1. Presseschau
Floskeln nehmen Überhand
Die Sprache in den Medien scheint zu verkümmern – zu diesem Schluss kommt Patrick Cernoch in der NZZ. Dabei meint er die einfache Sprache, die oft nicht als Inklusion, sondern als vermeintlich neue Wirklichkeit wahrgenommen werde. Das Leben der Einzelnen scheine „immer banaler, gleichsam kindischer“ zu werden. Die Folge: Die Vielseitigkeit der Sprache nehme ab. Floskeln übernähmen als Platzhalter Positionen für verschiedene Dinge, man sei mittlerweile nicht mehr nur physisch „unterwegs“, sondern auch mental, vegetarisch oder digital. Probleme würden zu „Herausforderungen“, überall gebe es „Talente“, die Unbegabten seien aus dem Sprachgebrauch verschwunden. So werde der deutschen Sprache die Fähigkeit zur Differenzierung genommen, schreibt Cernoch: „Was gut ist, ist ‚nice‘, und was man selber nicht versteht, ist zumindest ‚umstritten‘.“ Wer sich für eine beliebige Sache stark mache, avanciere fast automatisch zum moralisch überlegenen „Aktivisten“, der einen „Kampf“ gegen eine „Krise“ führe. Dass derjenige dabei nur sein Recht auf freie Meinungsäußerung ausübe, falle unter den Tisch. „Solche sprachlichen Verflachungen, die immerhin das kindlich dichotome Weltbild von Gut und Böse bedienen, behindern jedweden differenzierten Diskurs und machen diesen sogar ganz unmöglich, denn wer nicht gleicher Meinung ist, gilt schnell als ‚toxisch‘.“ (nzz.ch)
Deutsch im digitalen Zeitalter
Seit wenigen Jahren werden an Grundschulen in Deutschland Tablet-Rechner im Unterricht eingesetzt, um Lernerfolg und Motivation der Schüler zu steigern. In Skandinavien sammelt man die Geräte stattdessen gerade wieder ein, weil die Lesefähigkeiten nachgelassen haben. Die Zeit, die Kinder und Jugendliche mit digitalen Medien verbringen, „fehlt für die direkte Kommunikation und das tiefergehende Lernen“, weiß die Kasseler Sprachforscherin Claudia Finkbeiner im Interview mit dem Bonner General-Anzeiger zu berichten. Überhaupt sieht sie die weltweite Digitalisierung eher kritisch: So setze die Anwendung Künstlicher Intelligenz eine gewisse Grundkompetenz des Nutzers voraus, der Kenntnisse über die Herkunft der Informationen haben und diese einordnen können muss. Zusätzlich verringerten die Sozialen Medien die Aufmerksamkeitsspanne. Für zentral hält Finkbeiner den Stellenwert einer verbindenden Sprache in einer Gesellschaft. „Darum ist es wichtig, dass Deutsch als Sprache von Anfang an vermittelt wird“, so Finkbeiner. Denn über die Sprache erfolge Integration und die Annäherung an die lokale geläufige Kultur falle leichter. Damit meint Finkbeiner besonders den Zusammenhang zwischen Landessprache und Zuwanderung: „Es kann nicht sein, dass Kinder in Deutschland geboren werden und erst bei der Einschulung Deutsch lernen.“ Diese Kinder hätten einen enormen Nachteil. (ga.de (Bezahlschranke))
Mit KI gegen komplizierte Sprache
Beamtendeutsch ist oft selbst für diejenigen schwer zu verstehen, die eine gute sprachliche (Aus-)Bildung haben. Künstliche Intelligenz (KI) kann dabei helfen, diese Texte für Menschen zu entschlüsseln, die beispielsweise Lese- und Lernschwierigkeiten haben oder deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Flora Geseke und ihre Kollegen beim Münchener Start-Up-Unternehmen Summ AI haben ein Programm entwickelt, das Texte in Leichte oder Einfache Sprache übersetzt. Den Ausschlag gab ihre eigene Familie, so Geseke. Ihre Tante habe eine kognitive Behinderung und brauche im Alltag Leichte Sprache, um Texte lesen und Informationen bekommen zu können: „Sie interessiert sich zum Beispiel sehr für Politik, aber kann Artikel zu dem Thema nicht einfach so lesen, weil die zu kompliziert für sie sind. Und wenn sie wichtige Infos recherchieren möchte, zum Beispiel auf der Website ihrer Kommune, kommt sie auch nicht weiter.