1. Presseschau
Berliner Streit um den U-Bahnhof Mohrenstraße
Die Berliner streiten, wie der U-Bahnhof Mohrenstraße im Stadtteil Mitte künftig heißen soll. Das Wort Mohr sei eine „altmodische rassistische Bezeichnung für Menschen dunkler Hautfarbe‟, so die Befürworter der Umbenennung, die von den Grünen im Berliner Senat unterstützt werden. Deren Gegner bezweifeln, dass das Verschweigen des Wortes Mohr (zur Bezeichnung eines dunkelhäutigen Menschen) und seiner geschichtlichen Bezüge ein Beitrag im Kampf gegen Rassismus sein kann. Außerdem bleibt abzuwarten, ob die Botschaft von Mauretanien (im Berliner Stadteil Dahlem) ihren Namen behalten darf, denn der Name des Landes leitet sich, genauso wie Mohr, vom lateinischen maurus ab.
Eine kürzlich eingerichtete Online-Petition will den Mohren im Namen retten. Seine Abschaffung bedeute „eine Diskriminierung dieser für die Stadtgeschichte Berlins wichtigen Persönlichkeiten und eine Vernichtung der Lesbarkeit von Stadtgeschichte‟.
Aber nicht nur über den Mohren streiten die Berliner. Der besagte U-Bahnhof soll laut Berliner Verkehrsbetriebe in Glinkastraße umgetauft werden – nach dem russischen Komponisten Michail Iwanowitsch Glinka, der bis zu seinem Tod 1857 in Berlin gelebt hat. Allerdings werden Glinka nationalistische und antisemitische Positionen nachgesagt. Die Berliner Verkehrsbetriebe wollen ihre Entscheidung überprüfen. (morgenpost.de, change.org)
Kritik an menschenfeindlicher Sprache der FPÖ
Nach einer Äußerung von Michael Schnedlitz, dem Generalsekretär der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), hagelt es von allen Seiten heftige Kritik. Schnedlitz hatte die FPÖ als „Unkrautbekämpfungsmittel“ gegen Zuwanderung bezeichnet. Das Problem müsse bei der Wurzel gepackt werden – so wie man auch Unkraut an der Wurzel herauszieht. Die Wurzel sei in diesem Fall die ungezügelte Zuwanderung. Sowohl die SPÖ als auch die Grünen und die Partei Neos kritisierten Schnedlitz scharf und forderten seinen Rücktritt. Menschen mit Unkraut zu vergleichen stehe in der Tradition einer nationalsozialistischen Rhetorik und Politik, und sei auf das Schärfste zurückzuweisen, so Eva Blimlinger von den Grünen. Auch Christian Deutsch von der SPÖ sieht in den Äußerungen nichts anderes als „eine indirekte Massenmord-Drohung“. Es sei „Nazi-Sprache, abstoßend und widerwärtig“. Diese „menschenverachtende Sprache von Unkraut und Vernichtung“, bestätigt auch NEOS-Generalsekretär Nick Donig, habe in unserer Gesellschaft und in der Politik nichts verloren. (tt.com, diepresse.com)
Justizministerium Sachsen will geschlechtergerechter sprechen
Sachsen will demnächst in Gesetzen und Rechtsverordnungen nicht mehr nur die unbestimmte, maskuline Version verwenden, sondern Regeln der Gendersprache einsetzen. Damit setzt die schwarz-grün-rote Regierung ein Anliegen aus dem Koalitionsvertrag um. „Die Sprache unserer Gesetze ist immer noch von einer Zeit geprägt, in der Frauen und Männer nicht dieselben Rechte hatten. Es ist mir deshalb ein besonderes Anliegen, dass die Gleichberechtigung von Frau und Mann endlich auch sprachlich zum Ausdruck kommt“, erklärte Justizministerin Katja Meier (Grüne). Wie genau diese Umsetzung sich sprachlich zeigen will, soll erst noch geklärt werden. Der VDS kritisierte diesen Beschluss. „Dass ein Justizministerium sich über die Regeln der amtlichen Rechtschreibung hinwegsetzt, ist schon ein starkes Stück“, sagt der VDS-Vorsitzende Walter Krämer. Wer die Sprache so entstellen muss, sei weit von der Lösung echter Geschlechterprobleme entfernt. (sueddeutsche.de, vds-ev.de)
Sprache ohne Rassismus
