Infobrief vom 1. August 2025: Mehrsprachigkeit in NRW

1. Presseschau

Mehrsprachigkeit in NRW

Laut dem Mikrozensus 2024 sprechen vier von fünf Menschen mit Migrationshintergrund in Nordrhein-Westfalen zu Hause Deutsch. 54,8 Prozent der Befragten nutzen mehrere Sprachen im Alltag, während 18 Prozent ausschließlich ihre Herkunftssprache sprechen. Mehr als ein Viertel verständigt sich ausschließlich auf Deutsch.

Sprachlich zeigt sich zudem ein Generationenwandel. Personen, die nach 1955 nach Deutschland eingewandert sind, sprechen zu Hause seltener Deutsch als ihre direkten Nachkommen. Nur fünf  Prozent der Nachkommen von Einwanderern verzichten zu Hause ganz auf Deutsch.

Tayfun Keltek vom Landesintegrationsrat kritisiert, dass Deutschland die sprachlichen Ressourcen dieser Familien kaum fördere. Mehrsprachigkeit werde häufig nicht wertgeschätzt, besonders dann, wenn es sich nicht um „prestigeträchtige“ Sprachen handle. Dabei könne die Einbindung der Muttersprache Kindern beim Deutschlernen erheblich helfen. (rp-online.de)


Sprachveränderung durch KI

Künstliche Intelligenz (KI) verändert unsere Sprache. Hiromu Yakura, Levin Brinkmann und Ezequiel Lopez-Lopez, Forscher des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, haben 360.000 YouTube-Videos und rund 770.000 Podcast-Episoden aus der Zeit vor und nach ChatGPT untersucht. Sie wollten wissen, wie häufig die Wörter „delve“, „examine“ oder „explore“ vorkommen. Der Ausdruck „delve into“ („etwas vertiefen“) werde von der KI gerne genutzt, so Yakura, und auch er selbst stelle an sich fest, dass er den Ausdruck häufiger nutze, sowohl schriftlich als auch mündlich. Bei weiteren Untersuchungen zeigte sich, dass die Nutzung jährlich um 50 Prozent gestiegen sei, seit ChatGPT öffentlich zugänglich ist. Ähnlich verhalte es sich mit anderen Wörtern in wissenschaftlichen Arbeiten. Die KI speise sich selbst mit immer mehr Begriffen und solche, die verstärkt vorkämen, gebe sie auch verstärkt weiter – und das schlage sich dann auch im Sprachverhalten von uns Menschen nieder. Im Gegensatz zur Sprachveränderung, die durch die traditionellen Massenmedien passiert, gehe KI aber subtiler vor, weil sie neue Begriffe natürlicher wirken lässt. Das impliziere die Möglichkeit, „dass fremde und uns möglicherweise feindlich gesonnene Institutionen Sprachmodelle absichtlich manipulieren und damit den Sprachgebrauch der Weltbevölkerung und so vielleicht auch den öffentlichen Diskurs steuern können“, so Yakura. (zeit.de (Bezahlschranke))


Jugendwort 2025 gesucht

So, ihr Boomer! Lasst mal die crazy Jugend ran! Die Wahl des Jugendworts steht wieder an. Unter anderem stehen ‚Sybau‘, ‚tuff‘ und ‚goonen‘ zur Auswahl. ‚Sybau‘ steht für ‚Shut your bitch ass up‘ und ist die jugendliche Version von ‚Halt die Fresse‘, es findet sich oft in Kommentarspalten in den Sozialen Medien. ‚Tuff‘ ist das neue ‚cool‘, und ‚goonen‘ ist laut Langenscheidt-Verlag ein Slangbegriff für Selbstbefriedigung. Der Verlag hat jetzt die zehn Favoriten der Jugendlichen zur Auswahl gestellt, ab dem 9. September darf man dann unter den besten drei Vorschlägen das endgültige Jugendwort wählen, das am 18. Oktober verkündet wird. (deutschlandfunk.de, langenscheidt.com)


