Infobrief vom 10. März 2024: Vorurteile beeinflussen Noten

1. Presseschau

Vorurteile beeinflussen Noten

Der Glaube, dass Mädchen im Sprachlichen vorne liegen, während Jungen besser rechnen, hält sich hartnäckig. Eine Studie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zeigt nun, dass diese Vorurteile zu Verzerrungen in der Leistungsbewertung durch die Lehrer führen. Melanie Olczyk vom Institut für Soziologie hat herausgefunden, dass die Mädchen im Grundschulalter sprachlich überschätzt und die Jungen unterschätzt werden. Im Fach Mathematik sei es genau umgekehrt. Solche verzerrten Urteile wirken sich laut den Forschern langfristig auf die Bewertung und Leistung der Schüler aus. Die Studie wurde mit 17.000 Schülern aus Deutschland, England und den Vereinigten Staaten durchgeführt. Die Kinder wurden über die Grundschulzeit hinweg begleitet, regelmäßig getestet, und es wurden Eltern und Lehrer befragt. Im Vergleich der Länder gab es Unterschiede. Zwischen tatsächlicher Leistung und ihrer Beurteilung durch die Lehrer war der Unterschied im Mathematikunterricht in Deutschland am größten, in der Sprache war die Verzerrung in England am deutlichsten. In den USA fielen die Unterschiede geringer aus. (n-tv.de)


Verständlichkeit im Bundestag

Gemeinsam mit der Deutschlandfunk-Nachrichtenredaktion untersuchte die Universität Hohenheim 96 Haushaltsreden im Bundestag darauf, wie verständlich die Politiker sprechen. Die formal am besten verständliche Rede stammte demnach von Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Auch Jens Spahn (CDU), Gesine Lötzsch (Die Linke), Victor Perli (Die Linke), Reinhard Brandl (CDU) und Sepp Müller (CDU) schnitten gut ab. Für die übelsten Reden stehen Claudia Raffelhüschen (FDP) und Agnieszka Brugger (Grüne). Verglichen mit Stark-Watzinger waren ihre Sätze doppelt so lang. Bundeskanzler Olaf Scholz schnitt etwas besser ab als Unionsfraktionschef Friedrich Merz. Die Studienleiter Frank Brettschneider und Claudia Thoms zeigten sich mit der Verständlichkeit der Reden im Großen und Ganzen zufrieden. Das hohe Niveau des Vorjahres werde gehalten. Die Haushaltsreden im Bundestag seien zu etwa 70 Prozent so verständlich wie die Reden der Vorstandvorsitzenden von DAX 40-Unternehmen. Bei den übrigen 30 Prozent erschwerten vor allem Fremdwörter, Fachwörter, Wortkomposita, Nominalisierungen, Anglizismen und „Denglisch“ sowie lange Sätze die Verständlichkeit der Bundestagsreden. Marco Bertolaso, Deutschlandfunk-Nachrichtenchef, betont, dass die Verständlichkeit immer wichtiger für den Informationsjournalismus werde. Auf die kaum noch überschaubare Menge an Informationen reagieren sie so, dass sie Nachrichtensendungen meiden, allerdings auch für vereinfachende Parolen empfänglich werden. Bertolaso ermahnt Abgeordnete, Ministerien und Behörden, sie „müssen besser erklären und zugleich der Versuchung widerstehen, auf PR-Floskeln oder Polemik im Stil mancher Social-Media-Accounts zurückzugreifen.“ Der Deutschlandfunk werde sich mit dem Thema Verständlichkeit verstärkt befassen. Seit 2007 forscht der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider zu sprachlichen Parametern, welche die formale Verständlichkeit von Texten und Reden möglichst objektiv messen. (deutschlandradio.de)


Bedeutungswörterbuch DUW

Für Viele gilt der Duden als das Wörterbuch des Deutschen, ähnlich riskant zu hinterfragen wie das Grundgesetz oder die Bibel. Mit entsprechender Bedeutung wird der Duden vermarktet. Das nennt Horst Haider Munske in der Welt einen Jammer. Denn dem Rechtschreibduden fehle eines völlig: die Angabe von Bedeutungen. Diese findet man im Duden Deutsches Universalwörterbuch (DUW), es trägt den Untertitel „Bedeutungswörterbuch“, ein deutsches Pendant zum „Larousse“ und zum „Concise Oxford English Dictionary“.

