1. Presseschau
Sprachmodell mit Tücken
Die Dachmarke Meta, die über den Diensten Instagram und Facebook steht, entwickelt eine neue KI-Modellreihe, sie soll über 1.100 Sprachen beherrschen. Ein weiterer, vorerst noch nicht zu Ende geprüfter Datensatz soll bis zu 4.000 Sprachen aufweisen. Laut Meta seien darunter auch Sprachen, die von nur wenigen hundert Menschen gesprochen werden. Die Sprachtechnologie werde so auch auf gefährdete und seltene Sprachen ausgeweitet. Das Projekt namens „Massively Multilingual Speech“ – kurz MMS – verwende als Basis seiner Erhebungen das Neue Testament, denn es enthalte Lesungen in mehr als 1.107 Sprachen mit einer durchschnittlichen Länge von 32 Stunden. Langfristig plane das Unternehmen, mithilfe des Sprachenmodells aussterbende Sprachen zu erhalten und Dialekte zu unterstützen. Meta weist jedoch darauf hin, dass das Modell Wörter und Phrasen teilweise falsch transkribiere, was zu Kommunikationsschwierigkeiten oder sogar Beleidigungen führen könne. (the-decoder.de)
Vorteile der Mehrsprachigkeit
Ortrun Huber berichtet auf tagesschau.de, dass Mehrsprachigkeit weltweit gesehen zwar der Standard sei, in Deutschland sei jedoch in der Schule und im Alltag nur eine Sprache üblich. Huber führt die Vorteile der Mehrsprachigkeit auf. Das Gehirn sei nämlich darauf ausgelegt, mehrere Sprachen zu lernen und zu speichern, das bestätigen die Sprachwissenschaftlerinnen Anja Binanzer und Sarah Jessen. Sie betonen, dass Mehrsprachigkeit ein zentrales Bildungsziel sein solle, denn sie vergrößere die Möglichkeiten der Lebensgestaltung. Der sozioökonomische Hintergrund und der Bildungsstand der Eltern von Kindern mit Migrationshintergrund trage dazu bei, dass diese weiterhin geringere Leistungen als Kinder ohne Migrationshintergrund erbringen. (tagesschau.de, bild.de)
2. Gendersprache
Tschüss Genderstern
Auch in der Schweiz gibt es demnächst eine Volksabstimmung über die Gendersprache. Die überparteiliche Initiative „Tschüss Genderstern!“ hat das Ziel, die Stadtverwaltung Zürich vom Genderstern zu befreien. Die Initiatoren um die Züricher Kantonsrätin Susanne Brunner haben in der vergangenen Woche 3.802 Unterschriften eingereicht (notwendig waren 3.000), um damit die erste Volksabstimmung über die Gendersprache in der Schweiz in Gang zu setzen. (aargauerzeitung.ch (Bezahlschranke))
Dumm gelaufen
Eine Studie der Universität Graz sollte zeigen, dass Gendern und Deutschlernen einander nicht ausschließen. Der Versuch wurde zum Rohrkrepierer. Die Testpersonen – Migranten mit unterschiedlichen Sprachniveaus sowie Menschen mit Lernschwierigkeiten – machten den Forschern einen Strich durch die Rechnung. Man könne „Formulierungen mit Genderstern ‚gar nicht mehr lesen‘ oder ‚Doppelpunkt, Stern, Querstrich‘ seien ‚alle sehr störend‘“, hieß es von den Probanden. Der Autor der Studie, so schreibt Stefan Beher in der Welt, beschreibe das lapidar als „überraschend“. Dass ein Proband meinte, mit dem generischen Maskulinum seien alle Geschlechter gleichermaßen gemeint, würde von den Forschern als Indiz dafür gewertet, dass ihm „das Thema nicht sehr bekannt“ sei.
