Infobrief vom 3. März 2024: Was in der Sprache steckt

1. Presseschau

Was in der Sprache steckt

Das Übersetzen von Redewendungen geht oft mit einem Bedeutungsverlust einher, besonders, wenn ein Programm die Übersetzung vornimmt. Das hat jedoch nichts mit der These der „linguistischen Relativität“ der Sprachwissenschaftler Edward Sapir und Benjamin Lee Whorf zu tun, sondern eher damit, wie die Wörter in der jeweiligen Sprache mit verschiedener Bedeutung im Satz angeordnet sind. Wie Zusammenhänge in unterschiedlichen Sprachen formuliert werden und ob damit auch eine jeweils andere Wahrnehmung der Realität einhergeht, wurde kürzlich in einer Studie zweier US-amerikanischer Soziologen, Pedro Aceves und James A. Evans, genauer untersucht. 998 Sprachen wurden mithilfe von KI-unterstützten Sprachmodellen analysiert. Das Material umfasste Texte, die in vielen Sprachen vorliegen, wie das Alte Testament, Dokumente von EU-Behörden und mehrsprachige Filmuntertitel. Als Vergleichswert wurde die Informationsdichte jeweils im Gegensatz zur englischen Sprache verwendet. Die Forscher fanden heraus, dass Sprachen mit einer hohen lexikalischen Informationsdichte Sachverhalte knapper, also mit weniger Wörtern, darstellen können. Für den Satz „Ich spiele Fußball, Monopoly und Geige“ wird im Englischen sowie Deutschen lediglich ein Verb benötigt, während es im Spanischen zwei Verben („juego“ und „toco“) sind. Grundsätzlich lasse sich festhalten, dass Spanisch also eine geringere Informationsdichte als Englisch oder Deutsch habe und somit mehr Wörter verwendet werden. Die Forscher betonen aber auch, dass es zwischen den germanischen und romanischen Sprachen nur geringe Unterschiede gebe, da diese sich in Bezug auf Informationsdichte alle im Mittelfeld bewegen. (faz.net (Bezahlschranke))


Mary Poppins nur noch mit Eltern!

In den letzten 60 Jahre konnten sich Kinder den Klassiker „Mary Poppins“ allein ansehen. In Großbritannien darf der Film jetzt nur noch gemeinsam mit den Eltern geschaut werden. Der Grund: Mehrere Stellen im Film wurden von der British Board of Film Classification (BBFC, das britische Pendant zur deutschen FSK) als diskriminierend eingestuft. Unter anderem wird das lautmalerisch entstandene Wort „Hottentotten“ kritisiert. So nannten die niederländischen Siedler abwertend die KhoiKhoi, eine Gruppe nomadischer Hirten im Kapland Südafrikas. Im Film wird das Wort in mehreren Szenen verwendet. In einer Szene tanzen Schornsteinfeger mit schwarz angemalten Gesichtern auf einem Dach, eine der Figuren ruft: „Alarm, wir werden von den Hottentotten angegriffen.“ Ein Sprecher der BBFC sagte der Sendeanstalt BBC, man habe zwar den historischen Kontext berücksichtigt, doch die Verwendung diskriminierender Sprache würde im Film „nicht verurteilt“ und überschreite letztendlich „unsere Richtlinien für akzeptable Sprache.“ Laut BBFC hätten ihre Untersuchungen zu Rassismus und Diskriminierung gezeigt, dass Eltern befürchten, Kinder könnten diskriminierende Sprache oder Verhaltensweisen einerseits als beunruhigend empfinden, andererseits wiederholen, ohne sich einer möglichen Straftat bewusst zu sein. (stern.de)


