Infobrief Nr. 452 (7. Ausgabe in diesem Jahr)

1. Presseschau

Sprachdefizite bei Grundschülern

Bild: pixabay / pixapopzPixabay-Lizenz

Erzieher und Sozialpädagogen in Hannover schlagen Alarm: Die Zahl der Kinder mit Sprachförderbedarf steige, lässt das Sozialdezernat vernehmen. In der Region werden seit Jahren Vorschulkinder mit Sprachförder- und Sprachbildungsprogrammen auf die Schule vorbereitet, mit abnehmendem Erfolg. In den Medien wird vor allem der Mangel an Fachkräften als Begründung aufgeführt, aber wenn man sich ansieht, wie heute in vielen deutschen Haushalten geredet wird, liegt die wahre Ursache woanders.

In Duisburg sieht es ähnlich aus. Ein Großteil der Grundschulkinder spricht mangelhaftes Deutsch. Einem Gesundheitsbericht zufolge beherrschten unter 4000 Befragten nur 8,2 Prozent die Sprache „fehlerfrei“. Erhebliche Mängel fand man bei rund 30 Prozent der Kinder, weitere 30 Prozent sprachen überhaupt kein Deutsch. Die Hälfte der untersuchten Kinder stammte aus fremdsprachigen Haushalten. Ralf Krumpholz, Beigeordneter für Integration Sport und Gesundheit, Verbraucherschutz und Feuerwehr, erklärt: „Seit 2013 steigt die Anzahl von zugewanderten Menschen kontinuierlich. Derzeit leben fast 20.000 Neuzuwanderer aus Rumänien und Bulgarien hier.“ Aber zu viele Kinder auch aus deutschsprachigen Haushalten weisen erhebliche Mängel auf. (haz.de, focus.de, rp-online.de)


Touristen als Herumtreiber

Freundlich geht die WELT mit Bayerns Innenminister Herrmann um, der für ein EU-weites Ein- und Ausreise-Register plädiert. In der ARD-Tagesschau hatte er gesagt: „Ich muss ja auch wissen, wenn jemand nur eigentlich drei Monate als Tourist da sein darf, hat er die EU dann auch wieder verlassen, oder treibt er sich immer noch herum.“ Diese Wortwahl im Zusammenhang mit Touristen fiel beim Genuss der Fernsehnachrichten auf. Der Originalton ist – eine Zeit lang – in der ARD-Mediathek zu finden: Tagesschau 20 Uhr vom 9. Februar 2019, nach etwa 5:45 Minuten. (ardmediathek.de)

Ein ähnliches Zitat findet sich in der WELT: „[…] von dem weiß heute kein Mensch, ob der nach drei Monaten auch irgendwo wieder ausreist oder wo er sich gerade aufhält.“ (welt.de)

Kommentar

Gegenüber Besuchern diverser Frauenkirchen in Deutschland kommt das zweite Zitat gerade noch in gastfreundlichem Ton an, aber man weiß ja, dass Herrmann diese gar nicht meinte. Zur Sprache zählt weiterhin eine bewusste Wortwahl. Der Minister hätte ja sagen können, was er wirklich meint. Entlarvend ist das NOCH, denn es sagt, dass die Touristen nicht etwa aus kulturellem Interesse eine Menge Geld ins Land bringen, sondern sich von Anfang an herumgetrieben haben und das NOCH weiter tun.


Erstklassiges Englisch

Je früher, desto besser, heißt es normalerweise beim Erlernen von Fremdsprachen. Nach der Devise handelte die Regierung Nordrhein-Westfalens und führte 2009 das Englischlernen ab dem zweiten Halbjahr des ersten Schuljahres ein. Knapp zehn Jahre später kommen Zweifel auf, denn neue Studien bestätigen, was ältere bereits zeigten: Die Vorteile des frühen Englischunterrichts sind sehr gering bis gar nicht bemerkbar. Im Vergleich zwischen Schülern, die in der ersten Klasse mit Englisch begannen und solchen, wo das erst in der dritten Klasse stattfand, ist nur anfangs ein Lernunterschied zu beobachten. Bis zur siebten Klasse sind die Defizite aufgeholt. Nun plant das nordrhein-westfälische Schulministerium, den Englischunterricht wieder vom ersten ins dritte Schuljahr zu legen und erntet dafür sowohl Lob als auch Kritik. Begründet wird der Plan unter anderem damit, dass in jeder Klasse zu viele Kinder zunächst einmal Deutsch als Fremdsprache lernen müssen und mit einer weiteren Sprache meist überfordert sind. (waz.de, ksta.de)


Klartext

Die schwerste aller Sprachen ist möglicherweise der Klartext. Besonders bei Briefen vom Amt tut sich der ein oder andere schwer zu verstehen, was gemeint ist. Begriffe wie „Spontanvegetation“ oder „Personenvereinzelungsanlage“ sind zwei Beispiele. Die Initiative Klartext aus Schleswig-Holstein fordert nun, Amtssprache zu vereinfachen und komplizierte Gesetzestexte für die Bürger in eine verständliche Sprache zu übersetzen. Erste Erfolge sind zu sehen: Formulare werden zugänglicher gemacht und so manche Behörde bietet ihre Internetseite bereits zusätzlich in der sogenannten Leichten Sprache an. (rtl.de)

2. Unser Deutsch

groß oder klein?