“ Das Programm übersetzt automatisiert zum Beispiel Internetseiten einer Behörde, dennoch rät Geseke zum menschlichen Gegenlesen: „Wir wollen nicht, dass Falschinformationen verbreitet werden, gerade bei so einer vulnerablen Leserschaft. Und unser Tool ist zwar sehr gut, aber es kann immer mal sein, dass etwas durchrutscht, genau wie uns Menschen beim Lesen Missverständnisse passieren.“ Das Programm hätte auch für Städte und Verwaltungen Vorteile. Oft kämen Anträge nicht korrekt ausgefüllt zurück, weil die Bürger nicht verstehen, was abgefragt wird. Wenn man jedoch einen Infozettel in Leichter Sprache dazulege, würden sich viele Fragen von selbst beantworten. (fr.de)
ChatGPT verzerrt Informationen
Das Sprachprogramm ChatGPT macht Antworten von der Sprache abhängig, in der man eine Frage stellt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung von Dr. Christoph Steinert (Politikwissenschaft, Universität Zürich) und Daniel Kazenwadel (Physik, Universität Konstanz). Sie untersuchten die Antworten auf Fragen zu bewaffneten Konflikten und stellten ChatGPT in einem automatisierten Verfahren dazu wiederholt die gleichen Fragen in unterschiedlichen Sprachen. So wurde unter anderem auf Hebräisch als auch auf Arabisch wiederholt gefragt, wie viele Opfer es bei 50 zufallsbasiert ausgewählten Luftangriffen gegeben habe: „Wir haben herausgefunden, dass ChatGPT systematisch höhere Opferzahlen angibt, wenn es auf Arabisch gefragt wird im Vergleich zu Hebräisch. Im Schnitt sind es 34 Prozent mehr“, sagt Steinert. Bei Fragen zu israelischen Luftangriffen in Gaza gibt es auf Arabisch im Durchschnitt doppelt so häufig zivile Opfer und sechsmal häufiger getötete Kinder als auf Hebräisch. Das gleiche Muster gab es auch, wenn die Forscher nach Luftangriffen der türkischen Regierung auf kurdische Gebiete fragten und diese Fragen sowohl auf Türkisch als auch auf Kurdisch stellten. ChatGPT zeige dann höhere Opferzahlen an, wenn die Suchanfrage in der Sprache der angegriffenen Gruppe gestellt wurde. „Unsere Resultate zeigen gleichzeitig, dass die Luftangriffe in der Sprache des Aggressors von ChatGPT mit einer höheren Wahrscheinlichkeit bestritten werden“, ergänzt Steinert. Die Bilanz: ChatGPT spiele damit eine zunehmend zentrale Rolle in den Prozessen der Informationsverarbeitung und beeinflusse Informationen. „Wenn Menschen mit unterschiedlichen Sprachkenntnissen durch diese Technologien unterschiedliche Informationen erhalten, dann hat das einen zentralen Einfluss auf ihre Wahrnehmungen der Welt“, so Steinert. Das könne dazu führen, dass Menschen in Israel auf Grundlage der Informationen, die sie erhalten, die Luftangriffe auf Gaza als weniger verlustreich einschätzen als die arabischsprachige Bevölkerung. Als Folge bestünde die Gefahr, dass sich Wahrnehmungen, Vorurteile und Informationsblasen entlang von Sprachgrenzen verstärkten, sagt Steinert. Das könnte bewaffnete Auseinandersetzungen wie den Nahostkonflikt in Zukunft weiter befeuern. (moneycab.com)
2. Gendersprache
