Infobrief vom 6. Dezember 2020: Buchstabiertafel wird überarbeitet

1. Presseschau

Buchstabiertafel wird überarbeitet

Bild: S. Hofschlaeger / pixelio.de

A wie Anton, B wie Berta, C wie Cäsar – wer am Telefon etwas buchstabiert, tut dies oft wie selbstverständlich anhand des Buchstabieralphabets. Was viele aber nicht wissen: Die heute verbreiteten Namen sind teils Überbleibsel der NS-Zeit. Damals wurden die jüdischen Namen aus der Buchstabiertafel entfernt. Wo man heute Siegfried oder Dora sagt, hieß es früher Samuel und David. Zwar fand nach dem Krieg eine Überarbeitung statt, die meisten gestrichenen Namen wurden jedoch nicht wieder aufgenommen. So ist auch heute noch das Wort Nordpol verbreiteter als sein Vorgänger Nathan. Das soll sich bald aber ändern: Der Ausschuss für die derzeit geltende Buchstabiernorm DIN 5009 überprüft alle fünf Jahre, ob die Norm noch zeitgemäß ist. Mehrfach wurde bereits gefordert, die Norm zu überarbeiten – sowohl von dem Antisemitismusbeauftragten von Baden-Württemberg als auch seitens des Zentralrats der Juden. Ab kommendem Herbst soll vorerst wieder die Buchstabiertafel der Weimarer Republik, also inklusive jüdischer Namen, gelten. Doch auch das ist nur eine Übergangslösung: Ab 2022 soll eine gänzlich neue Tabelle veröffentlicht werden, die überwiegend aus Städtenamen besteht, ähnlich dem europäischen Buchstabieralphabet oder dem italienischen. (evangelisch.de, sueddeutsche.de, deutschlandfunkkultur.de)


Ende einer Anrede

Die Anredekonventionen des Deutschen befinden sich im Wandel. Das Landgericht Frankfurt/Main hat in dieser Woche geurteilt, Unternehmen müssen ihre Kunden geschlechtsneutral ansprechen. Im konkreten Fall musste eine Person sich beim Kauf einer Fahrkarte bei der Deutschen Bahn für die Anrede „Herr‟ oder „Frau‟ entscheiden. Der Kläger (m/w/d) ordnet sich jedoch anders ein und fühlte sich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt. Das Gericht gab dem statt. Für die Nutzung der Angebote sei das Geschlecht völlig irrelevant. Das beklagte Unternehmen könne eine andere Grußformel wie „Guten Tag“ nutzen oder auf eine geschlechtsspezifische Ansprache ganz verzichten. Das Urteil (Aktenzeichen 2-13 O 131/20 vom 3.12.) ist noch nicht rechtskräftig. (faz.net, spiegel.de)


Noch Fragen

Der Elbschwanenorden 2020 bleibt im Gespräch. Die Kinderbuchautorin Kirsten Boie hatte im Frühjahr die Ehrung begrüßt. Wegen Corona wurde die Veranstaltung auf ungewisse Zeit verschoben. Nachdem Kirsten Boie im Internet Aussagen des VDS-Vorsitzenden Walter Krämer gelesen hatte, lehnte sie die Ehrung nun ab. Der Schriftsteller Bernd Fischer schildert in seinem Blog philippicae.de denEindruck, dass Preisverleihungen größere Aufmerksamkeit erzeugen, wenn die Preisträger die Auszeichnung ablehnen (Marcel Reich-Ranicki lässt grüßen). „Vor die Wahl gestellt, ob sie es sich mit dem linken Lager verscherzen möchte, zieht sie es vor, sich mit ihren vielen bereits erhaltenen Preisen zu begnügen‟, schreibt Fischer. Er hätte allerdings gerne mehr dazu von Frau Boie erfahren, unter anderem worin ihrer Meinung nach genau die von ihr unterstellte „verkürzte und realitätsfremde Vorstellung von Sprache“ bestehe. „Sie hätte dem Diskurs mit Leuten wie Krämer nicht ausweichen sollen, die alles andere als rechtsextrem sind.‟ (philippicae.de)


