Infobrief vom 13. August 2023: Verpöntes Russisch

1. Presseschau

Verpöntes Russisch

„Kann eine Sprache böse sein?“, fragt Simone Brunner in der ZEIT. Die Übereinstimmung unter Historikern wächst, dass die russische Sprache für eine „lange und brutale Kolonialgeschichte … schon im Zarenreich und in der Sowjetunion“ stehe. Putin setze seine Sprache weiterhin als Waffe ein. Im – allerdings verständlichen – Zorn möchten Ukrainer die Sprache des Aggressors auslöschen, so wie dieser das Ukrainische zu vernichten trachtet.  Sasha Filipenko, der von Brunner interviewte belarussische Autor protestiert: „Die russische Sprache gehört nicht Putin allein.“ Er möchte eben deshalb die Einsicht pflegen, „dass das Russische auch Ausdruck der Freiheit sein kann.“

Aufgabe der Intellektuellen, sagt Filipenko, sei es, „über fundamentale Dinge nachzudenken, die uns nach dem Krieg beschäftigen werden.“ Dann kehren die russischsprachigen Ukrainer von der Front heim – und sind dann zweiter Klasse? Und was wird aus den Russen mit ihrer Sprache in Russland? Welchen Sinn kann es stiften, wenn ihnen widerfährt, was die Deutschen erleben durften: Sollen die Russen dann mit Mickey Mouse zu besseren Menschen werden? Will man wirklich verstehen, wie Russland zu dem wurde, was es ist, dann sollte man mehr von den russischen Klassikern darüber lesen, nicht weniger, meint Filipenko. Es ergebe daher keinen Sinn, russische Autoren zu verpönen.

Auf den Punkt gebracht: War denn, oder ist die deutsche Sprache böse? Manche glauben bis heute, man könne Lyrik in Deutsch nicht mehr schreiben. Andere wollen eine sensible und gerechte Sprache erzwingen. Sprachen können aber nichts dergleichen, sind weder gut noch böse. Sie sind so schuldig wie der Kreuzschlüssel, an dem wir uns beim Montieren eines schwedischen Möbelstücks verletzen. Daran wäre selbstverständlich das Möbelhaus schuldig. (zeit.de (Bezahlschranke))


Teure Sprachenvielfalt der EU

Die Netzausgabe der Neuen Zürcher Zeitung berichtet von den Herausforderungen, die mit der Vielsprachigkeit der Europäischen Union (EU) einhergehen. Die EU erkennt 24 Amtssprachen an, und sie steht für kulturelle Vielfalt und Gleichberechtigung unter den Mitgliedsstaaten. Die Kosten für Dolmetscherdienste und Übersetzungen in Brüssel liegen jedoch mittlerweile bei über einer Milliarde Euro – 13 Prozent aller administrativen Kosten – und belasten den Haushalt erheblich. Die Brüsseler EU-Kommission beschäftigt fast 500 festangestellte Dolmetscher und 5000 Übersetzer, die mit Texten arbeiten. Bei Plenarsitzungen des EU-Parlaments seien 275 Dolmetscher in den 24 Kabinen der Amtssprachen im Einsatz. Neben dem Kostenproblem gebe es wegen der Vielsprachigkeit der EU auch Effizienzprobleme, sagt die NZZ. Wer Schutz für eine Erfindung beim Europäischen Patentamt (EPA) anmelden will, muss sein Patent in alle entsprechenden Sprachen der gewünschten Länder übersetzen. Trotz dieser Herausforderungen halte die EU jedoch an der sprachlichen Vielfalt im Parlament fest, da sie ein wichtiger Ausdruck der kulturellen Identität der Mitglieder sei. Der Artikel stellt in Aussicht, dass Technologien wie maschinelles Übersetzen oder künstliche Intelligenz eingesetzt werden können, um die Effizienz zu steigern. Man könne jedoch auch einfach die Fremdsprachenkenntnisse verbessern. (nzz.ch, europarl.europa.eu)


Kann Journalismus Grammatik?

