1. Presseschau
„Sorry, I don’t speak German“
Die Journalistin Marie-Luise Goldmann lernte bei einem einjährigen Schüleraustausch in Venezuela Ende der 2010er-Jahre die Faustregel „Pass dich an dein Gastland an und lerne die Sprache“. In der WELT schildert sie nun ihren Eindruck, dass diese Faustregel in Deutschland nicht mehr gilt, insbesondere in der Hauptstadt Berlin. In den Szenevierteln Kreuzberg und Friedrichshain ernte sie schon beim Kaffeeholen verständnislose Blicke, wenn sie auf Deutsch bestellt: „Sorry, I don’t speak German“, laute oftmals die Antwort der Bedienung. In Berlin habe sich eine internationale Gemeinschaft meist junger, recht gut verdienender Arbeitnehmer gebildet, die in Unternehmen, Bars oder der Kreativszene arbeiten. Sie teilen nicht dieselbe Herkunft oder Kultur, ihr Identifikationsmerkmal ist die englische Sprache. Dies greife weit in den Alltag junger Berliner ein. So berichtet Goldmann, dass in den meisten Gruppenchats und Freundeskreisen, denen sie angehört, grundsätzlich auf Englisch kommuniziert wird, sobald auch nur eine Person nicht Deutsch als Muttersprache hat. „Das Deutsche neigt zur masochistischen Selbstverdrängung“, findet Goldmann. Ein sichtbarer Beweis dafür sei auch „die Denglisch-Inflation, also die exzessive Übernahme englischer Vokabeln“. Für Goldmann hat der Berliner Englisch-Fetisch trotz seines „inklusiv-weltbürgerlichen Anscheins“ einen ausgrenzenden Charakter, so dass insbesondere ältere Menschen und Ausländer ohne Englischkenntnisse außen vor bleiben. (welt.de (Bezahlschranke))
Auch im Alter erfolgreich
Im Alter keine neue Sprache mehr erlernen zu können, sei ein Mythos, der sich hartnäckig hält, berichtet die WELT auf ihrer Netzseite. Doch dies entspreche nicht der Wahrheit, bestätigt die Linguistin und Sprachforscherin Marion Grein, die als Professorin an der Universität Mainz tätig ist. Die Volksweisheit „was Hänschen nicht lernt, das lernt der Hans nimmermehr“ treffe nicht zu, denn tatsächlich falle das Lernen einer neuen Sprache Erwachsenen sogar leichter als Kindern und Jugendlichen, erklärt die Linguistin. Für das Lernen einer Sprache seien verschiedene Faktoren ausschlaggebend, unter anderem das limbische System oder der präfrontale Cortex, welcher zwischen dem 7. und 24. Lebensjahr ausreift und koordiniert, wo aufgenommene Informationen im Gehirn angedockt werden können. Je älter die Menschen sind, desto eher können die Informationen an bestehendes Wissen angeknüpft werden. Ältere Menschen lernen somit besser Fremdsprachen, wenn sie von Anfang an größeres Wissen über Sprache haben. Jüngere Menschen haben jedoch einen deutlichen Vorteil bei der korrekten Aussprache. Diese falle den älteren Generationen schwerer. Für das Lernen einer neuen Fremdsprache empfiehlt Grein den Besuch einer Volkshochschule. Zwar gibt es heutzutage genügend Sprachlernapps, wie etwa Babbel, jedoch sei das Erlernen einer Sprache ein sozialer Prozess, den die Apps und Online-Varianten nicht ersetzen können. Als Alternative empfiehlt die Linguistin Lehrbücher und den Einsatz künstlicher Intelligenz. Marion Grein warnt jedoch davor, dass ohne ausreichende soziale Kontakte beim Fremdsprachenlernen die Motivation auch schnell sinken könne. (welt.de (Bezahlschranke))
Oberindianer
Ein für Mitte November geplantes Konzert im Berliner Humboldt Forum hat jetzt einen faden Beigeschmack bekommen. Dort sollte einer der Chöre auch das Lied „Sonderzug nach Pankow“ von Udo Lindenberg singen. Den Verantwortlichen des Humboldt Forums war allerdings die 4. Zeile des Liedes ein Dorn im Auge, in der SED-Chef Erich Honecker als „Oberindianer“ bezeichnet wird. Das Wort werde heute als rassistisch wahrgenommen, so ein Sprecher des Forums, es würde daher ausgelassen. In der Begründung an die Bild heißt es: „Auch wenn das Wort in dem Lied in seiner Entstehungszeit 1983 eine metaphorische Konnotation hatte – und es sich damals satirisch-kritisch auf Erich Honecker bezog – sind wir uns auch bewusst, dass in dem Wort die Gewaltgeschichte der Kolonisierung indigener Bevölkerungsgruppen nachklingt.“ Nach Rückfrage der WELT soll statt „Oberindianer“ jetzt „Ober-I“ mit einem langgezogenen I gesungen werden. In einem Interview mit der WELT kritisiert der Focus-Kolumnist Jan Fleischhauer an dem Vorgehen, dass sich Menschen in Kommission den Kopf darüber zerbrechen, wer sich bei welchem Wort verletzt fühlen könnte. Dort würde man dann stellvertretend für andere entscheiden. Das Humboldt Forum habe sich „wahnsinnig lächerlich“ gemacht.
