1. Presseschau
Künstliche Texte
Was die Sprachmaschine ChatGPT alles kann, beschäftigt neuerdings die Kulturspalten der Zeitungen, zumeist mit warnenden Untertönen. Besonders vor der Übernahme grundlegender menschlicher Fähigkeiten durch Künstliche Intelligenz wird gewarnt, nach gesetzlichen Regelungen wird gerufen. Schriftsteller und Journalisten sehen ihren Berufszweig aussterben. Wie soll künftig Chancengleichheit bei Prüfungen und Abschlussarbeiten hergestellt werden, diskutierte die FAZ in einem ganzseitigen Beitrag vom 20. März. Der Soziologe Sascha Dickel sieht die Welt längst in einer „beginnenden Ära künstlicher Kommunikation“. Er hinterfragt, was aus unserer Vorstellung wird, dass ein Text irgendwann einmal von irgendeinem Menschen geschrieben worden sein muss. Spätestens mit der elektronischen Datenverarbeitung sind auch Prozesse der Textproduktion zunehmend automatisiert worden. Seien es Schreiben von einer Behörde, der Steuerbescheid oder die Antworten von Siri und Alexa. „Das Ideal steriler menschlicher Textproduktion ist bereits jetzt anachronistisch und könnte in Zukunft zunehmend absurd erscheinen“, so der Artikel in der FAZ. Künstliche Systeme wie ChatGPT wurden lange herbeigesehnt. Nun sind sie da und die Gesellschaft muss Ideen entwickeln, wie sie diese gewinnbringend einsetzt. (faz.net (Bezahlschranke), faz.net (Bezahlschranke))
Meloni greift durch
Gegen Überfremdung der italienischen Sprache ist ein Gesetzentwurf aus Ministerpräsidentin Giorgia Melonis Partei Fratelli d’ Italia gerichtet. Die Regierung soll künftig hart gegen sprachliche Fehler und Anglizismen durchgreifen. Anglizismen seien „erniedrigend und beschämend“ für die italienische Sprache, zitiert die Kronen Zeitung den Abgeordneten Fabio Rampelli. Betroffen wären gegebenenfalls vor allem internationale Unternehmen, die in Italien vertreten sind. Künftig sollen möglichst alle Berufsbezeichnungen ins Italienische umbenannt werden. Bezeichnungen wie „CEO“ oder „Bachelor of Law“ stünden somit vor dem Aus. Öffentliche wie private Einrichtungen müssten dann alle Unterlagen in italienischer Sprache vorlegen, und auch die öffentliche Kommunikation von Firmen oder Staatsorganen soll künftig ausschließlich auf Italienisch stattfinden, dazu zähle auch die Werbung. Konferenzen oder Veranstaltungen in Italien sollen verpflichtend Dolmetscher engagieren oder Übersetzungsprogramme bereitstellen. Ungeachtet dessen, ob ausländische Mitarbeiter vertreten sind, solle die Hauptsprache in den Büros Italienisch bleiben. Neben dem geplanten Abbau der Anglizismen fordert Rampelli hohe Geldstrafen, wenn italienische Wörter falsch ausgesprochen werden. Die Opposition kritisiert den Gesetzesentwurf und bezeichnet die Vorschläge als „Lächerlichkeit“. Die Kronen Zeitung ergreift sogleich die Gelegenheit, einige der klassischen Fehlaussprachen zu korrigieren, darunter die „Gnocchi“ und die „Bruschetta“. (krone.at, tz.de)
Sprachmerkmale im Hirn nachweisbar
