Infobrief vom 6. Juni 2020: Deutsch überholt Französisch bei Bewerberanforderungen

1. Presseschau

Deutsch überholt Französisch bei Bewerberanforderungen

Bild: Anton Porsche (superanton.de) / pixelio.de

Deutsch hat Französisch überholt – englische Arbeitgeber erwarten in ihren Stellenanzeigen immer häufiger Deutsch von den Bewerbern. Das beobachtet die Stellenbörse Indeed. In den letzten drei Jahren habe die Zahl der entsprechenden Anzeigen um ein Zehntel zugelegt. Laut der Indeed-Studie ist Chinesisch die drittwichtigste Sprache für Stellenanbieter. Da immer weniger werden Sprachen bereits an den Schulen gelehrt werden, wächst auch generell die Sorge, dass es mit dem Brexit weniger Mitarbeiter mit Fremdsprachenkenntnissen geben werde. (independent.co.uk)


Umfrage: Deutsche lehnen Gendersprache ab

Die Mehrheit der Deutschen lehnt die Gendersprache ab. Das ist das Ergebnis einer Umfrage der Welt am Sonntag. 56 Prozent lehnen Binnen-I und Gendersternchen ab, selbst unter den Frauen überwiegt die Ablehnung (52 Prozent). Der Kieler Verfassungsrechtler und Rechtsphilosoph Robert Alexy kritisiert politische Aktivisten wie Anne Will: „Sie wollen ihre Mitbürger durch Sprache erziehen und die Wirklichkeit durch Sprache beherrschen.“ Auch Fernsehmoderator Markus Lanz sieht keinen Nutzen in vermeintlich geschlechtergerechter Sprache: „Die Lage einer verfolgten Minderheit in China wird keinen Deut besser, wenn man von Uigurinnen und Uiguren redet und sich dabei die Zunge verrenkt.“ Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der ZEIT, berichtet: „Von unseren durchaus kritikfreudigen Leserinnen und Lesern hat sich nach meiner Erinnerung in 16 Jahren noch niemand darüber beschwert, dass wir nicht gendern.“ Der Deutschlandfunk hingegen rechtfertigt das Gendern in seinem Programm und hat dafür eigens ein Interview zwischen seiner stellvertretenden Nachrichtenchefin und einer Kollegin aus der Medienredaktion ins Netz gestellt. (welt.de, journalistenwatch.com, deutschlandfunk.de, deutschlandfunk.de, idea.de)


Mundschutz sorgt für Kommunikationsprobleme

Der Mundschutz in Zeiten von Corona hilft beim Kampf gegen die Pandemie – er dämpft aber auch die Verständigung. Wo die Rede nur undeutlich durch den Stoff dringt und zugleich die Mundmimik verdeckt wird, fällt das Verstehen schwerer als sonst. Kommunikationscoach Benedikt Held rät dazu, auf die Zeichen achten, die der Rest des Gesichts sendet: „Ein ehrliches Lächeln erkennt man an den Fältchen neben den Augen, Stirnrunzeln kann für Überlegen und die angespannte Zornesfalte in der Stirnmitte für Widerspruch stehen.“ So könnte man die nonverbalen Anteile der Kommunikation zumindest besser erahnen. (rtl.de)


2. Unser Deutsch

Der Virus oder das Virus?

Die Herrschaft der Fachleute wird manchmal auch in der Sprache sichtbar. Ich war mir bis zur Corona-Pandemie sicher, dass Virus maskulin zu deklinieren ist: der Virus. Artikel und Attribut richten sich nach dem Bezugswort und deshalb heißt es: ein gefährlicher Virus, den Virus unschädlich machen. Aber seit die Virologen und Epidemiologen das erste Wort haben, wird der Virus auf einmal zum Neutrum das Virus, und entsprechend heißt es: das gefährliche Virus, das Virus unschädlich machen. Dagegen hat der Computervirus sein maskulines Genus behalten.

Wie erklärt sich das? Im Lateinischen flektiert die große Mehrzahl der us-Wörter maskulin wie zum Beispiel circus, medicus, nuntius. Dem folgen auch die entsprechenden Entlehnungen und weitere Eigenschöpfungen wie Fidibus, Naturalismus, Nationalismus. Nur ein halbes Dutzend lateinische Lehnwörter haben neutrales Geschlecht wie Tempus, Opus, Genus, unter ihnen Virus, das auf lateinisch virus ‚Schleim, Gift‘ zurückgeht. Darauf berufen sich die Fachleute und folgen damit der langen Tradition der Pharmazie, alle ihre Pillen und Kräutermischungen lateinisch zu benennen. Das lebt bis heute in ihren Arzneibezeichnungen fort.