Am Morgen nach der OP wurde ich nach dem Stuhlgang gefragt. Eine Schwester wollte wissen „groß oder klein?“ Ich dachte erst, das fragt sie ihre kleinen Geschwister. Warum greift sie in den Wortschatz ihrer Kindheit? Einigermaßen genesen besuchte ich die beliebte Bürgervorlesung der Medizinischen Fakultät. Und was fällt mir im Vortrag eines Internisten auf: Die menschliche Ausscheidung wurde wiederum nach ‚groß oder klein‘ klassifiziert. Erst danach werden die weiteren Merkmale wie Farbe, Festigkeit, Strahlstärke und andere erfragt, die sich der standardsprachlichen Bezeichnungsvielfalt bedienen.

Was ist für den gelegentlichen Arztbesucher so seltsam, so erheiternd an dieser anschaulichen Klassifikation? Dass wir offenbar für das Fäkalische am Menschen keine neutralen Ausdrücke kennen. Entweder es ist Scheiße, Kacke oder Drit – die Dialekte haben hier viel Eigenständiges zu bieten – oder eben Pisse und anderes für den flüssigen Ausschied. Es gibt nur vulgäre oder am unteren Stilniveau der Umgangssprache angesiedelte Wörter. Und eben das kindersprachliche groß oder klein.

Unter sprachwissenschaftlichem Licht betrachtet sind es metonymische Ersatzwörter, in denen eine hervorstechende Eigenschaft zur Bezeichnung des Unaussprechlichen ausgewählt wird. Vielleicht stand hier das Töpfchen vor Augen, das dem oder der Kleinen untergeschoben wird. Kleinkinder erlernen schnell die Bedeutung dieser Elemente des Grundwortschatzes. Geht es doch um ihr Können und Müssen, um die Sozialisierung menschlicher Grundfertigkeiten. Später, wenn das Kind auf die Kloschüssel klettern kann, ist diese Unterscheidung nicht mehr von Belang. Es ist die Kleinkind-Töpfchen-Terminologie, welche für die medizinische Anamnese genutzt wird. So befragt, werden wir wieder zu Kindern und die Schwester zur fürsorglichen Ersatzmutter.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de

3. Berichte

Vorlesewettbewerb in Naunhof

Vorlesewettbewerbe erfreuen sich weiterhin großer Beliebtheit bei Schülern. Am vergangenen Sonntag fand in Naunhof in Sachsen der Kreisentscheid des Vorlesewettbewerbs des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels statt. Angelika Snicinski-Grimm, Regionalleiterin des Vereins Deutsche Sprache für die Region Leipzig, war Mitglied der Jury und zeigte sich angetan von den Vorleseleistungen, denn gerade im digitalen Zeitalter sei es wichtig, Bücher zu lesen. „Die Sprache ist in Büchern oft viel feiner als in den modernen Medien. Die Vielfalt des Sprachschatzes ist größer“, so Angelika Snicinski-Grimm. (lvz.de)


4. VDS-Termine

Bis 22. Februar, Region Köln
Ausstellung über den Kölner Liedautor und Sänger (und VDS-Ehrenmitglied) Ludwig Sebus Ort: Sparkasse KölnBonn am Rudolfplatz, Hahnenstraße 57, Köln
Zeit: eintrittsfrei täglich 9 – 18 Uhr
dabbelju-music.de

17. Februar, Regionen 10-14, 16 (Berlin und Potsdam)
Sprachfrühstück des Jungen VDS
Zeit: 11:00 Uhr
Ort: Café KaffeeRaum, Bötzowstr. 25, 10407 Berlin

21. Februar, Region 66 (Pfalz)
Tag der Muddersproch
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Gasthaus „Zum Stiefel“, Am Stiefel 2, 66111 Saarbrücken

26. Februar, Region 90, 91, 92 (Nürnberg, Erlangen)
Mitgliedertreffen mit Wahl der Regionalleitung
Zeit: 19:00 – 20:30 Uhr
Ort: Altdorfstübchen im Weinstadel, Maxplatz 8, 90403 Nürnberg

27. Februar, Region 03 (Cottbus)
Mitgliederversammlung
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Hotel „Zur Sonne“, Taubenstraße 7, 03046 Cottbus

8. März, Region 24 (Kiel, Flensburg)
Mitgliedertreffen mit Wahl der Regionalleitung
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Sportrestaurant Altenholz, Klausdorfer Str. 78b, 24161 Altenholz