Munske wurde angenehm überrascht von der Einführung im Vorwort. Da werde jedes Fachwort erklärt, es gebe eine gemeinverständliche Skizze der deutschen Grammatik und Auswertungen zur Häufigkeit von Wörtern und Buchstaben. Wie groß ist der deutsche Wortschatz? Die Unbestimmtheit aller Zahlenangaben habe einen einfachen Grund, sagt Munske: „Es ist unklar, was man eigentlich zählen kann und soll. Idealerweise wäre dies der Wortschatz, den die heute lebende deutschsprachige Bevölkerung (aktiv oder passiv) beherrscht.“ Lexikografen beschränken sich aus ganz praktischen Gründen auf gedruckte Quellen, die Eigenart und Vielfalt der gesprochenen Kommunikation können da kaum berücksichtigt werden. Auch die umfangreichen Wortschätze der Fachsprachen sind vom DUW ausgegliedert. Allerdings seien die Grenzen zur Allgemeinsprache fließend, siehe die vielen Beispiele aus Internet und Digitalisierung. „Das DUW verspricht im Vorwort den ‚allgemeinen Wortschatz der deutschen Gegenwartssprache‘ zu dokumentieren“, und so komme es auf rund 140.000 Einträge.

Zuverlässig könne der Wortschatz ohnehin nicht gezählt werden, betont Munske, denn dieser stehe im ständigen Wandel: „Neben einer Grundmenge von Sprachzeichen, die in den Köpfen der Muttersprachler gespeichert sind – das wird im DUW abgebildet –, besteht er aus einem vielgestaltigen System von Regeln, nach denen jeder Muttersprachler ad hoc neue Wörter und Wortbedeutungen erzeugen und gebrauchen kann. Mit den gleichen Regeln können andere Muttersprachler diese innovativen Zeichen erkennen und verstehen.“ Dieses einmal zu Ende zu denken, könnte für Teilnehmer am Genderstreit spannend sein: Gegen die im Unbewussten vertrauten Regeln verstößt man nicht ungestraft, vieles lässt sich auch mit Propaganda nicht durchsetzen.

Munskes Befund zum Gendern im DUW: Da könne gekürzt werden. Bekanntlich hatte die Redaktion im Rechtschreibduden bei allen Personenbezeichnungen eine feminine Form aufgenommen (Abendländerin, Phantastin, Zynikerin), und zwar aus Prinzip, nicht etwa weil diese Wörter tatsächlich oft genug belegt waren. Diese Praxis wurde ins DUW übernommen, und dort sei sie besonders überflüssig; der Widersinn werde auf S. 929 deutlich, denn das Movierungssuffix –in wird dort ausführlich erklärt. Abschließend erinnert Munske an das konkurrierende „Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache“ (DWDS) der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (welches von Mitarbeitern der VDS-Geschäftsstelle bevorzugt wird), da finden PC-affine Benutzer fast alles, was Lexikografie zu bieten hat. (welt.de (Bezahlschranke), dwds.de)


Sprachen dienen nicht dem Richtigmachen

Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache trifft sich in Mannheim zu seiner 60. Jahrestagung. „Gesprochenes Deutsch: Struktur, Variation, Interaktion“ ist das Schwerpunktthema. 400 Gäste aus 24 Ländern werden erwartet. Einer von ihnen ist Jens Lanwer von der Universität Münster, er referiert über seine empirische Forschung zu sprachstrukturellen Phänomenen, zum Beispiel Satzabbrüche mit aber, also wenn einem Satz wie „Das Zimmer ist ja ganz schön klein, aber…“ eine Pause folgt. Nach Lanwers Beobachtung dient dieses aber dazu, das Gespräch offenzuhalten oder dem Gesprächspartner anzubieten, dass er übernehmen möge. Solche Veränderungen treten laut Lanwer zunächst in der gesprochenen Sprache auf. „Im Grunde regulieren sich gesprochene Sprachen selbst. Niemand muss Angst haben, dass die Sprache kaputt geht“, so Lanwer. Auch bei den Präteritumsformen deutscher Verben sei ein Rückgang zu beobachten. So seien Grundschulkindern Formen wie du aßt oft unbekannt, weil sie aus ihrer Umgebung nur noch das Perfekt du hast gegessen hörten. Vor allem die gesprochene Sprache lasse sich nicht regulieren, denn sie finde „in der freien Wildnis“ statt. Sprache könne immer genau das, was sie können müsse. „Sprachen dienen schließlich der Verständigung und nicht dem Richtigmachen.“ (uni-muenster.de)


