Infobrief vom 13. Juni 2020: „Schnutenpulli“ beschädigt niederdeutsche Sprache

1. Presseschau

„Schnutenpulli“ beschädigt niederdeutsche Sprache

Bild: fotoART by Thommy Weiss / pixelio.de

Seit Corona ist der Mundschutz zwar nicht in, aber auf aller Munde. Kein Wunder, dass er im Volksmund verschiedene Namen bekommen hat. So ist im Plattdeutschen der Begriff „Schnutenpulli“ entstanden. Ein heiterer Zugang zu einem ernsten Thema – manch einer nimmt es mit Humor und freut sich über den scherzhaften Begriff. Für den Autor Jan Graf ist der Ausdruck aber nicht besonders gut gewählt. Als Experte fürs Niederdeutsche kritisiert er, dass die Sprache sich damit selbst herabwerte. Es sei zwar normal, dass man auch nach scherzhaften Wendungen suche, jedoch geschehe dies im Plattdeutschen viel zu häufig – das führe dazu, dass plattdeutsche Ausdrücke immer wieder ins Hochdeutsche entlehnt werden, wenn es stilistisch bewusst abwärts gehen soll. So werde die Regionalsprache weniger ernst genommen. „Wir machen da als Erben wirklich einen lausigen Job, wenn wir der Sprache nicht erlauben, auch in nüchtern-offiziellen oder gar schöngeistigen Zusammenhängen sich als funktionsfähig zu bewähren“, so Graf. (ndr.de)


Alltags-Rassismus in der Sprache

Der Tod des Afro-Amerikaners George Floyd sorgt in den USA für landesweite Unruhen. Auch in Deutschland wird darüber gestritten, wie sich Rassismus zeigt und wie ihm entgegengewirkt werden kann. Die Grünen-Politikerin Marina Weisband schreibt in einer Kolumne im Deutschlandfunk, wir verwendeten in unserer Sprache oft unbewusst rassistische Begriffe. Das englische race beispielsweise sei nicht gleichzusetzen mit dem deutschen Rasse. In Deutschland werde Rassismus als „Minenfeld“ wahrgenommen, deshalb habe sich kein eigenes Vokabular entwickelt. (deutschlandfunk.de)


Jugendwort des Jahres

Nach einem Jahr Pause soll es bald wieder eine Wahl zum Jugendwort des Jahres geben. 2019 war sie ausgefallen, als Grund wurde die Übernahme von Langenscheidt durch den Pons-Verlag genannt. Bis zum 10. August können Vorschläge eingereicht werden, eine Jury wählt zehn Begriffe aus. Neu ist, dass die Jury nicht mehr das Jugendwort des Jahres wählt, sondern die Jugendlichen selbst tun es über die Seite www.jugendwort.de. Der Sieger wird am 15. Oktober verkündet. (deutschlandfunk.de)


2. Unser Deutsch

Vielliebchen

„Guten Morgen, Vielliebchen“! Mit dieser Begrüßung gewinnt ein kleines Geschenk, wer am Vortag einen hübschen Brauch ausgeführt hat. Anlass ist der nicht seltene Fall, dass in einer Mandel oder einer Haselnuss zwei Kerne stecken. Wenn zwei sich diese Frucht teilen, nennt man es ein Vielliebchen essen. Am nächsten Tag gewinnt derjenige, der den andern zuerst mit diesem Zauberwort begrüßt. Auch das Geschenk heißt Vielliebchen. Das Wort und der Brauch begegnen uns seit Mitte des 19. Jahrhunderts, auch in mehreren Romanenvon Theodor Fontane. Immer geht es dabei um ein flirtendes Spiel, zum Beispiel im Stechlin, wobei eine Zwillingsfrucht auf einem Pflaumenbaum den Anlass bietet.

„Nun wollen wir aber ein Vielliebchen essen, Herr Hauptmann; wo, wie hier, zwei zusammensitzen, da ist immer ein Vielliebchen.“

„Eine Definition, der ich mich durchaus anschließe. Aber, mein gnädiges Fräulein, wenn ich vorschlagen dürfte, mit dieser herrlichen Gabe Gottes doch lieber bis zum Dessert zu warten. Das ist doch die eigentliche Zeit für Vielliebchen.“

Deutlicher spricht es Franz Grillparzer in seinem Gedicht Viel-Liebchen an:

„Zwillingskinder eines Stengels, Zweigeschwister einer Schale, liegen wir geschmiegt beisammen, zwei in einem, eins in zweien, als ein Sinnbild wahrer Liebe, als Symbol von fester Treu.“

Der Vielliebchen-Brauch ist ähnlich in Frankreich, England, den Niederlanden und in Skandinavien bezeugt. Wahrscheinlich hängt er mit dem Valentinstag zusammen. Valentin gilt auch als Patron der Liebenden, weshalb in England und den USA am 14. Februar Valentine Greetings mit einem aufgemalten Herz verschickt werden. So hat französisch und englisch Valentine auch die Bedeutung ‚Liebling‘. Das Wort wurde im Französischen zu philippine umgeformt.

