Infobrief vom 16. Januar 2022: Sprachanalyse kann Kriminalfälle lösen

Bild: Juergen Jotzo / pixelio.de

1. Presseschau

Sprachanalyse kann Kriminalfälle lösen

Sabine Ehrhardt kann Täter anhand ihrer Sprache identifizieren. Ihr Fachgebiet, die forensische Linguistik, befasst sich mit der individuellen Sprache in Texten, dadurch kann man Täter überführen. Klassische Erpresserschreiben sind mittlerweile eine Seltenheit, deswegen, so Ehrhardt, komme es vor allem auf SMS, Chatverläufe, Twitter-Meldungen und andere digitale Spuren an. Dies sei sogar von Vorteil, denn die Sprache, die man im Netz benutzt, enthält viel Individuelles. Man schreibt oft spontan und achtet nicht genügend auf Fehler, wie es beim Schreiben herkömmlicher Briefe noch üblich war. Ehrhardt und ihr Team untersuchen die vorliegenden Texte auf sprachliche Merkmale des Täters, wie Rechtschreib- oder Grammatikfehler und auf Wörter, die aus einem Dialekt oder einer anderen Muttersprache stammen. Es lassen sich dadurch Rückschlüsse auf das Alter, den Beruf oder die Hobbys ziehen. Ehrhardt erklärt, dass auch die Emojis als Begriffe gelten, da ihre Verwendung eine bewusste Entscheidung des Absenders voraussetzt. Damit die Sprachanalytiker möglichst neutral und unvoreingenommen an die Fälle herangehen, werden ihnen gegebenenfalls Details zu den einzelnen Fällen vorenthalten. Nach Abschluss der Analyse wird ein Gutachten erstellt, welches dann vor Gericht verwendet wird. So wurde dank der Sprachanalytiker beispielsweise der Autor eines Drohschreibens mit dem Absender „NSU 2.0“ identifiziert, und vor mehreren Jahren konnte durch die „Sprachprofiler“ ein Sprengstoffanschlag im Dortmunder Stadion verhindert werden. An der Ruhr-Universität Bochum gibt es im germanistischen Institut den Bereich Digitale forensische Linguistik, der Hassreden und Desinformationen in den sozialen Medien erforscht. Die Zahl der Stellen als Sprachprofiler ist bisher überschaubar, einen entsprechenden Studiengang oder eine Ausbildung dazu gibt es noch nicht. (zeit.de)


Unwort des Jahres

„Pushback“ ist das „Unwort des Jahres“ 2021, gewählt von einer Jury aus Sprachwissenschaftlern. Der Begriff soll für die Zurückweisung von Flüchtlingen an Grenzen stehen. Übersetzt bedeutet er „zurückdrängen/zurückschieben“. Die Jury kritisiert, dass das Wort einen menschenfeindlichen Prozess beschönige, der Flüchtlingen die Möglichkeit nehme, das Asylrecht wahrzunehmen. Das englische Wort verschleiere dabei den Verstoß gegen die Menschenrechte und verschweige die Gewalt, die beim Akt des Zurückdrängens an der Grenze unweigerlich herrscht. Das „Unwort des Jahres“ wird seit 1991 gewählt. Die Jury will damit auf unangemessenen Sprachgebrauch aufmerksam machen und zu einem bewussten Umgang mit der Sprache sensibilisieren: „Gerügt werden Begriffe, die gegen die Prinzipien der Menschenwürde oder Demokratie verstoßen, die gesellschaftliche Gruppen diskriminieren oder die euphemistisch, verschleiernd oder irreführend sind.“ In diesem Jahr gab es rund 1.300 Einsendungen, heißt es. Viele von ihnen hätten mit Corona zu tun, zum Beispiel „Impfling“ und „Ermächtigungsgesetz“ (für das Infektionsschutzgesetz). (spiegel.de)