Archiv übersetzt Sütterlin-Texte

Zum bundesweiten „Tag der Archive“, der immer in der ersten März-Hälfte stattfindet, konnten Interessierte zu einer Sprechstunde ins Hofheimer Stadtarchiv kommen. Eine Archivarin übersetzte mitgebrachte Fotoalben, Tagebücher oder Testamente, die in einer alten Handschrift verfasst waren. Der Tag kam bei den Besuchern so gut an, dass das Stadtarchiv feste Termine für die Übersetzung alter Schriften erwägt. Beim Info-Tag selbst konnten die Besucher auch einen Blick hinter die Kulissen des Archivs werfen und erfahren, wie alte Dokumente gelagert werden. (fnp.de)


Tschechien stärkt die Nachbarsprache

Während in Polen der deutschen Minderheit beim Lernen der Sprache immer mehr Steine in den Weg gelegt werden, geht Tschechien den umgekehrten Weg: Es stärkt die Rechtsstellung und Förderung des Deutschen. Das berichtet LandesECHO Das Magazin der Deutschen in der Tschechischen Republik: Im vergangenen Jahr war beschlossen worden, die Europäische Charta der Regional- und Minderheitssprachen auf das Deutsche anzuwenden, Ende Februar trat die Maßnahme in Kraft. In acht Kreisen des Landes soll an öffentlichen Kindergärten, Grund-, Sekundar- und Berufsschulen zweisprachiger Unterricht angeboten werden, der deutschsprachige Anteil soll 50% betragen. Deutsch soll an Universitäten nicht nur als Fach (Germanistik) angeboten werden, sondern auch als Lehrsprache in anderen Studienfächern dienen. Außerdem betrifft die Charta den Gebrauch der deutschen Sprache vor Justizbehörden und gegenüber städtischen und staatlichen Verwaltungen. Die öffentlich-rechtlichen und privaten Medien sollen Sendungen in „ausreichender Dauer“ zur Verfügung stellen, auch deutschsprachige Tageszeitungen sollen gefördert werden. (landesecho.cz)


2. Gendersprache

Volksinitiative auch in Niedersachsen

Die Volksinitiative „Stoppt Gendern in Niedersachsen“ bezweckt, dass das Gendern in Behörden, Schulen, Universitäten und dem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk eingestellt wird. Innerhalb eines Jahres müssen 70.000 Unterschriften zusammenkommen, schreibt die Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ). Sollte diese Zahl erreicht werden, muss der Landtag entscheiden, ob er sich mit der Volksinitiative befassen will. Politiker von SPD und Grüne lehnen die Initiative ab. „Es gibt keinen Genderzwang in Niedersachsen. So etwas ist auch nicht geplant“, sagt Sozialminister Andreas Philippi (SPD). Dennoch solle sprachlich gendersensibel formuliert werden. CDU und AfD äußerten sich positiv zur Initiative. Laut CDU dürfte Menschen an Schulen oder Hochschulen kein Nachteil entstehen, wenn sie nicht genderten. „Geht es um die öffentliche Verwaltung, muss es eine einheitliche Sprachregelung geben. Und die gibt der Rat für deutsche Rechtschreibung vor“, so CDU-Fraktionssprecher Ralph Makolla. Dr. Achim Sohns, Mit-Initiator der Volksinitiative, kritisiert auch das Gendern in den öffentlich-rechtlichen Medien wie dem NDR: „Es ist ein erhebliches Problem, dass eine gebührenfinanzierte Institution diese Sprache verwendet. Der Sender sollte stattdessen den Interessen der Mehrheit folgen“, so Sohns, Gendern sei eine „ideologisch motivierte Kunstform. Es wird der Eindruck ermittelt, als sei das die Standard-Sprache. Aber das ist sie nicht.“ (haz.de (Bezahlschranke), bild.de, stoppt-gendern-in-niedersachsen.de)