Daraus entstand im benachbarten Luxemburgischen und im Rheinland das Filipchen, welches dann volksetymologisch zu Vielliebchen umgedeutet wurde. Jetzt sieht es wie ein deutsches Wort aus: Liebchen ist, ähnlich wie Schätzchen oder Herzchen, eine beliebte gegenseitige Anrede eines Liebespaars.

Diese Erklärung passt zu vielen anderen Fällen von Volksetymologie. Auf ähnliche Weise entstand die Form Vielfraß, eine Entlehnung von norwegisch fjellfross ‚Bergkater‘. Hier war es das fremde fjell-, das zu viel umgedeutet und umgeformt wurde.

Wir fragen am Ende: Gibt es das Vielliebchen heute noch unter den Jüngeren? Passt die sinnige Symbolik aus dem Bürgertum des 19. Jahrhunderts noch in die Gegenwart? Oder sind die Zwillingsfrüchte gar der Euro-Norm zum Opfer gefallen? Ich bin gespannt auf Rückmeldungen.
Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de


3. Kultur

Dialekte auf dem Prüfstand

Wer Dialekt spricht, hat oft mit Vorurteilen zu kämpfen – Dialektsprecher werden zwar als sympathisch und freundlich wahrgenommen, aber auch als weniger kompetent und gebildet. Albert Plewnia vom Institut für Deutsche Sprache sieht den Grund in unserer Sozialisation: Von klein auf lernen wir Hochdeutsch als Schriftsprache. Geht es um Bildung, gilt Hochdeutsch als Standard. Alles, was davon abweicht, wirkt erst einmal fremd. Dabei stimmt es nicht, dass Dialekte grundsätzlich unerwünscht wären. „Ob eine dialektale Färbung zum Vor- oder Nachteil für unsere Karriere ist, ist von den Personenkonstellationen abhängig, in denen wir uns befinden“, erklärt Plewnia. „Ein bayerischer Politiker, der nicht Bairisch spricht, hätte wohl kaum eine Chance, im Freistaat Ministerpräsident zu werden.“ Am praktischsten sei es, so Plewnia, wenn man in der Lage sei, sich sprachlich anzupassen. Wer zwischen Dialekt und Hochdeutsch umschalten kann, signalisiere sowohl Zugehörigkeit als auch Kompetenz. (web.de)


Deutsch als Fremdsprache nach wie vor beliebt

15,4 Millionen Menschen lernen weltweit Deutsch als Fremdsprache. Vor allem in Europa wächst die Beliebtheit der deutschen Sprache. Eine aktuelle Studie des Goethe-Instituts, des DAAD und der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen zeigt, dass Deutsch die meistgesprochene Sprache in Europa ist. Am meisten Deutsch gelernt wird in Polen – knapp zwei Millionen Schüler sind es dort. Aber auch in Frankreich und Russland ist die deutsche Sprache beliebt. Sowohl in europäischen als auch in afrikanischen Ländern ist die Zahl der Deutschlernenden in den letzten fünf Jahren gestiegen, und auch in Indien, China und Japan steigt das Interesse. (forschung-und-lehre.de)


4. Denglisch

Bürgermeister gegen Denglisch vor dem Rathaus

Auf die Bank setzen, die Sonne genießen – und gleichzeitig sein Handy laden und ins Internet gehen. Vor dem Rathaus der Gemeinde Lehre in Niedersachsen steht nun eine Sitzbank mit integrierten Solarzellen und Internetzugang, gestiftet vom lokalen Energieversorger. Der Bürgermeister, Andreas Busch, ist kein Freund von Denglisch, er hat angeregt, das ursprüngliche Motto, das auf die Bank sollte, auszutauschen. Statt „chatten, chillen, chargen“ steht dort jetzt „Ausruhen, Aufladen, App ins Netz“. (facebook.com)


5. Termine

ABGESAGT! 20. Juni, Region 61/63 (Bad Homburg, Offenbach, Hanau, Aschaffenburg)
VDS-Infostand auf dem Mainuferfest
Zeit: 20. Juni, 10:00 Uhr – 21. Juni, 20:00 Uhr
Ort: Mainuferfest Offenbach, Schloßstraße 66, 63065 Offenbach

24. Juni, Region 03 (Cottbus)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18 Uhr
Ort: Hotel „Zur Sonne“, Taubenstraße 7, 03046 Cottbus

IMPRESSUM

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Holger Klatte, Alina Letzel, Dorota Wilke

© Verein Deutsche Sprache e. V.

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