1. Presseschau
Das Recht auf Unsichtbarkeit
Bekanntlich soll im Online-Duden dass generische Maskulinum abgeschafft werden. Zur Zeit werden 12.000 Personen- und Berufsbezeichnungen überarbeitet. Zum Beispiel können Bäcker nur noch Männer sein. Die Sorge, der Duden könnte damit das generische Maskulinum abschaffen, sei unbegründet, schreibt die Autorin Nele Pollatschek in einem Gastbeitrag in der SZ. „Der Duden kann das generische Maskulinum so wenig abschaffen, wie ein Hersteller von Landkarten Berlin abschaffen kann oder ein Taschenrechner Nachkommastellen“, so Pollatschek. Er habe weder Macht über die Sprache noch das Rechtschreibmonopol. Dennoch sei der Duden mit seinem Vorstoß einen Weg gegangen, der gesellschaftlich nicht die Wahrheit abbilde. Wenn er Formen wie „der Schriftsteller“ ausschließlich als männlich darstelle, dann behaupte er, dass es das generische Maskulinum nicht gebe. Er entscheide sich vielmehr, etwas tatsächlich Vorhandenes nicht abzubilden. Das führe dazu, dass jeder, der einen Beruf ausübt, nach dieser Logik entweder vor allem männlich oder weiblich ist. Der Duden maßt sich an, für all jene zu sprechen, die sich über den Beruf, aber nicht das Geschlecht bei der Ausübung des Berufs definieren. „Die meisten Menschen wollen nicht, dass jeder Aspekt ihrer Identität immer sichtbar ist“, schreibt Pollatschek, „Manche Menschen möchten im Berufsleben einfach Menschen sein, die einen Beruf ausüben, ohne dass ihr Geschlecht markiert wird.“ Eine Abschaffung oder Nicht-Sichtbarmachung des generischen Maskulinums verenge den Raum der geschlechtlichen Unsichtbarkeit. Sie nehme den Menschen die Entscheidung ab, selbst zu bestimmen, wie viel sie von sich selbst preisgeben wollen.
Bezahlschranke: sueddeutsche.de.
Schlechtes Französisch statt schlechtem Englisch?
Nach dem Brexit kann man sich fragen, ob Englisch als Verkehrssprache der EU dienen soll. Schließlich gilt nach dem Austritt der Briten Englisch als Amtssprache nur noch in Malta (neben Maltesisch) und in Irland (neben Irisch). Nicht für alle Iren und alle Malteser ist Englisch die Muttersprache. Viele Abgeordnete des EU-Parlaments können Englisch weder besonders gut sprechen noch so aussprechen, dass man sie fehlerfrei versteht. damit machen sie sich lächerlich, ihre Arbeit gerät in den Hintergrund. Der französische Staatssekretär Clément Beaune spricht sich für sprachliche Vielfalt aus – diese habe in den vergangenen Jahren großen Schaden genommen. „Beaune plädierte nicht explizit für eine Rückkehr des Französischen als Lingua franca. Er machte aber auch keinen Vorschlag, in welcher Verkehrssprache sich die Vertreter der 27 Mitgliedstaaten sonst unterhalten sollten“, schreibt Daniel Steinvorth in der NZZ, „An Deutsch, die meistgesprochene Muttersprache innerhalb der EU, dürfte Beaune wohl kaum gedacht haben.“
Man erinnert sich an die oft wiederholte Bitte der Dolmetscher, man möge in seiner Muttersprache bleiben; dann könnten sie übermitteln, was wirklich gemeint sei. (nzz.ch)
Duden-Chefredakteurin verteidigt sich
Auf die Entscheidung der Duden-Redaktion, künftig Personenbezeichnungen in männlich und weiblich einzuteilen, gab es von vielen Seiten Kritik. Auch der VDS kritisierte das Vorgehen und startete den Aufruf „Rettet die deutsche Sprache vor dem Duden!“ Die Chefredakteurin des Dudens, Kathrin Kunkel-Razum, distanziert sich von dem Vorwurf, der Duden würde Sprache normieren. Der Duden stelle lediglich Wortbedeutungen dar, Normen hingegen seien nur für die Rechtschreibung von Relevanz – und diese wiederum werde vom Rat für deutsche Rechtschreibung normiert.