Kant bezweifelt Sinn des Genderns

In diesem Jahr feiert Immanuel Kant seinen 300. Geburtstag. Fabian Payr, der Buchautor und Initiator des Aufrufs „Linguistik vs. Gendern“, nahm diesen Tag zum Anlass, den wirkmächtigen Philosophen aus Königsberg zu befragen, was er von der Gendersprache halte. Daraus ist ein Interview entstanden, veröffentlicht von der Berliner Zeitung. Kant zeigt sich beeindruckend gut informiert, offenbar kennt er sogar Wissenschaftler, die der Gendersprache ihre Grenzen aufzeigen. Ob denn das Sprachgendern vernünftig sei, möchte Payr wissen. Kant meint, das „Konzept einer ‚gendergerechten Sprache‘“ und die dahinterstehenden Motive seien durchaus löblich anzusehen. Aber er bezweifelt die Zweckmäßigkeit neuer Sprachformen, um Geschlechtergerechtigkeit herzustellen. „Eine solche Wirkmacht hat Sprache nicht. Wörter sind keine Zauberformeln zur Schaffung von Wirklichkeit“, so Kant. Mit „Betrübnis“ nimmt er zur Kenntnis, dass die Ideale der Aufklärung, allem voran das Primat der Vernunft, in der Gegenwart in Ungnade gefallen sind. Die Menschen sollten ermutigt werden, ihren eigenen Verstand zu benutzen. (berliner-zeitung.de (Bezahlschranke))

Sprachgendern im Lehrerzimmer

Die Bewertung der Gendersprache in Schulen und Ämtern ist in den Bundesländern mittlerweile sehr uneinheitlich. Der bayerische Wissenschaftsminister Markus Blume will bei der Rechtschreibung „klare Leitplanken“ errichten und „sprachliche Künstlichkeit“ (also Gendersterne, Doppelpunkte oder andere grafische Zeichen der sogenannten inklusiven Sprache) aus Schulen, Universitäten und Verwaltungen verbannen. Für die Berliner Bildungsverwaltung ist dagegen „die Meinungsfreiheit der Schülerinnen und Schüler zu beachten.“ Die neue Koalition aus SPD und CDU im Bundesland Hessen will auf Gendersprache verzichten. In der WELT am Sonntag kommt VDS-Vorstandsmitglied Claus Günther Maas zu Wort. Das Gendern sei an den Schulen „massiv vorangetrieben“ worden, sagt Maas. „Viele altgediente Lehrkräfte fühlen sich von ihren jungen Kollegen, die die Gendersprache in die Lehrerzimmer tragen, regelrecht unter Druck gesetzt“, so Maas. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes Stephan Düll ergänzt: „Mit Sternchen gespickte Texte sind schwer lesbar und zudem sprachlich einfallslos, ja langweilig.“ (welt.de (Bezahlschranke))


Paarnennung erwünscht

Bayerns Ministerpräsident war in seiner Ansage deutlich: Sonderzeichen zum Gendern haben in Bayern keinen Platz. Umso verwunderter zeigt sich der Focus, dass in den neu formulierten Gesetzen dennoch gegendert wird und zwar mit geschlechtsneutralen Begriffen und mit Doppelnennung (Bürgerinnen und Bürger). In den novellierten Kommunalgesetzen fällt die Menge der Änderungen auf: „Insgesamt wurde 124-mal das Wort ‚Bürgermeisterin‘ oder ‚Bürgermeisterinnen‘ in die veränderten Gesetzestexte aufgenommen. 103-mal das Wort ‚Beamtin‘ oder ‚Beamtinnen‘, 86-mal das Wort ‚Landrätin‘ oder ‚Landrätinnen‘.“ Dass die Doppelnennungen dem Genderverbot widersprechen, negiert das Innenministerium. Beim Genderverbot gehe es um das Verbot von Sonderzeichen, geschlechtsneutrale oder paarweise Formulierungen seien erwünscht. „Rechts- und Verwaltungsvorschriften müssten laut Ministerium so formuliert werden, dass sie jedes Geschlecht in gleicher Weise ansprechen, dabei aber jede sprachliche Künstlichkeit oder spracherzieherische Tendenz vermeiden.“ (focus.de)


