Infobrief vom 8. November 2020: Sprache als Schlüssel zur Gesellschaft

1. Presseschau

Sprache als Schlüssel zur Gesellschaft

Bild: Rainer Sturm / pixelio.de

Wer Deutsch spricht, dem stehen die Türen in deutschsprachigen Gesellschaften offen. Zu diesem Schluss kommt Peer Teuwsen in seinem Artikel in der NZZ am Sonntag. Dennoch beobachtet er mit Ungemach, dass die Bedeutung der Sprachbeherrschung immer weiter in den Hintergrund rückt. In der Schweiz wird es in den Züricher Gymnasien weiter weniger Deutsch- als Mathematikstunden geben – und das, obwohl die Sprache für das Verstehen komplizierter Zusammenhänge unabdingbar ist. Probleme beim Verständnis und der Teilhabe an der Gesellschaft würden sich potenzieren, wenn es um Gespräche im Bereich Politik, Gesellschaft und Religion geht, denn diese lebten von Feinheiten der Sprache, die es zu kennen gilt, so Teuwsen: „Die deutsche Sprache ist der Schlüssel zu fast allem. Nur wer Deutsch spricht, kann sich umfassend einbringen und engagieren. Nur wer Deutsch spricht, kann sich sozial mit einiger Eleganz bewegen.“

Der Artikel ist kostenlos nach einer Registrierung per Email-Adresse lesbar. (nzzas.nzz.ch)


Verwirrung durch Corona-Bescheide

Welche Folgen der Verlust des Deutschen als Unternehmens- und als Fachsprache haben kann, erleben gerade Corona-Gefährdete in Bayern. Die Bescheide nach einem durchgeführten Corona-Test erfolgten vollständig in englischer Sprache oder in medizinischer Fachsprache, so dass selbst Hausärzte Probleme hatten, den Befund richtig zu deuten. „Bei dem Geld, was das Ganze kostet, könnte man schon erwarten, dass es auch verständlich ist“, sagte Dr. Fritz Ihler, Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbands Rosenheim. Die Bescheide werden von einer Firma mit Sitz in Luxemburg ausgestellt. Mittlerweile arbeite man auch an einer deutschen Übersetzung, ließ das Bayerische Innenministerium verlauten. (ovb-online.de)


Verrückte deutsche Sprache

Lange Wörter, Doppeldeutigkeiten und Satzzeichen – die deutsche Sprache hat viele Besonderheiten zu bieten. Die „Bild der Frau“ hat einige Kuriositäten zusammengestellt, so zum Beispiel das „Wahlpflichtfach“ – ist das nun etwas Freiwilliges oder doch nicht? Auch an Wörtern, die es ausschließlich im Deutschen gibt, erfreuen sich die Linguisten auf der ganzen Welt: „Brückentag“ und „Kummerspeck“ gehören dazu. Und auch Artikel und entsprechende Pluralbildungen sorgen für manche Stolperfalle: Der Band – die Bände; die Band – die Bands; das Band, die Bänder. (bildderfrau.de)


Jähriginnen und Jährige

Das Mannheimer Magazin ILMA berichtete kürzlich über ein Café mit außergewöhnlichem Konzept: Die Ausstattung sowie auch die Gestaltung der Gerichte sollen besonders tauglich für die Präsentation in den sozialen Medien sein. Wer im Café isst und sein Essen nicht fotografiert, gilt bereits als Ausnahme. Eröffnet wurde das Café übrigens nicht von zwei „Vierundzwanzigjährigen“, sondern von zwei „Vierundzwanzigjähriginnen“, wie es das Magazin ILMA formuliert. Da fragt man sich: Wird bald jedes beliebige Wort gegendert, nur weil es auf „-en“ endet? (ilma.de)


Corona per Sprach-App erkennen

Forscher der Universitätsklinik Augsburg arbeiten an einer App, die eine Corona-Infektion an der Stimme des mutmaßlich Erkrankten erkennt. Sprachmuster erkrankter und nicht-erkrankter Menschen werden miteinander verglichen. Aktuell liegt die Trefferquote des kleinen Programms laut Forschern bei 80 Prozent. (sueddeutsche.de)


Zum Marathon die schiefe Metapher

Ein alter Brauch ohne viel Sinn wird neu belebt anlässlich der Wahlen in den USA. Die Auszählung gilt als Sport: „… bei den jüngsten Aktualisierungen hatte Biden seine Position konstant verbessern können…“ Hat er das, was konnte er zu diesem Zeitpunkt noch beitragen? Wir sehen ihn vor dem inneren Auge, er hat seine Kraftanstrengung noch einmal vergrößert, ist dem Gegner davon gezogen, schon ist das Ziel in Sicht, er ringt um Atem, er wischt sich den Schweiß aus den Augen, und da, er durchbricht das Zielband!

