1. Presseschau
Unwort des Jahres
„Klimaterroristen“ ist das Unwort des Jahres 2022. Die Jury der „Sprachkritischen Aktion“ in Marburg sagt, damit würden die Aktivisten „kriminalisiert und diffamiert.“ Gewaltlose Protestformen zivilen Ungehorsams und demokratischen Widerstands würden so in den Kontext von Gewalt und Staatsfeindlichkeit gestellt, rügt die Jury laut tagesschau.de. In der Neuen Zürcher Zeitung kommentiert Susanne Gaschke die Wahl eher nüchtern: Beim Unwort gehe es nicht um Sprachkritik, sondern um Politik. Mit der Wahl verfolge man eine Agenda, die man „ohne unfair zu sein, als rot-grün-wohlmeinend bezeichnen kann.“ Menschen, die im Rahmen der Klimarettung in den Straßenverkehr eingriffen oder Kunstwerke mit Suppe bewerfen, könnten nicht als Terroristen bezeichnet werden, das sei unangemessen, so Gaschke, schließlich sei Klimarettung ein untadeliger Zweck. Das Unwort des Jahres bleibt eine fragwürdige Veranstaltung. Das Wort „Covidioten“ wurde nicht gekürt, obwohl es laut Gaschke ebenso überzogen war. (tagesschau.de, nzz.ch)
Emojis können teuer werden
Ein Smiley, ein Daumen-Hoch oder ein Partyhut. Wer schnell ein Gefühl bei einer Textnachricht auf seinem Mobiltelefon hinzufügen möchte, nutzt Emojis. Diese können allerdings auch vor Gericht wichtig werden. In Frankreich wurde 2016 der Versender von wiederholten Pistolen-Emojis an seine Ex-Freundin wegen Morddrohung zu einer Freiheits- und Geldstrafe verurteilt, schreibt das Online-Portal haufe.de. 2016 entschied auch das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, dass die Nutzung gewisser Emoticons auf Facebook eine Beleidigung und somit einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen könne. Nach deutschem Recht können daher, egal ob gewollt oder ungewollt, durch den Einsatz von Emojis auch Verträge zustande kommen, wenn z. B. ein Angebot mit einem Daumen-Hoch beantwortet wird. Ausschlaggebend sei hier der „objektive Empfängerhorizont“, so haufe.de, also die Frage, wie der Empfänger ein Emoji verstehen könnte. (haufe.de)
Schreiende Delfine
Delfine schreien gegen Unterwasserlärm an. Das ist das Ergebnis einer Studie der Universität Bristol, die in der Zeitschrift Current Biology veröffentlicht wurde. Delfine tauschen Informationen mithilfe von Pfiffen und Klicklauten aus. Doch durch Bohrungen unter Wasser oder die Schifffahrt wird die Kommunikation gestört und Orientierung, Futtersuche oder auch das Erkennen von Artgenossen sind mittlerweile beeinträchtigt. Bei gefangenen Delfinen wurde nun nachgewiesen, dass sie gegen künstlich erzeugten Unterwasserlärm regelrecht anschreien, in dem sie lauter und länger pfeifen als gewöhnlich. Die Studie zeige, dass die Kommunikation der Delfine trotzdem erheblich gestört ist, so eine Biologin. (nw.de)
2. Gendersprache
Wenige Profiteure, immenser Schaden
„Wer profitiert eigentlich von der Gendersprache?“, fragt der Musiker und Germanist Fabian Payr in einem gehaltvollen Beitrag in der WELT. Wer gendert, gehört zu den Tugendhaften und Fortschrittlichen. „Gendern ist Distinktionsmerkmal und praktisches Instrument, um Informationen und die eigene politische Haltung zu einem zeitgeistkonformen Paket zu verschnüren“, so Payr. Dies gelte natürlich auch für Unternehmen, vielen ist Gendersprache als Instrument des Marketings sehr willkommen. Deswegen schaffe Gendern Arbeitsplätze: für Experten in der Fortbildung, für Gleichstellungsbeauftragte. Demgegenüber stehen jedoch die „Schäden“ des Genderns. Payr zählt sie auf: der Verlust an sprachlicher Eleganz, Logik und Natürlichkeit, der erschwerte Zugang zur deutschen Sprache, die gesellschaftliche Spaltung. Die Schadensliste ist lang, betroffen sind insbesondere Behinderte, Flüchtlinge und Einwanderer. Besonders schwer wiegt für Payr der Vorwurf, dass Gendern per se sexistisch ist. Ein eindrucksvolles Beispiel sind die ständigen Beidnennungen wie „Hamburgerinnen und Hamburger“. „Jedes Kind weiß, dass in Hamburg Frauen und Männer wohnen“, aber weibliches und männliches Hamburgersein ist in den Augen der Gendernden grundverschieden, schreibt Payr. (welt.de (Bezahlschranke))