11. März, Region 42 (Wuppertal, Remscheid, Solingen)
Mitgliedertreffen
Zeit: 17:15 Uhr
Ort: Gaststätte „Kaiser-Treff“, Hahnerberger Str. 260, 42329 Wuppertal-Cronenberg

11. März, Region 20,22 (Hamburg)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Hotel Ibis Alsterring, Pappelallee 61, 22089 Hamburg


5. Literatur

Vom Moderator zum Literaturkritiker

Wetten, dass er nicht nur reden, sondern auch lesen kann? Künftig wird man bei dem Namen Thomas Gottschalk an Literatur denken. Unter dem Titel Gottschalk liest? geht er mit einem neuen Format auf Sendung, in dem er mit den Gästen über ihre literarischen Werke spricht. Zum ersten Mal ausgestrahlt wird die Sendung am 19. März. Zu Gast sind die Moderatorin und Autorin Sarah Kuttner, der Georg-Büchner-Preisträger Martin Mosebach sowie die Schriftstellerin Vea Kaiser und Ferdinand von Schirach. Das Format soll Menschen ansprechen, die keine Leseratten sind. Gottschalk selbst sieht sich nicht als Literaturkritiker. Er will sich den Büchern und Autoren mit einer gewissen Demut nähern – deshalb auch das ironische Fragezeichen im Titel. (tagesspiegel.de, berliner-zeitung.de, gala.de)


Der neue Grimm

Das Zentrum für digitale Lexikographie wurde am 29. Januar von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen vorgestellt. Es soll das digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, den neuen Grimm, erarbeiten – ein wissenschaftliches Großunternehmen, auf lange Dauer geplant und für die achtjährige Aufbauzeit hauptsächlich finanziert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Ziel ist ein Informationssystem, das den deutschen Wortschatz umfassend und verlässlich beschreibt. Es ist über das Internet frei und kostenlos zugänglich und soll entsprechend nutzergerecht gestaltet sein. Der Schwerpunkt der Aufbauphase liegt auf der deutschen Sprache von etwa 1600 bis in die Gegenwart. (bbaw.de)


Gezeichnet wie geschrieben

Tomi Ungerer, ein bissiger Elsässer, ist gestorben. Dazu der SPIEGEL: „Wohl fühlte er sich im Kreis von Freunden wie Horst Janssen, Janosch und F.K. Waechter – Zeichner wie er, die missgeborenen Kinder der Musen, wie er sagte: „Wir zeichnen, was wir schreiben, und wir schreiben, was wir zeichnen. Wir sind Aufzeichner. Und dann sind wir auch Satiriker. Wir machen uns lustig über die Gesellschaft. Bestenfalls wortlos.“ Die Kraft zum Zuschlagen müsse eine Zeichnung schon selbst aufbringen.

Tomi Ungerer hat miterlebt, wie im Elsass Sprachgebote und –verbote erlassen wurden. Mal galt Französisch als Landessprache, dann Deutsch, dann wieder Französisch. Mit dem Wechsel und seinen Folgen hat er sich ausführlich und ausdrücklich beschäftigt. Es ist eines der Hauptthemen seines Buches Heute hier, morgen fort, das wir nachdrücklich zur Lektüre empfehlen. Das Buch gab es auch in einer Hörbuchfassung auf drei CDs, die der Autor in seinem unverkennbar elsässisch gefärbten Deutsch selbst vorgelesen hat, wobei er sich nicht immer strikt an den gedruckten Text hielt, sondern immer wieder auch spontane Gedanken und Erinnerungen einfügte. (zeit.de, spiegel.de)


6. Denglisch

Südstraßenleben

Im niedersächsischen Wunstorf soll die Einkaufsmeile weiter und attraktiver werden. Vor allem in der Südstraße mangelt es an Leben, obwohl dort früher der Haupteinkaufsbereich lag. Die Ideen reichen von Werbung über Hochbeete bis hin zu Cafés. Die Sichtbarkeit der Geschäfte soll zum Beispiel durch das Aufstellen von Beachflags verbessert werden. Diesen Vorschlag begrüßt Andreas Niepel, Mitglied im Stadt- und Ortsrat Wunstorf, mahnt aber, dass mit den Begrifflichkeiten sorgsamer umzugehen sei. Da die Stadt Wunstorf Mitglied im Verein Deutsche Sprache sei, solle man lieber von Werbesegeln statt von Beachflags sprechen. (auepost.de)

IMPRESSUM

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten und Nachrichten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Wie immer sind Männer im Zweifelsfall mitgemeint. Namentlich gekennzeichnete Beiträge können mit der Meinung der Redigierenden übereinstimmen.

Redaktion: Oliver Baer, Alina Letzel

© Verein Deutsche Sprache e. V.

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