Kunkel-Razum stellt klar: „Wir manipulieren […] nicht, sondern wir bilden ab, was wir beobachten, nämlich: Die Sprachgemeinschaft experimentiert mit geschlechtergerechter Sprache.“ Gleichwohl räumt sie ein, dass das generische Maskulinum Teil des Sprachgebrauchs sei. Der Duden wolle niemandem verbieten, die männliche Form generisch zu verwenden, und habe auch gar nicht die Macht dazu, so etwas vorzuschreiben. „In verschiedenen Kontexten kann natürlich auch eine Ärztin ein Arzt sein“, so Kunkel-Razum, zum Beispiel bei Aussagen wie „Ich muss mal zum Arzt“ oder wenn die Arztpraxis gemeint sei. Es sei völlig unstrittig, dass es diese Gebrauchsgewohnheit gebe, der Duden wolle dies nicht bestreiten.
Das Problem ist aber offensichtich: Indem der Duden männliche Personenbezeichnungen als rein männlich darstellt, blendet er einen großen Teil der sprachlichen Realität aus, nämlich die Verwendung der männlichen als generische Form: Wenn sowieso alle gemeint sind, kann keiner nur mitgemeint sein (Anmerkung der Redaktion). Der Behauptung, man wolle nur die sprachliche Realität abbilden, widerspricht der Duden selber, indem er so tut, als gäbe es das generische Maskulinum nicht.
Bezahlschranke: zeit.de.
Alternative zum Duden
Man greift zum Duden, es ist die schiere Gewohnheit, oft aus dem Missverständnis heraus, er sei nun mal das amtliche Standardwerk zur deutschen Sprache. In der Geschäftsstelle des Vereins Deutsche Sprache schlagen die Mitarbeiter online immer mehr beim Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) nach. Dieses bezieht einen gewissen Teil seiner Informationen auch vom Duden, allerdings nur von der 1999er Ausgabe. Besonders reizvoll ist die Funktion, dass Häufigkeiten und Vorkommen eines Wortes in einer Statistik angezeigt werden. (dwds.de)
Gesten wichtig für Sprache
Kommunikation läuft nicht nur über die gesprochene Sprache, also die reine Akustik, sondern auch über Gesten. Niederländische Wissenschaftler haben festgestellt, dass Menschen eine Silbe eher wahrnehmen, wenn diese durch eine Handbewegung unterstützt wird. Vokale wurden mit einer Handbewegung als kürzer wahrgenommen als ohne. Beide Effekte könnten einen Einfluss auf das Verständnis von Wörtern und Sätzen haben. Obwohl die Studie auf Niederländisch gemacht wurde, könnte sie auch auf die deutsche Sprache übertragen werden. Ein Straßenschild „umfahren“ heißt bei anderer Betonung etwas anderes als „umfahren“. (deutschlandfunknova.de)
Renommierter Typograf lehnt Genderstern ab
Der Typograf Friedrich Forssman ist bekannt als Fachautor, und er zeichnet verantwortlich für die Gestaltung der Monumentalausgabe von Zettel´s Traum, dem Hauptwerk des Schriftstellers Arno Schmidt. Forssman sieht seine typografische Aufgabe darin, dass für einen ungestörten Lesevorgang die Schrift des Textes für den Leser unsichtbar werden müsse. Durch den Genderstern werde der Lesefluss bewusst und willkürlich unterbrochen. Im Gegensatz zu anderen Zeichen wie dem Semikolon habe der Genderstern keine grammatikalische sondern eine rein moralische Funktion. So werde der Sprache, laut Forssman, „unterstellt, ungerecht zu sein“. Derlei Unterstellung werde dazu führen, „dass wir auf Jahrzehnte hinaus die Sprache als etwas Gemeinsames, Einigendes aufgeben.“
Folgerichtig müsse früher entstandene Literatur als sexistisch wahrgenommen, oder „in die Gendersprache übersetzt“ werden, so etwa auch Gedichte von Rilke. Das würde „eine enorme historische Distanz herbeiführen“, sagt Forssman. Es würde ein sprachgeschichtliches Opfer, dessen Nutzen er nicht erkenne. (deutschlandfunkkultur.de)
Missverständliche Fragen?