3. Sprachspiele: Unser Deutsch

Remigration

Dieses ‚Unwort des Jahres 2023‘ hat eine wechselvolle Geschichte. Seit den 50er Jahren bezeichnete es die ‚Rückkehr von Migranten in ihr Heimatland‘. Debattiert wurde, wie man die Auswanderer aus der Nazizeit und kurz nach dem Zusammenbruch wieder nach Deutschland locken könnte. Politiker, Schriftsteller, Film- und Theaterleute, viele Künstler standen vor der Frage: zurück ins zerstörte Deutschland oder bleiben, wohin die Flucht sie geführt hatte. Bert Brecht entschied sich für die DDR, Willy Brandt für die Bundesrepublik, Thomas Mann zog in die Schweiz. Vielen Rückkehrern gelang es nicht, in ihr Leben vor dem Krieg zurückzukehren. Remigration war damals ein eingeführter wissenschaftlicher Begriff, umgangssprachlich und im politischen Diskurs eher positiv besetzt.

Völlig anders die neuere Bedeutung, welche die AfD geprägt hat: Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache definiert: ‚systematische Deportation von Menschen mit Migrationshintergrund‘. Nicht freiwillig, sondern erzwungen. Das ist der elementare Unterschied. Außerdem sträuben sich die Heimatländer oft, ihre Landsleute wieder aufzunehmen. In Deutschland war es umgekehrt, die ehemaligen Migranten wurden um Rückkehr gebeten. Die Vermengung der beiden höchst unterschiedlichen Formen einer Rückwanderung unter dem Begriff Remigration ist eine Beleidigung der Flüchtlinge aus der Nazizeit. Darum muss man seine Benutzung heute ablehnen. Sie ist eine tückische Verschleierung.

Allerdings ist Abschiebung auch nichts Besseres. Hat irgendjemand Verständnis dafür, dass ein junger Bäckerlehrling, der sich gerade in unsere Arbeitswelt integriert, zwangsweise in das Land zurückgeschafft wird, das er vor Jahren verlassen hat? Ausweisungen können das Migrationsproblem nicht lösen. Auch nicht die Debatte um ihre Benennung. Der Angelpunkt ist ein anderer: Wie lässt sich Asylmissbrauch verhindern, aber erwünschte Einwanderung fördern?

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an:horst.munske@fau.de.


4. Kultur

Druckkunst in Ratingen

Zum Tag der Druckkunst am kommenden Freitag (15. März) gibt es bundesweit mehrere Veranstaltungen. Neu dabei als Veranstaltungsort ist das Oberschlesische Landesmuseum in Ratingen. Bei verschiedenen Mitmachaktionen können sich Besucher als Druckkünstler versuchen. Egal ob einfaches Stempeln oder neueste Techniken, das Museum bietet diverse Möglichkeiten des künstlerischen Ausdrucks an. So können eigenes Geschenkpapier bedruckt oder Lesezeichen gestaltet werden. Außerdem gibt es einen Vortrag zu Drucktechniken. (supertipp-online.de)


Leise, aber nicht stumm

Der deutsche Filmregisseur Veit Helmer stellt seinen neuesten Spielfilm „Gondola“ in Frankfurt vor. Helmer verfolge eine besondere Art des Filmemachens, berichtet die Frankfurter Neue Presse, denn er produziert seine Filme komplett ohne Dialoge. Helmer erklärt hierfür, dass Kino durch Bilder erzeugt werde und Sprache Kino eben „klein“ mache. Deshalb lege er bei seinen Filmen Wert auf das visuelle Erzählen. Die Filme Helmers kommen zwar ohne Sprache aus, seien jedoch keine Stummfilme. Die Erzähl- und Handlungsstruktur des Films würde durch das Fehlen der Sprache beeinflusst und Helmer berichtet, dass man dadurch zwar vor gewisse Probleme gestellt werde, es jedoch an ihm als Regisseur liege, dafür die Lösungen zu finden. (fnp.de)