Auch die Doppelnennungen kamen bei den Studienteilnehmern nicht gut an, sie waren nur verständlich, wenn es vor dem eigentlichen Text eine Aufklärung über ihren Sinn gab. Selbst bei geübten Lesern bzw. Muttersprachlern erzeugten Doppelformen einen gewissen Überdruss, so Beher. Die Ergebnisse entsprächen also nicht ganz dem Geschmack der Auftraggeber, resümiert er.
Die Forscher selbst hingegen sehen ihre Studie mit anderen Augen: Die Doppelnennungen seien immer noch besser als das generische Maskulinum, heißt es. Und aus den Erkenntnissen der Studie ziehen sie die Bilanz, dass Verständlichkeit und Barrierefreiheit keine Gründe seien, um auf das Gendern zu verzichten. „Nach Lektüre der Studie fragt man sich allerdings, von welchen Erkenntnissen hier eigentlich die Rede sein soll. Die aus den dort präsentierten Daten können es jedenfalls nicht gewesen sein“, schreibt Beher süffisant. Die Macher würden sich jedenfalls große Mühe geben, den Missmut über gegenderte Texte bei den Forschungsteilnehmern konsequent zu bagatellisieren. Statt zu dem Schluss zu kommen, dass gegenderte Texte für die Probanten als ungeeignet für den Sprachgebrauch zu bewerten seien, empfehlen sie den Genderstern für eine maximale Verständlichkeit. „Mit seriöser Wissenschaftlichkeit, die explizit in Anspruch genommen wird für die eigene Position, hat das alles jedenfalls in etwa so viel zu tun wie eben die Logik des generischen Maskulinums mit realer Exklusion“, findet Beher. (welt.de (Bezahlschranke), capito.eu)
Regierender Bürgermeister will nicht gendern
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner will Gendersprache in der Stadtverwaltung nicht verwenden. Ein Verbot oder eine „Rückabwicklung“ der aktuellen Regelung soll es jedoch nicht geben, sagte er und widersprach damit ersten Medienberichten, die das Gegenteil erwarten ließen. Er betont, dass Sprache in der Verwaltung verständlich sein müsse, um etwa Migranten die Kommunikation mit Behörden nicht „unnötig zu erschweren“. Auf der Netzseite der Berliner Senatsverwaltung befindet sich weiterhin der Leitfaden zu „inklusiver und geschlechtergerechter Sprache“. Wegner erklärt, dass er selbst nur das Deutsch sprechen möchte, das er in der Schule gelernt hat und das verständlich für alle sei. Berlins Grünen-Fraktionsvorsitzende Bettina Jarasch hatte Wegner für seine Äußerungen gerügt: „Während sich viele Menschen in Berlin die Mieten nicht mehr leisten können, spielt der Regierende Bürgermeister Sprachpolizei“, sagte Jarasch am Montag. (tagesspiegel.de, tagesschau.de, n-tv.de)
Genderleitfaden in Erkelenz
Die nordrhein-westfälische Stadt Erkelenz hat angekündigt, künftig in Briefen und E-Mails der Stadtverwaltung die Gendersprache zu verwenden. Hierfür wurden Leitsätze erarbeitet, die der Verwaltungsvorstand im „Leitbild Kommunikation“ festgehalten habe. So heiße die persönliche Anrede in den Mails der Verwaltung künftig nur noch „Guten Tag“. Die Mitarbeiter im Rathaus seien sogar dazu aufgefordert worden, eine dem Leitbild abweichende Kommunikation zu unterbinden. (rp-online.de)
3. Sprachspiele: Unser Deutsch
Reisegebäck
