Infobrief vom 2. April 2023: Eilantrag in Berlin abgelehnt

1. Presseschau

Eilantrag in Berlin abgelehnt

Der vom VDS unterstützte Eilantrag eines Berliner Familienvaters gegen gegenderte Sprache am Gymnasium seiner Kinder ist vom Verwaltungsgericht Berlin zurückgewiesen worden. Die Argumentation des Gerichts lautete, dass zwar die Verwendung gendergerechter Sprache von der Schulleitung ausdrücklich gestattet worden sei, zugleich aber die Regeln der deutschen Rechtschreibung gewahrt bleiben müssten. Weiterhin stelle das Thema „Genderneutrale Sprache“ selbst einen Gegenstand von Unterrichtseinheiten dar. Einen schweren oder unzumutbaren Nachteil seiner Kinder konnte der Vater nicht nachweisen. Bei Schülern der zehnten Klasse müssten laut Gericht sowohl ihr weitgehend abgeschlossener Spracherwerb, als auch die Fähigkeit zur Auseinandersetzung mit verschiedenen Positionen innerhalb des pluralen politischen Spektrums vorausgesetzt werden. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann sprach sich erst kürzlich gegen Gendersprache an Schulen aus, da man den Kindern das Lernen damit zusätzlich erschweren würde. Auch Kristina Schröder, ehemalige Familienministerin der CDU, hält es für problematisch, wenn eine Erwartungshaltung des Lehrers transportiert wird oder gar schlechtere Wertungen eintreten, obwohl es keinerlei offizielle Festlegung gibt, die das Gendern an Schulen unterstützt. Das amtliche Regelwerk, das vom Rat für deutsche Rechtschreibung herausgegeben wird, empfiehlt die Verwendung von Satzzeichen im Wortinneren nach wie vor nicht. Das Argument, dass kein Verstoß gegen die Regeln vorliege, solange die Sprache „hinreichend verständlich“ bliebe, darf in seiner Dürftigkeit angezweifelt werden. Eine Anfechtung des Urteils steht noch zur Diskussion. (welt.de, berlin.de, freitag.de)


Lesen lernen nach dem Lockdown

Nach der Corona-Krise kriselt es auch an den deutschen Grundschulen, denn viele Kinder zeigen große Defizite beim Lesen und Schreiben. Bereits 2017 hat die IGLU-Studie gezeigt, dass fast jeder fünfte Viertklässler in Deutschland nicht ausreichend gut liest. Nun hat sich der Anteil der Schüler, die unter dem Mindeststandard liegen, wohl noch erhöht. Auffällig dabei: Vor allem die soziale Schere öffnet sich in der Bildung immer weiter. Die Praxis zeigt, schwache Schüler werden im Unterricht weiter abgehängt, nur die starken Schüler können mithalten. Neue Lernkonzepte wie „Filby“ sollen Abhilfe schaffen, es wird bereits an etwa 40 Prozent der bayrischen Grundschulen eingesetzt. Dabei können die Schüler das Lesen einüben, indem sie einen Text gleichzeitig anhören und lesen und dabei mit einem Stift markieren. Als weitere Unterstützung können Apps genutzt werden, die den Lernverlauf dokumentieren. Digitale Übungsprogramme und -apps, von denen die ersten sogar schon KI-basiert sind, sollen künftig helfen. (br.de)


Mit Tattoos Leben retten

Die Kreativagentur McCann will gemeinsam mit dem gemeinnützigen Verein „Junge Helden“ mit einer Tätowier-Aktion die Versorgungslücke bei den Organspenden schließen. Dabei nutzen die Kooperationspartner keine großen Anzeigen, sondern ein Symbol, das auch sprachlos verständlich sein soll. Zwei Halbkreise, die sich zu einem ganzen Kreis ergänzen, sollen auf Organspenden aufmerksam machen. Organspender sollen sich so einerseits untereinander erkennen, andererseits soll das Symbol generell zur Diskussion anregen und auf die Sinnhaftigkeit von Organspenden aufmerksam machen und Unschlüssige überzeugen. Das Tattoo soll in verschiedenen Studios kostenlos gestochen werden können. In Deutschland warten jährlich 10.000 Menschen auf ein neues, lebensrettendes Organ. Die Zahl der potenziellen Organspender ist zwar in den vergangenen Jahren gestiegen – weil jedoch nicht immer jedes Spenderorgan zum Empfänger passt, ist der Bedarf an Organspendern weiter hoch. Aktuell können Organspendern ihre Bereitschaft per Organspendeausweis oder eine andere Willenserklärung signalisieren. (horizont.net)