Deutschlehrerkongress in Lübeck

In Lübeck fand in dieser Woche die Internationale Deutschlehrertagung (IDT) statt. Im Rahmen der fünftägigen Veranstaltung wurden aktuelle Themen des „Deutsch als Fremdsprache“-Unterrichts (DaF) diskutiert, aktuelle Methoden und Erfahrungen untereinander ausgetauscht und neue Entwicklungen in der Sprachforschung vorgestellt. Über 2.500 Lehrer aus rund 100 Ländern seien hierfür angereist. Die Tagung, organisiert von der Deutschen Auslandsgesellschaft, betont die wachsende Bedeutung der deutschen Sprache im globalen Kontext. Johannes Ebert vom Goethe-Institut hebt hervor, dass besonders in Ländern wie Ägypten, Kolumbien oder Kenia das Interesse an Deutsch steige, nicht zuletzt, weil Deutschland als attraktives Arbeitsland gelte. Das Motto der IDT in diesem Jahr lautete „Vielfalt wagen – mit Deutsch“. (ndr.de)


2. Gendersprache

Gerichte gegen Gendern

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat entschieden, dass das generische Maskulinum ausreicht, um geschlechtergerecht zu kommunizieren. In einem Beschluss des Gerichts heißt es, die Bezeichnung „Geschäftsführung“ entspreche nicht den gesetzlichen Vorgaben und sei irreführend, denn sie suggeriere, dass auch eine Gruppe ermächtigt sei, die entsprechenden Aufgaben durchzuführen, keine Einzelperson. Auch eine Doppelnennung sei unnötig, so das OLG: „Bereits der verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz in Art. 3 Abs. 2 GG und das grundgesetzlich verankerte Diskriminierungsverbot in Art. 3 Abs. 3 GG stellen sicher, dass das Wort ‚Geschäftsführer’ vom Registergericht nicht geschlechtsbezogen verstanden und angewendet werden darf.“

„Der Wind dreht sich“, sagt Prof. Walter Krämer, Vorsitzender des Vereins Deutsche Sprache (VDS), „die Gerichte in Deutschland merken jetzt endlich auch, was der Bürger schon längst wusste: Die deutsche Sprache muss nicht ideologisch umgekrempelt werden, um alle Menschen anzusprechen. Wer geschlechtergerecht kommunizieren will, findet im Grundgesetz und in der deutschen Sprache alle nötigen Mittel dafür bereits vor.“

Erst kürzlich hatte sich auch das OLG Naumburg (Sachsen-Anhalt) gegen das Gendern ausgesprochen, und auch die Volksanwaltschaft Österreich (ein parlamentarischer Ombudsrat zur Kontrolle der öffentlichen Verwaltung) hat eine private Hochschule kritisiert, die einer Studentin eine schlechtere Note gab, weil sie das generische Maskulinum in einer schriftlichen Arbeit nutzte. (rsw.beck.de, bild.de, vds-ev.de, faz.net)

Ehemaliger Rektor meldet sich zu Wort

Die Bürgerschaft der Kreisstadt Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern hat vor einigen Monaten das Gendern in offiziellen Dokumenten und Briefen untersagt. Seither wird eine Auseinandersetzung mit der Rektorin der Universität Greifswald, Katharina Riedel, geführt. Für Riedel sei das Gendern ein Ausdruck von inklusiver Sprache und ebenso wichtig für eine weltoffene Universität. Nun meldet sich der ehemalige Rektor (1994-2000) Jürgen Kohler ebenfalls zu Wort. Er halte das Gendern für „einen unnötig komplizierenden Irrtum.“ Menschen, die das Gendern befürworteten, hätten die Eigenarten der deutschen Grammatik falsch verstanden, erklärt er. Das grammatische Geschlecht sei nicht mit dem biologischen Geschlecht gleichzusetzen. Begriffe wie „die Geisel“ oder „die Magnifizenz“ zeigen, dass die Artikelwahl keine Aussage über das Geschlecht mache. Den Genderstern halte Kohler zudem für männerdiskriminierend. Der Stern bilde feminine Wortformen (Student*innen) und sei sprachlich inkonsequent. Wer wirklich inklusiv sein wolle, müsse weiter differenzieren (Student*inn*en), was die Sprache jedoch zusätzlich verkompliziere. (ostsee-zeitung.de (Bezahlschranke))