In Wirklichkeit schwitzen die Wahlhelfer beim Auszählen, in Wirklichkeit kann der Kandidat zum Zählergebnis nichts mehr beitragen. So findet sich die schiefe Metapher in allen Medien, zum Beispiel hier: n-tv.de.


2. Unser Deutsch

Mauerfall

Das Wort ging um die Welt. Es bezeichnet ein Ereignis, das Geschichte gemacht hat. Mit dem Wort Mauerfall sehen wir sie vor uns: die Bilder von den Berlinern, die über die Sektorengrenze in den Westen stürmten, Freudentaumel auf der Mauer, Tränen der Begeisterung über die Wiedervereinigung der Stadt nach 28 Jahren Trennung. Der Fall der Berliner Mauer wurde zum Scheitelpunkt, zur Wasserscheide politischer Umwälzung: vorbereitet von den Aufständen in Polen, Ungarn, Tschechien, von den großen Demonstrationen in ostdeutschen Städten, den Rufen „Wir sind das Volk“, und dann, in der einen Nacht des 9. November 1989, der Zusammenbruch des DDR-Regimes, gefolgt vom Untergang der Sowjetunion, der Befreiung der osteuropäischen Völker.

Binnen Stunden war das Wort Mauerfall geboren und alsbald in aller Munde. Schon am folgenden Tag verkündigte Willy Brandt: „Die Mauer wird fallen“. Wie wird fallen hier gebraucht? Wörtlich bezeichnet das Verb ‚eine schnelle, plötzliche Bewegung nach unten‘ so wie in der Regen fällt. In Mauerfall sehen wir die übertragene Bedeutung, die für abrupten Untergang steht, zum Beispiel in der Wendung Fall einer Festung oder der Rede von den gefallenen Soldaten. Das ist Kriegsterminologie. Sie passt zur Mauer, die von der SED-Führung als ‚befestigte Staatsgrenze‘, als ‚antifaschistischer Schutzwall‘ bezeichnet wurde.

An politischer Bedeutung und Symbolkraft ist der Mauerfall nur mit dem Sturm auf die Pariser Bastille am 14. Juli 1789, dem Beginn der Französischen Revolution, zu vergleichen. Unsere Nachbarn hatten die Größe, diesen einzigartigen Tag, trotz vieler fürchterlicher Folgen, zum Nationalfeiertag zu erklären. So feiern sie jedes Jahr, was die ganze Welt an diesem Tag verändert hat.

Der 9. November war prädestiniert ein neuer, ein gemeinsamer Feiertag der Deutschen zu werden. Er ist in unzähligen Filmen und Dokumentationen, in Büchern, in Zeitzeugenberichten und in der Erinnerung von Millionen festgehalten. Man wollte die wieder errungene Einheit feiern, aber hat sich nicht getraut, diesen Tag zu bestimmen – sagen wir kurz: aus Bammel vor der eigenen Geschichte, aus Angst vor der Erinnerung an Hitlers Untaten am gleichen Tag. Immerhin hatte am 9. November 1918 der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann vom Balkon des Reichstages die erste deutsche Republik ausgerufen, eine würdige Parallele. Stattdessen wurde ein bürokratischer Termin, der im Einigungsvertrag mit der DDR ausgetüftelt wurde, zum Nationalfeiertag erhoben: der 3. Oktober, der Tag des politischen Beitritts der ostdeutschen ‚neuen‘ Bundesländer zur Bundesrepublik Deutschland. Damals gewannen jene Kleinmütigen die Oberhand, die beinahe die Ausrufung von Berlin als deutsche Hauptstadt verhindert hätten.

Der Mauerfall ist Erfolg der Ostdeutschen, die Wiedervereinigung als Beitritt ist vor allem Leistung westdeutscher Politiker. Dies haben sie im Datum der Feiertags verewigt und dafür ausgeschlagen, was ein tragendes Bindeglied zwischen Ostdeutschen und Westdeutschen hätte werden können: die nationale Erinnerung an den Tag des Mauerfalls und an all jene, die dafür gekämpft haben.

