Infobrief vom 9. Oktober 2020: Vom Mohrenkopf, der einer sein will

1. Presseschau

Vom Mohrenkopf, der einer sein will

Foto: Verena N. / pixelio.de

Was dürfen wir eigentlich noch sagen – und was nicht. Darum ging es am 5.10. in der Sendung „Hart aber Fair“. Unter anderem diskutierten der Autor Jan Weiler und der Kabarettist Jürgen von der Lippe über vermeintlich geschlechtergerechte Sprache, aber auch über Begriffe, die heute von vielen als rassistisch angesehen werden. Als direkt Betroffener war der Kieler Koch Andrew Onuegbu zu Gast – er wendet sich entschieden gegen die aktuelle Diskussion und die damit verbundene Art, ihm zu sagen, wann er sich beleidigt fühlen soll. Den Namen für sein Restaurant hat er bewusst und vor allem selbstbewusst gewählt. Es heißt Zum Mohrenkopf. Der Begriff sei seit dem Mittelalter positiv besetzt, ein Gasthaus, das etwas auf sich hielt und eine gute Küche bot, hängte sich das Emblem eines Mohrenkopfes an die Tür – „Sterne gab es damals ja noch nicht“.

Die Sendung, als Link beigefügt, ist noch bis zum 5.10.2021 in der Mediathek des WDR abrufbar: 75 erlebenswerte Minuten! (berliner-zeitung.de, sueddeutsche.de, rtl.de)


Schmrache in Neiten lon Ngolin-19

„In ner nrinnen Woche verschwinnen nann nie velaren Okklusive (k), K und (g), G, nie zu (ŋ), NG wernen. Wir megnommen im Emgemnis eine saumere nrockene Schmrache, nie uns erlaumen sollne, nen Sicherheinsamstann auf achnunnneunzing Zennimener zu renuzieren.“ – Nein, die Verfasser des Infobriefes sind nicht auf der Tastatur eingeschlafen. Eine Gruppe um die Sprecherin Céline Geyer und die Übersetzerin Norma Cassau hat sich einen gesprochenen Text von einer französischen Satire-Seite vorgenommen. Der Text behandelt die Gefahren, die bestimmte Konsonanten in Verbindung bringen mit der Verbreitung von Corona. Dabei werden im Text immer mehr „gefährliche“ Buchstaben durch „ungefährliche“ ersetzt; immer in der Absicht, so die Tröpfchenbildung und die damit verbundene Ansteckungsgefahr zu unterbinden. Unser Respekt gebührt der professionellen Aussprache – Loriot hätte seine Freude daran. Der französische Originaltext findet sich hier im angegebenen Link, nochfolgend ist außerdem das deutschsprachige Video zu sehen. (plaf.org)


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Vom Duzen zu sprachlicher Hygiene

„Duzen geht mir auf den Geist!“ – das sagt der Ach-Gut-Gastautor Julian Marius Plutz. Das Du habe sich immer mehr in die Kommunikation zwischen Unternehmen und Kunden eingeschlichen. Es zerstöre jedoch die professionelle Distanz, mit der sich der Sender einer Nachricht zurücknimmt. Generell sei ein sprachliches Anbiedern an eine vermeintliche Basis zu erkennen. Ähnliches zeige sich in Wortungetümen wie „Menschen mit internationaler Geschichte“, die jetzt in Berlin anstelle von „Migranten“ genutzt werden sollen, um niemandem auf die Füße zu treten: „Das Hygienekonzept der politisch korrekten Sprache sieht vor, niemanden zu verletzen und auszugrenzen (…). Am Ende meint sie gar nix und verkommt zu einer inhaltlich ausgehöhlten und ästhetiklosen Sprache.“ (achgut.com)


Stellenausschreibung: (a*) gesucht

In Stellenausschreibungen stößt man immer häufiger auf Gendersternchen, Binnen-Is und Unterstriche. Es wird kein „Beamter“ mehr gesucht, sondern „ein*e Beamt*in“. Die Stadt Sehnde hat nun die Gendersprache noch um ein weiteres Kürzel erweitert: In einer Annonce sucht sie zum nächstmöglichen Zeitpunkt „eine*n Sachbearbeiter*in (a*)“. Wofür das „(a*)“ steht? Das muss sie selbst in einem späteren Absatz in der Stellenausschreibung erläutern: „Das (a*) in der Stellenbezeichnung umfasst für uns alle Menschen, die mit uns zusammen arbeiten wollen. Daher sind auch Bewerbungen von Menschen aller Nationalitäten willkommen.“ (sehnde.de)


