Infobrief vom 6. August 2023: 25 Jahre Rechtschreibreform

1. Presseschau

25 Jahre Rechtschreibreform

Die Rechtschreibreform von 1998 sei in der Gesellschaft angekommen. „Empörung und Widerstand vorbei“, titelt Jacqueline Melcher bei ntv. Die Reform war lange umstritten, viele Wörter und Regeln waren ungewohnt. Auch Korrekturen der Reform sowie Korrekturen der Korrekturen trugen nicht dazu bei, den Reformprozess zu respektieren. Die Umgewöhnung fiel schwer, besonders bei den drei Konsonanten, die jetzt aufeinander folgen durften (Schifffahrt) oder bei der „Eindeutschung“ meist griechischer Wörter, wo das ph zum f wurde (Geografie statt Geographie). Insgesamt habe die Sprachgemeinschaft die neuen Regeln aber angenommen, so Susanne Krome, Geschäftsführerin des Rechtschreibrats. (n-tv.de)


Wie Giraffen sprechen

Ein neues Forschungsprojekt der Österreichischen Akademie der Wissenschaften beschäftigt sich mit der Sprache der Giraffen. Obwohl Giraffen die größten Landtiere der Welt sind, schenke die Forschung ihnen kaum Beachtung. Der Biologe Anton Baotic erforscht die Sozial- und Kommunikationsformen der Tiere. Seine Tonaufnahmen führte der Wissenschaftler im Tierpark Berlin durch. Er konnte verschiedene Laute wie Summen, Grunzen, Schnauben und Prusten unterscheiden und klassifizieren. Baotic, der mit seinen Aufnahmen selbst die Tierpfleger überraschte, kam zu dem Ergebnis, dass es sich bei Giraffen keinesfalls um stumme Tiere handle. Die Bedeutung der Laute soll im Rahmen eines mehrjährigen Projekts weiter erforscht werden. Baotic forscht jedoch nicht nur an den Berliner Tieren, sondern auch an zwei Giraffen in Südafrika, die vom Forschungspartner Africa Wildlife Tracking mit Mikrofonen ausgestattet wurden. (oeaw.ac.at)


Gefährliche Kinderbücher

Kanzler Olaf Scholz ist Befürworter von Warnhinweisen auf Kinderbüchern. Bücher wie „Tim und Struppi“ würden rassistische Darstellungen und Stereotype transportieren. „Ich bin dafür, Probleme auf jeden Fall sichtbar zu machen in Vor- und Nachworten und mit Hinweisen im Text“, sagte er im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Man solle deutlich machen, „was so heute nicht mehr in Ordnung ist“. Gerade bei Bildungs-Material will Scholz keine Kompromisse machen: „Wenn es sich um pädagogisches Material für Kinder handelt, sollte es klar unseren heutigen Vorstellungen entsprechen. Da werden wir Wege suchen und auch ein bisschen herumtasten müssen“, sagte er. (sueddeutsche.de (Bezahlschranke))


Enttäuschende Zahlen bei Integrationskursen

Mehr Teilnehmer heißt nicht unbedingt auch immer: mehr Absolventen. Das musste sich jetzt auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eingestehen. 340.000 Teilnehmer habe es 2022 bei den Integrationskursen gegeben, jedoch erreichten nur 78.000 die Mindestanforderungen bei den Sprachtests, 122.000 schnitten schlechter ab oder brachen ab. Der Sprachwissenschaftler Ibrahim Cindark vom Leibniz-Institut für deutsche Sprache in Mannheim sagte der Welt, das Programm sei für einige schlicht zu ambitioniert: „Die Erwartung, dass der Durchschnittsmensch nach sechs Monaten Sprachkurs das Niveau B1 erreicht, ist definitiv zu hoch.“ Vor den Flüchtlingsbewegungen 2016 seien die Ergebnisse besser gewesen, so Cindark, das habe auch daran gelegen, dass damals meist Menschen nach Deutschland kamen, die bereits Deutschkurse in ihrer Heimat besucht hatten, um überhaupt an ein entsprechendes Visum zu kommen. (welt.de (Bezahlschranke))