Neue Erkenntnisse über die Sprache der Bienen

Seit über 100 Jahren forschen Wissenschaftler an der Sprache der Bienen. Die Bewegungen, mit denen die Tiere kommunizieren, gelten als eine der vielfältigsten Verhaltensweisen im Tierreich. Mit dem Schwänzeltanz weisen die Bienen auf Futterquellen hin. Nun berichteten Forscher aus China und den USA im Fachblatt Science, dass der Schwänzeltanz zwar aus dem angeborenen Instinkt der Tiere entstamme, jedoch durch soziales Lernen perfektioniert werde. Auch der deutsche Neurobiologe Randolf Menzel fand kürzlich heraus, dass Honigbienen sich an Landschaftselementen orientieren um ihren Heimweg zu finden. Honigbienen haben zwar eine Art „Navigationgedächtnis“, welches sie durch bekannte Gebiete leiten könne, jedoch diene die Kommunikation mit ihren Artgenossen als Richtungsweiser. Ebenfalls werden durch die Tänze der zurückkehrenden Futtersammler Informationen über die Art der Futterquelle ausgetauscht. (derstandard.de)


2. Gendersprache

Dresdner Stadtrat stimmt gegen das Sternchen

Der Stadtrat Dresden hat mit knapper Mehrheit einen Beschluss verabschiedet, der für die offizielle Sprache der sächsischen Landeshauptstadt die Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung vorschreibt. Dieser befürwortet zwar grundsätzlich eine „geschlechtergerechte Sprache“, jedoch nicht deren Umsetzung durch Sonderzeichen wie das Sternchen. Ausgerechnet zur Debatte über den aktuellen „Gleichstellungs-Aktionsplan“ wurde diese Entscheidung nun durch einen Ergänzungsantrag der CDU eingeleitet. Die Fraktionsvorsitzende sagt dazu: „Sprache muss auch für Alte, für Menschen mit Behinderung und für Menschen, die Deutsch noch lernen, verständlich sein.“ Außerdem solle niemand Anlass haben, sich allein aufgrund der Gender-Sprache von öffentlichen Statements zu distanzieren. Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) stimmte der Entscheidung zu, er selbst bevorzugt die Anrede: „Bürgerinnen und Bürger“. Bisher war der Genderstern im Presse- und Öffentlichkeitsbereich untersagt, er wird aber sonst frei genutzt, beispielsweise von der Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Linke). Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Agnes Scharnetzky, bezeichnet die Entscheidung als „polemisch“ und weist darauf hin, dass es den Verwaltungsmitarbeitern weiterhin frei stehe, ihre Zielgruppe in gewünschter Form anzusprechen. In welcher Weise der Beschluss umgesetzt werden soll, wird die Stadt nun prüfen. (saechsische.de)


Grundrecht auf Verständlichkeit

Gut gemeint mag die Rechtschreibreform gewesen sein, doch weiterhin müssten Teile davon zurückgenommen oder angepasst werden. Die verunglückte Reform sorge nicht nur für Unmut in der Gesellschaft, sondern auch für schlechte Ergebnisse bei der Untersuchung der Rechtschreibfähigkeiten der Viertklässler, schreibt Dankwart Guratzsch in der Welt – fast die Hälfte der Viertklässler könne nicht richtig schreiben. Textverständnis, Formulierungsflüssigkeit und Lesefähigkeit würden stetig sinken. Noch dazu erschwere das Gendern als neue Ausprägung einer vermeintlich natürlichen Sprachentwicklung den Schreiberwerb; statt einer Vereinfachung, wie sie bei der Rechtschreibreform geplant war, verhindert es, die Orthographie in der Breite der Bevölkerung verständlich zu machen. „Denn dass die Genderzeichen der Vereinfachung der Schriftsprache und der Leselust dienen, ist selbst in Linguistenkreisen umstritten“, schreibt Guratzsch. So würde das Grundrecht auf Verständlichkeit ausgehebelt. (welt.de (Bezahlschranke))


