Infobrief vom 21. März 2021: Erkennbar nachgelassen

1. Presseschau

Erkennbar nachgelassen

Manfred Jahreis / pixelio.de

Der Spiegel (Nr. 11-2021) berichtet über eine Auswertung von Abiturklausuren an einem Gymnasium am Bodensee aus den Jahren 1984 und 1985. Sie wurden zufällig gefunden und boten die Gelegenheit zum – anonymisierten – Vergleich mit Arbeiten aktueller Abiturjahrgänge. Das Ergebnis überraschte nicht: Die Leistungen im Hinblick auf Rechtschreibung, Zeichensetzung, Grammatik und die Qualität des sprachlichen Ausdrucks haben deutlich erkennbar nachgelassen: Während Abiturarbeiten im Fach Deutsch damals eine durchschnittliche Fehlerquote von 1,5 je 100 Wörter aufwiesen, so waren es 2,2 Fehler je 100 im Jahr 2019 – eine Fehlerzunahme von rund 50 Prozent. Klausuren, die 2019 mit weniger als 6 Punkten – also noch glatt ausreichend – bewertet wurden, blieben sogar unberücksichtigt, um ungleiche Voraussetzungen bei der Auswahl der Abiturfächer auszugleichen: Leistungsschwächere Schüler konnten 1984/85 Deutsch als Fach der schriftlichen Abiturprüfung abwählen.

Die Auswertung macht nach Ansicht der Autoren deutlich, dass etwa die große Rechtschreibreform von 1996 mit den vorgenommenen Vereinfachungen des Regelsystems die angekündigte Wirkung (mit Ausnahme der Zeichensetzungsfehler) schuldig blieb. Im Gegenteil träten bestimmte Fehlertypen wie die Verwechslung von „das“ und „dass“ (früher „daß“) sogar häufiger auf. Eine der Ursachen sehen die Verfasser neben den Einflüssen digitaler Kommunikationsmöglichkeiten und dem allgemeinen Verlust an Schriftlichkeit vor allem in der Lernmethode des „Schreibens nach Gehör“ in den Grundschulen. Zum Qualitätsverlust trage aber auch bei, dass grammatische Phänomene in der medialen Öffentlichkeit nicht regelgerecht behandelt werden, zum Beispiel der Konjunktiv in indirekter Rede oder der richtige Kasusgebrauch. Der Spiegel zitiert die Professorin für Deutsche Sprachdidaktik Julia Knopf, die vor der im öffentlichen Raum häufig vernehmbaren Auffassung warnt, Rechtschreibung sei doch heute nicht mehr so wichtig, solange der Sinn einer Aussage oder eines Gedankengangs verständlich sei. Die Autoren mahnen, genau das sei nämlich aufgrund der sprachlichen Mängel heute schon bei vielen Abiturarbeiten nicht mehr der Fall.
(Claus Günther Maas)


Von Bänken und Büchern

Schulbücher sind ständige Begleiter während der Schulzeit. Mit Linder Biologie zum Beispiel haben Generationen von Schülern gelernt. Verändert wurde über die Jahre nicht nur der Inhalt von Schulbüchern, sondern auch ihre sprachliche Ausgestaltung. Dabei bleibt Umsichtigkeit angezeigt. Die Verlagsgruppe-Westermann, einer der größten deutschen Schulbuchverlage, sei sich dieser besonderen Verantwortung bewusst, so seine Sprecherin Regine Meyer-Arlt. Aktuell stünden vor allem die Geschlechtergerechtigkeit und diskriminierungsfreie Sprache auf der Agenda. Vor zwanzig Jahren seien diese Themen nicht Teil des öffentlichen Diskurses gewesen: „Da hat man ganz klar von Schülern und Lehrern gesprochen oder von Partnerarbeit. Das sind alles Begriffe, die wir jetzt immer hinterfragen müssen. Genauso Begriffe wie Indianer und Schwarze“, so Meyer-Arlt.