(Anm. d. Red.: Der „Gemeinsame Europäische Referenzrahmen“ unterscheidet sechs Stufen von A1 bis zum Höchstniveau C2)


Flüchtlinge an Berufsschulen

Berufsschullehrer in Baden-Württemberg schlagen Alarm. „Wenn sich nicht schnell etwas ändert, muss vielerorts der Unterricht gekürzt werden“, wird Thomas Speck, Vorsitzender des Berufsschullehrerverbands (BLV), im Stern zitiert. Durch die gestiegenen Zahlen von Schülern, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, befänden sich Lehrer und Schulleitungen „häufig am Limit“. In Ballungsräumen gebe es bereits jetzt erhebliche Einschränkungen, weil es an Lehrkräften und Unterrichtsräumen fehlt, so Speck. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Schüler an den Berufsschulen von 2.845 auf 7.950 angestiegen, und auch für das kommende Schuljahr rechnet man mit steigenden Zahlen. Der BLV fordert deswegen mehr Flexibilität bei der Unterrichtsplanung, mehr Deutschkurse und eine bessere Verteilung geflüchteter Schüler auf verschiedene Schulformen. (stern.de)


2. Gendersprache

„Konservative Fragilität“ und Wissenslücken

Mitunter wird der Vorwurf laut, Kritiker der Gendersprache kämen in den Medien häufiger vor als die Befürworter des Genderns. Aktuelle Beispiele, dass dem nicht so ist: Spiegel-Kolumnist Sascha Lobo gesteht: „Ich gendere. Nicht immer oder dogmatisch, aber weitgehend und dort, wo es mir sinnhaft erscheint.“ Und er versucht zu erklären, warum Gendersprache so stark polarisiert. Lobo schaut bei seinen Erklärungen gern in die USA und hat dort den Begriff „konservative Fragilität“ aufgeschnappt. Sie sei der Grund dafür, dass die ihr entsprechende Welthaltung als leicht „zerbrechlich empfunden“ wird. Kritik am Gendern sei derzeit schwierig, weil „Rechtsradikale“ ähnliche Themen besetzten und selbst berechtigte Kritik von Linken als „rechtsradikal“ beschimpft werde – das sei laut Lobo „in den meisten Fällen falsch, unfair und destruktiv“. Lobo sinniert über die Ursache der Abneigung gegenüber Gendersprache: Die bloße Verwendung eines gendersprachlichen Begriffs rufe offenbar einen „Denkstrudel“ hervor, bei dem das Gesagte persönlich genommen und als eine Art erzieherische Maßnahme empfunden werde. Lobo kann, abgesehen davon, keinen Zwang zum Gendern erkennen und rät den „fragilen Konservativen“, sich einfach mal zusammenzureißen.

Der Berliner Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch darf im ZDF feststellen, dass er „lieber in einer Gesellschaft lebt, in der sich auch diejenigen angesprochen fühlen können und dürfen, die wir viele Jahrhunderte ignoriert haben“. Aber die Mehrheit der Bevölkerung lehne Gendern „noch immer“ ab, wendet der Moderator ein und fragt, wie der Sprachwissenschaftler diese „mitnehmen“ will. Stefanowitsch: „Die Frage ist ja, ‚Muss man die mitnehmen?‘“. Bei der Rechtschreibreform 1996 habe man sich ja auch nicht um die hohen Ablehnungswerte geschert. „Und inzwischen haben wir uns ja auch irgendwie alle dran gewöhnt“, so Stefanowitsch. (spiegel.de, zdf.de)

Anmerkung der Redaktion: Diese Aussage könnte man allenfalls als ironischen Kommentar begreifen. Die umstrittene Rechtschreibreform beschäftigte jahrelang die Gerichte, gegen die Reformschreibungen wurden mehrere Volksentscheide angestoßen und die für die Reform verantwortliche zwischenstaatliche Kommission wurde schließlich aufgelöst. Der daraufhin gegründete Rat für deutsche Rechtschreibung nahm viele der damals umstrittenen Regeln, zum Beispiel in der Getrennt- und Zusammenschreibung oder bei der Schreibung von Fremdwörtern, in der Folge zurück, bis im Jahr 2006 schließlich eine stark abgeschwächte Reform verbindlich wurde. Ein Erfolg war die Reform eher nicht, aber wenigstens haben die Verlage an Neueditionen von Schul- und Wörterbüchern sehr gut verdient.