Aufregung in Wolfenbüttel

Der Stadtrat von Wolfenbüttel wurde durch den stellvertretenden Ratsvorsitzenden Stefan Brix (Bündnis 90/Die Grünen) in Aufregung versetzt: Als er nach ganzen 22 Jahren Pause erstmals wieder die Leitung des Rates übernehmen durfte, entschied er sich für eine durchgehende Aussprache des Binnen-I’s. Nicht lustig für den FDP-Fraktionsvorsitzenden Rudolf Ordon: Lautstark protestierte er während der Einwohnerfragestunde und verlangte, als der „Bürger“, der er sei, angesprochen zu werden. Stefan Brix ließ sich jedoch nicht aus dem Konzept bringen und verwies auf sein Recht der freien Rede. (regionalheute.de)


Öffentlicher Rundfunk ignoriert Kritik

Studien belegen immer wieder zuverlässig, dass die große Mehrheit der Empfänger des öffentlichen Rundfunks kein Interesse an einer „geschlechtsneutralen“ Sprachpolitik der Sender hat. Eine vielbeachtete Initiative von Sprachwissenschaftlern und Philologen sprach diese Kritik aus – und stieß damit auf nur wenig Resonanz in den Funkhäusern. Wenn überhaupt kamen von dort nur sehr allgemein gefasste Rückmeldungen, in denen die wesentlichen Kritikpunkte ignoriert wurden. Währenddessen treiben die Sender die Umstellung auf die neue sprachliche Norm weiter voran, sodass sie sich nun neben der Berichterstattung sogar auf fiktive Geschichten wie etwa die der „Soko“-Krimis des ZDF erstreckt. Ein Teilerfolg wurde immerhin beim WDR erzielt, der nun auf die gesprochene Gender-Pause „weitgehend“ verzichten möchte. (wdr.de, zeitung.faz.net)


Gemeinderat Münster gegen Gendern

In der Gemeindevertretung des südhessischen Münster (Landkreis Darmstadt-Dieburg) konnten CDU und FDP eine Auflage durchsetzen, die den Gebrauch von Sonderzeichen innerhalb des Wortes künftig untersagen wird. Dies betrifft vor allem den Schriftverkehr der Gemeinde mit den Bürgern, der zuletzt Ärger ausgelöst hatte. Der Wortlaut des Antrags besagt, dass man sich den Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung verpflichtet fühle. Sollte der Rat seine Empfehlung eines Tages anpassen, würde auch die Grundlage des Genderverbots entfallen.  (rheinmainverlag.de)


Das Maskulinum im Althochdeutschen

In der Zeitschrift Linguistische Studien veröffentlichten Sprachforscher einen Bericht, der die generische Verwendung des Maskulinums im Althochdeutschen nachweist. Mit Belegen wie: „ir bedörft ein wîp ze friunde niht“ („ihr bedürft eines Weibes zum Freunde nicht“) von 1257 wird eindeutig gezeigt, dass das Wort „Freund“ hier geschlechtsunspezifisch verwendet wird. Dies gilt auch für die umstrittene Wortgruppe auf -er, die besonders Berufsbezeichnungen betrifft. Hiermit ist auch dem Argument begegnet, die Übertragung dieser Begriffe auf Frauen sei erst mit der Erschließung der entsprechenden Berufsfelder durch die Frauenwelt zustande gekommen. Untersucht wurden nur Personenbezeichnungen, die schon immer auch auf Frauen angewendet wurden, wie „Gast“, „Bürger“, „Nachbar“, „Sünder“ usw. Dabei gibt es im Deutschen historisch gesehen nicht nur generische Maskulina, die ursprünglich für Belebtes verwendet wurden, sondern auch Neutra, die für Unbelebtes galten und Feminina, die für Kollektiva eingesetzt wurden. Die Annahme, dass der Sexus sich im Genus ausdrücken könne, ist nicht grundsätzlich falsch; dass allerdings umgekehrt vom Genus her der Sexus definiert werde schon. Die Linguisten hoffen nun, dass ihre Studie zu einer Versachlichung der aufgeladenen Debatte beitragen kann. (faz.net, ling.auf.net (PDF-Datei), idw-online.de)