Am 3. Oktober 1990 wurde nur vollzogen, was am 31. August 1990 im Einigungsvertrag vereinbart worden war. Ein Tag ohne Charisma, an den sich niemand erinnert. Leider ist mit dem Wort Beitritt auch der Beigeschmack von Anschluss, von Unterwerfung verbunden. Das haben die großen Ereignisse des 9. November 1989 nicht verdient. Behalten wir deshalb diesen Tag als den eigentlichen, den wahren deutschen Nationalfeiertag im Gedächtnis.
Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e.V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de


3. Kultur

Lexikon für Roma

Die Roma Ramiza Berisa aus Greven setzt sich für den Erhalt der Sprache der Roma ein. Sie hat bereits an einem Wörterbuch Kroatisch-Roma mitgearbeitet: „So etwas brauchen wir auch für die deutsche Sprache“, sagt sie anlässlich des Welttages der Roma-Sprache (5. November). Die Migration der Roma über die Jahrhunderte hat dafür gesorgt, dass die Grundzüge der Sprache – das indoarische Romanes – gleich geblieben sind, aber über die Zeit hätten sich viele regionale Ausdrücke etabliert. Früher oft als „fahrendes Volk“ bezeichnet, blieben Roma selten lange an einem Ort, die Kinder besuchten daher so gut wie nie Schulen – Bücher oder andere schriftliche Überlieferungen der Roma als solche sind Ausnahmen. Daher gibt es auch keine eigentliche Literatur oder kaum Wörterbücher, die die Sprache bündeln und anderen Sprachkreisen zugänglich machen. Berisas Ansinnen ist es daher, mit Linguisten beider Sprachen ein Wörterbuch Deutsch-Romanes zu schaffen. (muensterschezeitung.de)


Georg-Büchner-Preis geht an Elke Erb

„Für die unverdrossene Aufklärerin ist Poesie eine politische und höchstlebendige Erkenntnisform“ – so begründete die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ihre Entscheidung, Elke Erb mit dem Georg-Büchner-Preis auszuzeichnen. Die Lyrikerin und Dichterin nahm den Preis am vergangenen Samstag persönlich entgegen, Publikum war jedoch kaum anwesend: Die Verleihung wurde im Netz für die Zuschauer übertragen. In ihrer Rede, die als Video eingespielt wurde, bedankte sich Erb mit einem „graziösen Sprachtanz durch Büchers Werk“ – so drückte es der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Ernst Osterkamp, aus. Der mit 50.000 Euro dotierte Georg-Büchner-Preis gilt als wichtigste literarische Auszeichnung in Deutschland. Er wird seit 1951 an Schriftsteller verliehen, die in deutscher Sprache schreiben und „durch ihre Arbeiten und Werke in besonderem Maße hervortreten“ und „an der Gestaltung des gegenwärtigen deutschen Kulturlebens wesentlichen Anteil haben“. (marbacher-zeitung.de)


4. Berichte

Ausschreibungen für den literarischen Nachwuchs

Seit Januar 2020 führt der VDS eine im deutschsprachigen Raum einmalige Datenbank: mit Schreibwettbewerben NUR für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene.

Sie kennen junge Menschen, die Schriftsteller werden wollen? Dann zeigen Sie ihnen die Datenbank, denn früh übt sich, was ein Meister werden will! Link: vds-ev.de.

Sie möchten unsere Übersicht ergänzen oder sind an der Organisation eines Wettbewerbs beteiligt? Dann schreiben Sie unserer Arbeitsgruppenleiterin Tatjana Schmalz und sie trägt den Termin schnellstmöglich ein.