Weibliches Gesetz stößt auf Kritik

Die österreichische Justizministerin Alma Zadic von den Grünen veröffentlichte bereits im Mai einen Gesetzestext, der ausschließlich in der weiblichen Form verfasst ist. Die Koalitionspartner der ÖVP äußern nun Kritik an dem Dokument. ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker weist darauf hin, dass das Gendern laut Umfragen im Alltag der Bevölkerung nicht angekommen sei und durch den rein weiblich verfassten Gesetzestext keine Geschlechtergerechtigkeit erzielt werden könne. Zwar hätten die Verfasser Männer ausdrücklich mitgemeint, jedoch stößt der Text weiterhin auf Unverständnis. Das österreichische Forschungsinstitut OGM bestätigt anhand aktueller Umfragen, dass 67 Prozent der Bevölkerung das Gendern beim Schreiben und Sprechen vermeiden. (kleinezeitung.at)


Hamburger Gender-Initiatorin entschuldigt sich für Äußerungen

Sabine Mertens, Initiatorin der Hamburger Volksinitiative gegen Gendersprache, hat um Entschuldigung für frühere Äußerungen gebeten. Die missverständlichen Äußerungen hätten den Eindruck erweckt, sie hielte Homosexualität für „anormal“. Nichts liege ihr ferner, so Mertens: „Für mich ist das Gegenteil von normal nicht anormal, sondern außergewöhnlich, so wie Picasso kein normaler Maler, die Beatles keine normale Pop-Band, und der Christopher Street Day (CSD) keine normale Demo ist.“ Dass sie mit ihren Äußerungen Gefühle verletzt habe, tue ihr von Herzen leid, auch dass die CDU möglicherweise ihretwegen vom Hamburger CSD ausgeladen wurde. (abendblatt.de (Bezahlschranke))


Genderbrot wird umbenannt

Die Bäckerei Hager im österreichischen St. Pölten änderte kürzlich den Namen eines ihrer Brote von „Sankt Pöltner“ in „Sankt Pöltner*in“ um. Der gegenderte Name stieß vor allem in den sozialen Medien auf Ablehnung und nun hat sich der Leiter der Backstube, Alexander Hager, zum Fall geäußert. Er gab bekannt, das Brot werde auf den ursprünglichen Namen umbenannt. Zwar habe man mit dem Genderstern sein Zugeständnis zur Region und der Vielfalt der Menschen ausdrücken wollen, jedoch sehe er ein, das „sei zum aktuellen Zeitpunkt jedoch keine gute Idee gewesen.“ Rund 15.000 Oblaten mit der Aufschrift „Sankt Pöltner*in“ wurden bereits bestellt. Hager betont, dass diese zwar noch aufgebraucht werden, dann jedoch sei Schluss mit dem gegenderten Brot. (kurier.at)


3. Sprachspiele: Unser Deutsch

ChatGPT

Die Talkshow-Profis benutzen ChatGPT so selbstverständlich, als wüsste jeder, was damit gemeint ist. Es geht um Nutzen und Gefahren. Aber keiner erklärt das Wort. Hier versagen alle Wörterbücher. Erst das Netz verrät die englische Vollform: Chatbot Generative Pre-trained Transformer. Müsste nur noch übersetzt und Chatbot erklärt werden. Ähnlich geht es mir bei LGBTIQ, auch ein dem Englischen entlehntes Buchstabenwort, ein verkürzter Sammelbegriff. Es steht für lesbian, gay, bisexual, transgender, intersexual, queer. Mit solchen Abkürzungen dringt immer mehr Unverstandenes in den Sprachgebrauch des Deutschen ein. Dies sind Fremdwörter eigener Art, die sich doppelt verbergen, durch die Kürzung und den Bezug aufs Englische.