2. Unser Deutsch

Bakschisch

Das Wort ist allen Ägypten-, Tunesien- und Marokko-Urlaubern bekannt. Es wird mit deutsch ‚Trinkgeld‘ übersetzt, was nicht ganz richtig ist und zu überraschenden Schwierigkeiten führen kann. Denn Bakschisch ist Pflicht gegenüber Hotelpersonal, Touristenführern, Kellnern, Autowächtern, kurz allen, die eine Dienstleistung erbringen. Der Bakschisch ist oft das einzige Einkommen dieser Helfer. Darum kann über seine Höhe auch gestritten werden. Es ist keine milde Gabe, sondern erwartete Gegenleistung. Ich habe miterlebt, was passiert, wenn sie zu gering ausfällt. Sie wird stolz abgelehnt. Übrigens stammt das Wort aus dem Persischen, ist weithin im Orient verbreitet und wurde im 18. Jahrhundert ins Englische, Französische und Deutsche entlehnt. Zuerst ist es in Reiseberichten belegt, heute unverzichtbares Kapitel der Reiseführer.

Anders unser Trinkgeld, das viel älter ist, schon seit dem 14. Jahrhundert belegt. Die ursprüngliche Bedeutung war ,Bezahlung fürs Trinken‘, also die Zeche. Der ausführliche Artikel im Grimmschen Wörterbuch (XI, 1952) verzeichnet aus der Schweiz eine spezielle Bedeutung: Die Bezahlung des Trunks, der einen Kaufabschluss bekräftigt. Schon früh entstand die heutige Bedeutung ‚kleinerer Geldbetrag zur persönlichen Anerkennung einer Dienstleistung‘. Daraus ergab sich die Nebenbedeutung ‚geringe Geldsumme‘ (Hallo, ich arbeite nicht für ein Trinkgeld). Neu scheint der Gebrauch von Kaffeekasse. Das ist nicht allein die Kasse, welche die Sekretärin für den Kauf von Kaffee verwaltet. Für die Kaffeekasse ist ein verdeckter Hinweis auf einen Bakschisch ein kleines Draufgeld für verschiedenste Dienstleistungen.

Das nimmt der Gabe das Gönnerhafte des Trinkgeldes. Es fließt ja (vermeintlich) in eine Gemeinschaftskasse.
Zum Schluss: Wieviel? Freiwillig oder verpflichtend? Das kommt aufs kulturelle Umfeld an. Im Orient zumindest ein Muss. Wo bei uns das Auswärtsessen populär ist, wo es regelmäßig naus aufs Land geht – jetzt hat in Franken die Karpfenzeit begonnen – wird wenigstens aufgerundet, 10 bis 15 Prozent gelten als üblich. Schon mehr Bakschisch als Trinkgeld.
Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e.V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de


3. Kultur

​Ein wichtiger Erzähler gestorben

Am 4. Oktober 2020 ist der Schriftsteller Günter de Bruyn im Alter von 93 Jahren gestorben. Er war ein großer Erzähler in der Tradition des Realismus. Viele seiner Romane spielen in Brandenburg und Berlin, und er war Herausgeber des „Märkischen Dichtergartens“, weshalb er den Ehrennamen „Fontane des 20. Jahrhunderts“ trug. 1999 erschienen seine „Altersbetrachtungen über den alten Fontane“. Daneben verfasste er Essays zu literarischen und politischen Themen, zudem Biographien zu Jean Paul, Königin Luise von Preußen, Zacharias Werner und Schmidt von Werneuchen. Im Jahre 2006 wurde ihm für seine großen sprachlichen und stilistischen Verdienste der Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache verliehen. In seiner Laudatio sagte Wolfgang Thierse am 21. Oktober 2006 in Kassel:

„Günter de Bruyns Verdienste um die Pflege und Förderung der deutschen Sprache sind nicht hoch genug zu würdigen. Er hat sich ganz im Sinne von Jacob Grimm verdient gemacht um die Lebendigkeit der deutschen Sprache – nicht nur durch seine eigenen Werke, sondern auch durch sein Schreiben über andere große Autoren des 19. Jahrhunderts – und auch seine wunderbaren, freundlichen Bücher über Brandenburg, seine Geschichten, seine Landschaften“.

Die Jury für den Kulturpreis Deutsche Sprache betrauert den Tod eines großen Meisters der deutschen Sprache. Sie wird sein Andenken und sein literarisches Erbe in Ehren halten.