Zürich darf weiter gendern
Die Gender-Abstimmung im schweizerischen Zürich ist durchgefallen. Rund 57 Prozent der abgegebenen Stimmen sprachen sich gegen die Volksinitiative „Tschüss Genderstern“ aus. Nur knapp 43 Prozent waren dafür, Gendersternchen und andere Zeichen aus den Schreiben der Verwaltung zu verbannen. In eher linken Stadtbezirken war die Ablehnung der Volksinitiative deutlich, in eher konservativen hatten die Befürworter nur eine knappe Mehrheit. Der Stadtzürcher FDP-Parteipräsident Përparim Avdili sieht das Ergebnis als Achtungserfolg, es sei zum Ausdruck gebracht worden, dass sich auch auf linker Seite Menschen vom Genderstern gestört fühlten. SVP-Kantonsrätin Susanne Brunner, die das Gesicht der Initiative ist, bedauert das Ergebnis, macht aber klar, dass immerhin 43 Prozent der Stimmbevölkerung gegen die Meinung des Stadtrats waren: „Der Stadtrat sollte das Resultat reflektieren. Vielleicht kommt er noch auf eine andere Lösung.“
In einem Kommentar in der Limmattaler Zeitung schreibt Sven Hoti, der Entscheid sei in erster Linie eine Sternstunde für die Linken. Die SVP sei mit ihren kompromisslosen Parolen wie „Nein zum Gender-Wahn“ und „Woke-Wahnsinn“ krachend gescheitert. Der Entscheid habe gezeigt, dass dem Stimmvolk trans- und non-binäre Personen wichtig seien und ihnen das Gendern nicht aufgezwungen würde. Mit ihrem Auftreten habe sich die SVP selbst geschadet, es sei ihr nicht gelungen, im „weltoffenen und von verschiedenen Lebensentwürfen geprägte Zürich“ politische Pflöcke einzuschlagen. (srf.ch, limmattalerzeitung.ch (Bezahlschranke))
Gendern in Rostock unbeliebt
Seit Mai wird in der Rostocker Stadtverwaltung gegendert, dafür gibt es einen „Leitfaden für gendersensible und wertschätzende Kommunikation“, auch Gendersternchen sind ausdrücklich erwünscht. In der Bürgerschaft regt sich Widerstand: Die Fraktionen von AfD und CDU sagen, dass Gendersprache in offiziellen Schreiben nichts zu suchen hat. Und auch die Rostocker selbst haben laut einer Umfrage des Nordkuriers nur wenig Sympathien dafür. Texte würden mit Sonderzeichen schwer lesbar, so ein Rostocker, es sei eine Modeerscheinung, über die man hoffentlich bald hinwegkomme. Akzeptanz und Verständnis untereinander seien wichtiger, ergänzt eine Rostockerin, und ein anderer Mann pflichtet ihr bei: Man müsse einfach nur respektvoll miteinander umgehen, dann gäbe es viele Probleme gar nicht. (nordkurier.de)
3. Kultur
Mythos vom „besten Hochdeutsch“
Sprachwissenschaftler der Leibniz Universität Hannover haben von 2020 bis 2024 im Projekt „Die Stadtsprache Hannovers“ erforscht, ob das in ganz Deutschland verbreitete Gerücht, in Hannover werde das „beste“ Hochdeutsch gesprochen, wahr oder falsch ist. 100 in Hannover aufgewachsene Menschen verschiedener Generationen, Geschlechter und Stadtviertel wurde dazu hinsichtlich ihrer gesprochenen Sprache und ihrer Spracheinschätzung getestet und befragt. Nun werden erste Ergebnisse dieses umfangreichen, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes, vorgelegt. Und siehe da: Es gibt in Hannover nicht-hochdeutsche Aussprachevarianten, zum Beispiel: „Zuch“ statt „Zug“, „Keese“ statt „Käse“, „Füsch“ statt „Fisch“. Besonders bei Gewährspersonen aus verschiedenen Generationen seien die Unterschiede groß gewesen. Damit offenbare die Studie, dass „die sprachliche Realität in der niedersächsischen Landeshauptstadt wesentlich komplexer und dynamischer ist als die deutschlandweit verbreitete Einschätzung“, so die Universität Hannover in einer Pressemitteilung. (stadtsprache-hannover.de, uni-hannover.de)