Schulbuchautoren müssten differenziert formulieren können, um den verschiedenen Anforderungen von Schulform und Altersstufe entgegen zu kommen. Ferner sei die Wortschatzentwicklung von Schülern zu verbessern. Ziel sei ein möglichst breiter Wortschatz, die Schüler seien dabei aber nicht zu überfordern: „Wir müssen also immer Rücksicht nehmen. Das betrifft vor allem die mittleren Schulformen, wo lernschwächere Kinder sind, oder Kinder, deren Muttersprache nicht Deutsch ist“, betont Meyer-Arlt. Weitergehend würden auch jüngste Sprachentwicklungen aufgegriffen. Rinde oder Saum sind Beispiele für Wörter, die vielen Kindern nicht mehr bekannt sind. Besonders in den Büchern für Gymnasien rücken im Zuge des Sprachwandels die Internetsprache, Wortneuschöpfungen und Uminterpretationen in den Brennpunkt. (ndr.de)


Entwicklung der Grammatik

Die deutsche Grammatik gilt gegenüber anderen Sprachen als kompliziert. Die verschiedenen Verb-Endungen, die Fälle und Artikel machen vor allem Fremdsprachlern zu schaffen. Wie die grammatischen Eigenheiten der deutschen Sprache zustande kamen, bespricht der Wissenschaftsjournalist und Buchautor Gábor Paál in einer Sendung des SWR. So seien die Vergangenheitsformen von regelmäßigen Verben aus einem eigenständigen Wort hervorgegangen. Die Vergangenheitsformen seien ursprünglich mit einer Form des Wörtchens „tun“ gebildet worden. Es könne im Protogermanischen „Ich reden tat“ geheißen haben. Über die Zeit habe sich das Wort aber dem Verb angegliedert und sei zu einer Endung geworden, sodass es nun „Ich redete“ heißt. Die Vorsilbe „un“ lässt sich auf einen ähnlichen Prozess zurückführen. Hier besagt die Forschung, dass aus dem ursprünglichen Begriff „ohne“ später die Vorsilbe „un“ wurde. Heutzutage entstehe oft der Eindruck, so Paál, dass Sprachen über die Zeit vereinfacht werden. Beispielsweise werde das Dativ-e im Deutschen kaum noch genutzt, niemand sage mehr, er befinde sich „im Hause“. Vereinfachungstendenzen gebe es zwar, aber auch in die andere Richtung ließen sich Entwicklungen beobachten. Grundsätzlich gehe dies immer nur solange gut, wie es dadurch nicht zu Missverständnissen komme. Sobald Verständnisprobleme entstünden, würden diese durch neue Sprachentwicklungen kompensiert. (swr.de)


Jüd*innen und anderer Gender-Stuss

Die deutsche Sprache benötige keine Gleichschaltung des grammatischen mit dem biologischen Geschlecht, sagt Ellen Presser, Leiterin des Kulturzentrums der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG), in einem Gastbeitrag in der Jüdischen Allgemeinen: „Geschlechtergerechtes Formulieren unterminiert die Ausdrucksvielfalt im Deutschen.“ Es diene nur dazu, Gleichberechtigung gewaltsam in die Köpfe der Menschen einzustanzen, der Plural werde akustisch zur weiblichen Form verunstaltet. Diese Gleichschaltung werde über kurz oder lang die deutsche Sprache ruinieren. Presser geht sogar einen Schritt weiter und greift das Gendersternchen direkt an: „Wenn man von Jüdinnen und Juden, kurz Jüd*innen, sprechen muss, weil Juden als maskuliner Sammelbegriff unzulässig geworden ist, dann bekommen Leute wie ich auf neue Weise einen Stern verpasst.“ (juedische-allgemeine.de)

