1. Presseschau
Duden-Chefin widerspricht Abschaffungsplänen
Dr. Kathrin Kunkel-Razum, Chefredakteurin des Dudens, hat in einem Interview mit dem NDR ausgeführt, dass sie das generische Maskulinum gar nicht abschaffen wolle. Stattdessen begründet sie das Gendern von 12.000 Personen- und Berufsbezeichnungen jetzt als technischen Aspekt, der Nutzern der Internetseite unnötige Weiterleitungen ersparen soll. Laut Kunkel-Razum gebe es innerhalb der Linguistik zwei Schulen: Eine konzentriere sich eher auf das Sprachsystem, die andere auf die Sprachverwendung. Fraglich ist, warum Kunkel-Razum die aktuelle Verwendung durch die Sprachgemeinschaft, die das Gendern laut mehrerer Umfragen ablehnt, nicht in ihre Bedenken aufnimmt. Kurz vorher hatte sie in einem Interview mit der Gesellschaft für deutsche Sprache bereits bestätigt, dass man nach dem Umbenennungs-Vorstoß viel Resonanz erhalten habe, die die Duden-Redaktion dazu bewogen habe, die Verwendung klarer darzustellen. Auch über einen entsprechenden Hinweis, dass Begriffe auch geschlechterübergreifend genutzt werden können, werde nachgedacht. Zeitlich kommt dieser Hinweis verdächtig kurz nach der Aktion des VDS, mit der dieser auf den Duden-Vorstoß reagiert hat. Hier hat offenbar der Gegenwind aus der Sprachgemeinschaft die Dudenredaktion überrascht. (ndr.de, gfds.de, cicero.de)
Gendern: Warum trennt man uns denn nur?
Die Zeitungs- und Schulbuchredakteurin Rieke Hümpel stellt in einem Gastbeitrag in der Welt die praktische Seite des Gendergedankens dar und erklärt, warum er im Alltag nicht praktikabel sei. Statt zu einen, breche die sprachliche Trennung auch das Bild im Kopf entzwei: „Wenn ich an Schlittschuhläufer auf einem See denke, so stelle ich mir Frauen, Männer und Kinder in Winterkleidung vor, die über das Eis gleiten, auf den Popo fallen usw. Wenn künftig von Schlittschuhläufern und Schlittschuhläuferinnen die Rede ist, sehe ich keine Menschengruppe mehr. Die Kinder fehlen. Die Diversen übrigens auch. Ich sehe eine Gruppe von männlichen und eine Gruppe von weiblichen Schlittschuhläufern. Ich muss bei den Frauen stehen und die Männer sind woanders – ja, plötzlich geht es gar nicht mehr um den Winter!“ Kernaussagen gingen verloren, so Hümpel, statt von echten Menschen wie Lehrern sei man nur noch umgeben von Kräften: Lehrkräfte, Fachkräfte etc. – „Gender-Sprache fördert auch noch die zunehmende Egozentrik in unserer Gesellschaft, in der sich ja beinahe jeder mittlerweile als ein Opfer sieht, dem besondere Aufmerksamkeit geschenkt gehört.“ (welt.de)
Netflix auf Lëtzebuergesch
Bei seiner ersten Serie aus Luxemburg hat der Streaminganbieter Netflix ein kleines, aber wichtiges sprachliches Zeichen gesetzt: Die Krimiserie „Capitani“, die von RTL gedreht und dann an Netflix gegeben wurde, ist nicht in den deutlich gängigeren europäischen Sprachen Französisch oder Deutsch entstanden, sondern auf Lëtzebuergesch, also Luxemburgisch, der Nationalsprache und einer der drei Amtssprachen des Landes. Obwohl es von rund der Hälfte der Bevölkerung gesprochen wird, fristet es immer noch ein Schattendasein. Gesetzestexte werden bis heute nicht auf Luxemburgisch verfasst, es ist auch keine Amtssprache der Europäischen Union. Umso erfreulicher, dass der Streamingriese Netflix sich hier dazu entschieden hat, das Original einer Serie in einer Sprache anzubieten, die eher ungewöhnlich für Ohren der EU-Bürger klingt. Da das Luxemburgische eine moselfränkische Form des Westmitteldeutschen ist, kann es sein, dass man es zumindest in Teilen versteht. Wer sein Gehör und Sprachverständnis testen will, kann bei den Netflix-Spracheinstellungen ins Luxemburgische wechseln. (serienjunkies.de)
„Sehr geehrt* Prof. (Name)“ – FU Berlin gendert jetzt auch Adjektive
Die Freie Universität Berlin trägt zwar den Freiheitsbezug im Namen, auf die Wahlfreiheit bei der Anrede lässt sich dies allerdings nicht ummünzen. Die Berliner Zeitung berichtet unter Berufung auf einen nicht genannten Professor, dass das Prüfungsamt der Universität für die Korrespondenz nun ausschließlich die Formel „Sehr geehrt* Prof. (Name)“ nutze. Ziel sei, durch den Verzicht auf die Anrede Herr/Frau andere Geschlechter einzubeziehen. Den Professor, der anonym bleiben möchte, stört dieses Vorgehen. Er wolle auch weiterhin mit der Anrede Herr adressiert werden. Die Freie Universität Berlin reagierte auf diese Bitte unversöhnlich: „Wir achten auf eine gender- und diversitätsbewusste Sprache“, bekam er zur Antwort. Aber was ist daran besonders genderbewusst, wenn jemand nicht so angeredet wird, wie er es wünscht? Was ist mit denen, die sich auf ein Geschlecht festgelegt haben?“
Personen, die sich gegen das Gendern aussprächen, würden dabei auch in akademischen Kreisen hart kritisiert. So erging es dem Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Rudolf Stöber, der in einem Artikel die Verwendung des Gendersterns kritisiert hatte. Kollegen warfen ihm daraufhin Unwissenschaftlichkeit vor. Es scheint so, dass es eher darum gehe, unliebsame kritische Stimmen zu übertönen, als einen sinnvollen Diskurs zu führen. (bz-berlin.de)
Wer sich einen Eindruck vom angeblich unwissenschaftlichen Text Prof. Stöbers machen möchte, der findet ihn kostenlos unter: springer.com.