2. Gendersprache

Jürgen von der Lippe gegen Gendersprache

Mal anzüglich, mal mit Schalk im Nacken – seit den 1970er Jahren ist Jürgen von der Lippe eine feste Größe in der deutschen Komödiantenbranche. Er ist sich auch nicht zu fein, gegen den Strom zu schwimmen und Dinge anzusprechen, die politisch nicht korrekt sind. In einem Interview in der Bild am Sonntag rechnete er jetzt auf seine charmante Weise mit dem Gendern ab. Er habe sich gleich zu Beginn des Interviews verbeten, in der gedruckten Endfassung gegendert zu werden – das sei vor ihm schon Wayne Carpendale (in der Gala) passiert. „Ich möchte nicht, dass der Eindruck entsteht, ich würde mich einer grammatikalisch fehlerhaften und vor dem philosophischen Hintergrund unsinnigen Sprache bedienen“, sagte von der Lippe. Sprache ändere sich immer – aber immer von unten: „Es ist doch ein Skandal, dass Universitäten verlangen, dass Arbeiten von den Studenten gegendert und so in einem falschen Deutsch eingereicht werden. Es entsteht der Eindruck, dass es eine breite Bewegung wäre. Aber das Gegenteil ist der Fall. Je nach Umfrage wollen bis zu 91 Prozent der Deutschen nicht gendern.“ Vor allem die sinnfreien Partizipien ärgern ihn: „Der Bäcker ist ein Backender, wenn er in der Backstube steht. Wenn er auf dem Klo sitzt, dann nicht mehr.“ Im generischen Maskulinum könne sich jeder zu Hause fühlen, so von der Lippe: „Wenn ich selbst queer wäre, also schwul, lesbisch, bi-, trans- oder intersexuell, wäre ich beleidigt, dass ich nur von so einem kleinen Zeichen repräsentiert werden soll.“ (bild.de)


Kein Gendern bei Union Berlin

Beim Fußball geht es schon mal rau zu, man trägt das Herz auf der Zunge – und man spricht, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Das hat jetzt auch Dirk Zingler, Präsident des 1. FC Union Berlin, unterstrichen. In einem Interview in der Welt sprach er über Fußball in Corona-Zeiten und den Wunsch nach veganen Würstchen. Davon hält er nichts: „Fußball bedeutet bei uns: Bratwurst, Bier, 90 Minuten Fußball.“ Auch die Sprache dürfe schon mal etwas deftiger sein – wenn auch nicht verletzend oder diskriminierend. Gendern werde man nicht, so Zingler: „Wir machen da niemandem etwas vor oder versuchen etwas darzustellen, was wir nicht sind. (…) Keiner strebt hier etwas Großes oder Besonderes an, oder beabsichtigt eine große Verpflichtung zu tätigen, um selber größer zu wirken.“ (welt.de (Bezahlschranke))


Eigentor mit Gutachten

Der Bamberger Sprachwissenschaftler Helmut Glück kommentiert das im Dezember veröffentlichte Gutachten der Juristin Lembke von der Berliner Humboldt-Universität, in dem sie „geschlechtergerechte Sprache“ als verfassungsrechtlich vorgeschrieben einstuft. Glück hält das Gutachten für „wissenschaftsfern“, weil es viele handwerkliche und terminologische Fehler enthält, mitunter sei es „realitätsfern‟, wenn die Gutachterin hofft, dass eine Sprache alle denkbaren dritten Geschlechter repräsentieren könne. Das Gutachten hatte die Stadt Hannover in Auftrag gegeben, es sollte ihre Entscheidung für gendersprachliche Regeln in der Verwaltung untermauern. „Die Stadt Hannover hat sich mit diesem Gutachten ein Eigentor geschossen“, so Glück. (faz.net)


3. Sprachspiele: Wort-Schätze von Christian Hirdes

Der Wessi, der Ossi und Ozzy, der uzzy!

Nach dem letzten Auswärtsspiel des Jahres 2021 war Fußballer Max Kruse vom Verhalten vieler heimischer VfL-Bochum-Fans wenig angetan und bezeichnete sie mit einem Begriff, den der kernige Ruhrpottler zwar nicht wirklich als Beleidigung empfindet, der aber dennoch problematisch ist. Allein schon orthografisch.

Der Sänger John Michael Osbourne hat einen Spitznamen, der dem fraglichen Begriff ähnelt und den deutsche Muttersprachler leicht aussprechen können: „Ozzy“, eine Abfolge dreier Laute, die wir allesamt kennen. Olli oder Lotti liefern uns die gleichen Vokale wie jener Promi, und auch das mittige, säuselnd stimmhafte „s“ (auch „weiches s“ genannt), scheint uns vertraut, meinen Rosi und Gesa.