Junge Frau gegen Gendern – Twitter bekommt Schnappatmung

Eine junge Frau im Volontariat beim Bayrischen Rundfunk, setzt im Mittagsmagazin, also zur besten Sendezeit, einen 84-Sekunden-Kommentar, in dem sie das Gendern ablehnt, wohlgemerkt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wo mittlerweile durchgängig gegendert wird. Daraufhin hat sich die Social-Media-Welt überschlagen. Auch der VDS teilte auf Twitter den Kommentar von Julia Ruhs, eben weil er so pointiert war. Wir staunen über die geballte Verbalgewalt, mit der die Pro-Gender-Fraktion über sie herfällt. Sie könne das Gendern nicht beurteilen, oder die Tragweite ihres Kommentars erfassen. Sie sei nur vorgeschoben worden, damit ein junges Gesicht sich gegen das Gendern positioniert. Ihrer Redaktion wurde Unachtsamkeit vorgeworfen. Sie selbst war überrascht von den Reaktionen, steht aber klar zu ihrer Meinung: „Viele junge Frauen sind gegen das Gendern“, sagt sie in einem Interview mit dem Branchendienst Meedia. Das Gendern sei keine natürliche, sondern eine verkrampfte Entwicklung der Sprache. Die fehlende Gleichberechtigung liege an der Wirklichkeit, nicht an der Sprache. Sie bleibt dabei, das Thema verlange danach, von einer jungen Journalistin kommentiert zu werden, denn jedem älteren, vor allem männlichen Kollegen würde sofort das Recht abgesprochen, dass er sich zu dem Thema überhaupt äußern darf – weil er zu alt, oder als Mann nicht betroffen ist. (meedia.de, twitter.com)


2. Unser Deutsch

Lobby

Das Wort ist aus englisch lobby übernommen und seit 1929 im Duden belegt. Im Deutschen hat es eine konkrete und eine übertragene Bedeutung. Einerseits steht es für die Eingangshalle, das Vestibül eines Hotels, andererseits für jegliche Interessenvertretung, die bemüht ist, Entscheidungen in ihrem Sinne zu beeinflussen. So suchen Lobbyisten den Kontakt zu Abgeordneten der Parlamente und zu den Ministerien. Ihre Beratung ist zweischneidig: sie helfen mit Sachverstand in ihrem Arbeitsbereich, verbinden damit aber auch das eigene Interesse, Entscheidungen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Je mehr Politiker nur Politiker sind, ohne eigene Berufserfahrung, um so mehr benötigen sie den Rat der Lobbyisten.

Diese Bedeutung von lobby hat sich im Englischen entwickelt, ursprünglich eine Entlehnung aus mittellateinisch lobia ‚Galerie‘. Ähnlich der Hotellobby war und ist es die Wandelhalle in britischen und amerikanischen Parlamentsgebäuden, in denen die Abgeordneten mit Wählern und Interessengruppen zusammentreffen. Der Ort wurde (metonymisch) zur Bezeichnung der Interessenvertreter selbst, der Lobby eines Unternehmens, einer Branche, einer Organisation. Der öffentliche Ort der Begegnung steht auch für das Einverständnis mit solcher Kommunikation, idealerweise ohne ein do-ut-des, ein ‚ich gebe, damit du gibst‘. (Dieser Ausspruch, den Bismarck öfter im Zusammenhang politischer Absprachen benutzte, geht auf das Römische Recht zurück.)

Die Parlamentarier stehen da im Konflikt: dem Gemeinwohl verpflichtet, aber auch in Versuchung, dem Eigennutz zu dienen. Darum hat das Wort Lobby im Deutschen nebst seinen Ableitungen Lobbyist und Lobbyismus (aus englisch lobbyist und lobbyism) meist einen abschätzigen Klang. Wo geht freundschaftlicher Umgang in Vorteilsnahme, wo in Korruption über? Kann es sein, dass die Amerikaner hier weniger zimperlich und ehrlicher sind? Nun planen unsere Parlamentarier ein Lobbyregister. Es soll künftig für Transparenz sorgen, sozusagen die Öffentlichkeit in der Wandelhalle wiederherstellen. Ihr Wort in Gottes Ohr!