Gendern ist übergriffig und anmaßend
Hubert Zöller, ehemaliger Redakteur der Saale-Zeitung, spricht sich in einem Kommentar im Onlineportal infranken.de deutlich gegen Doppelpunkte, Sternchen und andere Zeichenkonstruktionen aus. Sie erschweren die Verständigung, so Zöllner, und sind teilweise inhaltlich falsch. Ursache sei, dass viele Gender-Verfechter das biologische Geschlecht (Sexus) und das grammatikalische (Genus) durcheinanderwerfen. „Wer gendert, rückt das biologische Geschlecht auch überall dort in den Vordergrund, wo es keine Rolle spielt. Das ist schlicht Sexismus, also das, was die Verfechter des Genderns eigentlich zu bekämpfen vorgeben. Gesellschaftliche Verhältnisse ändern sich nicht durch sprachliche Verrenkungen, und Journalisten sollten nicht missionieren, sondern die gesellschaftliche Wirklichkeit beschreiben.“
Gegen den Missionsgedanken sträubt sich auch der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Er sei kein Anhänger von Verboten, sagt er im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Wenn an Universitäten vorgeschrieben werde, dass Arbeiten nur in gendersensibler Sprache abgegeben werden dürften, dann werde den Menschen verwehrt, sich nach eigenem Belieben auszudrücken. „Die Unsicherheit, dass man nicht mehr weiß, wie man jemanden ansprechen soll, angesichts der Vielfalt von Geschlechtern, führt jedenfalls nicht zu einer Erleichterung von Kommunikation“, so Thierse. Überdies gebe es in vielen Städten Verwaltungsanordnungen, wie die Sprache zu sein habe. Wer sich dem nicht beuge, müsse mit Konsequenzen rechnen. Thierse plädiert für weniger Verbote, dafür aber für mehr gesellschaftlichen Diskurs. (infranken.de, deutschlandfunk.de)
2. Unser Deutsch
Es ruckelt
Um Entschuldigungen waren Politiker nie verlegen. Gerne nutzen sie dabei die Vielfalt deutscher Sprache, um Misslungenes kleinzureden. Ein bewährtes Mittel ist der Einsatz umgangssprachlicher Wendungen. Werfen wir dazu einen Blick auf das Impfdilemma. „Es ruckelt“ erklären zuständige Ministerpräsidenten und Gesundheitsminister. Das ist geschickt. Was sagt das Verb ruckeln? Wörterbücher erklären ‚einen leichten Ruck machen‘, ‚sich mit leichten Rucken bewegen‘. Als Beispiel dient „der Zug ruckelte“. Zweierlei wird damit gesagt: Die Bewegung geht voran, nur eben mit kleinen Unterbrechungen. Dass es irgendwo ruckelt, ist eine Alltagserfahrung. Hier wird das Dilemma der Impfversorgung eingeordnet.
Besonders drastisch wird verurteilt, was andere verschuldet haben. Es geht um die Bestellung der Impfdosen durch die Europäische Union. Die EU habe das versemmelt, habe es vergeigt. Volksnahe Kritiker sagen sogar, sie habe das verkackt. Die Umgangssprache kennt ein ganzes Arsenal von Verben mit dem Präfix –ver wie etwas verpatzen, verbocken, verhunzen, versauen, vermurksen, verpfuschen. Das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache verzeichnet sie alle. Doch etymologische Erklärungen sind rar. Der Reichtum der lockeren Volkssprache ist der sprachhistorischen Forschung bisher weitgehend verborgen geblieben. Einiges aber ist zum Glück selbsterkärend. Etwas vergeigen heißt wörtlich ‚ falsch geigen‘. Das Bild des miserablen Kunstvortrags wird übertragen zu ‚etwas durch falsches Vorgehen zu einem Misserfolg führen‘, zum Beispiel in dem Satz „er hat die Klassenarbeit vergeigt“.