Kennen Sie das Wort schon? Oder ist es eine journalistische Erfindung? Für mich war es neu, aber ich kann mir etwas darunter vorstellen. Vor allem weil sich beim Überlegen gleich ein ähnliches Wort einstellt: Reisegepäck. Das mag bei der Bildung Pate gestanden haben. Die beiden Wörter unterscheiden sich nur in einem Buchstaben (b/p) bzw. einem Laut (stimmhafter/stimmloser labialer Verschluss). Sprachwissenschaftler nennen das Minimalpaare, Wörter also, die sich nur minimal, also in einem Buchstaben bzw. einem Laut unterscheiden. Auf diesem kleinen Unterschied lastet also die ganze Bedeutungsverschiedenheit der beiden Wörter. Dies ist deshalb bemerkenswert, weil Minimalpaare auf der anderen Seite zwei Wörter durchaus verbinden können. So denken wir eben beim Reisegebäck unwillkürlich ans Reisegepäck. Der kleine Unterschied (stimmlos/stimmhaft) wird gleichsam übersprungen. Ähnlich geht es beim folgenden Wortspiel. Um Bimmelswillen lautet eine Überschrift in der SZ, wo es um die Klage über das Glockenläuten ging. Offenbar angelehnt an die Wendung um Himmelswillen. Ein häufiges Wortspiel verbindet Leere und Lehre, zwei homonyme, also gleichlautende Wörter. Die Verschiedenschreibung sichert in der geschriebenen Sprache den Minimalcharakter. Eine Überschrift lautet „Wenn die Lehrstelle zur Leerstelle wird“.
Unlängst bin ich selber einer Verwechslung zweier minimal verschiedener Wörter aufgesessen: piepsen und piksen, das eine vom lautmalenden Piep der Vögel abgeleitet, das andere vom Piks, dem leichten Einstich. Ich hatte gerade eine Impfung absolviert und glaubte gehört zu haben: „jetzt kommt ein kleiner Pieps“. p und k, die beiden Verschlusslaute sind sich sehr ähnlich, und dann noch mit dem Frikativ s zu ps bzw. ks verbunden, leicht verwechselbar. Zahlreiche Leser haben mich auf diesen Fehler hingewiesen. Vielen Dank. Ich sehe daran, wie sorgfältig meine Glossen gelesen werden und verspreche Besserung.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de
4. Kultur
Bibelübersetzung für Australiens Ureinwohner
In Australien wollen Bibelübersetzer bedrohte einheimische Sprachen vor dem Aussterben retten. Die Übersetzung der Bibel in die einheimische Noongar-Sprache, die im Südwesten von Westaustralien gesprochen wird, soll den Zugang zum christlichen Glauben und zur Botschaft der Bibel ermöglichen. Es handle sich dabei auch um ein „Sprachwiederbelebungsprojekt“. Die erste Übersetzung des Lukasevangeliums wurde 2014 veröffentlicht. Durch die Übersetzungen werden die Sprachkenntnisse der Noongar wieder aufgebaut und der Erhalt der kulturellen Identität der Ureinwohner Australiens gefördert. (jesus.ch)
Miese Gedichte gesucht
Rosen sind rot, Veilchen sind blau, ich kann nicht dichten, Kartoffelsalat. So oder ähnlich könnte die Poesie aussehen, die die Stadtbücherei Bochum-Wattenscheid für eine Ausstellung zum „Bad Poetry Day“ am 18. August sucht. Gesucht werden „schnulzige Weltschmerz-Verse aus der Schulzeit, missglückte Experimente und stümperhafte Strophen“. Dabei ist die Absicht nicht, sich über die Verfasser lustig zu machen, sondern zu zeigen, dass auch vermeintlich Schlechtes eine eigene Ästhetik haben kann, und dass man immer erst experimentieren muss, um etwas Größeres zu schaffen. Einsendeschluss ist der 1. Juli 2023. (bochum.de)
Fränkisch oder Niederfränkisch?
Im VDS-Infobrief der vorigen Woche gab es im Bericht „Platt in Wenden“ eine Ungenauigkeit. Das Wendsch Platt wurde als „niederdeutsche, fränkische Mundart“ bezeichnet. Aber dieses Platt zählt zum Niederfränkischen, das sich deutlich vom Fränkischen im Norden von Bayern und Baden-Württemberg unterscheidet und auch Niederrheinisch heißt. Wir danken Dr. Anton Karl Mally aus Mödling für den Hinweis.