„Auf deutsch schreiben“ aber können wir„Ozzy“ nicht: „Osi“, schreit nach einem Rosi-O-Ton, würden wir den aber durch ein Doppel-s zu ändern versuchen, würde jener s-Laut ja stimmlos („hart“), und nicht nur der Wessi spräche von einem Herrn aus den neueren Bundesländern, dem Ossi Osbourne.

Warum unser deutsch gedachtes Alphabet die Lautfolge nicht abbilden kann? Weil es sie im Hochdeutschen eigentlich nicht gibt! Beinhaltet eine betonte Silbe ein stimmhaftes „s“, ist der davor befindliche Vokal lang: Der Ösi aus der Alpenrepublik verfügt über ein „ö“ wie ein König, Oberhausens „A und O“ finden wir fein gedehnt im Gasometer, und auch Susi und Lisa kamen einst gut weg bei ihrer Vokal-Längen-Verlosung. Statt „busy“ zu sein, können wir im Deutschen von den riesigen hiesigen Risiken lesen, – und dabei jedes musische „s“ nur prosaisch mit diesen dösigen Lang-Vokalen auslösen!

So weit die Basis.

Nun aber die Ausnahme, die uns vor ein Problem stellt: Der Begriff „asozial“ gelangte zunächst fachsprachlich in den deutschen Wortschatz, und ich nehme stark an, dass der erste Vokal ursprünglich lang ausgesprochen wurde, wie etwa bei „asymptomatisch“ oder „asexuell“. Von den Nazis wurde der Ausdruck einst übel vereinnahmt und schrecklich missbraucht. Das ist schade um das nach wie vor gebräuchliche Wort, gerade, seitdem es nicht mehr nur als plumpe Beschimpfung für angeblich untätige und -flätige Unterschichtler herhält, sondern auch im Gegenteil und Wortsinne dienlich ist: Hierzulande Gewinne machen und im Paradies versteuern? Asozial! Mit E-Fahrzeugen Milliardär werden und sich zum Spaß ins All schießen lassen? Asozial. Private Krankenkassen? Genau!

Dabei wird das Wort nun mit einem ebenso kurzen „a“ eröffnet wie der Anorak.

Erst recht, wenn es dann in seine zweisilbige, nazi-unverdächtige Verniedlichungs-Form verkürzt wird; mit diesem kumpelhaften „i“ am Ende wie beim Ami oder Abi.

Oder eben beim Maxi (Kruse), der die schreibende Presse damit vor das ‚Ozzy-Ossi-Rosi-Problem‘ stellte: „Max Kruse über Bochum-Fans: ‚Ruhrpott-Assis!‘“ titelte der Kölner Express.

Falsch! Ja, in Bochum waren neben einem Schiri auch zwei ihm zuarbeitende Assis zugegen, die aber blieben in puncto unflätiges Sozialverhalten klassisch passiv, im Gegensatz zu jener Rasselbande, der man einen krassen Mangel an Assimilation vorwerfen kann, die aber keine Assi-Masse mit stimmlos-blassem „s“ war!

Andere Medien schrieben „Asis“ – aber schon liest mir in meinem Hinterkopf die Rosi ein langes „Stasi-a“ vor: „Asis“, das könnte ein fiktives Kose-Kurzwort für Menschen aus einem benachbarten Kontinent sein. Als Tourist fotografierte dann in Wien der Asi den Ösi. Quasi.

Wie also jenes hier dem Ruhrpott-Fan zugewiesene Attribut schreiben, wenn dieser weder Asi noch Assi ist?

Mein (nicht ganz ernst gemeinter) Lösungsansatz lag eigentlich in der internationalen phonetischen Lautschrift. Wenn Sie wissen, durch welchen Buchstaben das stimmhafte „s“ dort dargestellt wird, drücken Sie jetzt den Buzzer!

Doch das „z“, um das es geht, ist im Deutschen ja als Zischlaut besetzt: „Azis“ sähen wieder „Nazis“ ähnlich und legten deren Aussprache nahe. Bleibt also nur ein echter Ozzy-artiger Pseudo-Anglizismus: Schreiben wir das Wort doch, als sei es ein englisches! Das Adjektiv hieße demnach „uzzy“, als Nomen hätten wir es dann mit „einem Uzzy“ zu tun. Und für Max Kruse war der letzte Arbeitstag des Jahres 2021 „ein Tag, an dem sich alle Ruhrpott-Uzzys in Bochum versammelt haben und dachten: Heute gehen wir ins Stadion.“

Sein Team gewann übrigens 1:0. Muzzel gehabt.