Magnus Klaue kritisiert in seinem Artikel auf Welt.de die übermäßige Verwendung des Modalverbs „können“ im deutschen Journalismus. Durch Schlagzeilen wie „Kann Deutschland Klima?“, „Kann der Mann (Olaf Scholz) Kanzler?“ oder „Kann Deutschland Endemie?“, verfalle man laut Klaue in ein „offensives Stammeldeutsch“. Er erklärt, dass die Verwendung von „können“ in derartigen Schlagzeilen patzig, übermächtig und abwertend wirke. Der Tonfall solcher Artikel werde rechthaberisch und verurteilend wahrgenommen. Die grammatische Ungenauigkeit des „können“ komme in der Frage „Kann Scholz Kanzler?“ deutlich zur Geltung. Beim Kanzler handle es sich um keine Fähigkeit, sondern eine Funktion, die gewisse Fähigkeiten voraussetzt. Die Allgegenwärtigkeit des „können“ in der deutschen Medienlandschaft spreche laut Klaue für einen Sprachverfall. (welt.de? (Bezahlschranke))


2. Gendersprache

„Für Männer*innen“

Die Herrenduft- und Bartpflegemarke Tabac präsentiert ihr neues Aftershave. Es wird mit dem Werbespruch „für echte Männer*innen“ beworben und setzt – offenbar bewusst – die Moderatorin Sophia Thomalla, die sich schon seit einigen Jahren gegen das Gendern ausspricht, als Werbegesicht ein. Die Meinungen im Netz sind gespalten, jedoch steht fest, dass die Polarisierung der Genderdebatte erfolgreich provoziert wird. (n-tv.de)


3. Kultur

Fränkische Dialekte schützen

Der baden-württembergische Landtagsabgeordnete und Minister für Ländlichen Raum, Peter Hauk, besuchte im Rahmen seiner Sommertour die Gemeinde Mudau. Vor Ort traf er sich mit Dialektforschern und dem Vorsitzenden des Heimat- und Verkehrsvereins, Hans Slama, um über die Dialektentwicklung und die Sicherung von Dialekten zu sprechen. Slama erklärte das Interesse an Dialektveranstaltungen, und dass die Gemeinde weiterhin auf der Suche nach Dialektsprechern sei. Die Konservierung der Dialekte solle in Form von Tonaufnahmen geschehen. Minister Hauk unterstützt das Vorgehen der Gemeinde und betont, dass „Dialekt ein schützenwertes Stück Heimat“ sei und „Mundart (…) eine erwärmende Menschlichkeit“ mit sich bringe. (fnweb.de)

4. Berichte

Klassenarbeiten zwecks Diagnose

Der Leiter der VDS-AG „Deutsch in der Schule“, Claus Günther Maas, spricht sich gegen die Pläne von NRW-Schulministerin Dorothee Feller aus, in den Kernfächern der Klassen 7 und 8 jeweils eine Klassenarbeit zu streichen. „Weniger Klassenarbeiten sind das denkbar schlechteste Mittel, um Bildungsstandards aufrechtzuerhalten“, sagt Maas „wer angesichts von Digitalisierung und steigendem Medienkonsum nicht abgehängt werden will, muss die Kernkompetenzen junger Menschen herausfordern und sie nicht zusammenstreichen.“ Klassenarbeiten seien weder ein ausgedientes Mittel noch ein demotivierender Faktor, wie es oft behauptet wird. „Die Auseinandersetzung mit den schriftlichen Schülerleistungen ermöglicht den Lehrern einen Blick auf die Ausdrucksfähigkeit, die allein in der mündlichen Mitarbeit nicht angemessen repräsentiert ist“, erklärt Maas. Klassenarbeiten dienen der Diagnose, nicht dem Wettbewerb. (vds-ev.de)


5. Denglisch

Auswahl zum Jugendwort 2023 steht

SIUUU! Die Bres vom Langenscheidt-Verlag suchen das Jugendwort 2023! Also Babos, gommemode-Style anschmeißen und wählen.

Oder anders: Die Auswahl zum Jugendwort des Jahre steht. Über die vergangenen Monate konnten Vorschläge eingereicht werden, zehn Begriffe haben es in die engere Wahl geschafft, sieben entstammen dem Englischen. Unter anderem stehen zur Wahl: „Auf Lock“ (etwas entspannt angehen), „Slay!“ (Ausdruck der Bewunderung) und der „Side Eye“ (Seitenblick, der Verachtung ausdrückt). Bis zum 20. September kann abgestimmt werden, die drei Begriffe mit den meisten Stimmen gehen dann in die Endabstimmung, am 22. Oktober wird der Sieger verkündet. In diesem Sinne: Yolo! (auch ein Kandidat, bedeutet „you only live once“). (faz.net)