Ich nehme das zum Anlass, die Rolle der Abkürzungen im deutschen Wortschatz zu beleuchten. Es gibt viel mehr als die meisten vermuten. Das lässt sich zwei Wörterbüchern entnehmen. Schon 1969 erschien eines beim VEB Bibliographischen Institut (DDR) mit über 30.000 Einträgen. Das jüngste wurde 2015 vom Dudenverlag herausgegeben und enthält ca. 50.000 Stichwörter. Der Anstieg mag mehrere Ursachen haben: vor allem die rasante technische Entwicklung der letzten 50 Jahre, begleitet von wirtschaftlichen Innovationen und sozialen Umbrüchen. Die Internationalität dieser Prozesse und die beschleunigte globale Kommunikation bringen schneller als je zuvor neue Anglizismen ins Deutsche. Der jüngste Rechtschreibduden trägt dem Rechnung, indem er immer mehr gängige Abkürzungen aufnimmt und erklärt. Die oben genannten fehlen noch.
Abkürzungen sind bei ihrer Einführung – wie Azubi für Auszubildende – oder TÜV für Technischer Überwachungsverein – motiviert und verständlich durch den Bezug auf die Vollform. Mit zunehmender Benutzung geschieht zweierlei: Die Kenntnis des Ursprungswortes verliert sich in der Sprachgemeinschaft, gleichzeitig nimmt die Kurzform, die ja zunächst nur eine bedeutungsleere Zeichenfolge war, die Bedeutung der Vollform an, sie wird zum eigenständigen Wort. Manche werden wie ein phonetisches Wort ausgesprochen wie TÜV (tyf), die meisten als Buchstabenwörter wie SPD (espe:´de:). In jedem Fall sind dies neue Wörter in Aussprache, Schreibung und Bedeutung. Hier kommen wir auf die entlehnten Anglizismen zurück. Was fehlt im Prozess der Integration von einem abgeleiteten Kürzel zu einem neuen Wort, ist die Hilfestellung, welche im Deutschen der Bezug zur Vollform leistet. Wer aber kennt die englischen Vollformen? Was tun? Am besten ist immer eine Übersetzung und ggf. eine deutsche Abkürzung, wie z. B. bei KI (Künstliche Intelligenz) für englisch AI (Artificial Intelligence). Manchmal gelingt die Aufnahme als phonetisches Wort wie bei NATO (´na:to) aus North Atlantic Treaty Organization. Immer gilt: Wer verstanden werden will, muss sich verständlich machen.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de


4. Kultur

Donald Duck auf Ruhrdeutsch

Die deutschsprachige Bildergeschichte „Lustiges Taschenbuch“ erzählt seit 1967 Geschichten von Disney-Charakteren wie Donald Duck oder Micky Maus. Ab dem 8. August erscheint nun die 6. Mundartausgabe. Der Egmont Ehapa Verlag gab bekannt, dass für diese Sonderausgabe der Essener Komiker Atze Schröder Co-Autor und Stargast sei. In der 6. Mundartausgabe steht im Mittelpunkt Ruhrdeutsch, der Dialekt, der im „Ruhrpott“ rund um Essen, Bochum und Dortmund gesprochen wird. Zuvor gab es seit 2016 bereits Bände auf Münchnerisch, Berlinerisch, Wienerisch, Kölsch und Schwäbisch. (focus.de)