Christian Hirdes aus Bochum (geb. 1974) ist seit knapp 20 Jahren hauptberuflich als Musikkabarettist, „komischer Poet und Wortakrobat“ tätig und auf Comedy-, Kabarett- und Varietébühnen zu Hause. Neben einigen TV-Auftritten (z. B. bei „Stratmanns“ und „TV total“) und dem Gewinn renommierter Kleinkunstpreise wie dem Prix Pantheon, der St. Ingberter Pfanne und dem Ruhrgebietspreis „Tegtmeiers Erben“, hat er auf seinem durch die Liebe zu Musik und Sprache geprägten Lebensweg auch ein nach vielen Jahren erfolgreich abgebrochenes Germanistik-Studium vorzuweisen.

4. Kultur

Parlamentspoeten

Im Bundestag könnte es vielleicht bald die Position eines „Parlamentspoeten“ geben. Drei Autoren hatten diesen Vorschlag eingebracht, die Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt zeigte sich bei einem Treffen begeistert: „Es ist ein toller Vorschlag, den wir als Parlament unbedingt weiterverfolgen sollten“, sagte sie. Als ideelles Vorbild gilt die junge Schriftstellerin Amanda Gorman, die bei der Amtseinführung des US-Präsidenten Joe Biden mit ihrem Gedicht „The Hill We Climb“ eine beachtliche Resonanz ausgelöst hatte. „Ich unterstütze es, einen neuen diskursiven Raum zwischen Parlament und lebendiger Sprache zu öffnen. Poesie kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten“, sagte Göring-Eckardt. Eine starke Kultur und ein wertschätzender Umgang mit unserer Sprache seien essenziell für jede offene Gesellschaft. Diese Idee solle jetzt ins Präsidium getragen werden. In den sozialen Medien hat der Vorschlag für Spott gesorgt. Vor allem auf Twitter wurde es bissig: „Rosen sind rot, Veilchen sind blau, Gendern ist scheiße, das weiß ich genau“ oder „Der Scheuer! Das Parlament! HURZ! Habe ich den Job?“ sind nur zwei der Tweets, die den Vorschlag aufs Korn nehmen. Wolfgang Kubicki (FDP) sprach im Tagesspiegel von einem „elitären Projekt“, das Kunst und Dichtung falsch verstehe: „Künstler sollen eigentlich Stachel im Fleisch der Herrschenden sein, nicht deren Angestellte.“ Marc Reichwein schreibt in einem Kommentar in der Welt, der alberne Vorschlag sei unwürdig für das Amt einer Bundestagsvizepräsidentin, das Parlament sei kein Gute-Welt-Workshop. Die Literatur habe sich nach einem jahrhundertelangen Dienst hoheitlich-repräsentativer Aufgaben (Hofsänger, Hofnarr) mühsam aus der Unterwürfigkeit befreit. Jetzt einen solchen Posten zu installieren, würde sie wieder in einen staatlichen Dienst zurückwerfen. (t-online.de, bild.de, welt.de (Bezahlschranke))


Lernanweisungen im Mittelalter

„Wie schlage ich ein Ei auf?“ oder „Wie verklebe ich am besten zwei Holzbretter?“ – in Zeiten des Internets sind Antworten auf solche Fragen des Alltags ganz leicht mit einem Klick zu finden. Entweder gibt es sie als Textform mit Bildern oder bei YouTube als Video. Lernanweisungen dieser Art sind aber nicht neu, es gab sie schon im Mittelalter – auch wenn sie damals nicht als solche erkannt worden sind. Die Mediävistin Prof. Christina Lechtermann von der Ruhr-Universität Bochum erforscht sogenannte „How-to“-Bücher des Mittelalters. Mit dem Buchdruck begannen ab etwa 1500 die Menschen, zum Beispiel Handwerker, Dinge des Alltags in der Volkssprache aufzuschreiben. „Der prominenteste Vertreter ist Dürer“, so Lechtermann. Im 16. Jahrhundert gab es eine ganze Reihe volkssprachlicher Bücher, die dem Versuch dienten, Laien Spezialwissen wie Mathematik leicht verständlich zu erklären. „Bei Literatur denkt man normalerweise an Romane oder Gedichte, aber mit diesen Drucken bekommt das Buch eine neue Dimension – genauso, wie man sagen kann, das Internet bekommt eine neue Dimension in dem Moment, wenn die Leute anfangen selbst Anweisungen einzustellen, zum Beispiel zu der Frage: Wie schneidere ich eine Corona-Maske?“, sagt Lechtermann. (news.rub.de)


