Infobrief vom 18. Juli 2020: „Kinder, schaut in ein Geschichtsbuch‟

1. Presseschau

„Kinder, schaut in ein Geschichtsbuch‟

Bild: RoonZ-nl | pixabay.com

Die Proteste gegen Rassismus nach dem Tod des US-Amerikaners George Floyd haben auch hierzulande eine Diskussion über rassistische Sprache, Begriffe aus der Kolonialzeit und „latenten Rassismus‟ bei der Polizei ausgelöst. Asfa-Wossen Asserate, Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie, sagt im Interview mit der NZZ, er käme nie auf die Idee, Deutschland als rassistischen Staat zu bezeichnen. Von den aktuellen Versuchen, durch die Änderung von Straßennamen oder die Ächtung von „Mohren-Apotheken‟ rassistisches Gedankengut zu verdrängen, hält seine kaiserliche Hoheit gar nichts. Dabei werde „Geschichte mit dem Vorschlaghammer‟ umgeschrieben. Asserate rät: „Kinder, schaut in ein Geschichtsbuch. Wir müssen mit unserer Geschichte auskommen und dafür Verantwortung tragen.‟

Er selbst möchte auch nicht als „Person of Colour‟ angesprochen werden. „Ich bin ein Deutscher. Meine Heimat ist Deutschland, und mein Vaterland ist Äthiopien‟, sagt Asserate. Diese Diskussion über richtige und falsche Begriffe sei hochneurotisch. „Wenn Sie Koslowski heißen, sagt niemand: „Das ist ein polnischer Deutscher.‟ (nzz.ch)


Welt-Emoji-Tag

Am 17. Juli ist Welt-Emoji-Tag. Mehr als 3300 der kleinen Symbole stehen mittlerweile zur Auswahl für die digitale Kommunikation. Sie sind so vielfältig, dass es für fast jeden Kontext ein passendes Emoji gibt. Richtig beliebt wurde die Nutzung erst im Laufe der vergangenen zwanzig Jahre – die ersten Anfänge liegen jedoch deutlich weiter zurück. „Ich schlage die folgende Zeichenfolge für Witz-Markierungen vor :-)“, empfahl 1982 der amerikanische Informatiker Scott Fahlman. Die New York Times kann mit noch älteren Funden dienen: 1862 druckte die Zeitung eine Rede des amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln ab und beschrieb die Reaktion des Publikums als „(applause and laughter ;)“ – ob es ein Tippfehler war, ist unklar. Am ältesten ist ein fast 4000 Jahre alter Tonkrug, auf dem Forscher eine verblichene Zeichnung von zwei Augen und einem lachenden Mund entdeckten.

„So wie wir mündlich mit Lautstärke, Tonlage und Geschwindigkeit einen bestimmten Gemütszustand vermitteln können, können wir das in der Schriftsprache mit Emojis“, erklärt Sprachwissenschaftler Florian Busch, der zum Emoji-Gebrauch unter Jugendlichen geforscht hat. Ihm zufolge sind Emojis eine Ergänzung unserer Schriftsprache und dienen als Interpretationsrahmen. Der Behauptung, Emojis würden unserem Sprachvermögen schaden, widerspricht Busch klar: Sie verursachten kein Weniger an Sprache, sondern sorgten für mehr sprachliche Variabilität und Schreibstile. Die traditionelle Schriftsprache werde dadurch nicht verlernt. (stuttgarter-nachrichten.de, welt.de, zeit.de)


Sprechpausen beim Deutschlandfunk

Eine „Attitüde medialer Erzieher-innen, belehrend und anmaßend‟ sieht Uwe Vorkötter, der Chefredakteur der Fachzeitschrift für Werbung „Horizont‟ beim gesprochenen Gendersternchen, das neuerdings im Deutschlandfunk zu hören ist: eine kurze Pause zwischen einer Personenenbezeichnung und ihrer femininen Endung: Bäcker[Pause]innen. Mit dieser Form stellt die Gendersprache eine neue Regel auf, die für das gesprochene Deutsch völlig unsystematisch ist und bereits jetzt zu Unklarheiten und Missverständnissen führt. „In jedem Fall geht es darum, das berüchtigte generische Maskulinum zu vermeiden, das in der Grammatik für (skandalöse?!) Ungleichheit sorgt‟, so Vorkötter. Leider mache das die Sätze umständlicher, langsame Redner klingen noch langatmiger als sonst. Man müsse Orwells „1984‟ daraufhin noch mal neu lesen. Das „Wahrheitsministerium‟ will in diesem Roman die Kommunikation von schädlichen Begriffen reinigen und führt eine ganz neue Sprache, den Newspeak, ein.

„Als beitragsfinanziertes öffentlich-rechtliches Programm sollte der Deutschlandfunk seinen Hörern in einer Sprache begegnen, die sie selbst auch sprechen‟, meint Vorkötter. (horizont.net)


Rechtstexte in Sachsen

Es ist schon ein paar Jahre her, dass der Jurist Paul Kirchhoff den Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache erhielt. In seiner Dankesrede sprach der frühere Verfassungsrichter von einem Auftrag an seinen Berufstand „das Recht möge im Bemühen um Sachlichkeit, Verläßlichkeit, Nachvollziehbarkeit nicht die Allgemeinverständlichkeit verlieren, nicht die werbende Kraft für Rechtsideale einbüßen, das Recht nicht in eine zu große Distanz zum Rechtsvolk bringen‟.

In Sachsen vergreifen sich Juristen aktuell an der Sprache in Gesetzen und Verordnungen. Diese sollen nach dem Willen der Justiz- und Gleichstellungsministerin Katja Meier gendersprachlich umformuliert werden. „Mit einer geschlechtergerechten Sprache wird eine andere Sicht auf die Welt geschaffen, in der Männer eben nicht nur die prototypische Erstbesetzung sind‟, so die Ministerin. Susanne Köhler, Chefin des Deutschen Juristinnenbundes in Sachsen wiederholt die oft gehörte Klage, wo nur die männliche Form verwendet wird sei „das ‚mit gemeint‘ doch diskriminierend.“ Oliver Baer vom VDS warnt im MDR davor, die Sprache zu verballhornen, zum Beispiel „was schon in Rechtstexten steht: Radfahrende und Autofahrende. Der Bürger empfindet das als lächerlich und das ist gefährlich. Denn an sich sollte er die Rechtstexte ernst nehmen und nicht darüber schmunzeln.‟ (mdr.de, kulturpreis-deutsche-sprache.de)


Studie: Affen könnten Grammatik lernen

Dass der Mensch einige Gemeinsamkeiten mit dem Affen hat, ist nichts Neues. Eine Studie hat nun festgestellt, dass Affen womöglich in der Lage wären, sich grammatische Strukturen anzueignen. Die Tiere haben wie Menschen eine Affinität für die sogenannte Rekursion – ein Prozess, der im Gehirn abläuft, wenn Wörter, Sätze oder Symbole einander zugeordnet und in eine Reihenfolge gebracht werden. Ein Beispiel für ein rekursives Muster ist die Nominalphrase „der Hund der Frau des Rentners“. Sie besteht aus einzelnen Nominalphrasen, die sich aufeinander beziehen und aneinandergereiht eine neue ergeben. 

In dem Experiment ging es um die Anordnung von Symbolen auf einem Bildschirm. Sowohl die Affen als auch die Menschen ordneten die Symbole in der Liste immer nach rekursiven Mustern an – laut den Forschern ist dies bemerkenswert, da es sich um komplexe Denkmuster handelt. „Unsere Daten suggerieren, dass Affen mit ausreichendem Training kognitiv in der Lage sind, einen rekursiven Prozess abzubilden“, so Sam Chayette, der an der Studie mitgewirkt hat. Diese Fähigkeit sei also „nicht so einzigartig menschlich wie bisher gedacht“. (dw.com)

2. Unser Deutsch

J-Wort und R-Wort II

Zu meiner Glosse J-Wort und R-Wort im Infobrief des VDS haben mir viele Leser geschrieben. Das veranlasst mich, die Frage des R-Wortes noch einmal aufzugreifen.

Natürlich gibt es den zoologischen Begriff Rasse, vor allem in der Züchtung. Darum geht es hier nicht. Bei genauerem Hinsehen erkennt man, es kommt darauf an, wer gegenüber wem das Wort gebraucht. Anstoß genommen hatte ich an der Bezeichnung jüdisches Mädchen für Anne Frank durch eine deutsche Nachrichtensprecherin. Hier ist die Erinnerung an die Deklassierung von Menschen als Juden durch die Nationalsozialisten, an ihre Entrechtung und systematische Vernichtung unausweichlich. Darum ist es geboten, solche missbrauchten Wörter in diesen Kontexten zu vermeiden. Auf der anderen Seite ist das Wort natürlich in vieler Hinsicht unentbehrlich: als historischer Begriff und auch, wenn es ein aktuelles Selbstverständnis zum Ausdruck bringt.

Ein Leser erinnert an eine Streitfrage des Mittelalters, die mit folgendem Spruch entschieden wurde: „Das Wort Hund beißt nicht.“ Dazu erwidere ich: Jude beleidigt, wenn es jene benennt, die selbst oder deren Angehörige Opfer gewesen sind. Denn der Missbrauch der Nazizeit klebt an dem Wort. Letztlich geht es um sorgsame Abwägung. Daran erinnert auch ein altes Sprichwort: „Im Hause des Gehängten spricht man nicht vom Strick.“

Und wie steht es mit Rasse? Die aktuelle Debatte um eine Änderung des Grundgesetzes zeigt vieles auf: die Verwendung des Wortes in zahlreichen deutschen und internationalen Gesetzen (stets zur Abwehr von Rassismus). Es scheint, als werde Rasse gleichsam immer mit Häkchen als ‚Rasse‘ gebraucht, womit früherer Missbrauch des Wortes aufgerufen wird. Immer geht es darum, Rassismus zu verbieten. Man kann den Schöpfern des Grundgesetzes nicht unterstellen, sie hätten nicht gewusst, wie dieses Wort benutzt wurde. Sie wählten es gerade deshalb, um sich von den Untaten zu distanzieren. Mit dem Hinweis auf Rasse ist im Grunde Rassismus gemeint. So ist es bisher auch stets verstanden worden. Es hat niemandem geschadet, eine Umformulierung würde niemandem nutzen.

Man muss auch eines bedenken: Das Grundgesetz ist ein historischer Text, er ist auch sprachlich der damaligen Situation geschuldet. Das ist bei seiner Deutung als Richtlinie der Gesetzgebung zu beachten. Solche Texte haben eine eigene Würde. Diese verbietet es, mit ihnen umzugehen wie mit irgendeinem Gesetz. Darum sind Änderungen am Grundgesetz an eine hohe parlamentarische Hürde gebunden. Kurz: Die Wünsche nach sprachlicher Korrektur sind mir sympathisch, auch das zitierte entschiedene Votum von Heribert Prantl. Sie sind Ausdruck großer Sensibilität gegenüber fragwürdigem Sprachgebrauch. Das sollten wir uns erhalten. Dann können wir den alten Text mit dem J-Wort lassen, wie er ist. Und ihn verstehen, wie er gemeint war.
Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de


3. Kultur

Sorbische Sprache soll gefördert werden

Die UNESCO erkennt die sorbische Sprache als vom Aussterben bedroht. Deshalb müsse das Sorbische bewusst von außen unterstützt und gefördert werden, sagt die Geschäftsführerin des sorbischen Domowina-Verlags, Maria Matschie. Damit seien in erster Linie sorbische Kindergärten gemeint, sowie sorbische Schulen, in denen Sorbisch nicht nur als Fach unterrichtet werde, sondern auch Unterrichtssprache in bestimmten Fächern sei. Auch kulturelle Angebote, die sich mit der sorbischen Sprache beschäftigen oder auf Sorbisch angeboten werden, seien wünschenswert – ob in Rundfunk, Fernsehen, Zeitung oder Theater. Als gutes Beispiel nennt Matschie das sorbische Gymnasium in Bautzen sowie das Deutsch-Sorbische Volkstheater – ebenfalls in Bautzen –, welches Stücke in sorbischer und deutscher Sprache auf die Bühne bringt. „Das alles brauchen wir, um die Sprache zu bewahren und um auch ein gewisses öffentliches Ambiente für die Sprache zu schaffen“, so Matschie. (mdr.de)


Breitbachpreis für Nora Bossong

Nachdem Nora Bossong in diesem Jahr bereits den Thomas-Mann-Preis erhielt, folgt nun die zweite Literaturauszeichnung: Auch der Joseph-Breitbach-Preis geht an die in Berlin lebende Autorin – das teilte die Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz am Dienstag mit. Bossong widme sich illusionslos, aber nie ohne Liebe den „Irrungen und Wirrungen eines eurozentrischen Jahrhunderts“, begründete die Jury ihre Entscheidung. Zudem moralisiere sie nicht und beschreibe Menschen, „in deren Hände die Welt gelegt ist“, deren Ohnmacht jedoch Fakten schaffe. Der Joseph-Breitbach-Preis wird seit 1998 an deutschsprachige Schriftsteller verliehen. Die diesjährige Preisverleihung soll voraussichtlich am 25. September in Koblenz stattfinden. (rbb24.de)


4. Denglisch

Anglizismen statt Erklärungen

Die SPD hat eine Handreichung für Mitglieder veröffentlicht – es geht um die Frage, warum die Partei nicht von der großen Zustimmung zum Regierungshandeln der Koalition in der Corona-Krise profitiert. So ist die Rede vom Rally-‘round-the-flag-Effekt, der die höheren Zustimmungswerte für die Regierung in Krisenzeiten begründen soll. Weiterhin spricht die Handreichung vom Horse-Race-Journalism. Damit ist ein Journalismus gemeint, der die Politik wie ein Pferderennen betrachtet und Parteien in Gewinner und Verlierer einteilt. Sätze wie „Partei x zieht an Partei y vorbei“ verstärken dieses Bild. Die einzelnen Kapitel der Handreichung schließen jeweils mit der Abkürzung „Tldr“ – eine im Englischen gängige Wendung, die so viel bedeutet wie „Zu lang, hab‘s nicht gelesen“ („Too long, didn‘t read“) und eine kurze Zusammenfassung eines längeren Absatzes einleitet. Vielleicht sollte die Ursachenforschung bei der eigenen Sprache beginnen. (spd.de, tagesspiegel.de)


„New Normal Working Model“ für Siemens

Der Siemenskonzern möchte zahlreichen Mitarbeitern dauerhaft die Möglichkeit zur Heimarbeit bieten. Man wolle dem Wunsch nach Flexibilisierung nachkommen. Dieses neue Konzept sei das „New Normal Working Model“ – auch über die aktuelle Corona-Krise hinaus. Siemens wolle so den Weg nach vorne aufzeigen. (deutschlandfunk.de)

IMPRESSUM

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Holger Klatte, Alina Letzel

© Verein Deutsche Sprache e. V.

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