In jeder Muttersprache ist das Gehirn anders gebaut. So könnte das verallgemeinerbare Ergebnis einer Forschergruppe des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig lauten. Die Forscher untersuchten die neuroanatomischen Merkmale von Sprachen. Offenbar passen sich die „Sprachnetzwerke (…) den besonderen Eigenschaften der Muttersprache an“, berichtet Spektrum über den Bericht in der Fachzeitschrift NeuroImage. Dazu wurden Hirnscans von 50 Erwachsenen mit deutscher oder arabischer Muttersprache angefertigt. Die Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass die Hirnanatomie je nach Muttersprache andere Schwerpunkte aufweist. Da im Deutschen der Satzbau komplexer ist, war bei den deutschen Muttersprachlern eine stärkere Verbindung im Sprachennetzwerk der linken Hemisphäre nachzuweisen. Dort habe die Sprache ihren Hauptsitz im menschlichen Gehirn. Das Grammatikzentrum im linken Broca-Areal sei besonders „sensibel“ für die komplexe deutsche Satzstruktur, und in der linken Hemisphäre seien zudem die Gedächtniskapazitäten stärker ausgeprägt, um abhängige Satzelemente gedanklich zu verbinden. Bei der arabischen Versuchsgruppe jedoch war die rechte Gehirnhälfte mehr beteiligt, und insgesamt gab es eine stärkere Verbindung der beiden Hirnhälften. Die Forscher erklären dieses Ergebnis damit, dass im Arabischen die Aussprache und die Bedeutung vieler Wörter oftmals aus dem Zusammenhang und dem zugrunde liegenden Vorwissen erschlossen werden müssen. Bei dem Versuch handelte es sich um zwei größere Stichproben von Muttersprachlern. Als nächstes Ziel haben sich die Forscher gesetzt herauszufinden, was sich im Gehirn arabischsprachiger Erwachsener verändert, nachdem sie sechs Monate lang Deutsch lernen. (spektrum.de)
2. Gendersprache
Tagesschau kennt keine Mütter
Die Tagesschau-Redaktion der ARD hatte in einem Artikel auf ihrer Online-Seite das Wort „Mutter“ durch „entbindende Person“ ersetzt. Diese Wortwahl sei im Sinne der Gendersprache getroffen worden, um Diskriminierung zu vermeiden. Nach Rückfragen der Bildzeitung ging es um die Diskriminierung von Transmenschen. Im Netz sorgte diese Entscheidung für Aufruhr, so dass die ARD nun doch wieder von der „Mutter“ spricht. Der Artikel handelte vom Gesetzesentwurf der Familienministerin Lisa Paus, der nach der Geburt eines Kindes auch für den zweiten „Elternteil“ eine zweiwöchige, bezahlte Freistellung vorsieht. Die Bezeichnung „entbindende Person“ war allerdings nicht in dem Gesetzesentwurf zu finden, sondern sie beruhte auf einer Entscheidung der Tagesschau-Redaktion. Man wolle damit auch nicht-binäre Personen einschließen, die sich weder als männlich, noch als weiblich sehen. Nach der öffentlichen Kritik sei das Wort wieder geändert worden, da die Vermittlung der Nachricht im Mittelpunkt stehen solle und nicht die sprachliche Debatte. (merkur.de, nzz.ch)
Berliner Gender-Verfahren geht in die nächste Instanz
Der Eilantrag eines Berliner Vaters gegen das Gendern an Berliner Schulen geht in die nächste Instanz. Der Verein Deutsche Sprache unterstützt ihn bei der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin, das seinen Eilantrag abgelehnt hatte. „Privat können die Lehrer gendern, wie sie möchten – an den Schulen müssen sie sich wegen des Neutralitätsgebots an die amtliche Rechtschreibung halten. Wenn das Gericht diese zwar einerseits für verbindlich erklärt, aber den Lehrern freistellt, zu gendern, ist das ein Widerspruch in sich“, so der Kläger. Wegen dieser und anderer Widersprüche in der Entscheidung erhebt er, unterstützt vom VDS, nun Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg.