Hamburgs Sternenkriegerin
Es sei Ihr Verständnis von Freiheit, das sie zu diesem Protest antreibe, sagt in einem Interview mit der Bild Sabine Mertens, Vorstandsmitglied des VDS und Initiatorin der Hamburger Volksinitiative gegen Gendersprache. Als ein Verlag ohne ihr Einverständnis einen ihrer Artikel genderte, empfand sie das als übergriffig: „Ich bin hochempfindlich gegen totalitäre Strömungen“, so Mertens, und nichts anderes sei die Gendersprache. Sie sei radikal queerfeministisch und führe „uns aus dem Zeitalter der Aufklärung zurück in finstere Weltauschauungen.“ Gendersprache würde von oben verordnet und solle zu untertänigem Verhalten mahnen. (bild.de (Bezahlschranke))
Gruselig nennt es Dieter Nuhr
„Behörden haben sich auch in sprachlichen Belangen am Willen des Volkes zu orientieren, nicht umgekehrt. Immer öfter aber wird bei uns das Gendern obrigkeitsstaatlich von oben nach unten verordnet. Deshalb finde ich eine Volksabstimmung darüber sehr sympathisch!“ So zitiert die Bild Dieter Nuhr. Sein Standpunkt ist bekannt. Demnach verändert sich Sprache durch Sprechen – und nur in totalitären Systemen per amtlicher Verordnung. (bild.de)
Beliebigkeit an Schulen
Für Schnappatmung sorgte Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei seinen Parteifreunden, weil er sich gegen das Gendern an Schulen aussprach: „Die Schulen müssen sich an das halten, was der Rat für deutsche Rechtschreibung vorgibt. Sonst haben wir am Ende keine einheitliche Rechtschreibung mehr“, so Kretschmann. Generell mache er sich Sorgen um die Sprachentwicklung, vor allem die Überfrachtung mit „merkwürdigen Anglizismen.“ Wir sollten wieder kreativer mit Sprache umgehen, „statt mit Doppelpunkt und Unterstrich nicht sprechbare Dinge zu schreiben“ – das gelte auch für Politiker, sie sollten wieder so sprechen, dass die Menschen sie verstehen.
Indes hört man aus Sachsen ganz andere Töne. Dass das Land an Schulen Genderzeichen untersagt hat, beeindruckt die Lehrergewerkschaft GEW nicht. Die Vorsitzende der GEW Sachsen, Uschi Kruse, stellt sich dem Beschluss des sächsischen Kultusministeriums entgegen und sagt im MDR, „die Realität unserer geschlechtergerechten Gesellschaft müsse sich auch bei den Schulaufgaben wiederfinden.“ Kinder sollten nicht zum Gendern gezwungen werden, gegenderte Texte sollte aber auch nicht als Fehler angestrichen werden. (n-tv.de, mdr.de)
Oberbürgermeisterin besteht auf Gendern
Lautstärke mit Mehrheit verwechselt die Bonner Oberbürgermeisterin Katja Dörner. Den städtischen Mitarbeitern ist nun per Leitfaden vorgegeben, wie geschlechtsneutrale Bezeichnungen zu verwenden sind. Kritik an dem Leitfaden weist Dörner ab, schreibt die WELT. Wer bei den Personendaten in der Stadtverwaltung die Anrede „Herr“ oder „Frau“ hinterlegt habe, werde auch künftig im Schriftverkehr die jeweilige Anrede finden. Die geschlechtsneutralen Bezeichnungen beziehen sich grundsätzlich auf Personen, die sich keinem Geschlecht zuordnen oder bei denen eine Zuordnung nicht bekannt ist, erklärt die Oberbürgermeisterin. Das ist so weit noch nachvollziehbar, wenn man die Weiterungen ignoriert, die daraus im Alltag folgen. Der Leitfaden bestimmt aber künftig auch den Gebrauch des Binnen-I, beispielsweise bei der Anrede Bonner Bürger weiblichen Geschlechtes. Laut Leitfaden sind geschlechtsneutrale Formen wie die „fahrzeughaltende Person“ anstatt Fahrzeughalter vorzuziehen. Es gebe künftig in Stadtratssitzungen keine „Rednerliste“ mehr, sondern die „Redeliste“. Den Vorwurf, mit dem Leitfaden neue Sprachgebräuche zu forcieren, weist Dörner ab. Sie beziehe sich auf die breite gesellschaftliche Debatte bezüglich der Genderpraxis und verteidigt, dass auch andere Stadtverwaltungen ähnliche Leitfäden bereits vorgelegt haben. (welt.de)