Wissenschaftler schwer verständlich für Ausländer

Etwa 10 Prozent der Studenten in Deutschland stammen aus dem Ausland. In Deutschland können sie nur selten auf Englisch studieren und seien somit vor die Hürden der Wissenschaftssprache Deutsch gestellt. Die Armenierin Ani Nersesyan erzählt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wie schwerfällig das Studieren hierzulande für Ausländer sein kann. Bevor Studenten aus dem Ausland in Deutschland zugelassen werden, müssen sie ausreichende Deutschkenntnisse vorweisen. Wer etwa den Test „Deutsch als Fremdsprache“ (TestDaF) mindestens mit Niveau 2 besteht, habe die Chance in Deutschland zu studieren. Nersesyan erklärt jedoch, dass das Niveau bei weitem nicht ausreiche, um die Wissenschaftssprache an den Universitäten zu verstehen. Vor allem mit den wissenschaftlichen Texten und Aufgabenstellungen seien ausländische Studenten oftmals überfordert. Nersesyan kritisiert hierbei auch die mangelnde Hilfe seitens der Universitäten. Es herrsche eine „friss oder stirb“-Mentalität. Studieren in Deutschland verlange aufgrund der sprachlichen Hürden eine hohe Frustrationstoleranz und viel Durchhaltevermögen, erklärt die 23-Jährige. Die Wissenschaftssprache an den Universitäten beinhalte oftmals viele Schachtelsätze, Füllwörter, Passivkonstruktionen und Konjunktive, und Nersesyan hinterfragt deren Funktionalität. Mittlerweile helfe die Armenierin – als Sprecherin ihrer Fachschaft und ihres Wohnheims – anderen Ausländern mit der deutschen Bürokratie und dem damit einhergehenden „Behördendeutsch“. Für ihr Engagement erhielt sie sogar den Preis des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Nersesyan wünscht sich grundsätzlich mehr Informationsbroschüren und Checklisten für ausländische Studenten und argumentiert, dass die Wissenschaftssprache oftmals viel komplexer sei als notwendig – genau genommen nicht nur für Ausländer. (faz.net)


Höflichkeiten im Beruf

Die Sprache im beruflichen Umfeld wird immer lockerer. Das hat der Vorsitzende des Knigge-Rats, Jonathan Lösel, festgestellt. In einem Interview mit dem Spiegel beschreibt er, wie es gerade die Generation Z, die jetzt in den Arbeitsmarkt einsteigt, mit strengen Anredeformen nicht so eng nimmt. Dennoch rät er, vor allem beim Erstkontakt per Mail, zu einem „Sehr geehrte“ als Anrede. Das sei die höchste Form der Begrüßung, bei häufigerem Kontakt könne man zu weniger formalen Floskeln wie „Guten Tag“ oder „Hallo“ greifen. Vor allem ältere Gegenüber würden eine traditionelle Ansprache erwarten, so Lösel: „Und ich finde, die Älteren müssen sich nicht immer nach den Jüngeren richten. Das Ziel sollte sein, sich auf Augenhöhe zu begegnen. Und mit einem ‚Lieber‘ könnte sich ein 50-Jähriger überrumpelt fühlen, weil die Generation eben anders geprägt ist. Da bedarf es etwas Feingefühl.“ Ausschlaggebend sei aber auch die Plattform, über die ein Erstkontakt hergestellt wird: In den sozialen Medien hat sich das Duzen durchgesetzt, hier klänge ein „Sehr geehrte“ ungewöhnlich und gequält, man greife bei Instagram und Co. lieber zu einer weniger förmlichen Anrede. (spiegel.de)


2. Gendersprache

Argentinien soll nicht gendern

Der argentinische Präsident Javier Milei hat allen Bundesbehörden die Verwendung gendersensibler Sprache untersagt. „Es dürfen keine Sonderzeichen verwendet werden und die unnötige Verwendung der weiblichen Form in Dokumenten ist zu vermeiden“, sagte Regierungssprecher Manuel Adorni. Zunächst hatte die Anweisung nur für die Streitkräfte gegolten. (welt.de)


Wie Bayern gegen das Gendern vorgeht

Im Interview mit der WELT erklärt der bayerische Wissenschaftsminister Markus Blume, warum es notwendig sei, gegen die Gendersprache in Schulen, Universitäten und in der Verwaltung vorzugehen. Nach der Ankündigung von Ministerpräsident Markus Söder, das Gendern in Bayerns Schulen und Verwaltungen zu untersagen, kündigte Blume an, er wolle ein solches Verbot nun auch in den Hochschulen umsetzen. Im universitären Bereich hätten sich Formulierungen jenseits der Rechtschreibregeln und des allgemeinen Sprachgebrauchs durchgesetzt. Das Gendern nennt er eine Art von „Übergriffigkeit“, die spracherzieherische Tendenz der Gendersprache beanstandet er. Er lehnt Gendersterne und Doppelpunkte ab, betont jedoch die Wichtigkeit einer „geschlechtersensiblen“ Sprache, demnach seien neutrale Formulierungen („Studierende“ statt „Studenten“) oder Paarformen („Lehrerinnen und Lehrer“) üblich und erwünscht.