Bei der Quizsendung Wer wird Millionär? scheiterte ein Kandidat an der 750.000-Euro-Frage und musste sich daraufhin mit 1.000 Euro zufriedengeben. „In welcher Sportart konnten deutsche Athleten bei Olympischen Spielen bisher am häufigsten Gold für ihr Land gewinnen?“ lautete die Frage. Nach dem 50:50-Joker standen noch folgende Antworten zur Wahl: Leichtathletik oder Rudern. Der Kandidat entschied sich für Rudern, korrekt wäre Leichtathletik gewesen. Aber Stopp – kommt der erste Einwand: In der Frage sei schließlich nur von männlichen Sportlern die Rede gewesen, und unter diesen liege tatsächlich das Rudern vorn, kommentiert ein Leser der Welt „Bei den Athleten waren es im Rudern 44 und in der Leichtathletik nur 34. Anders sieht es bei den Athletinnen aus, aber danach wurde nicht gefragt.“ Vermutlich mit einem Augenzwinkern fordert er den Kandidaten auf, Er „sollte seinen Gewinn einklagen“. Nicht auszudenken, wie das Gerichtsurteil ausfiele. Hätte der Kandidat Erfolg? Der Duden würde ihm wohl beipflichten, oder müsste er es sogar? (welt.de)
2. Unser Deutsch
Großeltern
Neuerdings ist öfter von den Großeltern oder konkreter der Großmutter und dem Großvater die Rede, wenn es um den Schutz vor Corona geht. Sie sind bekanntlich besonders gefährdet. Enkel könnten sie bei einer Familienfeier anstecken. Ihr Leben sei gleich viel wert, so heißt es, wie das der Jüngeren. Diese ethische Maxime freut die Älteren, hat aber gleichwohl etwas Herablassendes. Das merkt man vor allem, wenn umgangssprachlich von Oma und Opa die Rede ist, oft in der gängigen Form [´οmma] und [´oppa]. Da sieht man die weißhaarigen, immer freundlichen Alten, die gerne etwas abgeben aus dem Sparstrumpf oder der mageren Rente und welche immer bereit sind, die lieben Enkel zu betreuen, wenn Not am Mann ist. Ist das noch zeitgemäß? Denn da gibt es auch jene, die ihr Alter mit 60 plus schönreden, intensiv am Kulturleben teilnehmen und vor allem regelmäßig ihre Bildung auf vielen Reisen in alle Welt erweitern. Bestenfalls lassen sich beide Rollen verbinden.
Ungewollt lenkt dies auch den Blick auf viele Jüngere, die sich stolz als Singles ausweisen und meist kinderlos bleiben. Sie werden nie Großvater oder Großmutter sein, allenfalls Onkel oder Tante, falls sie familienbewusste Geschwister haben. So bleibt ihnen Omma und Oppa erspart. Ohnehin kommt die Anrede nach Verwandtschaft aus der Mode, ersetzt durch den Rufnamen, oft in verkürzter, familiärer Form.
Wir fragen einmal nach der Vorgeschichte dieser stilistisch konkurrierenden Verwandtschaftsbezeichnungen. Den Freunden des Französischen ist die Ähnlichkeit zu grand-mère und grandpapa bewusst. Kein Zufall. Dies ist die Quelle von mittelhochdeutsch grōzmuoter, ebenso wie des mittelniederdeutschen grōt(e) mōder und niederländisch grootmoeder, englisch grandmother. Es beleuchtet die Rolle unseres Nachbarlandes als kulturelles Vorbild. Das Althochdeutsche kannte nur ein Wort, ano, vielleicht ein Lallwort, das schon im Laufe des Mittelalters durch das heutige Wortpaar ersetzt wurde. Ahn blieb nur in der Bedeutung ‚Vorfahr‘ erhalten. Es lebt in bayerischen und alemannischen Dialekten als Ähne fort.