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e.V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de


3. Kultur

Gaeilge – Irische Sprache neu erleben

Lange Zeit war Gaeilge die Sprache für alle Iren, nicht nur in der Schule, sondern im Alltag. Auch wenn heute Straßenschilder immer noch zweisprachig beschriftet sind: Das Englische hat die Oberhand. Begründet liegt das in der Geschichte der grünen Insel. Die Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts hinterließ viele Tote, in Scharen wanderten andere aus nach Amerika. Zur gleichen Zeit erließ die britische Regierung neue Gesetze, die das Irische aus den Schulen verbannten und durch Englisch ersetzten. Nach dem Osteraufstand 1916 wurde Gaeilge wieder in die Lehrpläne aufgenommen; doch gleich nach dem Schulabschluss geriet die irische Sprache wieder in Vergessenheit. Seit einigen Jahren besinnen sich immer mehr Iren auf die eigene Sprache. Sie hören entsprechende Radioprogramme, um sich den Sprachfluss zu erhalten, oder sie verabreden sich zu dem einzigen Zweck Irisch zu sprechen. (n-tv.de)


Lüdenscheid-Nord und Herne-West in trauter Einigkeit

Normalerweise sind Borussia Dortmund und Schalke 04 einander nicht grün. Unter den blauweißen Fans ist der Rivale nicht in Dortmund, sondern in Lüdenscheid-Nord zuhause; umgekehrt nimmt kein schwarzgelber Dortmunder den Namen Gelsenkirchen in den Mund, er spricht von Herne-West. Die Revierderbys sind immer der Höhepunkt der Saison für die Erzrivalen. Jetzt haben sie sich für eine gute Sache zusammengetan. „Leicht Kicken“ heißt ein Projekt der Bundesbehindertenfanarbeitsgemeinschaft (BBAG), das beide Vereine unterstützen. Ein Wörterbuch soll entstehen, das Begriffe wie Abseits oder Foul in Leichte Sprache übersetzt, ohne Fremdwörter zu beanspruchen. Auch Fans sind daran beteiligt, Begriffe aus dem Fußball und der Fankultur zu sammeln und zu übersetzen. Im März 2023 soll das Projekt abgeschlossen sein. Statistisch gesehen gebe es bundesweit rund 5,8 Millionen Fußballfans, denen Leichte Sprache beim Verständnis von Texten helfen würde, so die BBAG, schreibt der Westfalenspiegel. (westfalenspiegel.de)


4. Denglisch

Sprachpolizei in Québec

In Debatten über politische Korrektheit wird oft gegen eine vermutete (oder gar insgeheim tatsächliche?) „Sprachpolizei“ gewettert – hierzulande gibt es sie nicht, jedenfalls nicht als offizielle Institution. Das ist im kanadischen Québec anders. Das „Québecer Büro für die französische Sprache“, umgangssprachlich Sprachpolizei genannt, sorgt dafür, dass die Kommunikation in der Öffentlichkeit auf Französisch stattfindet. Auf Straßenschildern muss „Arrêt“ statt „Stop“ stehen, Schaufenster müssen französische Aufschriften haben und auch im Restaurant gelten Regeln: Bei mehrsprachigen Menüs muss die französische Variante fett gedruckt sein und erst kürzlich wurden die Wörter „Pasta“ und „Cocktail“ wieder zugelassen. Anglizismen sind in den meisten Fällen unerwünscht, die französische Sprache soll geschützt werden. Das Büro für Sprache erhält jährlich etwa 4000 Beschwerden von Bürgern, die sich auf Französisch nicht genug informiert fühlen. (travelbook.de)


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Oliver Baer, Alina Letzel, Frank Reimer, Dorota Wilke

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