6. Soziale Medien

Gute Klimasprache – schlechte Klimasprache

„Natürlich darf man sprechen, wie man möchte – aber wir sagen euch, wie es richtig geht.“ So in etwa kann man auslegen, was das WDR-Magazin Monitor auf seiner Instagram-Seite veröffentlicht hat. Die aktuelle Klimasprache verharmlose die Situation, wird dort behauptet. „Klimawandel“ sei schlecht gewählt, „Klimakrise“ würde die Lage besser darstellen; „Erderwärmung“ sei als Wort nicht stark genug, „Erderhitzung“ treffe es besser. Dass den Menschen vorgegeben wird, was sie denken und sagen sollen, kritisiert Michael Hanfeld in der FAZ deutlich: „Mit Begriffen wie ‚Erhitzung‘ und ‚Leugner‘ setzt Monitor ein Framing, das die Temperatur des Debatten-Klimas hoch hält. ‚Hintergrund liefern, Diskussionen anstoßen, Themen setzen. Unsere Handschrift: seriöse Information, gepaart mit einer sorgfältigen Analyse‘: So will Redaktionschef Georg Restles Monitor sein. Und ‚nie ideologisch‘. Schon klar.“ Sagt Hanfeld. (faz.net)


Gendern? Aber bitte nur „die Guten“!

Wer gendert, sieht sich auf der guten Seite der Gesellschaft, schließlich setzt er sich gegen fehlende Gerechtigkeit ein. Dass Gendern übel ausgehen kann und das denkbar schlechteste Mittel zur Geschlechtergerechtigkeit ist, belegt jetzt ein Posting bei Instagram. Die Tagesschau erinnert an die Entführung der Lufthansa-Maschine namens Landshut im Jahr 1977, die jetzt am Flughafen Friedrichshafen als Lernort ausgestellt werden soll. Dem Konto von Argo Nerd, der auf X (vormals Twitter) regelmäßig Ungereimtheiten verschiedener Aussagen gleicher Personen gegenüberstellt, ist aufgefallen, dass die Tagesschau auf ihren Kacheln bei Instagram einerseits von „Passagier:innen“ schreibt, andererseits von „Terroristen“ – und das, obwohl zwei der vier Entführer der Landshut Frauen waren. Gerade die Tagesschau, das Flaggschiff des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks, versagt journalistisch hier völlig. Wo korrekte Berichterstattung im generischen Maskulinum problemlos funktioniert hätte, gendert die Tagesschau nur Opfer, aber nicht die Täter. Sind Frauen zu schrecklichen Taten nicht imstande, oder will die Tagesschau das Grauen, zu dem auch sie fähig sind, verdecken? Einen Tag später korrigiert die Tagesschau nach vielen süffisanten Kommentaren zwar den Text des Instagram-Beitrags („Insofern hätten wir Terrorist:innen gendern müssen“), gibt aber auf der Korrekturseite der sozialen Medien keinen Hinweis dazu und tauscht auch nicht die Kachel bzw. das ganze Posting aus, wie sie es bei anderen Korrekturen üblicherweise macht. (twitter.com/argonerd)


7. Kommentar

Gendern bleibt verwechselbar

Nachzutragen ist dieses: Im Englischen wird unterschieden zwischen „sex“ und „gender“. Das biologische Geschlecht ist „sex“, hingegen bezeichnet „gender“ die soziokulturellen Aspekte des Geschlechts. Tatsächlich befassen sich die meisten medizinischen Lehrstühle, die Geschlechterforschung betreiben, nicht mit dem Thema „Gender“, sondern mit dem biologischen Geschlecht. Das mag Feministen peinlich sein, nützt aber der Gesundheit von Milliarden Frauen. Im Deutschen gibt es für beide Begriffe nur eine Übersetzung: „Geschlecht“, ein Wort das ursprünglich etwas anderes bedeutete, wie man es im Beispiel „das Geschlecht der Wittelsbacher“ heute noch kennt. Zum Einholen von Fördermitteln genügt es, so zu tun, als sei man mit dem „Gendern“ befasst. An dieser Begriffsverwirrung wird sich bis auf weiteres kaum etwas ändern. Insofern darf es bei unserer Empfehlung bleiben. Bezeichnen wir mit „Sprachgendern“ statt mit „Gendern“, was wir beanstanden: eine vergebliche Verhunzung der Sprache ohne jeden Nutzen für irgendwen. (Oliver Baer)


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs

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