4. Berichte
Schüler in Benin ausgezeichnet
Anfang November hat der Verein Deutsche Sprache Benin in der Schule CEG 1 Ouèssè den Tag der deutschen Sprache organisiert. 15 Kinder aus allen Sekundarschulen der Gemeinde Ouèssè wurden für ihre Leistungen ausgezeichnet. „Unser Ziel ist es, Kultur in Vielfalt zu fördern“, sagt Mahuwèna Crespin Gohoungodji, VDS-Regionalleiter von Benin. Auch von uns: Glückwunsch! Fotos der Veranstaltung gibt es auf der VDS-Facebook- und Instagram-Seite, ein Video bei YouTube. (facebook.com/vds, instagram.com/vds, youtube.com/SOHA TV BÉNIN)
5. Denglisch
Englisch in Cafés
Was für ein Coffee to go soll es sein? Ein Flat White? Und wieviel Tip soll man geben? Vor allem in der Berliner Gastronomie werde immer häufiger Englisch gesprochen. Cedric Rehman beschreibt in der Berliner Zeitung, dass viele Menschen eine „Parallelgesellschaft der Privilegierten“ witterten: „Die Mehrheitsgesellschaft gestehe sogenannten Expats, Fachkräften mit hohen Qualifikationen aus dem Ausland, Blasen sprachlicher Dominanz zu, während sie von Geflüchteten maximale Anpassung auch in der Sprache erwarte. Expats kommen meist aus reicheren Ländern der EU oder Nordamerikas, während Geflüchtete aus armen Ländern des globalen Südens stammen.“ Die Sorge: Ältere Menschen oder solche mit einem niedrigen Bildungsstand würden ausgegrenzt. Auch viele Ost-Berliner, die noch in der DDR aufgewachsen seien, hätten vor der Wende nur wenige Berührungspunkte mit der englischen Sprache gehabt. Valide Zahlen darüber, wie verbreitet Englisch in der Berliner Gastronomie sei, gebe es beim Berliner Hotel- und Gaststättenverband Dehoga nicht, so deren Hauptgeschäftsführer Gerrit Buchhorn, das Phänomen sei aber bekannt. Eine Nachfrage der Berliner Zeitung bei verschiedenen Cafés habe ein gemischtes Bild ergeben: Eine Mitarbeiterin verwies auf wirtschaftliche Gründe. Nur wenig Deutsch-Sprechende würden sich bewerben, dazu kämen viele Gäste aus dem Ausland und sprächen nur Englisch. „Um einen guten Service für alle Kunden zu garantieren, spreche eine Kraft pro Schicht zumindest etwas Deutsch“, schreibt Rehman. Oliver Wazola, Sprecher der Kaffeehauskette Five Elephants mit Standorten in Kreuzberg, Mitte und Prenzlauer Berg, sagt, Zweisprachigkeit in den Filialen der Kette passe zum Charakter der Weltstadt Berlin: „Unsere Philosophie ist es, eine offene und inklusive Atmosphäre zu schaffen, die die Vielfalt Berlins widerspiegelt.“
Die Kabarettistin Gayle Tufts echauffierte sich im vergangenen Jahr in einem Beitrag für den Deutschlandfunk Kultur noch über Amerikaner, die in Berliner Cafés arbeiten. „Learn f-ing Deutsch!“, sagte sie. Sie vermischt bei ihren Auftritten selbst gern englische und deutsche Begriffe, um sich über Anglizismen und Scheinanglizismen in der deutschen Sprache lustig zu machen. (berliner-zeitung.de (Bezahlschranke))
6. Soziale Medien
Der Baum steht!
Auf dem Sprachhof ist Weihnachten eingekehrt. Die Mitarbeiter der Geschäftsstelle haben mittels Stärkung durch Glühwein und Spekulatius den Baum geschmückt und freuen sich auf die besinnliche Zeit. (facebook.com/vds, instagram.com/vds, tiktok.com/vds)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.
Redaktion: Holger Klatte, Dorota Wilke, Stephanie Zabel