Gendern ist nichts für ihn: Rudi Völler

Im Interview mit der Frankfurter Rundschau spricht der aktuelle DFB-Sportdirektor Rudi Völler über die WM, die Politik der Nationalmannschaft und seine Rolle als ehemaliger Trainer. Auf die Frage hin, ob er nicht die sozialen Medien nutzen wolle, um seine Popularität zu steigern, antwortet er unverblümt: „Nein. Das können meine Kinder gern tun. Ich aber nicht. Ich werde übrigens auch nicht gendern. Gendern ist nicht mein Ding. Ihr Journalisten müsst das ja tun, oder?“ Als Hanauer und Bewunderer der Gebrüder Grimm identifiziere er sich voll und ganz mit der alten Schreibweise, führt er weiter aus. Die Frage, ob er die Stoßrichtung des Genderns denn in Ordnung finde, beantwortet er ausweichend mit der Aussage, dass jeder tun dürfe, was er möchte und er dies akzeptiere. Rudi Völler ist bereits aus der Vergangenheit dafür bekannt, kein Blatt vor den Mund zu nehmen und beruft sich gerne einmal auf seine „römische“ Streitkultur. (fr.de)


Rechtschreibrat-Chef zum Gendern

Mitte Juli tagt wieder der Rechtschreibrat – und vermutlich wird auch das Gendern auf der Tagesordnung stehen, ist es doch aktuell das beherrschende Sprachthema überhaupt. Auf dem Portal Kommunal, das das gleichnamige Magazin an Bürgermeister, Kommunalpolitiker und leitende Verwaltungsmitarbeiter verschickt, berichtet der Vorsitzende des Rechtschreibrats, Dr. Josef Lange, über die momentane Diskussionsgrundlage und seine Einschätzung zum Thema Gendern mit Blick auf die Kommunen im Land. Für Lange ist das Gendern eine Gefahr, wenn es um die Verständlichkeit geht, die eine Kommune in der Kommunikation mit den Bürgern vorleben muss. Sternchen und Co. könnten das Vertrauen beschädigen, so Lange: „Eine verständliche geschriebene Sprache ist der beste Schutz gegen das Gefühl ‚die da oben – wir da unten‘.“ Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Dritten Geschlecht habe keine Forderung an eine geschlechtersensible Sprache oder Schreibung gestellt. „Die Schriftstücke von Behörden, insbesondere auf kommunaler Ebene, sollten für möglichst alle Bürgerinnen und Bürger verständlich sein, nicht nur für solche mit Hochschulabschluss“, so Lange, „Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, Schreiben der Kommunen zu verstehen.“ (kommunal.de)