Fiktive Wüstensprache

Der zweite Teil des Science-Fiction-Films „Dune“ – er beruht auf Frank Herberts Buchreihe „Der Wüstenplanet“ – läuft zurzeit in den Kinos. Das einheimische Volk der „Fremen“ auf dem Wüstenplaneten „Arrakis“ spricht eine eigene Sprache, die erst in der Verfilmung deutlich wird. Der Regisseur Denis Villeneuve erläutert in einem Interview, dass die Sprache bereits in den 1960er Jahren vom Autor erfunden wurde, diese jedoch im Film eine größere Rolle spiele. Die Sprache beinhalte eine eigene innere Logik und Poesie. So könne man den Satz „du bist verrückt“ in der Sprache der „Fremen“ als „du trinkst Sand“ übersetzen. Denn die Lebensumstände des Wüstenvolks prägen auch die fiktive Sprache. Die Sprache der „Fremen“ namens „Chakobsa“ gründe auf dem Arabischen, während die offizielle Sprache des im Film herrschenden Imperiums namens „Galach“ auf Englisch sowie auf slawischen Sprachen gründe. (netzwelt.de)


5. Berichte

Vorstandsmitglied Bönisch in Schleiz

„Streitfall Gendersprache“ lautete der Vortrag von Vorstandsmitglied Jörg Bönisch am vergangenen Donnerstag in Schleiz. 22 Zuhörer kamen zu der Veranstaltung der VDS-Regionalgruppe im Postleitzahlenbereich 07.


Tag der deutschen Sprache in Benin

Gedichte, Lieder und ganz viel Spaß an der deutschen Sprache! Die VDS-Regionalgruppe in Benin hat beim 1. Deutsch-Sprachtag in Banikoara gezeigt, wie man junge Menschen motivieren kann, Deutsch zu lernen. (facebook.com/VDS-Benin)


Buchvorstellung „Salz & Eisen“

Die Glocke hat mit dem Autor Horst Hensel über sein Buch „Salz & Eisen“ gesprochen, das im IFB-Verlag erschienen ist. Hensel greift in seinem Roman den Ruhrkampf von 1920 auf, der heute nahezu vergessen ist. Damals gingen als Reaktion auf den Kapp-Putsch in Berlin zwölf Millionen Menschen in den Generalstreik, im Ruhrgebiet formierten sich Truppen, um die Regierung zu unterstützen – als sie jedoch ihrerseits Reformen verlangten, schickte die Regierung, die gerade noch von ihnen gerettet worden war, zu ihrer Unterwerfung Truppen. Es kam zu Kämpfen und Erschießungen. 2008 hat Hensel mit den Arbeiten zu seinem Buch begonnen, „eine Heldengeschichte ist dabei nicht entstanden“, sagt er. Seine Protagonisten sind nicht nur die Menschen in den Schaltzentralen der Macht, sondern vor allem die einfachen Leute auf den Zechen und in den Wirtshäusern der Städte, die sich zusammentun, um die noch junge Republik zu retten. (die-glocke.de)