Wie sprechen wir von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe und Abstammung, ohne sie rassistisch zu diskriminieren? Die Bezeichnungen verändern sich mit der Zeit: schwarz, afrodeutsch, Migrationshintergrund, Kanake, Ausländer – manche Ausdrücke werden akzeptiert, andere als diskriminierend empfunden. Oft geht Unsicherheit mit der Nutzung dieser Begriffe einher, weil nicht klar ist, was die so Bezeichneten als respektvoll empfinden. Eine aktuelle Reihe von Deutschlandfunk Kultur greift dieses Problem auf und interviewt Betroffene. Neun Personen kommen zu Wort, die Beiträge gibt es jeweils als Audiodatei zu hören, sowie auch in schriftlicher Form zusammengefasst. Eine Übersicht über die einzelnen Beiträge gibt es hier: Wortewandel – Sprache ohne Rassismus. (deutschlandfunkkultur.de)
Schnutenpulli ist das plattdeutsche Wort des Jahres
Nicht Mundschutz oder Mund-Nasen-Maske – Schnutenpulli wird das derzeit modisch angesagte Stück Stoff im Norden Deutschlands auf Platt genannt. Es hat sich so stark eingebürgert, dass eine Jury des Fritz-Reuter-Literaturmuseums in Stavenhagen es aus einer Vielzahl von Einsendungen zum plattdeutschen Wort des Jahres bestimmt hat, und das in gleich drei Kategorien. Seit 1995 führt das Museum diesen Wettbewerb durch, um Platt verstärkt in die Öffentlichkeit zu bringen. (ndr.de)
2. Unser Deutsch
Vergehen und Verbrechen
Was ist der Unterschied von Vergehen und Verbrechen? Welche Bedeutung hat er in der Rechtsprechung? Die jüngsten Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern und die geringe Bestrafung von Tätern haben die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Warum laufen verurteilte Täter frei herum („auf Bewährung“) und können ihr fürchterliches Unwesen fortsetzen? Die Antwort führt ins Strafgesetzbuch (StGB), zur geltenden strafrechtlichen Bewertung solcher Taten. Teils werden sie als Vergehen („minderschwere Straftat“),teils als Verbrechen („schwere Straftat“) eingestuft. Der Unterschied ist ganz erheblich. Denn Vergehen werdennur mit Geldstrafe oder geringerer Freiheitsstrafe geahndet, sie werden in der Regel vor einem Amtsgericht verhandelt, oft wird Bewährung ausgesprochen, auch mehrfach; anderes gilt bei Verbrechen: Die Mindeststrafe ist ein Jahr Gefängnis, in Österreich und der Schweiz sogar drei Jahre. Es geht um Mord und Totschlag, aber auch um schweren sexuellen Missbrauch. Bisher wurden offenbar viele Missbrauchsdelikte, auch die Verbreitung im Internet, nur als Vergehen geahndet. Sie sind Verbrechen, das muss die Gesetzgebung korrigieren.
Was ist der historische Hintergrund? Die Zweiteilung von Straftaten hat eine lange Geschichte. Schon das mittelalterliche Recht unterschied causae majores, welche ‚peinliche Strafen an Hals und Hand‘ auslösten, von causae minores, auch Frevel genannt, die ‚nichtpeinliche Strafen an Haut und Haar‘ zur Folge hatten. Im 19. Jahrhundert setzt sich in den Strafgesetzen die Zweiteilung mit den Ausdrücken Vergehen und Verbrechen durch, heute § 12 StGB. Es ist vor allem der unterschiedliche Strafrahmen, welcher sie fundamental unterscheidet.
Allerdings in komplizierter Weise: Auf Vergehen steht Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis fünf Jahre (zum Beispiel bei Diebstahl oder Körperverletzung), auf Verbrechen (zum Beispiel Totschlag oder Mord) immer Gefängnis. Die strafrechtliche Differenzierung ist dem normalen Sprachbenutzer selten bekannt. Die Gemeinsprache hebt nur Verbrechen als ‚schwere Straftat‘ ab, spricht von ‚brutalem, gemeinem, scheußlichem Verbrechen‘, wohingegen Vergehen nur als ‚Verstoß gegen ein Gesetz, eine Norm‘ gelten. Dies steckt schon in der Bildung der beiden Wörter, die ursprünglich substantivierte Infinitive waren: Das Verb verbrechen hatte mittelhochdeutsch noch die Bedeutung ‚etwas zerbrechen, zerstören‘, das Substantiv markiert den elementaren Bruch der Rechtsordnung; vergehen dagegen ist eher ein ‚Verirren, ein Verlaufen in der Rechtsordnung‘.