3. Sprachspiele: Unser Deutsch

durchgestochen

Das Wort hat Konjunktur. Unser Wirtschaftsminister führt öffentlich bittere Klage, dass ein Referenten-Entwurf seines Hauses der Bildzeitung durchgestochen wurde. Das sei ein Vertrauensbruch, Verrat an der guten Sache, am Programm zum Klimaschutz. Die Folgen erleben wir gerade. Hausbesitzer und Mieter – und das sind wir ja alle, so oder so – befürchten untragbare Kosten. In allen Talkshows werden die Probleme hin- und hergewendet. Was kosten Wärmepumpen? Was ist sonst noch zu tun, damit sie funktionieren? Haus und Dach dämmen, Fenster und Heizkörper erneuern, vielleicht noch Photovoltaik aufs Dach. Und dies alles in kürzesten Fristen. Es gäbe Zuschüsse, den Ärmsten solle geholfen werden, erklären Politiker der Ampel. Das beruhigt niemanden. Die Nation bebt zwischen Wut, Existenzangst und Verbitterung.
Bei all dem vermisse ich nur eines: das Lob für den deutschen Whistleblower und für die Bildzeitung, die uns rechtzeitig gewarnt haben. Sie haben einen Plan verpfiffen, der uns alle angeht: unerhörte, unerwartete Kosten für Haus oder Miete. Man hätte es wissen müssen, sagen die Verteidiger. Alles stand schon im Koalitionsvertrag der Ampel. Also gar kein Geheimnisverrat? Jain. Entscheidend war der Zeitpunkt. Das Gesetz befand sich in der sogenannten Frühkoordinierung mit dem Kanzleramt, einer Vorstufe zur Anhörung von Verbänden und zur Abstimmung unter den Ministerien. Wer uns darüber rechtzeitig informiert, der hat sich verdient gemacht um Wohl und Wehe der Bevölkerung. Wir sehen es erneut: Alle unsere Medien, die großen Zeitungen mit ihren Investigativ-Teams, die zahlreichen TV-Sender, die Talkshows – sie alle sind eine wahre, eine unverzichtbare vierte Macht in unserem Staat. Leser, Zuschauer und Zuhörer sind ihre Wähler.
Journalisten sind sich dessen bewusst, die Frage des Durchstechens sehen sie lockerer. Eine Spiegel-Redakteurin kommentierte das ganze Theater mit der Bemerkung: „Wenn sich was tut, wir kriegens raus.“
Es wäre darum gut, die Politiker würden von dem Gejammer über die Durchstechereien ablassen. Schon das Wort ‚durchstechen‘, mit dem die Publikation des Referentenentwurfs belegt wird, hat etwas Diffamierendes. Woran liegt das? Offenbar liegt eine Metapher vor, ein bildlicher Vergleich. Aber womit? Was kann man durchstechen? Die Wörterbücher nennen Verschiedenes: Reifen am Auto (böswillig), eine Vene (versehentlich), das Ohrläppchen (für den Schmuck), einen Berg (für einen Tunnel) oder einen Deich (zur Regulierung). Immer fließt etwas plötzlich heraus, die Luft aus dem Reifen, das Blut aus der Vene, das Wasser aus Meer, See oder Fluss. Oft treten erhebliche, teils beabsichtigte, teils unerwünschte Folgen ein. Hier könnte die Quelle der metaphorischen Übertragung liegen. Bei der Weitergabe von Informationen wird gleichsam ein Behälter durchstochen, damit das Geheimgehaltene herausfließen kann.
Das englische Wort Whistleblower, das in den 70er Jahren aufkam, ist eine neutralere Bezeichnung. Wahrscheinlich abgeleitet aus der Wendung to blow a whistle ‚etwas (durch einen Pfiff) aufdecken‘. Eine gute Übersetzung ins Deutsche hat sich nicht gefunden. Aber ‚(etwas/jemanden) verpfeifen‘ benutzt ein ähnliches Bild.
Whistleblower erleiden oft ein zwiespältiges Schicksal. Die Öffentlichkeit lobt sie als mutige Helden. Sie haben viel riskiert, um Verschwiegenes öffentlich zu machen. Die Geheimniskrämer reagieren mit Entlassung, Schadensersatzklagen und Strafverfolgung. Nur unwillig ertragen sie den Informantenschutz, mit dem die Medien ihre Whistleblower schützen. Dabei ist dies ein Kern unseres demokratischen Selbstverständnisses. Freiheit der Information, Freiheit des Gedankenaustausches, Freiheit zum Widerspruch. Daran müssen sich auch jene gewöhnen, die uns ihre gutgemeinten Rezepte zu einer umfassenden Energiewende aufdrängen wollen.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de