Bei seinem Vorhaben gehe es darum, dass jeder so reden und schreiben könne, wie er möchte. Formulierungen, die von der amtlichen Rechtschreibung nicht gedeckt sind, dürften nicht gefordert werden. Eine solche Klarstellung sei an den Universitäten dringend notwendig. Blume plädiert dafür, dass sich die Schulpolitik mit wichtigeren Themen als dem Gendern befasse, etwa dem gesunkenen Sprachstandsniveau der Kinder. Der Spracherwerb habe Vorrang. Blume verspricht, dass sich die bayerische Staatsregierung noch in der ersten Jahreshälfte mit der Verwirklichung dieser Pläne befassen werde. (welt.de (Bezahlschranke))

3. Kultur

Ladinisch in Gefahr

Das Grödnertal in Südtirol beherbergt die älteste Sprache Südtirols, das Ladinische. Jedoch gebe es mittlerweile nur noch 40.000 Menschen in den fünf Tälern der Dolomiten, die Dialekte dieser romanischen Sprache beherrschen, berichtet die Neue Zürcher Zeitung (NZZ). Laut UNESCO gilt Ladinisch als gefährdete Sprache, es sei zu befürchten, dass Ladinisch bald aussterben werde. Die Region erlebe als beliebtes Skigebiet sowie durch Zuwanderung einen großen Wandel. Dies habe auch einen Einfluss auf die Minderheitensprache, denn durch steigende Immobilienpreise seien die Einheimischen mit ihrem Ladinisch verdrängt. Gruppen, die sich für den Erhalt der 2000 Jahre alten Sprache einsetzen, gebe es jedoch.

Die 29-jährige Sofia Stuflesser arbeitet als Lehrerin für Ladinisch und engagiert sich im Verein Union di Ladins de Gherdëina. Der Verein veranstaltet Buchpräsentationen, Poetry-Slams und Reisen ins sprachlich verwandte Graubünden. Um Sprache und Kultur zu erhalten, arbeite man momentan an der Digitalisierung. Eine umfangreiche Online-Bibliothek, ladinische Lieder, Bilderbücher für Kinder und Kursbücher für Erwachsene dienen dem Erhalt der Sprache, berichtet Stuflesser. „Diese Sprache ist unsere Identität, unsere Wurzel,“ betont die 29-jährige Lehrerin. Seit 1988 ist Ladinisch als dritte Amtssprache in Südtirol anerkannt, und wer im Grödnertal in öffentlichen Ämtern arbeiten will, muss Deutsch, Italienisch und Ladinisch beherrschen. (nzz.ch)


Deutscher Lesepreis verliehen

Die bekannte Dragqueen Olivia Jones (bürgerlich: Oliver Knöbel) ist für ihr „vorbildliches Engagement als Kämpferin für Vielfalt und Toleranz und ihren unermüdlichen Einsatz in der Leseförderung“ von der Stiftung Lesen mit dem Sonderpreis des Deutschen Lesepreises ausgezeichnet worden. Jones engagiert sich an Schulen und Kitas, liest den Kindern vor und klärt auf, wie wichtig Lesekompetenz bereits für die Kleinsten ist. Es sei ein echtes Herzensprojekt, so Jones, „denn gerade in der heutigen Zeit, wo es immer digitaler wird und sich gerade junge Menschen ihre Meinung eher im Internet bilden, ist das Vorlesen wichtiger denn je.“ Ihre Mutter habe ihr als Kind viel vorgelesen, erzählt Jones. Ihr großes Vorbild war dabei Pippi Langstrumpf. Weitere Preisträger waren u. a. die Oldenburger Kinder- und Jugendbuchmesse KIBUM und die Kindertagesstätte Waldgeister aus Hüttenberg (Hessen). (ndr.de)


Sprache im Gesang

Nicht nur Gesprochenes klingt in verschiedenen Sprachen unterschiedlich, das gilt auch beim Gesang. Jeder Komponist schreibe entsprechend seiner Sprache, sagt die Kammersängerin Undine Dreißig, daher passten die Worte so gut zu den Melodien. Wenn Sänger in Fremdsprachen auftreten, sei das nicht immer einfach. Klang und Betonung müssten stimmen, damit die gesungenen Texte auch verstanden werden. Dreißig hat im Laufe ihrer Karriere auf Italienisch, Spanisch, Französisch, Englisch und Russisch gesungen – für all diese Sprachen musste sie ein eigenes gesangliches Sprachtraining machen. Solche Erfahrungen gibt die Mezzosopranistin weiter. Aktuell arbeitet sie unter anderem mit Giorgi Mtchedlishvili aus Tiflis/Georgien, einem Bass-Bariton. In seiner Muttersprache gibt es keine Umlaute, auch Wörter mit mehreren Konsonanten hintereinander wie „furchtbar“ sind für ihn schwer auszusprechen. Bei Undine Dreißig lernt er, diese Laute zu erkennen und zu formen. (kompakt.media)