Künstliche Intelligenz soll Dialekte erhalten

In den vergangenen Wochen gab es mehrmals Berichte darüber, dass Dialekte mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) wieder mehr geschätzt werden könnten. Uwe Ebbinghaus widmet dem Thema in der FAZ einen ausführlichen Beitrag. Er fragt, ob ein sprachbegabtes Programm wie ChatGPT nicht auch die Fähigkeit besitzen muss, „sich Dialekte anzueignen, wenn es nur mit genügend Daten gefüttert“ wird. Dazu kommt der Züricher Informatiker Mark Cieliebak zu Wort. Er arbeitet an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften an einer automatischen Erkennung des Schweizerdeutschen. Cieliebak hält es für möglich, dass moderne vortrainierte KI-Modelle mit einer Datenbasis von 300 bis 500 Stunden Tonaufnahmen einen Dialekt gut verstehen und wiedergeben können. Dazu befragt wurde auch Georg Cornelissen, langjähriger Leiter der Abteilung Sprachforschung beim Institut für rheinische Landeskunde. Er bezweifelt, dass die zum Teil sehr kleinflächigen deutschen Dialekte von einer KI authentisch wiedergegeben werden können. Zudem sei Eile geboten, denn die Generation derjenigen, die Dialekt noch als „Muttermilchsprecher“ gelernt haben, kämen in die Jahre. Cornelissen sieht derzeit noch die größte Triebkraft zur Bewahrung des Dialekts im karnevalistischen Köln. „Wenn jemand genug Power aufbringen kann, einen örtlichen Dialekt über Wasser zu halten, dann die Karnevalsbegeisterten“, so Cornelissen. (faz.net (Bezahlschranke), krone.at (Bezahlschranke))


Lesetipp: Weltverbessern

„Na und, dafür sind wir Weltmeister im Weltverbessern“, geschrieben bei ntv von Thomas Schmoll, der über diverse Dinge verärgert ist, die nicht unser Thema sind. Aber obendrauf noch das Sprachgendern, das gibt ihm offenbar den Rest. Eignet sich zum Vorlesen. (n-tv.de)


5. Berichte

Gute Argumente

„Sprache verändert sich nun einmal. Genderzeichen sind das Ergebnis eines natürlichen Wandels der Sprache“. Dies ist eines der häufigsten Argumente, die man hört, wenn man den Sinn der „geschlechtergerechten Sprache“ in Frage stellt. Aber ohne erweiterte Fachkenntnisse lässt sich dieses Argument nicht so leicht entkräften. Es stimmt natürlich, Sprache entwickelt sich; Althochdeutsch ist heute gemeinhin schwer verständlich. Die Seite linguistik-vs-gendern.de gibt nun auf solche Totschlag-Argumente die passenden Antworten. Sprache entwickelt sich? Das kann man so sagen (aber es klingt, als sei Sprache ein Lebewesen, das „sich“ verändern könne). Gendersprache hat jedoch mit „natürlichem Sprachwandel“ nichts zu tun. Hier werden neue sprachliche Formen und Zeichen erfunden und über Behörden, den Rundfunk, Universitäten, Verlage, Wirtschaftsunternehmen verbreitet. Die große Mehrheit der Mitglieder in der Sprachgemeinschaft kann mit diesen Genderformen aber gar nichts anfangen und würde sie auch niemals anwenden. (linguistik-vs-gendern.de)


Genus im Chinesischen

Die Mitglieder der Region 41/47 trafen sich am 3. August in Neuss in der Gaststätte Drusushof. Zu Gast war Liren Xu aus China, der in Bielefeld Sprachwissenschaften studiert und derzeit ein Praktikum in der VDS-Geschäftsstelle in Kamen absolviert. Xu hielt ein Referat über die Themen „Deutsch als Fremdsprache in China“ und „Genus im Chinesischen“. Einen weiteren Erfahrungsbericht gab Prof. Jürgen Plöhn, Politikwissenschaftler an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, zu Gender-Zwängen an seiner Universität.


6. Denglisch

Anglizismen im Wandel

In der taz erzählt Birte Müller von ihrem sprachkritischen Vater: Einer seiner „Lieblingsaufreger … sind überflüssige Anglizismen“ und „Von den Theaterstücken im Schauspielhaus oder von seiner Tageszeitung fühlt er sich mittlerweile dauerdiskriminiert.“ Die Autorin selbst ist überrascht, wie viele englische Wörter sie in ihren eigenen Sprachgebrauch „einwurstet“. Bei vielen neuen Wörtern sei sie aber raus, das gelte besonders für Abkürzungen wie asap. Neues lerne sie von ihrer Tochter. Und sie rät dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sich nicht mit Bezeichnungen wie podcast (statt Sendung) bei jungen Hörern anzubiedern. (taz.de)