Das Gericht hatte schon allein den Antrag des Klägers fehlinterpretiert und behauptet, dass dieser sich gegen eine „genderneutrale Sprache“ allgemein richte – dabei war sie ganz ausdrücklich nur gegen die umstrittene Genderschreib- und -sprechweise gerichtet, die von der amtlichen Rechtschreibung abweicht. „Lehrer und Schulen haben neutral zu sein“, sagt Prof. Walter Krämer, Vorsitzender des VDS, „Schüler jeden Alters müssen eine Sprache lernen, die normiert ist und überall verstanden wird – frei von Ideologien und zeitgenössischen Strömungen, die nicht zu Ende denken, wie Kommunikation in einer Gesellschaft wirklich funktioniert.“ (welt.de, vds-ev.de)
Désirée Nick gendert nicht
Die Kabarettistin Désirée Nick spricht sich gegen Gendersprache aus. Die für das Gendern üblichen Sprechpausen bezeichnet Nick als „Holperer und Stolperer“ der Sprache, die den natürlichen Sprachfluss stören. Zudem spricht sie von einer „militanten Überwachung“, die durch Genderbefürworter ausgehe. Die Kabarettistin, die auch Autorin zahlreicher Bücher ist, wird darin ganz schön bissig: „Mit Gendern können Sie mich jagen“. (tag24.de)
Gendern in Prüfungen zulässig
Es dürfen keine Nachteile für Schüler entstehen, wenn in Prüfungen Genderformen verwendet werden. Das gab die Landesregierung in Niedersachen bekannt als Antwort auf eine Anfrage im Landtag: wie die Gendersprache in Prüfungsleistungen zu werten sei. Die Regierung unterstütze „eine geschlechtersensible Sprache in Wort und Schrift im Unterricht, sowie in außerunterrichtlichen Kontexten“. Die Begründung hierfür sei, dass beispielsweise in Abiturklausuren bereits Texte bearbeitet werden, die ebenfalls Genderformen verwenden. Die Landesregierung in Niedersachsen betonte allerdings auch, dass das Gendern nicht durch Prüfer und Lehrer vorgeschrieben werden dürfe. (nord24.de)
Gendern ohne Stern
Sprache bilde die Wirklichkeit ab, erklärt Alan Posener in seinem Kommentar in der Netzausgabe der WELT. Grundsätzlich spreche er sich deshalb für das Verwenden der Gendersprache aus. Zwar kenne er den Unterschied zwischen grammatikalischem und biologischem Geschlecht, jedoch haben sich einige Begriffe aus historischen Umständen entwickelt. Damit meint er die Berufsbezeichnungen Kindermädchen, Krankenschwester oder Soldat und Chefarzt. Diese seien nicht genderneutral, da sie in der Vergangenheit nur einem bestimmten Geschlecht zugeschrieben wurden. Da sich die Gesellschaft aber ändere, sei es laut ihm an der Zeit auch die Sprache zu verändern. Posener spricht sich jedoch gegen die Verwendung des Gendersterns und auch gegen Doppelnennungen („Bürgerinnen und Bürger“) aus. Partizipialbildungen verletzen laut Posener nicht die Regeln der deutschen Sprache. Somit seien Formulierungen wie „Lehrende“, „Studierende“, „Liebende“ geschlechterneutral und bildeten die heutige Gesellschaft ab. (welt.de (Bezahlschranke))
3. Kultur
Hochdeutsch unerwünscht
Im Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) sei akzentfreies Hochdeutsch nicht erwünscht. Über diese Erfahrung berichtet die Radiomoderatorin Anna-Lisa Achtermann. Zwar strebten die meisten Schweizer Moderatoren darnach, akzentfreies Hochdeutsch in ihren Auftritten zu sprechen, allerdings reagiere das Publikum darauf negativ. Das Publikum wolle „die Heimat hören“, so berichten zahlreiche Journalisten und Moderatoren. Durch das Schweizer Standarddeutsch werde ein Bedürfnis nach Nähe erfüllt. „Für die Zuschauer wäre es undenkbar, dass ihnen eine vermeintlich deutsche Person erklärt, wie toll die Schweizer Nationalmannschaft sei“, erklärt der ehemalige Sportmoderator Beni Thurnheer. SRF-Sprecherin Nadine Gliesche-Pollman betont, dass beim SRF darauf geachtet werde, ein eher „neutrales Hochdeutsch“ zu verwenden. Eine leichte Dialekt-Färbung, wie beispielsweise das rollende „R“, werde ebenfalls noch akzeptiert. (20min.ch)
Mundart-Vorlesetag in Viersen