E-Post: tatjana-schmalz@gmx.net

Fristen für überregionale Wettbewerbe:

  • 30. November: 5. Gautinger Literaturwettbewerb zum Thema „Das WIR in seiner Vieldeutigkeit“
  • 8. Dezember: Umwelt-Schreibwettbewerb „Zeilengrün“ zum Thema „Klimawandel und Umweltzerstörung“
  • 15. Dezember: THEO Berlin-Brandenburgischer Preis für junge Literatur
  • 15. Dezember: Anthologie-Ausschreibung des Verlags Roloff zum Thema „Umbrüche“
  • 30. Dezember: Bundeswettbewerb Schülerzeitungswettbewerb der Länder (Online-Zeitungen)
  • 31. Dezember: Call for Papers vom Netzwerk Klimaherbst e.V. zum Thema „Wie sieht eine gerechte und nachhaltige Welt nach der Corona-Krise und nach der Überwindung der Klima-Katastrophe aus?“
  • 1. Januar 2021: Anthologie-Ausschreibung zum Thema „Drachen parkieren verboten“
  • 15. Januar: Bundeswettbewerb Schülerzeitungswettbewerb der Länder (Print-Zeitungen)

Fristen für regionale Wettbewerbe:

  • 27. November: 8. Landesliteraturwettbewerb „Durchschrift“ von Rheinland-Pfalz
  • 12. Dezember: 2. Schreibwettbewerb zum Eberhard-Alexander-Burgh-Preis für Kinder der 4.-5. Schulklasse im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf
  • 31. Dezember: JuniorenPressePreis, Schülerzeitungswettbewerb und Wettbewerb für Jungmedien in Niedersachsen
  • 31. Dezember: 17. Tauchaer (Sachsen) Literaturwettbewerb zum Thema „Es war einmal“
  • 17. Januar 2021: Märchen-Schreibwettbewerb der 17. Hamburger Märchentage 2020 zum Thema „Auf der Suche nach dem Winterglück“ für Kinder der 4.-5. Schulklasse in Hamburg

5. Denglisch

We have the nose full

Der Journalist und Buchautor Peter Littger beschäftigt sich mit Denglisch. Er spürt anglisierte Begriffe auf, hinterfragt sie und arbeitet das Ergebnis humoresk in einer Kolumne bei n-tv auf. Aktuell blickt er dabei auf das Leben mit Corona und den Anglizismen, die diese neue und ungewöhnliche Situation mit sich gebracht hat. „Englisch dient dann als eine Art sprachlicher Tarnanzug, um die wahren Absichten zu verschleiern und zu beschönigen, ganz egal wie dreckig, verlogen und radikal sie sind“, so Littger. „Lockdown“ und „Social Distancing“ klängen durch das Englische nicht mehr ganz so hart wie „Abriegelung“ oder „Ausgangssperre“. (n-tv.de)


Lockdown oder Shutdown

Im Leibniz-Institut für deutsche Sprache in Mannheim und auch in den Redaktionen der Medien sinniert man darüber, ob „Shutdown“ oder eher „Lockdown“ den gegenwärtigen Zustand der Kontakteinschränkungen besser trifft. „Beide Begriffe treffen also auf das, was Deutschland im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie im März und April erlebt hat, streng genommen nicht zu“, stellt das Redaktionsnetzwerk Deutschland fest. „Wir haben dann aber nach und nach zur Kenntnis genommen, dass der Sprachgebrauch auch in diesem Fall mächtiger ist als das Wörterbuch“, erklärt der Deutschlandfunk seine Entscheidung für „Lockdown“.

Warum geht man nicht einen Schritt weiter und überlegt sich ein deutschsprachiges Wort? In VDS-Kreisen wurde „Runterschließen“ vorgeschlagen. Weitere Ideen: Kontaktmäßigung, Virenruhe, Kontaktruhe, Kontaktschranke. Wie wäre es, die alten, heute nicht gebräuchlichen Wörter „ruhigen“ oder „Ruhigkeit“ neu zu beleben. Wem fällt etwas Besseres ein? (rnd.de, ids-mannheim.de, deutschlandfunk.de)


6. Termine

! ABGESAGT ! 25. November, Region 03 (Cottbus)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Hotel Zur Sonne, Taubenstraße 7, 03046 Cottbus

! ABGESAGT ! 25. November, Region 20/22 (Hamburg)
Feierliche Übergabe des „Elbschwanenordens“ 2020 an die Autorin Kirsten Boie (Anmeldung erforderlich)
Zeit: 18:30 Uhr
Ort: Gästehaus der Universität Hamburg, Rothenbaumchaussee 34, 20146 Hamburg

! ABGESAGT ! 26. November, Region 18 (Rostock)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Gasthaus Zum Bauernhaus Biestow, Am Dorfteich 16, 18059 Rostock

IMPRESSUM

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Holger Klatte, Alina Letzel, Dorota Wilke

© Verein Deutsche Sprache e. V.

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