Ali Mitgutsch gestorben

Vermutlich hat jeder mit Kindern im Hause eines seiner Bücher im Regal. Ali Mitgutsch hat mit seinen Wimmelbüchern Geschichten nebeneinander erzählt, nicht nacheinander – jetzt ist er im Alter von 86 Jahren gestorben. „Die Wimmelbücher waren eine richtige Revolution. Er hat ein neues Genre geschaffen, eine Darstellungsweise, in der alles gleichzeitig passiert“, sagt die Literaturkritikerin Kim Kindermann im Deutschlandfunk. Er, der selbst Legastheniker war, hat die Welt aus Sicht der Kinderaugen dargestellt: Überall passierte etwas, manchmal waren es einfache Dinge, auf die der Blick fiel, manchmal absurde. Aber egal wohin man blickte: Ein „Nichts“ gab es in seinen Bildern nicht. Allein in Deutschland wurden über 5 Millionen Exemplare seiner Bücher verkauft, und das, obwohl vieles auf den Bildern „etwas aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Bagger, Traktoren und Autos sehen heute ganz anders aus als vor mehr als 50 Jahren, als die Bücher in die Kinderzimmer einzogen.“ Der Popularität hat das nicht geschadet, denn nicht die optische Darstellung von Gegenständen war wichtig, sondern die Interaktion der Personen, die abgebildet waren. Geprägt hat Mitgutsch laut Deutschlandfunk eine Fahrt mit dem Riesenrad auf dem Münchner Jahrmarkt Auer Dult – was er von oben sah, faszinierte ihn: „Es waren Bilder mit vielen Details, es passierte so viel gleichzeitig, die Geschichten gingen nicht aus: Menschen liefen über den Platz, kamen zu Gruppen zusammen, lösten sich wieder auf, Kinder jagten hintereinander her, Karren wurden gezogen, eine Frau sammelte ihren Einkauf vom Pflaster und ein Junge kletterte einen Laternenpfahl hinauf.“ Und so, wie auch die Welt sich nie auserzählt, tun es auch Alfons (genannt Ali) Mitgutschs Bücher nicht: Immer wieder kann man darin neue Dinge entdecken – egal ob als Kind oder Erwachsener. (deutschlandfunkkultur.de, zeit.de)


Deutsche Minderheitssprache in Polen

Die Kürzung der Mittel für Deutsch als Minderheitensprache in Polen hat in der Politik für Wirbel gesorgt (siehe vds-ev.de). Im Senat, der 2. Kammer des polnischen Parlaments, wurde das Haushaltsgesetz beraten. Während im Sejm die PiS (klerikal-nationalistisch) die Regierung stellt und unter deren Führung das Aus für die Finanzierung beschlossen wurde, hat im Senat die Opposition mehr Stimmen. So schlug der Senat am Ende der Beratungen vor, die Mittel für den deutschsprachigen Unterricht wieder herzustellen, der Haushalt wurde mit dieser Änderung wieder an den Sejm verwiesen. Vor der Senatssitzung wandte sich der Ombudsmann, Marcin Wiącek, wegen der Kürzung der Subventionen für den minderheitensprachlichen Unterricht in einem Brief an Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und Senatsmarschall Tomasz Grodzki . Die Reduzierung der Haushaltsausgaben dürfe nicht auf Kosten von marginalisierten Gruppen gehen, hier sei der Staat verpflichtet, sie zu unterstützen: „Es geht unter anderem darum, das Recht jedes Menschen, der einer nationalen Minderheit angehört anzuerkennen, seine Sprache zu lernen.“ Die Unterstützung der Minderheiten sei im Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten von 1995 geregelt, dem Polen verpflichtet sei. (wochenblatt.pl)