Im nordrhein-westfälischen Viersen fand in der vergangenen Woche ein Vorlesetag des Vereins Heimatpflege Viersen statt. Der Vorlesenachmittag stand unter dem Motto „op Platt“ und sollte dazu beitragen, das Plattdeutsch unter den Kindern und Jugendlichen zu fördern. Insgesamt 14 Kinder aus sechs Grundschulen und zwei weiterführenden Schulen nahmen beim Vorlesenachmittag teil und sprachen die plattdeutschen Texte vor. Zum Schluss gab es für die jungen Akteure nicht nur Beifall, sondern auch kleine Geschenke, die von der Deutschen Bank gestiftet wurden. Der Arbeitskreis Mundart verteilte Urkunden. Die Leiterin des Arbeitskreises, Marieluis Boes, erklärte, dass das Plattdeutsche „eine wertvolle Tradition“ darstelle und zu der Geschichte der Region gehöre. Durch die Vorleseaktion werde die Sprache gefördert und an die jüngere Generation weitergetragen. (rp-online.de)
Plattdeutsches Wort des Jahres gesucht
Das Literaturmuseum Stavenhagen und der Heimatverband Mecklenburg-Vorpommern suchen das plattdeutsche Wort des Jahres 2023. Den traditionsreichen Wettbewerb gibt es seit 1995. Bis zum 4. Mai können Vorschläge auf Postkarten oder per E-Post eingereicht werden. Die Auszeichnung gehe dann an das schönste plattdeutsche Wort, die beste Neuschöpfung und die liebste Redensart. Die Einsender der Gewinnerworte erhalten im Anschluss ein Überraschungspaket aus dem Fritz-Reuter-Literaturmuseum. Die fachkundige Jury gibt die Gewinner am 4. Juni beim Plattdeutschen Bäukerdag (Büchertag) in Rostock bekannt. Im vergangenen Jahr gewann „Dunnerlüchting“, ein Ausdruck des Erstaunens, die Wahl zum plattdeutschen Wort des Jahres. Die schönste Neuschöpfung war „Tippschnack“ – das Chatten im Internet. Eine 14-jährige Schülerin aus Demmin reichte die schönste Redensart ein. „Een vergnöögt Hart is better as`n Büdel vull Geld“ – Ein vergnügtes Herz ist besser als ein Sack voller Geld. (zeit.de)
4. Kommentar
Weshalb „Wahn“ womöglich passt
Mit dem Wort „Mutter“ würden die zur Geburt Unfähigen diskriminiert, heißt es, deshalb wird es ersetzt durch allerlei Wortungetüme wie „entbindende Personen“, „gebärende Menschen“, „menstruierende Menschen“ oder auch „Menschen mit Uterus.“ Wir Männer spielen hier keine Rolle, das hat sich herumgesprochen. Nein, hier geht es um Intersexuelle und Transmenschen, die es zu schonen gilt. Ein freundlich gemeinter Gedanke. Aber was wird daraus?
Dass eine als Mann geborene Transperson die Erfahrung von Mutterschaft (das Wort ist hier schwer vermeidbar), also das Wachsen eines Lebewesens unter dem Herzen, die meist sehr schmerzhafte Geburt, das Stillen (um hier mal nur biologisches Zeugs zu nennen) nicht selbst erleben kann, ist schon traurig, wenn auch schicksalshaft. Ähnlich geht es den Frauen (also, jetzt den echten!), die aus biologischen (schon wieder so ein Reizwort!) oder medizinischen Gründen keine Kinder bekommen können. Diese Minderheit spielt aber auch keine Rolle, denn „Frauen“ sind insgesamt trendmäßig zur Zeit einfach nicht IN. Beatrice Achterberg meint in der NZZ: „In bestimmten Kreisen, die sich selbst als feministisch begreifen, gelten Wörter wie ‚Frau‘ oder ‚Mutter‘ heute als verletzend, ausgrenzend.“
Nun gut, auch Minderheiten dürfen öffentlich Unfug reden, aber dieser Trend gegen eine Mehrheit ist ein neues Zeichen der Zeit. Er soll die Frau „ausradieren“, wie Achterberg sagt, indem „sie auf ihre reproduktive Biologie reduziert wird“. Da geht die Kritikerin vielleicht zu weit, in Wahrheit verhält sich das sehr einfach: Solche Begrifflichkeiten entstehen nicht aus finsterer Überlegung, unterstellen wir hier netterweise, sondern aus ihrem Gegenteil. Da setzt im Eifer das zuständige Areal im Gehirn momentan aus, es übergibt an ein anderes Areal, und diese Staffelübergabe misslingt schon mal. Dann entstehen Gästinnen, Elternteile und die oben erwähnten Wortmonster. In diesem momentanen Wahn regiert eine gut gemeinte Absicht über den Verstand, der einfach nicht durchdringt mit der Frage: Kommt bei diesem Gewese irgendetwas Positives für irgendwen heraus, und wenn ja, für wen? Und auf wessen Kosten? Sprache kann nicht ausgrenzen, das können nur wir Menschen. Also lasst gefälligst die Finger von der Sprache! Oder sind die das Wort Führenden an keiner Lösung interessiert, sondern nur am Krawall mithilfe der Sprache? Dann wäre Wahn das passende Wort. (Oliver Baer)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.
Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs