Infobrief vom 25. Juli 2020: Strafarbeit für Türkisch auf dem Schulhof

1. Presseschau

Strafarbeit für Türkisch auf dem Schulhof

Foto: AdobeStock | LIGHTFIELD STUDIOS / 282338971

Es ist schon eine gefühlte Ewigkeit her, als die Herbert-Hoover-Schule in Berlin-Wedding berühmt wurde, weil ihr Schulleiter eine Deutschpflicht in den Pausen verordnete. Das war 2006. Seitdem wird in regelmäßigen Abständen immer wieder über eine solche Regelung diskutiert. Jetzt ist es wieder soweit: Eine Drittklässlerin im Schwarzwald-Baar-Kreis musste eine Strafarbeit im Umfang von einer halben Seite anfertigen, weil sie auf dem Schulhof mit einer Mitschülerin Türkisch gesprochen hatte. Thema der Strafarbeit: „Warum wir in der Schule Deutsch sprechen!‟ Die Eltern des Mädchens haben nun über einen Anwalt Widerspruch gegen die Bestrafung eingelegt. Das Regierungspräsidium Freiburg nimmt den Vorfall „sehr ernst‟. Eine generelle Deutschpflicht auf dem Schulhof gebe es nicht, wohl aber Situationen, in denen die Schüler angehalten seien, sich auf Deutsch zu verständigen, damit alle Beteiligten sie verstehen, zum Beispiel bei Streitigkeiten.

„Man könnte die Wände hochgehen, wenn man Selbstverständlichkeiten wie Deutsch zu beherrschen nach all den Jahren der Einwanderungsdebatte immer wieder erörtern muss‟, schrieb 2016 zu dem Thema bereits die WELT. Aber man muss natürlich stets den Einzelfall betrachten: Wählten die Schülerinnen eine andere Sprache, um jemanden auszuschließen oder unterhielten sie sich untereinander? Wählte die Schülerin die andere Sprache als Respektlosigkeit gegenüber der Lehrerin? Darüber ist aus den bisherigen Meldungen nichts zu erfahren. (swr.de, welt.de)


Gendern – so angenehm wie das Bohren beim Zahnarzt

Uwe Vorkötter geht mit seinem Kommentar Gendern bis der Zahnarzt kommt bei Horizont hart mit dem Deutschlandfunk in Gericht. Die Empfehlung des Radiosenders, bei Sendungen offensiv zu gendern, zum Beispiel durch die Einfügung von Pausen vor einem -innen oder durch die ständige Nutzung beider Formen (Zuschauerinnen und Zuschauer), stehe dem positiven Hörempfinden entgegen. Die Grammatik sei zu einem Kulturkampf geworden, das generische Maskulinum forciere die Ungleichheit von Mann und Frau. Vorkötter erwartet, dass der Deutschlandfunk seinen Hörern in einer Sprache begegnet, die sie selbst auch sprechen: „Kommunikation auf Ohrenhöhe gewissermaßen.“ (horizont.net)


„Hier ist niemand, die sich auskennt.“

Gut gemeint, aber nicht gut gemacht. Das schreibt Ewa Trutkowski in der NZZ über den vehementen Einsatz von Gendersprache bei deren Verfechtern. Der Sexus, das biologische Geschlecht, sei eine „exklusive Eigenschaft belebter Entitäten“. Eine Institution wie eine Stadt oder eine Kirche könnte daher nicht eine „Arbeitgeberin“ sein, so wie verschiedene städtische Gender-Leitfäden es vorbringen. Auch die Vorschläge, „jede/jeder“ durch „alle“ oder „jemand“ und „keiner“ durch „niemand“ zu ersetzen, liefen ins Absurde – denn „jemand“ und „niemand“ seien Pronomen mit maskulinem Genus. Das zeige sich vor allem bei grammatikalisch falschen Sätzen wie: „Hier ist niemand, die sich auskennt.“ „Zu glauben, durch eine veränderte Sprachnorm politische Versäumnisse heilen und soziale Realitäten umstülpen zu können, ist eine Illusion“, schreibt Trutkowski. Hinzu komme die Politisierung, die alle in die rechte Ecke drängt, die das Gendern ablehnen. (nzz.ch)


Mit Sprechstörungen umgehen

Wer unter einer Sprechstörung leidet, hat oft Probleme mit den einfachsten Alltagssituationen und schämt sich für seine Sprachfehler. Kommunikation kann so zu einem Angstereignis werden – vor allem für Menschen, die in der Vergangenheit verspottet oder nachgeahmt wurden. „Betroffene berichten häufig von ihren großen Anstrengungen, um Alltagssituationen wie Telefonate oder berufliche Vorträge zu umgehen“, so Sonja Utikal vom Deutschen Bundesverband für Logopädie. Dabei sei sogar im Erwachsenenalter noch eine Therapie möglich. Beim Lispeln beispielsweise arbeite man an der Artikulation und der Atmung, sowie mit gelegentlichen Tonaufnahmen – die Selbstwahrnehmung werde durch Übungen mit dem eigenen Spiegelbild geschult. (unternehmen-heute.de)


2. Unser Deutsch

Heuriger

Allen Freunden des österreichischen Weins, speziell des Grünen Veltliner, ist das Wort gut bekannt. Es bezeichnet den ‚Wein der letzten Lese‘, also den ‚jungen Wein‘, außerdem auch das ‚Lokal, in dem der Wein aus eigenem Weinbau ausgeschenkt wird‘. Wo ein solcher ‚Hofschank‘ mit kleinen Gerichten ausgegeben wird, zeigt ein ‚Buschen‘ an.

Die meisten Liebhaber des Heurigen wissen natürlich, wie sich das Wort herleitet, vor allem die Österreicher, aber auch die Bayern. Denn hier gehört das Zeitadverb heuer zum geläufigen Wortschatz, es steht für dies Jahr im übrigen deutschen Sprachgebiet. Heuer ähnelt dem anderen Zeitadverb heute, auch sprachgeschichtlich. Es sind parallele Bildungen, im Althochdeutschen *hiu jāru ‚dieses Jahr‘ und hiu dagu ‚dieser Tag‘, die schon im Mittelhochdeutschen zusammengewachsen sind zu hiure und hiute. Durch Diphthongierung entstanden heuer und heute. Jahr und Tag sind uns bis heute erhalten geblieben, das demonstrative Pronomen hiu ist untergegangen. Deshalb sind die beiden Adverbien nicht mehr durchsichtig.

Im Oberdeutschen blieb heuer als Standardvariante erhalten. Sogibt es in Österreich auch die heurigen Erdäpfel, die man in Deutschland als neue Kartoffeln bezeichnet. Heuer gehört wie Grüß Gott, wie Bub und Mädel zu den sprachlichen Charakteristika der Region. Vom Adverb heuer ist das Adjektiv heurig ‚diesjährig‘ abgeleitet und wenn man das substantiviert, entsteht der Heurige. Die nächste Etappe des Sprachwandels ist die metonymische Übertragung auf die Wirtschaft, in der der Heurige ausgeschenkt wird. Ein schöner Brauch, der seine Geschichte hat: Er geht auf eine Zirkularverordnung Joseph II. vom Jahre 1784 zurück. Heute wird dies durch Buschenschankgesetze der österreichischen Bundesländer geregelt. Auch in den deutschen Weinregionen ist der Brauch verbreitet. Hier heißen sie Straußwirtschaft mit vielen regionalen Namen.

Möglicherweise wurde der Heurige ursprünglich vom Fass ausgeschenkt, bevor im 18. Jahrhundert die Abfüllung in Glasflaschen die Haltbarkeit des Weins revolutioniert hat. Noch Goethe bestellte seinen Wein in ‚Eimern‘ (ca. 60 Liter). In einem Brief an den Weinhändler Ramann vom 2.5.1816 ordert er „einen halben Eimer Würzburger und einen halben Eimer Elsasser, denn die fehlenden Lücken in meinem Weinlager aufzufüllen, tut diesmal mehr Not denn je“.

Die Direktvermarktung des Heurigen hat übrigens Parallelen im Brauwesen. Die meisten Brauer schenken bis heute ihr Bier in ihrer ’Braugaststätte‘ vom Fass aus. Die bayerischen Biergärten mit ihren ‚Brotzeiten‘ sind gleichsam das bajuwarische Pendant zu den Buschenschenken des Nachbarlandes. Hier die Tonkrüge mit dem schäumenden Gerstensaft, dort der pfeffrige Veltliner. Prost.
Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de


3. Kultur

Neues vom Forum Deutsche Sprache

Schon länger ist bekannt, dass in Mannheim ein Museum für Deutsche Sprache entstehen soll. „Es wird der zentrale Ort sein, an dem die Sprache ausgestellt, diskutiert, erlebt, gesammelt, durchschaut und verstanden wird“, steht in dem Konzept des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache. Das „Forum Deutsche Sprache“ zeichnet sich nicht nur durch seinen Ausstellungscharakter aus, sondern soll gleichermaßen auch Begegnungsort und Forschungslabor sein. Wie das praktisch aussehen könnte, zeigt jetzt eine neue Idee: Die Besucher könnten Sprachspenden – beispielsweise Dialektaufnahmen – im Museum hinterlassen, mit denen dann geforscht werden könnte. Auch eine Nachzeichnung der sprachlichen Entwicklungsstufen vom Säugling bis ins höhere Alter sei für die künftigen Ausstellungen geplant. (dw.com)


Mit Wörtern Gott finden

Die Wanderausstellung „Was uns angeht“ der Domschule Würzburg will Besucher animieren, sich auf eine ungewöhnliche Weise Gott und der Bibel zu nähern. Auf großen Schaumstoff-Stelen sind Wörter wie Feier, Liebe oder Erlösung aufgedruckt, aber auch kurze Texte. Die Stelen lassen sich verschieben und nach Wunsch zusammenbauen. So sollen sich die Besucher der Ausstellung beim Lesen der Wörter, aber auch der Textpassagen Gedanken über ihr Verhältnis zu Gott machen und neue Impulse für ihr Leben finden. (mainpost.de)


Erstes Ortsschild auf Plattdeutsch in Sewekow

Die Stadt Sewekow im Nordwesten Brandenburgs hat ab sofort ein Ortsschild, auf dem der Name der Stadt auch auf Plattdeutsch steht. Neben Sewekow wird dort künftig auch Sävko stehen. Ermöglicht wurde das Schild durch das lange Engagement der Einwohner der Stadt. Auch Kulturstaatssekretär Tobias Dünow unterstützt das Vorhaben. Das zweisprachige Ortsschild sei ein wichtiger Schritt zur Sichtbarmachung des kulturellen Erbes im Land, so Dünow. (sueddeutsche.de)


4. Berichte

Neuer Auftritt im Netz

Die 20. Verleihung des Kulturpreises Deutsche Sprache wurde wegen der Corona-Krise auf den 16. Oktober 2021 verschoben. Die Beteiligten haben das Jahr ohne Preisverleihung genutzt und den Internetauftritt neu gestaltet.

Der Kulturpreis Deutsche Sprache ist mit einem Preisgeld von insgesamt 35.000 Euro eine der höchstdotierten Auszeichnungen für sprachliche Leistungen in Deutschland. Zu den bisherigen Preisträgern gehören unter anderem Udo Lindenberg, Cornelia Funke, Nora Gomringer, Loriot, die Deutsche Bibliothek Helsinki, die Schriftstellerin Marica Bodrožić, der SWR-Sender „DasDing“, die „Sendung mit der Maus“ und viele andere Persönlichkeiten, Unternehmen und Organisationen, die sich um die Pflege und Weiterentwicklung der deutschen Sprache verdient gemacht haben. (kulturpreis-deutsche-sprache.de)


5. Denglisch

Thermalbad nennt sich Fortyseven

Im Herbst 2021 soll in der Schweizer Stadt Baden ein neues Thermalbad eröffnet werden. Fortyseven soll es heißen. Warum? Weil die Temperatur von Thermalwasser 47 Grad beträgt. Auf diesen Hintergrund zur Namensgebung muss man erst einmal kommen. „Wir waren auf der Suche nach einer puristischen, einfachen Lösung, frei von jeglicher Komplexität“, erklärt Nektarios Thanasis, der die Idee mitentwickelt hat. Gut kommt der Name jedoch nicht an, von verschiedenen Seiten gibt es Kritik. Dass der Name mit der Wassertemperatur zu tun hat, erschließe sich nicht einmal Kundigen sofort, so die Archäologin Andrea Schaer, die sich seit vielen Jahren mit der Bäderkultur befasst. Schade sei es auch, dass der Name keinerlei Bezug zur Stadt Baden und ihrem historischen Erbe aufweist. Auch Max Dohner vom Badener Tagblatt kann sich nicht mit dem Namen zufriedengeben. Fortyseven klinge steril und künstlich – eine Thermalquelle hingegen sei natürlich. Dieser Widerspruch zwischen künstlich und natürlich, also zwischen Wort und Inhalt, führe dazu, dass der Name von vielen kritisiert wird. (badenertagblatt.ch, badenertagblatt.ch, aargauerzeitung.ch)


6. Termine

5. August, Region 25 (West-Schleswig-Holstein)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Gaststätte Tante Jenny, Schiffbrücke 12, 25813 Husum

6. August, Region 28 (Bremen)
Mitgliedertreffen (am Tisch 56)
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Grollander Krug im Hotel Robben, Emslandstraße 30, 28259 Bremen

12. August, Region 18 (Rostock)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Gasthaus Zum Bauernhaus Biestow, Am Dorfteich 16, 18059 Rostock

IMPRESSUM

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Holger Klatte, Alina Letzel, Dorota Wilke

© Verein Deutsche Sprache e. V.

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