In seinem Kommentar in der WELT unterstreicht Matthias Heine diese Ansicht. Der indigene Autor Drew Hayden Taylor von der Ojibwe-Nation habe erst kürzlich bei einem Deutschland-Besuch gesagt: „Die meisten, die ein Problem mit der Bezeichnung ,Indian’ haben, sind Weiße. (…) Wir werden uns nicht umbenennen, bloß weil irgendwelche Weißen, die nie unsere Realität geteilt haben, den Begriff als diskriminierend empfinden.“ Die wichtigste einschlägige Organisation sei der „National Congress of American Indians“, so Heine weiter, und auch die Black Feet würden ihr Gebiet in Montana auf der eigenen Internetseite weiterhin kommentarlos als „Black Feet Indian Reservation“ bezeichnen. 34 von 326 Reservaten in den USA hätten ,Indian’ 2021 noch im Namen getragen. „Es spricht also einiges dafür, dass die sich ‚unwohl‘ Fühlenden, auf die sich die Veranstalter des Chortreffens berufen, sich lediglich in einem Akt kultureller Anmaßung zu Sprechern der amerikanischen Ureinwohner aufschwingen“, schreibt Heine. (bild.de, welt.de, welt.de, welt.de)
Maria Schrader bekommt Sprachpreis
Die Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin Maria Schrader bekommt die Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland-Pfalz. Der Preis wird seit 1979 jährlich am 18. Januar verliehen, dem Todestag Zuckmayers, und würdigt Personen, die sich in besonderer Weise um die deutsche Sprache verdient gemacht haben. „Filme von und mit Maria Schrader zeichnen sich durch ihren besonderen Blick auf wichtige gesellschaftliche Themen aus“, begründete Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) die Entscheidung. Bisherige Träger sind unter anderem Friedrich Dürrenmatt, Martin Walser und Katharina Thalbach. (stern.de)
2. Gendersprache
Pro und Contra
Das Boulevardmagazin Brisant listet auf seiner Netzseite Gründe für und gegen das Gendern auf. Trotz der Auffassung, dass gegenderte Sprache inklusiv und geschlechtergereicht sei, wird zugegeben, dass Genderzeichen die Barrierefreiheit einschränken. Sowohl das Netzwerk Leichte Sprache als auch der Blinden- und Sehbehindertenverband e. V. raten davon ab, Gendersonderzeichen wie den Stern, Doppelpunkt oder das Binnen-I zu verwenden. Auch schreibt Brisant, dass rund zwei Drittel der wahlberechtigen Deutschen das Gendern ablehnen und eine vermeintlich gerechte Sprache nicht zu einer tatsächlichen Geschlechtergerechtigkeit führe. (brisant.de)
Gender-Gedankenspiele
Das Evangelische Dekanat Rosenheim diskutierte beim Themenabend „Gedankenspiele“ über die Bedeutung und den Nutzen des Genderns. Die eingeladenen Sprecher der Podiumsdiskussion waren unter anderem Agnes Matrai, Geschäftsführerin der VHS Wasserburg, Helga Gold, frühere Direktorin des Amtsgerichts Rosenheim, und weitere Linguisten. Nach der Diskussionsrunde der Experten ging es auch in den Austausch mit dem Publikum. Der Meinungsaustausch verdeutlichte die verschiedenen Standpunkte. Matrai definierte Gendern als sprachliche Bemühung, unterschiedliche soziale Geschlechter sichtbar zu machen und betonte, dass Sprache nicht vorgeschrieben werden sollte. Obwohl Studien zeigen, dass das Gendern von einer Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt werde, betonten die Veranstalter, dass der Themenabend in erste Linie dazu diene, sich offen und ohne Überzeugungszwang auszutauschen. Die „Gedankenspiele“ des Rosenheimer Dekanats finden regelmäßig statt und befassen sich mit verschiedenen Themen aus den Bereichen Gemeinschaft, Gesellschaft, Glaube und Identität. (ovb-online.de)
Rechtschreibregeln gelten nicht für den Hessischen Rundfunk