(Helmut Glück)


30 Jahre Deutsche Einheit – Sprach-Reste der DDR

Die „geflügelte Jahresendfigur“ (Engel) gab es zwar nicht, wohl aber die „Komplexannahmestelle“ (Reinigung und Schuhreparatur); über diese wurde in der ehemaligen DDR hinter vorgehaltener Hand gerne mal herzlich gelacht. Dabei war die Sprache der DDR-Bürger nicht so hölzern und bürokratisch, wie es in der Nachbetrachtung oft den Anschein hat. Der Schriftsteller und Kolumnist Torsten Hansen, selbst noch in Ost-Berlin geboren, hat in der Berliner Zeitung einen launigen Dialog verfasst, der so hätte durchaus stattfinden können. Es geht um Fresswürfel, blaue Fliesen, Radkästen und die Freunde – und nichts davon meint das, was man auf den ersten Blick glauben könnte.

Auch die Tagesschau hat sich mit dem sprachlichen Erbe der Deutschen Einheit beschäftigt. Begriffe wie „Westrente“ und „Aufschwung Ost“ seien lange Zeit bekannt gewesen. 30 Jahre nach der Wiedervereinigung müsse man jedoch hinterfragen, ob sie noch passend sind. Vor allem der Aufbau Ost suggeriere immer noch, dass ein starker Westen einem schwachen Osten unter die Arme greifen müsse. Auch der „Besserwessi“ trage nicht zu einem besseren Miteinander bei. (berliner-zeitung.de, tagesschau.de)


Familieninterne Sprache

Jugendsprache, Managersprache, Kirchensprache – sie alle haben eines gemeinsam: Mitglieder dieser Gruppen oder Gemeinschaften verstehen ihre eigenen Wörter, die für andere fremd klingen. Dass diese Gruppen auch sehr klein und fast elitär sein können, ist eher unbekannt: Familien haben häufig eine eigene Sprache oder eigene Floskeln, die nur innerhalb der eigenen Familie gelten. So schaffen sie Gruppenidentität und Nähe. Eine Familie zum Beispiel verwendet die Bezeichnung „Genscher-Baby“ für ein besonders dickes Kind. Der englische Sender BBC hat solche Begriffe gesucht und stieß damit auch auf den „Rabbit-Check“ – so nannte eine Familie das Absuchen des Hotelzimmers vor der Abreise, um sicher zu gehen, dass auch kein Kuscheltier vergessen wurde. Eine Toilette im Haus der Großmutter war „The Gerald“, weil dort einmal ein Kind mit diesem Namen stecken geblieben war. (berchtesgadener-anzeiger.de)


4. Denglisch

Leserbriefe für weniger Anglizismen

„Kann ich ohne Wörterbuch irgendwann keine Zeitung mehr lesen?“, fragt ein Leser des Mannheimer Morgen. In seinem Leserbrief an die Redaktion bedauert er, dass Berichte immer häufiger nicht allgemein bekannte Fremdwörter, vor allem Anglizismen, enthielten. Dabei bezieht er sich auf den Artikel „Abzocke mit Fake-Immobilien“ – eine Überschrift, die man auch auf Deutsch hätte formulieren können. „Betrugs-, Schummel- oder falsche Immobilien“ seien Alternativen, so sein Vorschlag. Seine Bitte an die Redakteure lautet: „Nehmen Sie bitte etwas Rücksicht auf uns ältere Generationen und vermeiden Sie, soweit möglich, solche Wörter, die sich auch gut in Deutsch ausdrücken lassen.“ (morgenweb.de)


5. Termine

12. Oktober, Region 65 (Wiesbaden/Kelkheim)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Europa, Stadthalle Kelkheim, Gagernring 1, 65779 Kelkheim (Taunus)

13. Oktober, Region 25 (West-Schleswig-Holstein)
Kulturbeitrag: „Idun und ihre Äpfel“ aus der Edda
Anmeldung: bis zum 11.10.2020 an 04841-82510 oder veranstaltungen@vds-sh.de
Zeit: 20:00 Uhr
Ort: Hotel Alter Kreisbahnhof, Königstraße 9, 24837 Schleswig

15. Oktober, Region 04 (Leipzig)
Besuch des Reclam-Museums
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Reclam-Museum, Kreuzstraße 12, 04103 Leipzig

15. Oktober, Region 44 (Bochum, Dortmund, Herne)
Lesung von VDS-Mitglied Horst Hensel aus seinem aktuellen Romanprojekt
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: literaturhaus.dortmund, Neuer Graben 78, 44139 Dortmund

26. Oktober, Region 50/51 (Köln)
Regionalversammlung
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Cöllner Hof, Hansaring 100, 50670 Köln

28. Oktober, Region 03 (Cottbus)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Hotel Zur Sonne, Taubenstraße 7, 03046 Cottbus

IMPRESSUM

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Alina Letzel, Dorota Wilke

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