3. Kultur

Jiddisch erforscht

„Abzocken“, „Reibach“ oder „zappenduster“ – viele Wörter im Deutschen haben ihren Ursprung im Jiddischen. Einst war es die Sprache der Ostjuden, mit einer tausendjährigen Tradition, die sich über die Jahrhunderte mit der Migration ihrer Sprecher immer weiter nach Westen ausgebreitet hat. Heute wird es kaum noch gesprochen, einfach weil viele ihrer Sprecher vom Nationalsozialismus ermordet worden sind und die nachfolgenden Generationen lieber zum traditionellen Hebräisch übergingen. Dennoch sind in der Zeit des aktiven Jiddisch-Sprechens viele Werke entstanden, die jetzt neu untersucht werden. Eine zehnbändige Reihe dokumentiert die Vielfalt der Jiddistik. Mehrere Forscher präsentieren ihre Arbeiten auf verschiedenen Gebieten, zum Beispiel der Sprachwissenschaft, der modernen Literatur sowie der Kultur und Politik. Auch Klezmermusik und jüdische Witze werden beleuchtet. Viele der Beiträge sind eher an ein Fachpublikum gerichtet, das gewisse Hintergrundkenntnisse mitbringt, einige Beiträge eignen sich aber auch für ungeübte Jiddisch-Interessierte. (welt.de)

Jiddistik. Edition & Forschung. 10 Bände. Herausgegeben von Efrat Gal-Ed, Roland Gruschka und Simon Neuberg. De Gruyter, pro Band 39,95 Euro.


Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen

Der Historiker und Publizist Karl Schlögel erhält den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Ausgezeichnet wird seine sprachlich präzise und eindringliche Art, osteuropäische Geschichte zu erzählen. Schlögel verbinde Empirie mit persönlichem Erleben und forme daraus eine literarische Geschichtsschreibung. Bereits 2004 wurde er von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung für sein sprachliches Werk geehrt. Der Friedenspreis wird seit 1950 vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels an Persönlichkeiten, die in Literatur, Wissenschaft oder Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beitragen, verliehen. Der Preis ist mit 25.000 Euro dotiert. Die Verleihung findet traditionell am letzten Tag der Frankfurter Buchmesse statt. (hessenschau.de)


4. Berichte

Kino im Sprachhof: Die Vermessung der Welt

Auf dem Sprachhof (Hohes Feld 6 in Kamen-Wasserkurl) gibt es am 8. August 2025 ein neues Veranstaltungsformat: „Kino im Sprachhof“. Gezeigt wird der Film „Die Vermessung der Welt“ (2012, Regie: Detlev Buck). Darin entdecken die Wissenschaftler Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß die Besonderheiten der Welt. Für beide stellt sich die Frage: Wie benennen wir eigentlich das, was wir dort erstmalig sehen? Der Film basiert auf dem Roman von Daniel Kehlmann aus dem Jahr 2005 und erkundet, wie sich Erkenntnis in Sprache und Begriffe fassen lässt.

Die Vorführung findet im Freien statt (bei schlechtem Wetter drinnen). Sie ist öffentlich und der Eintritt ist frei, Getränke kann man kaufen (dürfen aber auch mitgebracht werden).


5. Denglisch

Kein Englisch, keine Bedienung

Anne Vorbringer und Marcus Weingärtner von der Berliner Zeitung haben einiges an der Berliner Gastronomie zu bemängeln. Nicht nur die gestiegenen Preise, das überforderte Servicepersonal und die unruhige Atmosphäre in den zumeist überbesuchten Lokalen mache den Gästen zu schaffen, sondern auch die Sprache der Kellner stoße zunehmend auf Unverständnis unter den Gästen. Die beiden Redakteure erklären, dass in vielen Cafés und Bars auf Englisch bestellt werden müsse, damit die Kellner einen verstehen. Insbesondere in den Stadtteilen Neukölln, Kreuzberg und Mitte sei die „Amtssprache Englisch“ anzutreffen. Diese Entwicklung liege nicht nur am Tourismus, sondern auch an der gestiegenen Zahl der Expats, also Personen, die vorübergehend oder auch dauerhaft im Ausland arbeiten. Wer sich nicht anpasst, gelte als „engstirniger Provinzheini“. Vorbringer und Weingärtner bezeichnen diese Entwicklung als ein „merkwürdiges Verständnis von Service“. (berliner-zeitung.de (Bezahlschranke))


6. Soziale Medien

Notärzt:in

Der X-Nutzer @VerlorenesEcho postete diese Woche ein Foto von der Rückansicht zweier Rettungsfahrzeuge. Dort zu lesen war „Notärzt:in“. Die Kommentare darunter waren zumeist kopfschüttelnd: „Ist es nicht völlig egal, wer oder was in dem Auto sitzt, um mir helfen zu kommen? Totaler Schwachsinn.“ schrieb @ishak_coding. (x.com/verlorenesecho)


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten zu verschiedenen Sprachthemen. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion wider.

Redaktion: Asma Loukili, Dorota Wilke, Stephanie Zabel

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