4. Kultur

Klassiker auf dem Prüfstand

Klassische Kriminalromane der Autorin Agatha Christie werden in originalem Wortlaut bald nicht mehr im Verlag erscheinen – denn nun hat man sich für eine Überarbeitung nach Gesichtspunkten der heutigen moralischen Anstößigkeit entschieden. Besonders rassistische und beleidigende Passagen sollen dabei in den Werken, die zwischen 1929 und 1976 entstanden, ausgemerzt werden. Die Anpassung ihrer Werke an den veränderten Sprachgebrauch ist dabei kein grundsätzlich neues Phänomen: Schon 1964 empfand man ihren ursprünglichen Buchtitel von 1939: „Ten little N-“, bzw. „10 kleine N-“, als unpassend und änderte ihn in „Zehn kleine Indianer“ (Im „Stern“ als „I-“ bezeichnet) und 1986 dann schließlich in den Titel, der uns heute bekannt ist: „Und dann gab es keines mehr“. Auch um andere Klassiker wie Ian Flemings „James Bond“ oder Roald Dahls „Charlie und die Schokoladenfabrik“ entbrannte zuletzt eine ähnliche Debatte. Während bei Roald Dahl der Verlag nach scharfer Kritik die Änderungen teilweise zurückzog (und nun beide Varianten als Option anbietet), wird die redigierte Fassung der 007-Reihe im April 2023 auf dem Markt erscheinen. Dabei ist die Kritik an James Bond schon so alt wie er selbst: Bereits Zeitgenossen kritisierten die Geschichten als geschmacklos. (stern.de, sueddeutsche.de, nzz.ch)


Jugendtheatergruppe würdigt Sprache und Wort

Im hessischen Bad Vilbel führte die Kinder- und Jugendtheatergruppe der Bad Vilbeler Burgfestspiele ein Theaterstück mit den Schwerpunkten Sprache, Wort und Kreativität auf. Die Jugendlichen, im Alter von elf bis 14 Jahren, wurden durch die Theaterpädagogin Regina Fichtner-Haben unterstützt. In dem aufgeführten Stück korrespondierte die Jugendsprache mit Shakespeare und die Sprache begegnete Musik und Tanz. Das Kurzstück der jugendlichen Theatergruppe diente der Würdigung der Sprache und es zeigte, wie Jugend Lesen und Worte nutzt, um ihre Gefühle auszudrücken. (fnp.de)


Höflichkeit in der Sprache

Im Interview mit Spektrum.de spricht Sprachwissenschaftler Horst Simon über Höflichkeitsformen in der deutschen Sprache. Simon ist Professor für historische Sprachwissenschaft an der Freien Universität Berlin und untersucht die Entwicklung der deutschen Anredepronomina. Die Verdrängung der Höflichkeitsform „Sie“ durch „Du“ sieht er als Teil des klassischen Sprachwandels an. Durch die höfliche Distanz des „Sie“ würden soziale Beziehungen grammatisch codiert. Laut Simon gebe es allerdings auch Sprachen, die keine Höflichkeitsformen verwenden. In Australien sei es üblich Vornamen und umgangssprachliche Wörter zu verwenden. Der sprachliche Umgang miteinander sei wenig abgehoben. Australische Selbstironie formuliert die Geschichte so: Australien war einst der Ort, „wohin Englands vornehmste Richter überführte Straftäter schickten.“

Simon spricht sich jedoch durchaus für Höflichkeitsformen, etwa beim Umgang mit der Polizei oder anderen staatlichen Behörden, aus. Im beruflichen Kontext sei das „Du“ meist ein Ausdruck des Wunsches nach hierarchiefreier Kommunikation. Zudem sei es laut Simon nicht bewiesen, dass „Sie“ in der jüngeren Generation verschwindet. Es gebe dazu keine aktuellen, methodisch sauberen Studien dazu. Man befinde sich in einer Wandelphase, denn die ungezwungene Verwendung des „Du“ sei ein Merkmal der jüngeren Generationen. Im Englischen werde Höflichkeit durch nominale Anredeformen ausgedrückt. „Sir“, „Ma’am“, „mate“, „love“ oder „darling“ können hierbei verwendet werden. Auch akademische Titel würden in den USA häufiger im Gespräch verwendet als in Deutschland. Höflichkeitsformen seien soziale Marker und durch die Sprache lasse sich feststellen, was einer Gesellschaft wichtig sei. (spektrum.de)