Das Netzwerk Sprachkritik hatte den Hessischen Rundfunk im August per Brief darauf hingewiesen, dass Sonderzeichen der Gendersprache das Verständnis behindern und dem Sprachgefühl der Hörer und Zuschauer widersprechen. In ihrer Antwort stellt die Vorsitzende des Beschwerdeausschusses, Simone Weinmann-Mang, erstaunlicherweise fest: Das geltende amtliche Regelwerk für die deutsche Rechtschreibung habe für den Hessischen Rundfunk „keine rechtliche Bindungskraft“. Demnach stehe es „den Mitarbeitenden“ frei, „ob sie gendern wollen oder nicht“. Die Sorge des Netzwerks Sprachkritik, dass die Gendersprache die Gesellschaft zunehmend spalte, kann der HR nicht nachvollziehen. (linguistik-vs-gendern.de, PDF-Datei)
3. Sprachspiele: Phrasen der Neuzeit
Festigkeit und Unfestigkeit von Symbolen
Die Aktivisten der politischen Korrektheit experimentieren mit ihren Symbolen: Wir finden die Regenbogenflagge noch in verschiedenen Designs je nach Ausrichtung der Untergruppe (bi, trans, inter usw.). Der Regenbogen selbst ist als Zeichen aber gefestigt. Ebenso sind es viele andere Zeichen, etwa der Umweltesoterik: Das Logo von Bündnis 90 / Grünen ist nahezu unverändert, viele Recycling-Zeichen sind es. Gefestigt nennen wir ein Signet oder ein Corporate Design, wenn es nicht mehr geändert werden kann. Firmenlogos durchlaufen meist keine schrittweise Veränderung, sondern eine in Sprüngen. Das Design der Logos von Shell, Starbucks, der Deutschen Bank oder von McDonalds ist über die Jahre mehrmals geändert worden. Die Logos wurden abstrakter (Prozess der Weglassung und Profilierung, am ehesten zu sehen bei Shell: die naturale Muschelabbildung verschwindet). Die Festigkeit der Bildzeichen findet sich auch in anderen Darstellungen. Die Schlange im Apothekensignet dreht sich immer dextrograd, es gibt keine Abweichung, diese müsste auch motiviert sein. Für die Friedenstaube gibt es jedoch keine Festlegung: Mal fliegt sie von links nach rechts, mal andersherum, mal von oben nach unten, mal von unten nach oben. Sie kann mit Ölzweig oder ohne Ölzweig abgebildet werden; diese Freiheit hat sie, weil sie mal erschossen, mal zwischen Mauern oder Panzern eingeklemmt, mal vom Klingendraht erwischt wird. So auch das Herzsymbol: Es kann mit Amors Pfeil durchschossen sein oder nicht, es kann zerbrochen oder verbunden sein, es kann jede Farbe annehmen, nicht aber jede Lage. Unnötig zu sagen, dass die Richtung der Zeichen in solchen Ikonen überwiegend rechtsläufig ist, weil das unserer kulturellen Prägung entspricht. Festigkeit weisen auch Gruppen und Zusammenstellungen auf, die eher geistiger Natur sind: Die Dreiergruppen der Heiligen Familie, der Heiligen Drei Könige und der Dreifaltigkeit sind weder zu erweitern noch zu reduzieren (und nur geringfügig innerhalb der Gruppe umstellbar). Was Darstellungen von Dingen betrifft, so werden sie als Stereotype gefestigt und sind als Bildstereotype im Gebrauch: Die Träne ist meist wie der stereotype Regentropfen, nämlich konisch-bauchig, das Feuer besteht meist aus konturierten Einzelflammen. Als Bild legt es die offene Flamme nahe, unterdrückt aber vorstellungsmäßig den nicht offenen, oft verdeckten Schwelbrand. Die gestreckte reale Flamme einer Kerze wird oft zur mandelförmigen Kerzenflamme stilisiert. Die Festigkeit von Symbolen, Signets usw. liegt nun nicht an ihrem Überlieferungsalter, denn die Friedenstaube ist ja ein sehr altes Motiv und auch ihre Visualisierung ist alt. Die Festigkeit kommt aus dem Bemühen, möglichst informationsreich, rauschfrei und schnell zu kommunizieren. Daher die Tendenz zu Bildstereotypen.
Myron Hurna
Der Autor (geboren 1978) promovierte in Philosophie über das Thema moralische Normen. Er schrieb mehrere Bücher über die politische Rhetorik, besonders über die Rhetorik des Holocaustvergleichs und über die politisch korrekte Sprache (Zensur und Gutsprech). Sein neues Buch Amoklauf am offenen Lernort wird bei Königshausen & Neumann erscheinen.