Ein anderer Fall ist die Tram. Auf meine Glosse vom 22.5. erhielt ich Zuschriften aus Zürich mit dem Hinweis: in der Schweiz heißt es das Tram. Warum? Ich kann es nicht erklären, nur den Grund für die Divergenz nennen: Das Englische kennt kein grammatisches Genus wie im Deutschen. Deshalb erhalten alle Substantive den gleichen Artikel the. Im Deutschen müssen die Entlehnungen ein festes Genus annehmen. Aber welches? Die Tram ist gekürzt aus Tramway, was zu Trambahn übersetzt wurde. Die Kurzform behielt das Genus der Langform bei. Oft orientiert sich das Genus an semantisch verwandten Wörtern. So könnte Straßenbahn, die Konkurrenzbezeichnung, Vorbild geworden sein.

Zuletzt sei erinnert, dass die Butter in Franken und Schwaben der Butter heißt. Das weist zurück auf den häufigen Genus-Wechsel in deutscher Sprachgeschichte, die Dialekte haben nicht nur viel älteren Wortschatz, sondern manchmal auch älteres Genus bewahrt.

Bleibt am Schluss die Frage: Warum berührt uns ‚falsches‘ Genus wenig, auch wenn wir es sofort bemerken – in Regionalsprachen, dem Deutsch der Nachbarn oder bei Sprachlernern, für die das Geschlecht der deutschen Substantive ein wahres Lern-Greuel ist? Weil das grammatische Geschlecht ein ganz willkürliches Ordnungssystem ist, semantisch gehaltlos, nur dem Zweck verpflichtet, Kongruenz-Beziehungen zu Artikelwörtern, zu Attributen, zu anaphorischen Bezügen im Satz herzustellen. Sprachkritiker sind verzweifelt über das Weib, das Mädchen. Siefragen, warum Giraffe und Ente feminin, Rabe und Tiger maskulin, das scheue Reh aber neutral ist. Der Fehler liegt bei den Kritikern: Sie haben die Grammatik nicht verstanden.
Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de

3. Kultur

100. Geburtstag von Marcel Reich-Ranicki

Am vergangenen Dienstag wäre er 100 Jahre alt geworden: Marcel Reich-Ranicki, einer der einflussreichsten Literaturkritiker seiner Zeit. Seine Kritiken waren oft scharf bis zum Verriss, sie hatten großen Einfluss auf die deutschsprachige Literaturlandschaft. Reich-Ranicki lobte realistische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, mit Genreliteratur wie Science-Fiction konnte er hingegen wenig anfangen. Selbst Friedrich Dürrenmatt wertete er als bloßen Unterhaltungsschriftsteller ab.

Reich-Ranicki kam als Kind nach Berlin, machte dort sein Abitur und wurde bald darauf zurück nach Polen ausgewiesen. Dank seiner Sprachkenntnisse überlebte er das Warschauer Ghetto. Kurz vor der Deportation in ein Konzentrationslager, gelang ihm mit seiner Frau Tosia die Flucht. Sie lebten jahrelang versteckt in Warschau. 1958 kehrte er nach Deutschland zurück, sein Beruf wurde die Literaturkritik.

Sein Wirken hinterließ Spuren: So wie er schrieb und sprach, gab es auf der Welt nichts Wichtigeres als Literatur. Er regte an, er regte auf, er erreichte Leser schon durch seinen Verzicht auf Fremdwörter. Er machte Literatur gesellschaftsfähig schloss die Kluft zwischen elitärer Kultur und restlicher Leserschaft. (rnd.de)


Zeitzeichen zu Vladimir Jankélévitch

Vor 40 Jahren schrieb der frühere Französisch-Lehrer Wiard Raveling einen Brief an den jüdischstämmigen französischen Philosophen Vladimir Jankélévitch, der in seiner Jugend Deutsch gelernt und über Friedrich Wilhelm Schelling promoviert, nach dem Krieg aber einen radikalen Bruch mit Deutschland und der deutschen Kultur vollzogen hatte. Das Thema seines Briefes: der deutsche Umgang mit dem Holocaust. Was der Brief damals auslöste, schildert VDS-Mitglied Wiard Raveling in seinem deutsch-französischen Buch „Ist Versöhnung möglich? Meine Begegnung mit Vladimir Jankélévitch.“ Anlässlich des Todestages von Vladimir Jankélévitch am 6.6.1985 senden mehrere Sender am Samstag, 6. Juni 2020 ein „Zeitzeichen‟: WDR 5 um 9:45 Uhr, WDR 3 um 17:45 Uhr, NDR INFO um 19:05 Uhr. (deutschlandfunk.de)


Dialektforschung in Rottweil

Dialekte sind vielerorts auf dem Rückzug. Sie werden nur bedingt gesprochen, da Kindern spätestens im Kindergarten Hochdeutsch beigebracht wird. Im Kreis Rottweil in Baden-Württemberg soll ein Forschungsprojekt zeigen, was vom schwäbischen Dialekt noch übrig ist. Der Dialektforscher und Projektleiter Dr. Rudolf Bühler befragt dazu sowohl Einheimische, die den örtlichen Dialekt in Reinform sprechen, als auch jüngere Menschen im Alter von 18 bis 26 Jahren. Zentral sei vor allem die Frage, wann und wo Dialekt überhaupt noch gesprochen werde, welchen Wert der Dialekt habe, und ob es Situationen gebe, in denen sich Mundart-Sprecher dafür schämen. (hz.de)


4. Berichte

Anglizismen-Index ab sofort erhältlich

Der neue Anglizismen-Index ist erschienen – er kann ab sofort beim IFB-Verlag für 16 Euro bestellt werden. Herausgeber Achim Elfers hat ihn um neue Anglizismen erweitert, vor allem die aktuelle Corona-Krise hat ihre Spuren hinterlassen. So gibt es nun den „Lockdown“ mit den Alternativen „Ladenschließung“, „Abriegelung“ und „Kontaktreduktion“. Aber auch „killing with kindness“ ist neu aufgenommen worden. Es bezeichnet die Art, jemandem durch Freundlichkeit den Wind aus den Segeln zu nehmen. (ifb-verlag.de)


5. Denglisch

Coming of Age

Genrebezeichnungen in Film und Literatur sind oft englisch geprägt: Science-Fiction, Fantasy, und Comedy sind dabei nur einige Beispiele. Ein bald nicht mehr neuer Begriff ist der Coming-of-Age-Roman. Früher sprach man hier vom Entwicklungsroman oder Bildungsroman. Im Mittelpunkt steht meist ein jugendlicher Protagonist, der sich auf dem Weg ins Erwachsenenalter befindet und dabei alle möglichen Probleme und Prüfungen durchläuft. Der englischsprachige Ausdruck „to come of age“ bedeutet so viel wie „mündig, volljährig werden“ – der Inhalt eines solchen Buches lässt sich also vom Namen ableiten. Paradox wird es allerdings, wenn man sich anschaut, wie der Coming-of-Age-Roman in anderen Ländern heißt: Bildungsroman. Ja, tatsächlich, sowohl im Englischen als auch im Französischen und Italienischen nutzt man den deutschen Begriff – nur im Deutschen, wo der er seinen Ursprung hat, ersetzt man ihn lieber durch einen englischsprachigen Ausdruck. (deutschlandfunk.de)


6. Termine

ABGESAGT! 8. Juni, Region 20/22 (Hamburg)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Hotel Ibis Alsterring, Pappelallee 61, 22089 Hamburg

10. Juni, Region 65 (Wiesbaden/Kelkheim)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Europa, Stadthalle Kelkheim, Gagernring 1, 65779 Kelkheim (Taunus)

ABGESAGT! 20. Juni, Region 61/63 (Bad Homburg, Offenbach, Hanau, Aschaffenburg)
VDS-Infostand auf dem Mainuferfest
Zeit: 20. Juni, 10:00 Uhr – 21. Juni, 20:00 Uhr
Ort: Mainuferfest Offenbach, Schloßstraße 66, 63065 Offenbach


IMPRESSUM

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Holger Klatte, Alina Letzel, Dorota Wilke

© Verein Deutsche Sprache e. V.

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