3. Kultur
Neue Vergangenheit in der Schweiz
Der Schweizer Dialektforscher Marc-Oliver Ubl berichtet im SRF über das Wörtchen „gha“ („gehabt“), das möglicherweise mehr als eine Modeerscheinung ist. Der Satz „Mir händ das am letschte Meeting besproche gha“ („Wir haben das beim letzten Meeting besprochen gehabt“) käme auch ohne das „gha“ aus, aber es wird im Alltag immer häufiger hinten drangehängt. „Das sogenannte ‚Doppel-Perfekt‘ findet sich vor allem in der Mündlichkeit oder in mündlichen Kontexten, etwa in Internetforen“, so Ubl, Belege dafür gäbe es allerdings sogar schon im späten 14. Jahrhundert. Damit würde der Satz eine zusätzliche Bedeutung bekommen, die einer Vor-Vergangenheit oder auch einer Abgeschlossenheit: „Mir händ das nöd besproche gha“ – besprechen es aber jetzt. (srf.ch)
4. Berichte
Schlagzeile des Jahres: „Klebe wohl!“
Zum zweiten Mal in Folge wird die Süddeutsche Zeitung vom Verein Deutsche Sprache mit der Auszeichung Schlagzeile des Jahres geehrt. „Klebe wohl!“ behandelt den Lizenzverlust des italienischen druck- und Verlagshauses Panini, es darf nicht länger die Klebebilder zur Fußball-EM herausgeben. „Dass jetzt der Wegfall dieser schönen Tradition sprachlich so liebevoll aufgefangen wird, entschädigt zumindest ein bisschen“, sagt Prof. Walter Krämer, Vorsitzender des Vereins Deutsche Sprache. Der Jury gefiel vor allem die Kürze, die ein komplexes Thema dennoch griffig widerspiegelt. Dass ausgerechnet das positiv konnotierte „kleben“ nur kurze Zeit später durch die Klebeaktionen von Klimaaktivisten negativ belegt wird, war zum Zeitpunkt der Schlagzeile nicht absehbar.
Platz 2 belegt „Mustache sein?“ (ZEIT-Magazin, 7.7.2022), ein Artikel, der den Trend zum Oberlippenbart beleuchtet. „Ein Fremdwort, das, pfiffig eingesetzt, deutschen Wörtern eine neue Bedeutung einhaucht – darüber kann ich mich als Oberlippenbart-Träger besonders freuen“, sagt Krämer. Platz 3 geht an „Kardinal Woelki und das jüngste Gerücht“ (WELT, 17.9.2022), zu einem Artikel, in dem Woelki sagt, er habe Missbrauchsvorwürfe in der Kirche nur vom Hörensagen gekannt. „Atomkraft spaltet“ (WAZ, 13.7.2022), Platz 4, spielt mit der doppelten Bedeutung des physikalischen Vorgangs und der nach wie vor umstrittenen Anwendung dieser Energieform. Auf Platz 5 steht „Big weg“ (Süddeutsche Zeitung, 10.3.2022) – hier wird der Rückzug der Schnellimbiss-Kette McDonald’s aus Russland thematisiert. (deutschlandfunk.de, vds-ev.de)
Volksbegehren in Österreich wieder in Fahrt
Seit bald zwei Jahren bremsen Banken und Behörden das seit April 2021 aufgelegte Volksbegehren gegen das Gendern aus. Nun wurde es am 15. Dezember 2022 vom österreichischen Innenministerium amtlich doch entgegengenommen. Damit sind weitere Unterschriftsleistungen erst wieder in der kommenden Eintragungswoche möglich; die bis dahin geleisteten rund 116.500 Unterschriften werden dann mitgezählt. Termin für die Eintragungswoche ist der 19. bis 26. Juni 2023. „Warum die Eintragungswoche nicht zugleich mit sechs anderen Volksbegehren für April festgesetzt wurde, was einen Mitzieheffekt bewirkt hätte, bleibt rätselhaft – ein Schelm, wer dahinter eine Bosheit vermutet“, sagt Dieter Schöfnagel vom Verein Muttersprache (Herausgeber der beliebten Wiener Sprachblätter); da die Befassung des Nationalrats bereits sichergestellt sei, gehe es nur mehr um eine eindrucksvolle Zahl von Unterschriften. Der Wortlaut des Volksbegehrens findet sich im Netzauftritt des Innenministeriums (BMI). (bmi.gv.at, wiener-sprachblätter.at (Archiv))