4. Kultur
Kinder lernen Mundart kennen
Im baden-württembergischen Birkendorf können Grundschulkinder im Rahmen des Projekts „Mundart in der Schule“ Dialekte kennenlernen. Hierfür besuchte Hannelore Tomasi, Mitglied der Muettersproch-Gsellschaft Freiburg, die Grundschule Birkendorf und stellte in einer Präsentation die Besonderheiten des alemannischen Dialekts vor. Ihr sei es besonders wichtig, Bewusstsein für den lokalen Dialekt zu schaffen, um diesen auch in der Jugend zu fördern. Obwohl viele Kinder den Dialekt nicht sprechen, konnte Tomasi während ihrer Einführung in den Dialekt bekannte Beispiele, wie etwa die örtlichen Fastnachtsrufe, benennen und im weiteren Verlauf ihres Vortrags Vergleiche zwischen alemannischen und hochdeutschen Wörtern ziehen. Die Schulleiterin Petra Isele unterstützt das Projekt und betont, dass an der Grundschule Birkendorf Wert auf Regionales und die kulturelle Identität gelegt werde. (suedkurier.de)
5. Berichte
Schöpferische KI?
Um „Künstliche Intelligenz und Urheberrecht“ ging es in einem Vortrag des Düsseldorfer Anwalts und Medienexperten Elmar Funke im Oktober im Heimathaus in Plettenberg. Funke erklärte, dass nach deutscher Rechtsauffassung nur Menschen in der Lage sind, ein geistiges Werk zu schaffen, „auch wenn künstliche Intelligenz in der Lage ist, Bilder zu malen, Musik zu komponieren oder Computerprogramme zu schreiben.“ Im Anschluss an das 45-minütige Referat beantwortete er Fragen und diskutierte mit den Zuhörern. Neben seiner Tätigkeit als Anwalt ist Elmar Funke Dozent für Urheber- und Medienrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
6. Denglisch
Kein Deutsch in Bellevue
Vor einigen Wochen erhielten der US-Präsident Joe Biden und der ehemalige NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg das Bundesverdienstkreuz vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Sebastian Sasse von Die Tagespost kritisiert nun die Ansprache des Bundespräsidenten. Denn während der Verleihung sprach Steinmeier in seiner Rede ausschließlich auf Englisch. Zwar könne man laut Sasse denken, es handle sich um eine freundliche Geste gegenüber dem US-Amerikaner und dem Norweger, jedoch betont er auch, dass die beiden für ihre Verdienste um Deutschland ausgezeichnet wurden. Steinmeier spreche als Staatsoberhaupt im Namen des deutschen Volkes und das Volk spreche nun mal Deutsch. Die politische Kommunikation sei laut Sasse grundsätzlich nicht mehr volksnah und er ruft die Politiker dazu auf, nicht nur eine bürgernähere Sprache zu verwenden, sondern auch mehr Deutsch zu sprechen. (die-tagespost.de)
7. Soziale Medien
Lehrerin erleichtert Eltern den Schulstart
Theresa Wolf, Lehrerin an einer Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen, teilte vor einigen Wochen auf TikTok ein Video, in welchem sie zeigt, wie sie die Schüler und Eltern ihrer neuen fünften Klasse zum ersten Elternabend begrüßt. Dafür bereitete die 29-Jährige eine digitale Präsentation mit Übersetzungen auf Arabisch, Türkisch und Russisch vor. Laut eigenen Angaben mit der Absicht, dass sich „alle Eltern beim Elternabend in der Schule wohlfühlen“. Ihr sei es wichtig, nicht nur den Schülern, sondern auch den Eltern auf „sprachlicher Augenhöhe“ zu begegnen. Dies gelte auch für die Eltern und Kinder, die noch nicht lange in Deutschland leben, erläutert Wolf. Zwar erntete die Lehrerin in der Kommentarspalte ihres Beitrags auch Kritik, da es für einige Nutzer unverständlich sei, weshalb die Lehrerin nicht bemüht zu sein scheint, mit den Eltern auf Deutsch zu kommunizieren. Jedoch antwortete Wolf auf die Kritik lediglich mit einem weiteren Video, in welchem sie sich gegen den Rassismus in ihrer Kommentarspalte aussprach. Wolf betont, dass die Präsentation lediglich übersetzt worden sei und die Inhalte selbstverständlich auf Deutsch vorgetragen wurden. (fr.de, tiktok.com/frau__wolf)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.
Redaktion: Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Stephanie Zabel