Unterkunft für Pilger nach Rom – die Urform des Tourismus –, später als preiswerte Unterkunft für wandernde Gesellen. Dies lebt in der Jugendherberge fort. Herbergsvater und Herbergsmutter umsorgen die jungen Gäste quasi als Ersatzeltern. Im allgemeinen Sprachgebrauch gilt Herberge als veraltet. Es lebt vor allem in Martin Luthers Fassung der Weihnachtsgeschichte fort und erhält daraus einen gehobenen Klang. Im Lukas-Evangelium (2,7) heißt es:
vnd leget jn in eine Krippen/denn sie hatten sonst keinen raum in der herberge.
Schon im 9. Jahrhundert wurdedas Verb heribergōn aus dem Substantiv heriberga abgeleitet, damals in den Bedeutungen ‚Herberge gewähren‘ (transitiv) und ‚Herberge nehmen‘ (intransitiv). Später wurde es erweitert zu unserem heutigen beherbergen, woraus schließlich die Beherbergung entstand. Dies ist eine Prägung der Amtssprache. Mit dem Oberbegriff Beherbergungsbetrieb sind Hotels und Gasthöfe, Wirtshäuser, Hospize, Pensionen, Motels und Ferienwohnungen, aber auch Kurkliniken und andere Einrichtungen gemeint, welche gegen Entgelt Unterkunft gewähren. Ihnen allen werden unter dem Dachwort Beherbergung Vorschriften und Auflagen gemacht und natürlich Steuern abverlangt.
Das nüchterne Wort Beherbergungsverbot wird den dramatischen Folgen solcher Verordnung überhaupt nicht gerecht. Es blendet den eigentlichen Sachverhalt aus: die drohende Zerstörung ganzer Wirtschaftszweige. Diese sind ein Kernbereich unseres gemeinsamen, unseres sozialen Lebens. Auch wenn eine zeitweise Schließung aller Einrichtungen, die viel mehr sind als Herbergen, unvermeidlich ist – das verschleiernde amtliche Wort hierfür gehört vermieden.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e.V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de
3. Kultur
Anglistik in der DDR
Das „Übersetzerportal“ erinnert an den kürzlich im Alter von 86 Jahren verstorbenen Anglisten Klaus Hansen, der bis 1999 Professor für Englische Sprache an der Humboldt-Universität war. Für diese Karriere musste er von Beginn an kämpfen, weil ihm die Staatsführung in den 50er Jahren das Studium der Anglistik verwehren wollte. „Was wollen Sie denn mit der Anglistik? Das Englische wird allmählich verschwinden, die Zukunft gehört den Chinesen!“, empfahl man ihm. Aus der Ablehnung des Studienwunsches entwickelte sich damals eine kleine Affäre im Wissenschaftsbetrieb der DDR. „Es spukt hier in vielen Köpfen eine Vorstellung herum, die die englische Sprache für eine imperialistische Sprache, die englischsprachigen Völker für imperialistische Völker hält“, schrieb der Direktor des Englischen Instituts der Humboldt-Universität in einem Beitrag für die Berliner Zeitung. Auch Zeitungen in Westdeutschland berichteten über den Fall. Es dauerte bis zu den Ereignissen des 17. Juni 1953, die auch eine Liberalisierung des akademischen Betriebs der DDR zur Folge hatten, dass der begabte Schüler Klaus Hansen sich für das Studium der Anglistik einschreiben durfte.
Bereits seine ersten, strukturalistisch geprägten wissenschaftlichen Arbeiten sorgten für Aufsehen und verhalfen der Prager Schule, einer zunächst wenig beachteten tschechischen Gruppe von Linguisten, zu großem Einfluss in der Sprachwissenschaft. Hansen wurde Professor an der Humboldt-Universität und baute eine moderne Linguistik-Ausbildung auf, durfte aber erst 1981 eine ausgedehnte Studienreise nach Großbritannien machen. (uepo.de)
Muttersprache als gesellschaftliches Konstrukt
Ab wann gilt man eigentlich als Muttersprachler? Diese Frage stellt die Schriftstellerin Olga Grjasnowa in einem Radiobeitrag vom rbb-Inforadio. Obwohl Grjasnowa seit 24 Jahren in Deutschland lebt, was zwei Dritteln ihres Lebens entspricht, wird sie hin und wieder in Interviews als russische Muttersprachlerin vorgestellt. Sie verwundert das – denn ihr Deutsch ist weitaus besser als ihr Russisch. Deutsch sei die einzige Sprache, so Grjasnowa, in der sie sich über alle Konnotationen eines Wortes bewusst sei und jede Anspielung verstehe. Ihr Russisch sei hingegen eingerostet. Sie habe die letzten 20 Jahre der Sprachentwicklung verpasst und kenne daher nicht mehr alle Feinheiten des Russischen – auch, weil die Sprache sich seitdem stark gewandelt habe. „Ich bin definitiv keine russische Muttersprachlerin mehr“, stellt die Schriftstellerin klar, „aber anscheinend tauge ich auch nicht als deutsche Muttersprachlerin.“ Dies sei womöglich darauf zurückzuführen, dass Muttersprache ein Konstrukt sei. Es verknüpfe Sprache mit Nation und Mutter mit Sprache, obwohl man Sprache nicht ausschließlich durch die eigene Mutter erlerne. Was sind also die Kriterien, nach denen wir bewerten, ob jemand als Muttersprachler gilt? Grjasnowa zufolge kann es nicht um die Beherrschung der Sprache gehen. Denn auch unter so bezeichneten „Muttersprachlern“ beherrsche nicht jeder die Muttersprache gleich gut. (inforadio.de)
4. Denglisch
Circuit Breaker
Ab kommender Woche fährt Deutschland sich wieder herunter. Wurden die Maßnahmen im diesjährigen Frühling noch als Lockdown oder Shutdown bezeichnet, so ist nun, die neuen Maßnahmen betreffend, die Rede vom Circuit Breaker – an einigen Stellen bereits eingedeutscht als Wellenbrecher-Lockdown. Der Begriff circuit breaker stammt aus dem Bereich der Technik, er bezeichnet die Unterbrechung eines Stromkreises mittels eines Trennschalters – in die Pandemiesprache übertragen „eine Unterbrechung des Infektionsgeschehens“. Bleibt zu hoffen, dass nicht nur das Infektionsgeschehen nachlässt, sondern auch die Manie, alles, auch den größten Unfug, nicht mit originellen deutschen Wortschöpfungen, sondern mit englischen Lehnwörtern vorzustellen – die man oft genug schlecht übersetzt und obendrein weder deutsch noch englisch ausspricht. (rtl.de, rnd.de)
5. Termine
ABGESAGT! 4. November, Region 09 (Chemnitz)Mitgliedertreffen
Zeit: 17:00 – 18:30 Uhr
Ort: Solaristurm, Neeferstraße 88, 09116 Chemnitz
ABGESAGT! 4. November, Region 07 (Gera, Jena)Mitgliedertreffen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Paulaner Wirtshaus Gera, Clara-Zetkin-Straße 14, 07545 Gera
ABGESAGT! 5. November, Region Österreich (Wien)Stammtisch des Jungen VDS
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Gasthaus zum Holunderstrauch, Schreyvogelgasse 3, 1010 Wien, Österreich
IMPRESSUM
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Frauen, andere Geschlechter und sogar Männer sind stets mitgemeint. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.
Redaktion: Holger Klatte, Alina Letzel, Dorota Wilke