5. Denglisch
Liste der Denglisch-Unworte
Die Frankfurter Allgemeinen Zeitung stellt in ihrer Netzausgabe eine Liste mit Schlagworten vor, die im Büro zwar alltäglich vorzufinden sind, jedoch laut unterschiedlichen Autoren eher unerwünscht seien. Vor allem das „Denglisch-Klimbim“ falle negativ auf. Martin Gropp erklärt, dass „Lifehack“ einer der Anglizismen sei, mit denen im Büro Kompetenz vorgetäuscht werde. „Lifehack“ beschreibt einen pfiffigen Trick, mit dem man die Tücken und Aufgaben des Alltags meistern könne. Auch im Beruf sei der „Lifehack“ bereits angekommen. Wenn man zum Beispiel am Ende des Arbeitstages den Schreibtisch aufräume, um am nächsten Tag frisch zu starten, das also sei ein „Lifehack“. Gropp findet, das Wort solle aus dem deutschen Sprachgebrauch und aus den deutschen Büros möglichst schnell verschwinden. Einen weiteren Anglizismus liefert Uwe Marx. Der „enabler“, jemand der etwas herstellt oder zur Verfügung stellt, das anderen hilft, kann mit „Möglichmacher“ oder auch „Ermöglicher“ ausgedrückt werden. Marx stellt fest, dass „enabler“ zwar wichtiger, internationaler und weltverbessernder klinge, trotzdem schafft es „enabler“ auf die Liste der unerwünschten Worte der FAZ-Redaktion. Nadine Bös ergänzt die Liste mit denglischen Abkürzungen, die im Büroalltag häufig im E-Mail-Verkehr auftauchen. Dazu gehören „asap“ (as soon as possible – so schnell wie möglich), „fomo“ („fear of missing out“ – die Sorge etwas zu verpassen) und „imho“ („in my humble opinion“ – „meiner bescheidenen Meinung nach“). Die unterschiedlichen Autoren seien sich einig, dass die Sprache mit solchen Schlagworten und Ausdrücken aufgeplustert werde.
Einen ganz und gar unnötigen Anglizismus bringt die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) in Umlauf, da sie nun (zusammen mit dem Snowdance Independent Film Festival) den „Ruhr-Film-Award“ auslobt. Nicht nur kann das Wort „Preis“ keiner missverstehen, falls er schon mal vom Nobelpreis (englisch: Nobel Prize) gehört hat, er wird Award auch falsch aussprechen. (faz.net, waz.de)
6. Kommentar
Nachtigall, ick hör dir trapsen!
Man kann dem Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) Mannheim vieles unterstellen. Dass seine Arbeit ideologisch gefärbt ist. Dass es sich dem Duden anbiedert. Dass es Gendern wider besseren Wissens forciert. Aber so weit wollen wir an dieser Stelle nicht gehen. Blicken wir auf die aktuellen Aktionen der Mannheimer Vorzeige-Germanisten: Sie widmen sich der Verwaltungssprache, werfen einen Blick auf Sprachminderheiten und untersuchen ein grammatisches Phänomen. Nur welches? Das wird nicht verraten. Nanu? Wer auf einen Link klickt, soll einen Text korrigieren. Gesagt, getan. Anschließend gibt es die schon obligatorischen Fragen zu Alter und Geschlecht, außerdem zur Muttersprache. Wie? Mehr nicht? Nun – weder Schulabschlüsse, Beruf noch Parteisympathien werden abgefragt, wie es häufig bei solchen Umfragen der Fall ist. Aber am Ende sind wir dennoch nicht angekommen, denn es folgen – Trommelwirbel – zwei Fragen zur geschlechtergerechten Sprache (nun ja, und eine zur Kunstaffinität, vielleicht als Alibi, wer weiß das schon …). „Huch“ mag sich da der Leser denken. Ob das vielleicht, aber nur vielleicht, gar keine unverfängliche Studie ist, sondern eine Abfrage, ob und wie Nutzer einen Text von sich aus gendern. Eine Studie, die dann als Beweis gilt: Schaut her, so unbefangen befragt wurden die Teilnehmer! Aber vielleicht wäre ja auch das eine Unterstellung. Und so was machen wir nicht. (Dorota Wilke) (unipark.de)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.
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