Zusammenfassend ist festzuhalten: Rechtssprache und Gemeinsprache gehen oft sehr verschiedene Wege. Die Jurisprudenz verwendet die Wörter Vergehen und Verbrechen als Kernbegriffe des Strafrechts. Sie führen zur Kategorisierung von Art und Höhe der Bestrafung (Geldstrafe/Freiheitsentzug) und gerichtlicher Zuständigkeit. Das wird von dem gemeinsprachlichen Gebrauch der beiden Wörter nur ganz oberflächlich abgebildet. Die aktuelle Debatte zeigt: Was wir in der Gemeinsprache als Verbrechen bezeichnen, muss auch in der Rechtsprechung als Verbrechen geahndet werden.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de
3. Kultur
Schottisch-gälische Sprache bedroht
Bereits vor Ende dieses Jahrzehnts könnte die schottisch-gälische Sprache vollständig verschwunden sein. Das stellt eine Studie fest, die aus der Zusammenarbeit eines gälischen Forschungsspezialisten mit dem Institut für Sprachwissenschaften der University of Highlands and Islands hervorgegangen ist. Aktuell werde die Sprache nur noch von knapp 11.000 Menschen in Teilen Schottlands gesprochen. Die Mehrheit davon sei über 50 Jahre alt. Die schottische Regierung hatte bereits 2007 einen Plan veröffentlicht, der empfahl, die schottisch-gälische Sprache privat sowie beruflich wieder mehr zu gebrauchen. Gerade jungen Leuten fehle oft der Zugang zu dieser Sprache, deshalb bestehe nach wie vor die Möglichkeit, Schottisch-Gälisch in der Schule zu erlernen. Den Forschern zufolge reiche das jedoch nicht aus – es müsse noch mehr unternommen werden, um die schottisch-gälische Sprache zu retten. (nau.ch)
Georg-Büchner Preis geht an Elke Erb
„Eine prozessuale und erforschende Schreibweise, in deren Verlauf die Sprache zugleich Gegenstand und Mittel der Untersuchung ist“ – so beschreibt die Jury das Lebenswerk von Elke Erb. Sie ist die Preisträgerin des diesjährigen Georg-Büchner-Preises. Erb gelinge es wie keiner anderen, die Freiheit und Wendigkeit der Gedanken in der Sprache zu verwirklichen, indem sie sie herausfordere, auslockere und präzisiere. Die mittlerweile 82 Jahre alte Schriftstellerin studierte unter anderem Germanistik und arbeitete in jüngeren Jahren als Lektorin beim Mitteldeutschen Verlag. Später wurde sie freie Schriftstellerin, schrieb Lyrik sowie Kurzprosa, und übersetzte zahlreiche russische Romane und Gedichte ins Deutsche. Der Georg-Büchner-Preis wird seit 1951 an deutschsprachige Schriftsteller verliehen, die „durch ihre Arbeiten und Werke in besonderem Maße hervortreten“ und „an der Gestaltung des gegenwärtigen deutschen Kulturlebens wesentlichen Anteil haben“. Elke Erb ist die elfte Frau, die den Preis erhält. Die Preisverleihung wird voraussichtlich am 31. Oktober 2020 in Darmstadt stattfinden. (buecher.at, rbb24.de)
Schöne Wörter
Die Frankfurter Rundschau stellt einige Beispiele aus dem kürzlich erschienenen „Lexikon der schönen Wörter‟ (Verlag Piper) vor. Die Autoren Roland Kaehlbrandt und Walter Krämer haben eine Liste von 600 Wörtern aus der deutschen Sprache zusammengestellt, die bedroht, berührend, wunderlich oder „würzig“ sind, wie etwa „Wucht‟, „Abhandenkommen“ oder „zeitvergessen‟. Man liege nicht ganz falsch, wenn man hinter einer Vielzahl der Einträge das Anliegen einer Entschleunigung erkenne. (fr.de)
Schreib-Wettbewerb für Kinder
Das Deutsch-Amerikanische-Institut (DAI) Heidelberg fördert Kinder mit dem Schreibprogramm „HD Ink – Ideen aufs Papier“ – jetzt gibt es den Wettbewerb dazu. Mitmachen können Kinder von 8-18 Jahren, Einsendeschluss ist der 15. Juli 2020. Mehr Wettbewerbe für Kinder und Jugendliche finden Sie auch in unserer einschlägigen Arbeitsgruppe, die eine Liste mit Schreibwettbewerben für literarischen Nachwuchs im deutschsprachigen Raum bereitstellt. (dai-heidelberg.de, vds-ev.de)
4. Denglisch
Verwirrung auf dem Spielfeld
Im Fußball sind Anglizismen keine Seltenheit – Keeper, Referees und Pressing sind dafür nur einige wenige Beispiele. Verantwortlich sind dafür oft Journalisten, manchmal auch die Trainer. Julian Nagelsmann, der die Leipziger Mannschaft trainiert, sprach kürzlich davon, für die kommende Saison einen „Holding Sixer“ sowie einen „Box-To-Box-Player“ verpflichten zu wollen. Gemeint sind damit ein zentral defensiver Mittelfeldmann sowie ein offensiv orientierter Zentrumsspieler. Die englischen Begriffe sind zwar kürzer – aber verständlicher wäre es wohl, wenn man beim Deutschen bliebe. Weitergehend sprach Nagelsmann von „Gaps“ statt Lücken und davon, dass der Verein Vorgaben habe, was das „Financial Fairplay“ angehe. (fussball.news)
5. Termine
13. Juli, Region 06/39 (Halle/Magdeburg)
REDEZEIT – Treffen von Referenten und interessierten Sprachfreunden mit Vortrag
Thema: Sprache und Wirtschaft
Referent: Prof. Dr. Walter Krämer
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Leucorea, Collegienstr. 62, 06886 Lutherstadt Wittenberg
16. Juli, Region 28 (Bremen)
Treffen der Sprachfreunde Bremen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Luv, Schlachte 15, 28195 Bremen
IMPRESSUM
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.
Redaktion: Holger Klatte, Alina Letzel, Dorota Wilke
© Verein Deutsche Sprache e. V.