5. Berichte

Neue Online-Grammatik für das Saterfriesische

Im letzten Infobrief berichteten wir über das Verschwinden des Plattdeutschen. Auch das Saterfriesische gilt als bedrohte Sprache mit nur 2.000 Sprechern. Um der Sprache beim Überleben zu helfen, haben sich nun Sprachwissenschaftler aus dem niederländischen Leeuwarden von der friesischen Fryske Akademy mit einer Nachwuchswissenschaftlerin aus Oldenburg zusammengeschlossen und die erste Version eines saterfriesischen Online-Grammatikwerks vorgestellt. Die Sprache, die vom Altfriesischen abgeleitet ist und seit Jahrhunderten existiert, wird noch von einer kleinen Gruppe im Landkreis Cloppenburg gesprochen. Sie ist verwandt mit dem Westfriesischen in der niederländischen Provinz Friesland und dem Nordfriesischen, welches an der dänischen Grenze in Schleswig-Holstein gesprochen wird. Auch unser ehemaliges VDS-Mitglied Marron Curtis Fort setzte sich vor seinem Ableben für das Saterfriesische ein. Er veröffentlichte unter anderem eine Übersetzung des Neuen Testaments in der bedrohten Sprache. Wegen der Corona-Lage musste auf Saterfriesisch-Unterricht im vergangenen Jahr verzichtet werden, jedoch setzt sich weiterhin eine kleine Gruppe von Lehrern ein, die Saterfriesisch auch an Schulen unterrichten will. (welt.de)


6. Denglisch

Englische Aussprache nicht überbewerten

„Sänk ju vor träwelling wis Deutsche Bahn“ – diese Verabschiedung in den Zügen hat sich lautmalerisch mittlerweile verselbstständigt. Dass Deutsche häufig mit der englischen Aussprache ihre Probleme haben, ist nichts Neues. Schon Loriot hat in seinem Sketch die Kollegin Evelyn Haman mit der Aussprache des Landsitzes „North Cothelstone Hall“ von Lord und Lady Hesketh-Fortescue aufs englische Glatteis geführt. Mit Annalena Baerbock als neuer Außenministerin haben alle, die sehr auf die englische Aussprache achten, jetzt eine neue Zielscheibe gefunden. Baerbocks Antrittsreden im europäischen Ausland waren inhaltlich korrekt, ihre Aussprache jedoch wurde spöttisch als „Schul-Englisch“ kommentiert. „In einem perfekten englischen Akzent besteht keine Leistung“, stellt jedoch der Englisch-Experte Peter Littger in der Wirtschaftswoche fest. So etwas wie einen „echten“ englischen Akzent gebe es sowieso nicht, da Engländer und US-Amerikaner Wörter bzw. Buchstaben eh häufig unterschiedlich aussprechen. Der letzte Buchstabe des Alphabets sei im Englischen ein „säd“, im US-Amerikanischen ein „sie“. Dass wir Deutschen Probleme mit manchen Lauten wie dem „th“ oder dem „v/w“ haben, sei nicht ungewöhnlich, auch stimmlose Buchstaben wie das zweite „b“ in „bomb“ (gesprochen „bomm“) würden uns häufig verwirren. Littger hält nichts davon, „Sprachkenntnisse daran festzumachen, ob man bestimmte Laute (nach)bilden kann, die andere in der Kindheit gelernt haben. Niemand kann diesen Vorsprung ab einem bestimmten Alter aufholen. Vom Gegenteil auszugehen, ist eine Form der Diskriminierung von Erwachsenen, die sich die Mühe machen, eine neue, fremde Sprache zu sprechen.“ (wiwo.de, dailymotion.com)


„The Länd‟ kostet 50:50-Joker

„Welches Bundesland präsentiert sich neuerdings national wie international als ,THE LÄND’?“, lautete die 50.000-Euro-Frage bei Wer wird wird Millionär? in der vergangenen Woche. Die denglische 20-Millionen-Euro-Kampagne aus Baden-Württemberg war bei dem Kandidaten aus Nordrhein-Westfalen offenbar noch nicht angekommen. „Das habe ich noch nie gehört“, musste der Kandidat zugeben und tippte zunächst auf Sachsen-Anhalt. Nach Einsatz des 50:50-Jokers entschied er sich für Baden-Württemberg und ging zur nächsten Frage weiter (an der er dann scheiterte). In den Sozialen Medien blieb „The Länd“ aber noch weiter Thema: „50 000 Euro für The Länd. Das ist ein schlechter Scherz“, schrieb ein Nutzer auf Twitter. (stuttgarter-zeitung.de)


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke

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