7. Soziale Medien

Einfach mal ein paar Sternchen einstreuen

Viele Medien gendern, auch einige Nachrichtenagenturen sind dazu übergegangen. Vor zwei Jahren war auch die Deutsche Presseagentur (dpa) unter den Agenturen, die „diskriminierungssensibler“ schreiben wollten. Dazu gehörten die Nutzung von Doppelformen, geschlechtsneutrale Formen (Feuerwehrleute) und Partizipkonstruktionen; Sternchen und dergleichen sollten analog zu den Empfehlungen des Rechtschreibrats außen vor bleiben. Geblieben ist von diesen Absichten – zum Glück! – nur wenig, denn wer die dpa-Meldungen verfolgt, die von den Zeitungen übernommen werden, der sucht gegenderte Formen fast vergeblich. Mittlerweile gibt es aber Medien, die die dpa-Texte gendern, um ihre vermeintliche politische Korrektheit zu präsentieren. So schrieb das Sat1-Regionalmagazin für Norddeutschland vom Festival Wacken Open Air, das wegen heftiger Regenfälle zu einer wortwörtlichen Schlammschlacht wurde. „Mit dpa“ titelte das Regionalmagazin, tatsächlich zeigte der direkte Vergleich der Texte, dass der Sat1-Regionalmagazin-Text komplett von der dpa übernommen worden war – mit einer Ausnahme: Alle Personenbezeichnungen wurden gegendert. Aus Besuchern und Anwohnern, worüber die dpa berichtete, wurden Besucher:innen und Anwohner:innen. Aus Veranstaltern wurden Veranstaltende. Der VDS kommentierte redaktionelle Änderung, die ohne Sinn und Verstand gemacht worden ist, auf Twitter so:

„Wie @sat1regional aus einem leicht verständlichen @dpa-Text eine woke, unnötig komplizierte Version macht. Mehrinformationen? Keine! Journalisten, denen die Verständlichkeit für ALLE am Herzen liegt, schämen sich gerade fremd. Witzig: Bei den Überschriften habt ihr‘s hingekriegt.“

@ulrich_hammer kommentierte: „Ausgerechnet Wacken. Die Leute, die zu diesem Festival einen Bezug haben, gendern wahrscheinlich privat Tag & Nacht 😂“. Und auch auf seiner Twitter-Seite bekam Sat1Regional sein Fett weg: „Eure Sprache ist dreckiger als das Festivalgelände. Man fühlt sich beschmutzt,“ schrieb @jerzy_freitag. Der Sender selbst hat sich nicht zu den Gender-Ausfällen geäußert. (twitter.com/@vds, sat1regional.de)


8. Kommentar

Gendern nicht zu verwechseln mit Gendern

Geschlechterforschung (gender studies) betrifft viel mehr als das Gendern von Sprache. Da spielt sich einiger Aktivismus ab, der als Wissenschaft präsentiert wird, tatsächlich aber gibt es enormen Nachholbedarf für seriöse Forschung in Naturwissenschaft und Technik. Gendern und Sprachgendern sind also nicht zu verwechseln, das wird deutlich an medizinischen Beispielen. Männer haben sich schneller mit Covid infiziert als Frauen, das ist erwiesen, auch, dass Frauen mit Herzinfarkt im Durchschnitt eine Stunde später in der Notaufnahme landen als Männer. Der Infarkt wird zu spät diagnostiziert, weil Frauen oft nicht die vertrauten, anscheinend typischen Symptome aufweisen, sondern zu Übelkeit und Rückenschmerzen neigen. Medikamente werden fast ausschließlich an Männern getestet; dadurch sind sie für Frauen häufig unwirksam oder sogar gefährlich!

Ein Maß an Nüchternheit im Genderstreit wäre also gerechtfertigt. Die Geschlechterforschung ist, wo sie wissenschaftlich betrieben wird, ein Feld, das nicht mit der Gleichstellungspolitik verschränkt werden dürfe, warnt der Wissenschaftsrat. Ausdrücklich zu unterscheiden ist demnach zwischen dem „Gendern“ und dem „Sprachgendern“, das gebietet die Klugheit. Sprachfreunden geht das Sprachgendern nahe, hingegen ist das Gendern ein davon unabhängiges, wichtiges Thema, aber keines für einen Sprachverein. (Oliver Baer)


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs

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