4. Berichte

Carlfriedrich Claus in Chemnitz

Nach längerer Pause fand Ende Februar ein Treffen in der Region Chemnitz und Erzgebirge (09) statt. Es war dem Annaberger Carlfriedrich Claus (1930 bis 1988) gewidmet. Dankenswerterweise stellte dafür der Chemnitzer Galerist Bernd Weise die Räume seiner Galerie zur Verfügung. Dr. Florence Thurmes, die neue Generaldirektorin der Städtischen Kunstsammlungen der Stadt Chemnitz, eröffnete die Zusammenkunft und berichtete über die Rolle ihres Hauses bei der Bewahrung des Erbes von Claus und über die vielfältigen Verknüpfungen und Verbindungen zu anderen Künstlern. Claus gilt als Mitbegründer der visuellen Poesie, sein transmediales Werk umfasst Tonbandkassetten mit Artikulationen, Sprachblätter, Handzeichnungen, Bücher, Druckgrafiken, Briefe, dafür wird er heute weltweit hoch geschätzt. Besonders gelungen war, wie Bernd Weise als Fachmann das Leben und Schaffen von Carlfriedrich Claus so anschaulich vorstellte.


5. Denglisch

English Books only

Daniel Melcher schildert in der Kolumne „Aufgespürt“ im Acher- und Bühler Boten einen Besuch in einer Buchhandlung. Seine Beobachtung: Stünde da unter den aktuellen Romanen nicht Ferdinand von Schirachs „Nachmittag“, käme man sich wie in der Ecke für „English Books“ vor, denn alle anderen Buchtitel sind auf Englisch. Die Romane selbst sind in deutscher Sprache, teils Übersetzungen, teils im Original verfasst, nur die Titel sind englisch. Aber der Kolumnist findet das gut: „Ein bisschen mit der wichtigsten Sprache der westlichen Welt zu spielen, kann ja nun wirklich nicht schaden.“ Man kann eine solche Erfahrung natürlich auch anders interpretieren: Die frühere Sprache der Dichter und Denker taugt also immer weniger zum Verkauf von Büchern. Angebracht wäre dann nicht ein „Plädoyer für einen gelasseneren Umgang mit dem Thema“, wie Melcher vorschlägt, sondern eher ein eindringlicher Appell an die Verlage: Es darf doch wohl nicht wahr sein, dass man einen deutschsprachigen Roman englisch betiteln muss!


6. Soziale Medien

Neue Aufkleber

Nach ganz vielen Gender-Aufklebern gibt es jetzt Nachschub mit anderen Themen. Seit dieser Woche haben wir zwei neue Aufkleber, einen humoresken zum Imperativ, einen zu Dialekten. Beide Aufkleber können bei der Geschäftsstelle bestellt werden. Interessierte schicken uns dazu bitte einen adressierten und frankierten Rückumschlag, wir füllen ihn auf, soweit das Porto reicht. (facebook.com/vds)


7. Kommentar

Das war aber jetzt ein böses Wort

In dem Kinofilm Mary Poppins wird der Gebrauch des Wortes „Hottentotten“ nicht ausdrücklich verurteilt, sondern benutzt, als sei er etwas Normales. Zensoren beanstanden dieses, der Film gilt als für Kinder gefährlich. Kein Zweifel, „Hottentotte“ und andere Wörter verweigern dem gemeinten Menschen seine natürliche Würde. Sie haben abwertende Bedeutung erlangt und werden als diskriminierend aufgefasst. Dennoch dürfte es sich lohnen, der Frage nachzugehen: Wie sinnvoll ist es, Kindern solche Wörter gar nicht erst zuzumuten? Erfahrungsgemäß nehmen Kinder ethnische Unterschiede gar nicht oder kaum wahr. Der ausdrückliche Hinweis („Das war aber jetzt ein böses Wort“) könnte sich anders auswirken als beabsichtigt und eben nicht bewirken, dass aus den Kindern keine Rassisten werden. Es sei an Mark Twains Roman Huckleberry Finn erinnert: „Nigger“ kommt in den Dialogen über 200 mal vor, und zwar als normaler Sprachgebrauch, nämlich im Stile des 19. Jahrhunderts als abwertende Bezeichnung, und Mark Twain hatte es unterlassen, diese zu verurteilen. Dennoch hat sein Roman gegen Rassismus viel geleistet. Man sollte ihn mal gelesen haben. Bei Mary Poppins ist es eher der Kitsch, der zu schlimmeren Wahrnehmungsfehlern verleitet. (Oliver Baer)


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs

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