Unser umgangssprachliches Oma ist eine Verkürzung von Omama, dasauf Französisch maman zurückgeht und im 19. Jahrhundert ins Deutsche aufgenommen wurde. Viele haben daraus das zärtlichere Omi gemacht. Das gleiche gilt für Opa. Auch dies waren wohl ursprünglich kindliche Lallwörter. Sie sind bis heute vor allem im Familien- und Freundeskreis gebräuchlich, jene dagegen haben den Anstrich des Offiziellen. Wir schützen die Großeltern, aber bangen um Oma und Opa. Beziehungsweise um Dieter und Ingegret, Horst und Barb – endlich Gleichberechtigung von Jungen und Alten.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e.V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de
3. Kultur
Vielsprachenstaat
Die sprachliche Verfasstheit der Schweiz ist divers, sie kennt vier Amtssprachen. Nach Untersuchungen des Schweizer Bundesamts für Statistik (BfS) lässt sich ein Trend zur verstärkten Mehrsprachigkeit beobachten. So würden mehr als zwei Drittel der Schweizer ab 15 Jahren regelmäßig mehrsprachig kommunizieren. Dieser Zug habe zwischen 2014 und 2019 leicht zugenommen. Dabei befinden sich vor allem die Landessprachen im sprachlichen Repertoire der Schweizer. Drei Viertel sprechen Deutsch, 39 Prozent Französisch, 15 Prozent Italienisch und 0,9 Prozent Rätoromanisch. Die Mehrsprachigkeit wird dabei von einer großen Mehrheit als zentral für den Zusammenhalt angegeben (83,6 Prozent). Weiterhin sind drei Viertel der Schweizer der Ansicht, dass eine der Landessprachen die erste Fremdsprache von Schülern sein sollte. Andere Faktoren, welche die Mehrsprachigkeit beeinflussen, sind die Weiterqualifikation für den Beruf, der Bildungsstand, das Alter und ob ein Migrationshintergrund besteht. (nzz.ch)
Gottesdienst in Leichter Sprache
3000 Jahre alte Texte – die Bibel ist an vielen Stellen schon für den normal gebildeten Leser schwer zu verstehen, und auch im Gottesdienst wird nicht alles einfacher. Wer auf Leichte Sprache angewiesen ist, hat jetzt in der Frankfurter Liebfrauenkirche die richtige Anlaufstelle gefunden. Einmal im Monat halten dort die Kapuzinerbrüder einen Gottesdienst in Leichter Sprache ab. Das Angebot in Leichter Sprache richte sich an Familien mit Kindern, Menschen mit Behinderung und alle, denen „Kirchendeutsch“ wie eine Fremdsprache vorkomme, berichtet das Portal kathpress.at und beruft sich auf die katholische Stadtkirche Frankfurt. (kathpress.at)
Urbairisch in Norditalien
Das „Europa-Magazin“ in der ARD vom vergangenen Sonntag beschäftigt sich in einem kleinen Beitrag mit dem Zimbrischen – eine zum Oberdeutschen gehörende Sprache, die heute noch im italienischen Trentino gesprochen wird. Sie geht zurück auf Siedler aus Bayern, die sich im Hochmittelalter in der Gegend nördlich von Verona niedergelassen hatten.
Nur noch etwa 1.000 Menschen sprechen Zimbrisch, vor allem in der Gemeinde Lusérn, wo selbst Kinder Zimbrisch erlernen. Es gibt eine Zeitung und ein Fernsehprogramm auf Zimbrisch. Außerdem gibt es eine Wortfindungskommission, die Wörter aus dem Zimbrischen entwickelt, um neue Sachverhalte auszudrücken. (ardmediathek.de)
4. Denglisch
BWL auf Englisch
Mit der ZfbF Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung (Springer-Verlag) wird derzeit eine der letzten wichtigen deutschsprachigen Publikationen der Betriebswirtschaftslehre (BWL) auf Englisch umgestellt. Bisher gab es neben der deutschen Ausgabe eine englischsprachige Schwesterzeitschrift, die Schmalenbach Business Review. Beide werden nun zusammengelegt, die deutsche Sprache verschwindet, meldete die FAZ. Außerdem soll die Zeitschrift künftig nicht mehr gedruckt erscheinen, die Artikel werden im Internet frei zugänglich gemacht. Die ZfbF war 1904 von dem Wirtschaftswissenschaftler Eugen Schmalenbach gegründet worden und gilt als die einzige auch international angesehene BWL-Zeitschrift aus Deutschland. (springer.com)
5. In eigener Sache
Heimarbeit
Der guten Ordnung halber sei erwähnt, dass nun auch die Mitarbeiter der VDS-Geschäftsstelle vieles von zuhause aus erledigen müssen. Home Office ist bekanntlich falsch, der Begriff bezeichnet im Englischen das Innenministerium der britischen Regierung in London. Wenn schon englisch, wäre remote office korrekt, aber eben nicht deutsch. In diesem Dilemma stellt uns ein Dortmunder VDS-Mitglied das Wort Heimkontor zur freien Verfügung, wahrscheinlich weil es so zeitgemäß klingt. Die Geschäftsstelle bedankt sich artig und weist darauf hin, dass in einem halben Dutzend Heimkontoren das eine oder andere nicht so flott wie gewohnt erledigt werden kann.
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.
Redaktion: Oliver Baer, Alina Letzel, Dorota Wilke, Frank Reimer