Pandemiegeprägte Sprache

Wie könnte es anders sein? Das Wort des Jahres 2020 lautet „Corona-Pandemie“. Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) gab dies Anfang der Woche bekannt. Der Begriff benenne das beherrschende Thema des nahezu gesamten Jahres, so die Jury über ihre Entscheidung. „Als Wort des Jahres steht die Corona-Pandemie nicht nur für die nach Einschätzung der Bundeskanzlerin ebenso wie vieler Fachleute schwerste Krise seit dem 2. Weltkrieg, sondern sprachlich auch für eine Vielzahl neuer Wortbildungen.“ Auf dem zweiten Platz landete „Lockdown“. Generell ist die Liste der ersten zehn Plätze sehr durch die Sprache der Pandemie geprägt. So finden sich darunter auch „systemrelevant“, „Triage“, „Verschwörungserzählung“. Einzig zwei der ersten zehn Plätze haben nichts mit dem Coronavirus zu tun: „Black Lives Matter“ und „Gendersternchen“. Seit 1977 kürt die GfdS regelmäßig zehn Wörter und Wendungen, die das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben eines Jahres in besonderer Weise bestimmt haben.

Auch in Österreich wurde das Wort des Jahres verkündet: Hier steht der „Babyelefant“ auf Platz eins – das Rüsseltier gilt als Symbol für den Mindestabstand, der zu anderen Personen eingehalten werden soll, um eine Ansteckung zu vermeiden. Was hingegen das Unwort des Jahres angeht, ging in Österreich der Sieg an die „Coronaparty“ als Bezeichnung für das Zusammenkommen von Menschengruppen, die sich trotz der Ausgangsbeschränkungen treffen. In Deutschland wird das Unwort des Jahres erst im Januar verkündet, aktuell können noch Vorschläge eingeschickt werden. Doch auch hier scheint sich alles um die Pandemie zu drehen: Bisher liegen die Ausdrücke „systemrelevant“ und „Öffnungsdiskussionsorgien“ vorn. Das jährlich gekürte Unwort soll auf unangemessenen Sprachgebrauch aufmerksam machen. Dabei werden Wörter gewählt, mit denen gegen die Menschenwürde oder Grundsätze der Demokratie verstoßen wird, womit gesellschaftliche Gruppen diskriminiert werden, oder wo es sich um euphemistische, verschleiernde oder irreführende Formulierungen handelt. (tagesschau.de, hessenschau.de, berliner-zeitung.de, oesterreich.orf.at)


2. Unser Deutsch

Dachhasen und Stubentiger

In der Lexikographie werden diese Wörter als ‚scherzhaft‘ markiert. Sie gelten als witzige Bezeichnungen für die Freigänger beziehungsweise die Wohnungskatzen unter unseren Haustieren. Wie wird diese Wirkung erzielt? Durch einen metaphorischen Vergleich. Zunächst mit dem Wort Hase. Damit ist aber nicht der langohrige Feldhase gemeint, sondern das Kaninchen, das den Sonntagsbraten liefert. In Gerhard Hauptmanns Drama ‚Biberpelz‘ äußert Mutter Wolff den Verdacht, dass ein Dachhase im Ofen schmort. Und wenn wir den Kater zum Tiger machen, rufen wir das Bild eines stolzen Tieres auf, wenn auch im Kleinformat.

Die beiden Wörter gleichen sich auch unter linguistischer Betrachtung. Metaphorisch gebraucht sind die beiden Grundwörter Hase und Tiger, während die Bestimmungswörter Dach und Wohnung die Tiere wörtlich nach einem beliebten Aufenthaltsort charakterisieren. Dies ist ein häufiger Typ von Zusammensetzungen im Deutschen. Man vergleiche: Stimmungskanone, Reisewelle, Baulöwe, Fingerhut. Immer steckt im Grundwort –kanone, –welle, –löwe und –hut der metaphorische Vergleich. Selten ist es umgekehrt wie zum Beispiel bei Blinddarm und Armleuchter. Hier sind blind und Arm die Vergleichswörter. Schließlich gibt es noch eine dritte Möglichkeit metaphorischer Komposita. Beim Typ Fuchsschwanz (für eine Säge) und Hasenherz (für einen ängstlichen Menschen) wird das ganze Wort metaphorisch gebraucht.

​Was bringt diese Betrachtung? Die Komposition ist eines der wichtigsten Instrumente des Deutschen, neue Wörter zu bilden. Wir sind Meister in der Herstellung ganzer Ketten wie dem aus zehn Silben bestehenden Bundesausbildungsförderungsgesetz, das die meisten nur unter der Abkürzung Bafög kennen. Um solchen Mammutwörtern aus dem Weg zu gehen, werden die Gesetze neuerdings phraseologisch benannt, zum Beispiel das Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit. Dies ist eben nur in der Kurzform ArbSchG handhabbar – eine sprachliche Bankrotterklärung.

Metaphorische Komposita dagegen sind Lichtblicke kreativer Wortbildung: treffend, verständlich, manchmal witzig.
Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e.V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de


3. Kultur

Reden und reden lassen

Hasskommentare, Meinungsblasen und politische Korrektheit prägen unsere Kommunikation. Der neu erschienene Sammelband „Reden und reden lassen“ setzt sich damit auseinander und stellt die Frage, inwiefern das Beanspruchen der Deutungshoheit und die damit einhergehende Ausgrenzung von Andersdenkenden unsere freie Debattenkultur gefährden. Geistes- und Wirtschaftswissenschaftler kommen in dem Buch zu Wort, sowie Juristen, Theologen und Journalisten. Sie alle sind vereint in der Ansicht, dass es in der Debattenkultur aktuell zwei gegenläufige Entwicklungen gibt: Einerseits begegnen uns brutal enthemmte und aggressive Ausdrucksformen, andererseits „hyperkorrekte“ politische Einstellungen, die bestimmte Sprechweisen verbieten wollen. Stephan Wirz, einer der Herausgeber, kritisiert die moralische Stigmatisierung, die oft mit politischer Korrektheit einhergeht. „Wie eng wollen wir den moralischen Rahmen setzen?“, fragt er. Er hält es für wichtig, zu überlegen, wann politische Korrektheit notwendig ist, und wann sie hingegen übersteigert oder sogar fehlgeleitet sein kann.

Auch der Gendersprache widmen sich einige Beiträge im Buch. Der Literatur- und Medienwissenschaftler Jochen Hörisch glaubt, dass der Sprache zu viel Macht zugeschrieben werde – nur weil eine Sprache genderneutral sei, führe das nicht automatisch zu Gleichberechtigung im Land. Dies sei auch auf rassistische Sprache zu übertragen: „Wir überschätzen die Sprache, wenn wir meinen, wer nicht mehr Neger sagt, hat Rassismus erfolgreich bekämpft“, so Hörisch. Er erinnert außerdem an Sprachreglementierungen aus der Vergangenheit: Joseph Goebbels habe damals Sprachregelungen für Medien und Presse herausgegeben, und die DDR schrieb vor, statt von der „Mauer“ vom „antifaschistischen Schutzwall“ zu sprechen. Es sei zutiefst irritierend, dass keiner mehr daran denke, wie üblich Sprachreglementierungen in diktatorischen und autoritären Regimes waren.

„Reden und reden lassen – Anstand und Respekt statt politischer Korrektheit“ lautet der vollständige Titel des Sammelbands; und genau darum geht es auch: In einer freien Gesellschaft sei wichtig, dass sich alle äußern können, so Stephan Wirz. Man solle respektvoll argumentieren können, statt sich zu empören. „Geistige Sperrgebiete haben ein verengtes Weltbild zur Folge“, fasst Rebecca Hillauer vom Deutschlandfunk die Botschaft des Buches zusammen. „Nur durch Meinungsaustausch können Personen und Gesellschaften wachsen.“ (deutschlandfunk.de, nzz-libro.ch)


Ein freier Umgang mit anstößigen Wörtern

Zum Thema Schneemann bauen kursiert auf WhatsApp dieser Bericht:

8:00 Schneemann gebaut.
8:10 Die erste Genderbewegte auf dem Weg zur Arbeit fragt, warum das keine Schneefrau sei.
8:15 Schneefrau dazu gebaut.
8:17 Die Kindergärtnerin beschwert sich über die angedeuteten Brüste der Schneefrau.
8:20 Der Schwule eine Straße weiter beschimpft mich, weil es auch zwei Schneemänner geben sollte.
8:25 Meine vegan lebende Nachbarin ruft über die Straße, die Wurzelnase sei Verschwendung von Lebensmitteln.
8:30 Ich werde als Rassist beschimpft, weil der Schnee weiß ist.
8:35 Fatma von der Ecke fordert ein Kopftuch für die Schneefrau.
8:40 Die Polizei trifft ein und beobachtet die Szene.
8:45 Das SEK trifft ein, denn der Besenstiel könnte als Schlagwaffe benutzt werden.
8:50 Der IS bekennt sich zu dem Schneemann.
8:55 Mein Handy wird beschlagnahmt und ausgewertet, während ich mit verbundenen Augen im Hubschrauber zum Generalbundesanwalt unterwegs bin.
9:00 Das Ordnungsamt kommt vorbei. Ich bezahle 1.000€ Bußgeld, weil Schneemann und Schneefrau keine Maske tragen und der Mindestabstand nicht eingehalten ist.

(Die Quelle ist unbekannt. Die Redaktion bittet um Nachsicht für die Verwendung des Wortes Handy)


4. Berichte

Der Musik ganz nah

Auf SWR2 in der Sendung Hausbesuch spielt die Organistin Katrin Bibiella die Orgel der Katharinenkirche in Oppenheim/Rhein. Sie erzählt, wie sie in Weimar noch zu DDR-Zeiten zum Orgelspielen gekommen ist. „Man ist mit der Musik auf Du und Du‟, beschreibt sie ihr Spiel. Katrin Bibiella ist VDS-Mitglied und beschäftigt sich neben ihrem Beruf als Musikerin mit Lyrik und Poesie. Gerade hat die promovierte Literaturwissenschaftlerin ein Gedichtbuch über den Tenor Fritz Wunderlich geschrieben: Seele ist ein gesungenes Wort (Athena-Verlag 2020). (swr.de)


5. Denglisch

Belastete Sprache

Es gibt Wörter, die absichtlich durch „die Nazis okkupiert wurden“, sagt Bas Böttcher. Der Slam-Poet und Schriftsteller ist der Meinung, dass mit Wörtern immer auch ein Weltbild transportiert werde. So sei etwa der Ausdruck „Kraft durch Freude“ ein Kampfbegriff gewesen, den der Nationalsozialismus für sich vereinnahmte. Das Bewusstsein sitze bei Böttcher so tief, dass bestimmte Begriffe in ihm Erinnerungen an die Propagandasprache der Nazis weckten. Das Sprachbewusstsein in Deutschland müsse immer wieder von Neuem aktiviert werden und etwa durch neue Wortschöpfungen weiterentwickelt werden. „Da kommen die Poeten und Dichter ins Spiel, die vielleicht Sprache mitgestalten können“, so Böttchers Vorschlag. Er halte jedoch nicht viel davon, für diese Wortschöpfungen krampfhaft ins Englische auszuweichen. Es sei zwar nachvollziehbar, dass man Begriffe wie Führungsseminar oder Arbeitslager vermeiden wolle, aber stattdessen Leadership-Seminar oder Workcamp zu sagen, sei auch nicht zielführend. Durch die Flucht ins Englische versuche man, die Auseinandersetzung zu meiden. „Das finde ich ein bisschen schade“, bedauert Böttcher. Die Auseinandersetzung sei zentral, es sei wichtig, sich mit Stolpersteinen unserer Sprache zu beschäftigen. (deutschlandfunkkultur.de)


6. Termine

! ABGESAGT !
8. Dezember, Region 18 (Rostock)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Gasthaus Zum Bauernhaus Biestow, Am Dorfteich 16, 18059 Rostock

IMPRESSUM

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Holger Klatte, Alina Letzel

© Verein Deutsche Sprache e. V.

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