5. Berichte

Sprachpreis für Rieke Hümpel

Der VDS in Rostock vergibt 2023 wieder den mit 1.000 Euro dotieren Preis „Gutes Deutsch in Mecklenburg-Vorpommern“. Ausgezeichnet wird in diesem Jahr die Biologin und Wissenschaftssjournalistin Rieke Hümpel am Tag der deutschen Sprache 2023 (9. September). Die Ostsee-Zeitung sah sich aus diesem Grund veranlasst, an Vorwürfe zu erinnern, die der AStA der Technischen Universität Dortmund im Jahr 2019 dem VDS-Vorsitzenden Prof. Dr. Krämer über rassistische Äußerungen machte, ohne jedoch auf den Inhalt der Vorwürfe und ihre aufgeblasene Lächerlichkeit einzugehen. (ostsee-zeitung.de)


6. Denglisch

König Charles III. überwindet Sprachbarrieren

König Charles III. hielt während seines Staatsbesuchs in Deutschland eine Ansprache im Bundestag und demonstrierte somit seine außerordentlichen Deutschkenntnisse. Die britische Königsfamilie pflege seit jeher enge Verbindungen zu Deutschland und der neue König sprach von der „Wärme der Freundschaft zwischen Großbritannien und Deutschland“. Charles Vater, Prinz Philip, sprach Deutsch auf muttersprachlichem Niveau und auch der neue König hat Verwandte ersten Grades in Deutschland. Seine im letzten Jahr verstorbene Mutter, Königin Elizabeth II., war eher dafür bekannt, sich fließend auf Französisch unterhalten zu können. Während der halbstündigen Rede wechselte der Monarch mühelos zwischen Deutsch und Englisch und würdigte somit die diplomatische Beziehung beider Länder. (rnd.de, bunte.de)


7. Kommentar

In die Tonne mit den Verbündeten

„Wir lassen uns nicht aufhalten von den Kritikern und Nörglern“, sagte Luisa Neubauer, als kürzlich zum Berliner Volksentscheid das Quorum verfehlt wurde. Das immerhin sehr knappe Ergebnis sei eine „Niederlage für alle Einwohnerinnen und Einwohner Berlins.“ Au weia, das könnte missverstanden werden. Was sollen, nur mal zum Beispiel, die klimaschützenwollenden Wähler sagen, deren Nein-Stimmen Neubauer so flott unter das Sofa kehrt? Wie wärs mit Denken, dann erst Reden, bei behutsameren Umgang mit der Sprache? Die Verbündeten in die Tonne zu hauen, weil sie nicht jeden Kommafehler mitmachen, ist ein billiges Spiel mit Wörtern, das zur Sache nichts, aber zum weiteren Streit ordentlich etwas beiträgt. Aktuelles Beispiel ist Dieter Nuhr, er teilt immer nach allen Seiten aus und zählt zu den politisch Unkorrekten, schon weil er nicht mitgendert; das aber reicht schon für unter’s Sofa. Folglich kann er kein „Klimaschützer“ sein, egal wie oft und wie klartextlich er seine handfeste Teilnahme am Klimaschutz äußert. Nein, er ist ein „Nörgler und Kritiker“, von dem sich die Selbstgerechten mit den korrekten Sprachmustern nicht aufhalten lassen, und bei der Gelegenheit vermutet Jan Böhmermann den Nuhr in der Nähe von „Nazischweinen“. Dabei zählt Nuhr zu denen, die noch zwischen Klimaschutz und Lastfahrradismus unterscheiden können. Sprachsensible bemerken halt jeden „Ismus“ vorab an der sprachlichen Inbrunst, mit der er propagiert wird.

Nicht unerkannt bleibt auch die fortschreitende Verbannung der Mütter und Väter, worauf die Bild in bewährter Form hinweist. Mal abgesehen von historischen Bedenken (es gab mal das Mutterkreuz als Auszeichnung für „Verdienste deutscher Mütter um das Deutsche Volk“), aber die Eltern zu „Elternteilen“ zu machen, war schon blödsinnig genug. Den oder die „Elter“ hätte der Volksmund vielleicht noch in den Wortschatz aufgenommen. Was er garantiert verweigert: „die entbindende Person“ anstelle der Mutter – auch wenn die Angst der Tagesschau-Redaktion noch so berechtigt sein mag, dass es sich dabei um einen Vater handeln könnte. (Oliver Baer) (merkur.de, spiegel.de, bild.de)


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Clara Lietzmann, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs

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