Auch hier hat der umgangssprachliche Ton etwas Entschuldigendes. Wie dem jungen Künstler nicht auf Anhieb jeder Strich gelingt, so kann auch anderen ein Missgeschick passieren. Hier schwingt auch die Hoffnung mit, dass es bald besser wird. „Nach vorne blicken“ ist die Devise, „nicht immer nach den Schuldigen suchen“.
So warten wir nun, ungeduldig die einen, verzweifelt andere, gefasst die meisten auf den erlösenden Anruf oder die Mail, welche uns den Impftermin mitteilt. Es hat nur etwas geruckelt.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e.V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de
3. Kultur
Erhalt von bairischer Mundart
Am Internationalen Tag der Muttersprache spielten auch Dialekte eine Rolle. So warb der Bund Bairische Sprache (BBS) für den Erhalt der bairischen Mundart und kritisierte, dass die nordhochdeutsche Lautung teils „willkürlich zur Norm erhoben und damit ein sprachgeschichtlicher Irrtum zementiert“ werde. Nord- und Südhochdeutsch seien sprachgeschichtlich gleichberechtigt, das sähen auch Sprachforscher so, erklärt Sepp Obermeier, der Vereinsvorsitzende des BBS.
Auch der Förderverein für Bairische Sprache und Dialekte setzte sich anlässlich des Tages der Muttersprache für Mundarten ein. Dialekte befördern eine facettenreiche Gesellschaft: „In sprachlicher Vielfalt liegt ein Schlüssel für den Aufbau und den Erhalt von integrativen, offenen, vielfältigen und partizipativen Gesellschaften.“ (zeit.de)
Oberfranken sucht Dialektwort des Jahres
Fregger – so lautete der Sieger des vergangenen Jahres. Das Wort bezeichnet einen gewitzten Menschen, aber auch ein freches und gleichzeitig sympathisches Kind. Anlässlich des Tages der Muttersprache sucht der Bezirk Oberfranken jetzt einen Nachfolger. Der Titel „Dialektwort des Jahres“ wird seit 2015 verliehen. Im Spätsommer wird der Sieger gekürt. (br.de)
4. Denglisch
Zwischen Geschmacksfrage und Unsinn
Erfolgsautor und VDS-Mitglied Bastian Sick klärt in der Sendung „Mittendrin“ im WDR 4 über Anglizismen in der deutschen Sprache auf. Ob Anglizismen angemessen sind, hänge davon ab, ob sie dem eigenen Sprachgeschmack entsprechen, so Sick. Einige Begriffe seien bereits in den Sprachgebrauch eingeflossen. So werde aus dem Skateboardfahrer wahrscheinlich kein Rollbrettfahrer mehr. Anglizismen seien dann sinnvoll, wenn es keine sinnhaften deutschen Entsprechungen gäbe. Dennoch sei bei vermeintlich englischen Begriffen Vorsicht geboten. Begriffe wie „Homeoffice“, „Public Viewing“ oder „Handy“ bezeichneten in der englischen Sprache etwas komplett anderes. Die Begriffsinhalte seien zwischen den Sprachen somit nicht kongruent, sondern fielen auseinander. Gründe für die verstärkte Verwendung von Anglizismen seien die Vormachtstellung des Englischen in Wirtschaft und Politik, aber auch die Vortäuschung von Kompetenz durch die Denglisch-Sprecher. Das Denglisch sei „einerseits ein Instrument, um Macht auszuüben, also, um andere blöd dastehen zu lassen. Und auf der anderen Seite ist es einfach eine riesengroße Modewelle.“ Ein Hörer, der in der Sendung zu Wort kam, bringt es anders auf den Punkt: „Mich nervt dieses Denglisch schon sehr. […]. Das ist einfach völliger Schwachsinn.“ (wdr.de)
Ash to go
Der diesjährige Aschermittwoch hat die Kirchen vor besondere Herausforderungen gestellt. Das Aschekreuz, das den Gläubigen normalerweise auf die Stirn gezeichnet wird, kam aufgrund der Kontaktbeschränkungen nicht in Frage. Die Lösung lautete „Ash to go“, das Konzept: verschiedene Lokalitäten außerhalb der Kirche, an denen man die Asche „wortlos und ohne Berührung“ empfangen konnte – Abholstellen sozusagen, die „Asche zum Mitnehmen“ anbieten. Musste das Ganze unbedingt einen englischen Namen bekommen? (meinbezirk.at)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.
Redaktion: Dorota Wilke, Alina Letzel, Frank Reimer