6. Denglisch

Im Offiziers-Denglisch kennt man das Qcen

Bei der deutschen Luftwaffe wird Denglisch gesprochen – das ist ein weiterer Schluss aus dem Abhör-Skandal zum Taurus-Marschflugkörper. Es wimmelt „von englischen Wörtern und Phrasen“, schreibt die WELT, „wohl gewachsen aus Auslandseinsätzen und der Sprache des internationalen Flugverkehrs“. Dieses Kauderwelsch sorgte in der internationalen Berichterstattung für handfeste Missverständnisse. So verstanden englische Medien den in dem Gespräch geäußerten Satz: „Ich weiß, wie die Engländer das machen, die machen das komplett im reachback“ völlig falsch, nämlich: „Sie transportieren sie (die Marschflugkörper) immer in gepanzerten Ridgeback-Fahrzeugen“. Oder bei der Aussage „sie QCen auch die Ukrainer beim Beladen des Scalp“ hörten die Briten, dass französische Scalp-Marschflugkörper mit einem Audi Q7 in die Ukraine gebracht würden. Dabei meinte der deutsche Offizier mit „Qcen“ (gesprochen: kjußen) eine Umschreibung für Qualitätskontrolle. Wenn so die sprachlichen Voraussetzungen für multinationale Verteidigung aussehen, kann es heiter werden. (welt.de)


7. Kommentar

Künstliche Intelligenz auf schiefer Bahn

In Natürlich intelligent, dem KI-Newsletter von Zeit online, beleuchtet Marie Kilg die Versteckspiele der Großen in der KI-Branche (Elon Musk, Open AI, Google, Microsoft). Ursprünglich war man sich dort einig, dass Künstliche Allgemeinintelligenz (englisch Artificial General Intelligence = AGI) zum Wohle der Menschheit, nicht einzelner Unternehmen, zu entwickeln sei. Wegen ihres Gefahrenpotenzials ein löblicher Gedanke, aber das Klima ist offenbar umgeschlagen. Kilg berichtet, dass auch OpenAI und Google immer wieder Forschungsberichte veröffentlichen, die diese Bezeichnung nicht verdient hätten. Sie hielten Datengrundlagen und wichtige Spezifikationen ihrer Modelle zurück, protzten mit Autorenlisten und Fachbegriffen, „um darüber hinwegzutäuschen, dass es eigentlich vor allem PR-Mitteilungen sind“, sagt Kilg. Die Geheimhaltung werde in branchenüblicher Blasensprache damit begründet, dass es zu gefährlich sei, alle Details ihrer Modelle zu veröffentlichen. So aber könne keiner die Schlüsse der Entwickler in den Unternehmen analysieren, auch nicht das kokette Geständnis, KI sei ja „überhaupt übermenschlich oder gefährlich.“

So komme ein unwissenschaftlicher Zirkelschluss zustande, wendet Kilg ein. Naive Investoren könne man damit anlocken, aber für sichere KI-Forschung wäre nur wirkliche Offenheit von Vorteil: „Die Offenheit, die sich die OpenAI-Gründer in den Namen geschrieben haben.“ Aber die konnten oder wollten sie nie wahr machen, schließt Kilg. Das Schlimmste stehe uns erst noch bevor, zitiert der Spiegel Oren Etzioni, emeritierter KI-Professor an der University of Washington. Aus seiner Sicht handeln die Techkonzerne unverantwortlich. Während sie auf der Münchener Sicherheitskonferenz Besserung geloben, lobbyieren sie zur gleichen Zeit – mit Verweis auf die Meinungsfreiheit! – in Washington und Brüssel für weniger Moderation und weniger Inhaltskontrolle auf ihren Plattformen.

Das Ausmaß des Problems wird weithin unterschätzt. Wer einer Falschinformation glaubt, lässt sich bekanntlich nicht umstimmen, nachdem er auf Fehler und ihre Korrektur hingewiesen wird. Gerade Verschwörungsmystiker „glauben, sie seien die letzten wirklich korrekt informierten Menschen im Universum. Da müssen wir viel früher ansetzen, beim System dahinter“, sagt Yasmin Green von der google-internen Jigsaw-Einheit zur Bekämpfung von Falschinformationen. Maßgeblich für Sprachfreunde wird sein, dass man mit Nutzen und Gefahren zumindest der generativen Intelligenz vertraut wird. Das ist jener Teilbereich der KI, in dem schon jetzt die Anfertigung von Falschmeldungen (geschrieben, gesprochen, gefilmt) besonders effizient gelingt. Im Wahljahr 2024 finden jedenfalls Orgien der unentdeckten Fälscherei statt. (Oliver Baer) (zeit.de (Aboschranke), spiegel.de (Bezahlschranke))


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs

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