5. Berichte
Sprachpanscher 2023 gesucht
2 Ministerinnen, 2 Unternehmen, 1 Museums-Chef – sie alle sind Kandidaten für den Titel „Sprachpanscher 2023“. Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung (FDP) will Englisch als Verwaltungssprache einführen, Julia Willie Hamburg, Kultusministerin in Niedersachsen, will, dass Lehrer im Unterricht eine vermeintlich „gendergerechte“ Sprache verwenden. Die Schnellimbiss-Kette McDonald’s Deutschland ist schon seit Jahrzehnten mit Denglisch unterwegs, jetzt wird auch die Werbung von gepanschtem Englisch dominiert. „Spice, wie du ihn likest“ lautet ein aktueller Werbespruch. Martin Eberle, Direktor der Museumslandschaft Hessen Kassel (MHK), hat sich aufgemacht und aus dem Weltkulturerbe „Museumslandschaft Hessen-Kassel“ die „Hessen Kassel Heritage – Museen, Schlösser, Parks“ gemacht. Die Personalberatung Kienbaum Consultants International wirft mit englischen Ausdrücken nur so um sich: „People Convention“, „People Sustainability“ und „The Next Chapter for Organizations“. „Wir haben gedacht, wir hätten schon alles gesehen“, sagt der VDS-Vorsitzende Prof. Walter Krämer, „aber die Kandidaten zeigen: Auch im neuen Jahr haben es einige geschafft, das Niveau nochmal zu senken.“ (vds-ev.de)
6. Denglisch
Aktivismus nur auf Englisch
Simone Dede Ayivi kritisiert auf taz.de die Praxis, dass Diskussionsrunden über Antirassismus, Migration oder postkoloniale Theorie oftmals nur in englischer Sprache und ohne Übersetzungen angeboten werden. Sprache und Aktivismus weise eine enge Verbindung auf. Menschen, die aus dem englischen Sprachraum migriert sind, haben laut Ayivi bestimmte andere Vorteile als Französisch oder Arabisch Sprechende. Auf Demonstrationen fielen oftmals englische Begriffe oder man verwende Anglizismen. Dies werde nicht hinterfragt, jedoch bezweifelt Ayivi die Sinnhaftigkeit dieser Mode. Der Sammelbegriff „PoC“ („People/Person of Color“) als Selbstbezeichnung für Menschen, die Rassismus erfahren, lasse sich laut Ayivi nicht aus dem US-amerikanischen Kontext in den deutschsprachigen Raum übertragen. Sie spricht sich dafür aus, passende Bezeichnungen auf Deutsch zu finden. Der bewusste Umgang mit Sprache sei entscheidend, um die gelebte Realität und Kämpfe betroffener Personen in Worte zu fassen. (taz.de)
7. Kommentar
Macht Harry Potter mit?
Im Sinne der Bürgermehrheit lehnt der VDS das Gendern ab, er macht nur Vorschläge, aber keine Vorschriften, wie stattdessen zu sprechen sei. Als Sprachpolizei fallen bisher vor allem Genderbefürworter wie Bettina Jarasch auf. Ihre Gegner (die alten weißen Männer sowie die Mehrheit der Frauen im Lande) sollen gefügig gemacht werden, indem mit – nur scheinbar sanftem – Druck, in Wirklichkeit aber mit erpresserischer Macht das Gendern durchgesetzt wird, obwohl es die meisten Bürger entweder nicht wollen oder gar nicht erst verstehen. Es ist ja auch grotesk: Mithilfe von Sprachstummeln, zu deren Verwendung man genötigt wird, soll Gerechtigkeit herbei gezaubert werden, wie soll das gelingen? Weiß Harry Potter schon Bescheid? (Oliver Baer)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.
Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs