Infobrief vom 29. August 2021: Tierische Redewendungen und deren Ursprung

Bild: Erwin Lorenzen / pixelio.de

1. Presseschau

Tierische Redewendungen und deren Ursprung

Tierische Metaphern bereichern die Sprache vermutlich seit Menschen sprechen. Sie werden mit Tieren verglichen, die tierischen Eigenschaften werden auf sie ĂŒbertragen. Begriffe wie bĂ€renstark, Wespentaille, Adlerauge und toller Hecht ermöglichenbildhafte Vergleiche und schaffen mit wenigen Worten ganze Geschichten. Wie sind die Tiere in unseren Sprachgebrauch geraten? Sie umgeben uns seit jeher, Vergleiche mit Tieren bieten sich an, spontan leuchten einem die tierischen Metaphern ein. Haus- und Hoftiere sind besonders oft vertreten, Hunde und Schweine in der westlichen Kultur schon wegen ihrer Bedeutung fĂŒr das Überleben. Metaphern wurden vor allem durch antike und neuzeitliche Fabeln verbreitet, auch MĂ€rchen und die Bibel verewigten ihre VolkstĂŒmlichkeit. So schaffte es der Wolf im Schafspelz oder die falsche Schlange aufgrund als Zitate aus der Bibel in fast alle europĂ€ischen Sprachen. (srf.ch)


John Cleese ergrĂŒndet die Löschkultur

Die grotesken Sketche der Gruppe Monty Python sind legendĂ€r: Egal ob das Ministerium fĂŒr dĂŒmmliche Gangarten, der außerordentlich tote Papagei, oder das Philosophiefinale Deutschland gegen Griechenland (RĂŒckspiel) – die Cambridger Komiker um John Cleese stehen weltweit fĂŒr den britischen Humor der absurden Art. Dabei fanden die Briten nicht immer komisch, was Monty Python brachte. John Cleese bekam bei seiner Serie Fawlty Towers Ärger mit einer Folge, wo es um den Zweiten Weltkrieg ging. Entgegen seiner erklĂ€rten Absicht („Bloß nicht den Krieg erwĂ€hnen!“) stĂ¶ĂŸt er, als Hotelbesitzer, seine deutschen GĂ€ste wiederholt vor den Kopf, marschiert sogar er im Stechschritt durch den Speiseraum. Nachdem die Folge zunĂ€chst gar nicht gezeigt wurde, kommt sie neuerdings mit einer mahnenden Vorbemerkung. John Cleese ist die Löschkultur vertraut. Als offenbar unvermeidbares Lehnwort Cancel Culture importiert umfasst sie das Bestreben, vermeintlich unangenehme oder nicht allgemeinheitstaugliche BeitrĂ€ge zu zensieren oder zu löschen, und Veranstaltungen abzusagen oder gleich zu verbieten. Jetzt will er in einer neuen Serie die Bewegung der woke generation ergrĂŒnden („woke“ bedeutet erwacht, das soll heißen: besonders aufmerksam gegenĂŒber wahrgenommenen Ungerechtigkeiten). Er will mit Menschen sprechen, die selber gegĂ€ngelt wurden und mit Aktivisten, die Löschaktionen in Gang gebracht haben. „Ich freue mich, dass ich die Chance habe, vor der Kamera alle Aspekte der sogenannten political correctness zu ergrĂŒnden“, so Cleese. (faz.net)


Jugendwort des Jahres entlarvt

In einer vergangenen Ausgabe des Infobriefs wurde die Wahl des Jugendworts 2021 vorgestellt. Nun gibt es Kritik an den zehn zur Auswahl stehenden Begriffen. Die Faszination fĂŒr die alljĂ€hrliche Wahl beruht auf dem Wunsch junger Leute, sich von den Alten abzugrenzen. Der Medienlinguist Jannis Androutsopoulos kritisiert das Verfahren des Langendscheidt-Verlags. Es gebe keine methodologische Grundlage um sicherzustellen, dass unter den Jugendlichen eine tatsĂ€chlich reprĂ€sentative Menge befragt wird. Auch werde nicht kontrolliert, ob die eingereichten VorschlĂ€ge von Jugendlichen oder Erwachsenen stammen, oder Stimmen mehrmals abgegeben werden. Hier die von Langenscheidt veröffentlichte Liste:

  • Cringe: bezeichnet alles, wofĂŒr man sich schĂ€mt oder fremdschĂ€mt
  • akkurat: drĂŒckt Zustimmung aus
  • Geringverdiener: so werden scherzhaft Loser bezeichnet
  • Sheesh: Ausruf des Erstaunens oder Erschreckens
  • Digga: Bezeichnung fĂŒr einen Freund oder Kumpel
  • same: drĂŒckt Zustimmung aus
  • papatastisch: etwas schönes, außergewöhnliches oder fantastisches
  • sus: verdĂ€chtig, shady
  • Mittwoch: „Es ist Mittwoch meine Kerle“ (Internet-Meme)
  • wild: heftig, krass oder intensiv

Androutsopoulos hegt den Verdacht, dass Wortschöpfungen aus dem Internet, etwa auf Foren wie Reddit, die Auswahl der Kandidaten zum Jugendwort stĂ€rker beeinflussen als die wirklich gesprochene Ausdrucksweise unter jungen Leuten. Mithin sei das System offen fĂŒr Manipulation. Er berichtet von Wortkreationen in Foren, die in der Alltagssprache Jugendlicher keinerlei Bedeutung haben, in der aktuellen Auswahl beispielsweise papatastisch und Mittwoch. Manche machen sich nun mal einen Spaß daraus, mit dem Wettbewerb Spielchen zu treiben; man verabredet sich zur konzertierten Abstimmung fĂŒr chancenlose oder frei erfundene Kandidaten.
Langenscheidt mache sich die verbreitete Gleichsetzung von Jugendkultur und Netzkultur zunutze.
Der Verlag ruft in der einzig möglichen Sprache: „Let the voting begin!“ (welt.de, langenscheidt.com)

Da stutzt der aufmerksame NetzbĂŒrger, er weiß lĂ€ngst: Wo man voten, nicht abstimmen soll, ist die Umfrage nur begrenzt aussagefĂ€hig, denn abgestimmt haben nur die Angesprochenen, und von denen nur ein Teil. ReprĂ€sentativ fĂŒr „die Jugend“ kann das Ergebnis daher nur zufĂ€llig sein. Es enthĂ€lt bestenfalls einen gewissen Unterhaltungswert, als Marketingkniff ist so etwas fragwĂŒrdig.


Die Zukunft der kĂŒnstlichen Intelligenzen

Im Interview mit Der Standard spricht Datenexperte Siegfried Handschuh ĂŒber die Fortschritte und Gefahren von kĂŒnstlichen Intelligenzen (KI). Die KomplexitĂ€t der menschlichen Sprache sei zwar einzigartig und nicht mit der Kommunikation unter Tieren zu vergleichen, jedoch könnten Maschinen und Computer bald konkurrenzfĂ€hig, aber auch hilfreich sein. Wissenschaftler arbeiten daran, die menschliche Sprache in ihrer Vielfalt fĂŒr Maschinen und Programme verstĂ€ndlich zu machen. Sprachassistenten wie Siri, Alexa und der Google Assistant sind bereits bekannt. Mit ihnen setzt man VorgĂ€nge in Gang („Schließ die RollĂ€den!“), was manchem bereits als Intelligenzleistung vorkommt. Der Handlungsspielraum der Assistenten ist vorerst eingeschrĂ€nkt.

Handschuh versichert, dass kĂŒnstliche Intelligenzen nicht so leicht in der Lage sind, aufmerksame Menschen zu tĂ€uschen. Chatbots sind Anwendungen, die mithilfe kĂŒnstlicher Intelligenz das GesprĂ€ch zwischen Maschine und Mensch in natĂŒrlicher Sprache ermöglichen. Ein Algorithmus erschließt sich den Zusammenhang unter Verwendung gespeicherter Texte und erzeugt aus Wörtern und Wortschnipseln grammatisch sinnvolle AntwortsĂ€tze. Jedoch sind diese Bots noch langsam in ihren Antworten. Ob man mit einer Maschine oder einer Person spricht, lĂ€sst sich leicht prĂŒfen. Man spricht Unsinn, darauf antwortet der Chatbot zwanghaft, er kann nie zugeben, dass er um Antworten verlegen ist und reagiert auf Unsinn – mit Unsinn.

Auf den Verdacht, dass mithilfe KI Falschnachrichten im Netz massenhaft verbreitbar seien, entgegnet Handschuh, diese Sorge klinge so „als ob Menschen immer ehrlich wĂ€ren.“ Theoretisch könnten Chatbots LĂŒgen zwar wesentlich schneller und massiver verbreiten, aber sobald man als Mensch mit einem Chatbot hin und her debattiert, könne die KI des Chatbots nicht mehr mithalten. Mangels LangzeitgedĂ€chtnis fehle ihm bald der rote Faden; das mĂŒsse dem Menschen komisch vorkommen. Die Gefahr sieht Handschuh dennoch. Viel von unserer Kommunikation habe mit Vertrauen und Reputation zu tun. Texte von Maschinen können Menschen in ihren Ansichten bestĂ€rken, denn man glaube bekanntlich eher Inhalten, welche die eigene Meinung bestĂ€tigen. Spricht man sie per KI gezielt an, kann man ihnen GerĂŒchte als Fakten einflĂŒstern.

Handschuh betont, KI solle Menschen nicht ersetzen, sondern die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine verbessern. Gewissen, Logikstruktur, Empathie und Bewusstsein seien menschliche Faktoren, Programme beherrschen diese nicht. Kritisch reflektieren könne am besten der Mensch. (derstandard.de)


Kontroverse Buchstabiertafel

Gibt es etwas zu ordnen, tritt das Deutsche Institut fĂŒr Normung (DIN) auf den Plan. Dieses hat sich nun die DIN 5009 „Ansagen und Diktieren von Texten und Schriftzeichen“, bekannt auch als Buchstabiertafel, vorgenommen. Die gelĂ€ufige Version erregt Anstoß, weil vor 75 Jahren alle anscheinend jĂŒdischen Namen in der Tafel ersetzt wurden: Aus David wurde Dora, aus Nathan Nordpol und so weiter. Das DIN-Institut schlĂ€gt stattdessen StĂ€dtenamen vor und zwar solche, die auf Kraftfahrzeugskennzeichen mit nur einem Buchstaben erscheinen, also MĂŒnchen, Hannover, aber auch Quickborn, Iserlohn und Xanten. „Mit StĂ€dtenamen wurden auch in anderen europĂ€ischen LĂ€ndern gute Erfahrungen gemacht“, erklĂ€rt Eberhard RĂŒssing, Fachbereichsleiter fĂŒr die Lernfelder beim DIN-Institut.

Der Erlanger Sprachwissenschaftler Horst Haider Munske bleibt skeptisch. Die vorgesehenen StĂ€dtenamen erfĂŒllten die sprachlichen und mnemotechnischen Grundbedingungen einer Diktierliste nur mangelhaft. Bei einigen StĂ€dten wie „Chemnitz“ oder „Stuttgart“ unterscheide sich die Lautung von der Schreibung. „Dem DIN-Ausschuss hat es offensichtlich an Sachverstand gefehlt“, schreibt er in der WELT und fragt sich: „Was befugt den DIN-Ausschuss eigentlich, diesen spezifischen Sprachbesitz von vielen Millionen Deutschen einfach zu verwerfen und durch einen anderen zu ersetzen?“. Das DIN-Institut bittet um Kommentare und Ideen zu dem Entwurf der DIN 5009 bis zum 30. September 2021. (welt.de, din.de)


FledermÀuse sprechen Babysprache

Berliner Forscher haben festgestellt, dass junge SackflĂŒgelfledermĂ€use Laute Ă€hnlich wiederholen wie Babys. Sie brabbeln dabei immer wieder die gleichen rhythmischen Laute nach, so wie Babys es beim ersten Sprechen mit „dadadada“ und „mamamama“ machen. Mit diesen Tönen ĂŒben sie mit ihrem Sprechapparat, also Lippen, Stimmlippen, Zunge und Kiefer. Erst danach werden aus diesen Lauten echte Wörter. Auch bei SackflĂŒgelfledermĂ€usen dauert es etwas, bis aus den ersten „Sprechproben“ die unterschiedlichen Rufe werden, mit denen sie sich spĂ€ter unterhalten können. (sueddeutsche.de)


2. Gendern

Von queeren BĂ€ren und Trans-Taliban

Die öffentlich-rechtlichen Sender treten beim Gendern in ein FettnĂ€pfchen nach dem anderen. Das ZDF hat in einem kurzen Film bei Instagram den Einmarsch der Taliban in Kabul mit dem Bildtext „Islamist*innen“ unterlegt. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei den radikalislamischen KĂ€mpfern tatsĂ€chlich Frauen und Transsexuelle mitmarschieren, ist doch sehr gering. Dennoch wurde aus politischer Korrektheit heraus das Gendersternchen bemĂŒht – die Wirklichkeit auf dem Boden der Tatsachen spielt keine Rolle. Nur kurz darauf hat – ebenfalls bei Instagram – die Plattform Funk (ein gemeinsames Online-Projekt von ARD und ZDF) ErklĂ€rkacheln zu BraunbĂ€ren hochgeladen. Auf einer davon wurde dem Leser mitgeteilt, dass BĂ€ren zu 75 Prozent Veganer:innen seien. Einen Verweis zu einer Umfrage, wie viele BĂ€ren sich als queer identifizieren, wurde nicht geliefert. In beiden FĂ€llen war der Gegenwind enorm – im ersten mit den Taliban fĂŒhrte er sogar dazu, dass das ZDF den betreffenden Film wieder löschte. (bild.de)

Hallervorden kritisiert Gendern scharf

Der Kabarettist Dieter Hallervorden polarisiert aktuell die Gender-Gemeinde. Bei einem Termin in seinem Schlosspark Theater sagte er: „Das Schlosspark Theater wird, so lange ich da ein bisschen mitzumischen habe, sich am Gendern nicht beteiligen.“ Den Mitarbeitern stehe es frei, das zu tun, aber seitens des Theaters werde nichts, was rausgeht, „dazu dienen, die deutsche Sprache zu vergewaltigen.“ Diese deutlichen Worte kamen nicht bei allen gut an. Kritisiert wurde vor allem der Vergleich mit einer Straftat. Auch eine weitere AusfĂŒhrung stieß nicht ĂŒberall auf Gegenliebe: „NatĂŒrlich entwickelt sich Sprache. Aber sie entwickelt sich nicht von oben herab auf Befehl. Es hat in der letzten Zeit nĂ€mlich zwei Versuche gegeben. Einmal von den Nazis und einmal von den Kommunisten. Beides hat sich auf Druck durchgesetzt, aber nur temporĂ€r – und zwar auf Zwang.“ Der Hinweis auf die deutschen Diktaturen sei ĂŒberzogen und unangebracht, hieß es vor allem auf Twitter, er sei der Prototyp des alten, weißen Mannes. Karin Christmann schrieb im Tagesspiegel, Hallervorden fehle das GespĂŒr fĂŒr die Gleichstellung. (n-tv.de, tagesspiegel.de, deutschlandfunk.de)

Anmerkung: Christmann fehlt das GespĂŒr dafĂŒr, dass beim Gendern die Anliegen aus zwei Kategorien verwirbelt werden, die einander keineswegs widersprechen mĂŒssen. Man kann zum Beispiel Veganer sein und musizieren.


Antirassismus kein Kinderspiel

Wohlwollend zitiert der SPIEGEL den Erfolgsautor Asfa-Wossen Asserate. Er fremdle „mit dem antirassistischen Aktivismus junger Persons of Color.“ Er ist Ă€thiopischer Abstammung und nennt sich selber einen alten weißen Mann. Die Eiferer ertappt er beim unbedachten Umgang mit der Sprache: „Wenn alle oder die allermeisten weißen Menschen per Definition rassistisch sein sollen, wird der Begriff untauglich.“ Den Titel seines Buches Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann? bezieht er von dem gleichnamigen, alten Kinderspiel, das neuerdings als rassistisch gilt. Asserate wurde 2015 mit dem Jacob-Grimm-Preis der Eberhard-Schöck-Stiftung und des Vereins Deutsche Sprache geehrt. (Quelle: Spiegel Druckausgabe Nr. 34 vom 21. August 2021)


3. Unser Deutsch

Politvokabular: robust, moderat, einschÀtzen

In Verlautbarungen aus Ministerien und von AmtstrĂ€gern der Politik begegnen uns immer wieder standardisierte Wendungen. Neuerdings ist vom robusten Mandat fĂŒr die letzten Truppen in Afghanistan die Rede, aber auch von einem moderaten FlĂŒgel der Taliban, außerdem entschuldigend: man habe die Lage dort falsch eingeschĂ€tzt.

Werfen wir einen genaueren Blick auf diese drei Wörter! robust taucht schon im 17. Jahrhundert in deutschen Texten auf, wohl entlehnt aus lateinisch robustus ‚aus Hartholz, aus Eichenholz‘, hĂ€ufiger erst seit Ende des 18. Jahrhunderts, jetzt angelehnt an französisch robuste. Im Deutschen wird es meist ĂŒbertragen gebraucht. Die Rede ist von robuster Gesundheit, von robuster Konstitution. Auch die Konjunktur wird robust genannt. In der AnkĂŒndigung der Verteidigungsministerin heißt robustes Mandat soviel wie ‚mit Kampfeinsatz‘, also KriegfĂŒhrung.

Moderat dient im politischen Diskurs der Charakterisierung von Teilen radikaler Gruppen, die sich gebessert haben, mit denen man reden kann. Das Adjektiv ist seit dem 19. Jahrhundert im Deutschen belegt, entlehnt aus dem lateinischen moderatus. Meist wird es fĂŒr Gehaltsforderungen und LohnabschlĂŒsse gebraucht, die ertrĂ€glich sind. Ein Synonym ist gemĂ€ĂŸigt, ein indigener Zwillingsbruder, das Partizip zum Verb mĂ€ĂŸigen. Diese Durchsichtigkeit macht es weniger geeignet, das Gemeinte undeutlich zu lassen. Ob es ĂŒberhaupt moderate TalibanfĂŒhrer gibt, wird sich zeigen.

In diesem Zusammenhang begegnet uns das Verb einschĂ€tzen. Man habe, bekennt der Außenminister zum Blitzsieg der Taliban in Afghanistan und zu den schmĂ€hlichen VersĂ€umnissen bei der Evakuierung der ehemaligen afghanischen Helfer, man habe, so sagt er kĂŒhl, die Lage falsch eingeschĂ€tzt. Von allen drei verbalen Beschönigungen ist das die dĂŒrftigste und unverfrorenste. Etwas einschĂ€tzen heißt soviel wie ‚etwas ĂŒber den Daumen bewerten, eine Vermutung ĂŒber etwas anstellen‘. Auch die SteuerschĂ€tzung gehört hierher. Das Afghanistan-Desaster mit falscher EinschĂ€tzung zu erklĂ€ren, beleuchtet noch nachtrĂ€glich Können und Moral der Verantwortlichen.

Euphemismen zeichnen sich durch scheinbare Harmlosigkeit aus, bei Licht betrachtet, verraten sie aber, was sie verbergen wollen. Sprache kann betrĂŒgen, aber die Dinge Ă€ndern kann sie nicht.

Anhang des Autors in eigener Sache

Liebe Leserinnen und Leser,

Drei Jahre konnten Sie in jedem Infobrief des VDS eine Glosse ĂŒber ‚Unser Deutsch‘, ĂŒber ein deutsches Wort lesen. Jetzt nehme ich mir eine kreative Pause. Andere Autoren werden fĂŒr mich einspringen, nur ab und zu werde ich mich beteiligen.

Sehr viele von Ihnen haben mir regelmĂ€ĂŸig geschrieben, oft kamen bis zu einem Dutzend Mails zu einer Glosse, mit viel Zustimmung, Verbesserungen, weiterfĂŒhrenden AusfĂŒhrungen. DafĂŒr danke ich Ihnen. Ich habe mich bemĂŒht, allen zu antworten. Diese GesprĂ€che haben mir immer wieder Ansporn gegeben, jede Woche etwas Aktuelles, etwas Bedenkenswertes, etwas Interessantes zu erklĂ€ren und zu kommentieren.

Falls Sie einmal in Àlteren Glossen blÀttern wollen, sie sind in zwei SammelbÀnden publiziert und im Netz umsonst einzusehen: Horst Haider Munske, Unser Deutsch. 100 Glossen zum heutigen Wortschatz. FAU University Press, Erlangen 2019, 180 Seiten sowie Unser Deutsch II. Neue Glossen zum heutigen Wortschatz. FAU University Press, Erlangen 2020, 184 Seiten. Im Netz zu finden unter Munske, Glossen.

Ich wĂŒnsche allen Lesern des Infobriefes weiterhin Freude an Unserem Deutsch.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor fĂŒr Germanistische Sprachwissenschaft an der UniversitĂ€t Erlangen-NĂŒrnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e.V. ErgĂ€nzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an:
horst.munske@fau.de


4. Kultur

Ausstellung Alpha*Beten

Am 12. September 2021 wird erstmals die Ausstellung Alpha*Beten des KĂŒnstlers Michael Brendel gezeigt. Der erste Ausstellungsort ist das Kloster Mariensee bei Hannover. Brendels Arbeiten zeigen „Verschriftungen“, die das Wesen der Handschrift zeitgemĂ€ĂŸ bildkĂŒnstlerisch durchdringen und den Blick auf die historischen Dimensionen ermöglichen sollen. Brendel entwirft ein kĂŒnstlerisches Spielfeld mit SchriftzĂŒgen, erfundenen Buchstaben, Zeichen, Schreibrhythmen, KĂŒrzeln, Flecken und FĂ€rbungen. Sie geben Anreiz, der Verflechtung von Sprache, Schrift und Bild nachzuspĂŒren. Im Kloster Mariensee sind die Arbeiten bis zum 9. Januar zu sehen und sollen danach an weiteren Orten der ursprĂŒnglichen Herstellung, Verbreitung und Kultivierung von Schrift, den (ehemaligen) Klöstern und Kirchen im deutschsprachigen Raum, gezeigt werden. Die Ausstellung und der dazugehörige Katalog wurden gefördert von der Kulturförderung Dahme-Spreewald, dem Klosterland e.V., dem Verein Deutsche Sprache und der Stiftung Deutsche Sprache. (micha-brendel.de)


5. Berichte

Flensburger Briefmöwen sammeln Briefe fĂŒr Seniorenheime

Die Coronakrise hat bei vielen Menschen das GefĂŒhl von Einsamkeit verstĂ€rkt, besonders Senioren leiden unter der Isolation. Das Projekt Briefmöwen, bestehend aus sechs Flensburger Studenten, hat dies zum Anlass genommen, Briefe gegen Einsamkeit an Seniorenheime zu senden. Geschrieben werden die Briefe von jedem, der Lust hat mitzumachen. „Werdet kreativ und schickt uns Briefe mit positiven, inspirierenden Gedichten, Geschichten, Erlebnissen, Gedanken, gemalten oder fotografierten Bildern und was euch sonst noch einfĂ€llt“, heißt es in dem Aufruf auf der Internetseite der Briefmöwen. Diese Briefe werden dann gesammelt und an Seniorenheime oder mobile Pflegedienste verteilt.

Der Verein Deutsche Sprache vermittelt seit mehreren Jahren Brieffreundschaften und wird diesbezĂŒglich mit den Briefmöwen kooperieren, sodass aus den einmaligen Briefsendungen vielleicht auch lĂ€ngerfristige Brieffreundschaften entstehen können. Wer Interesse hat, an dem Projekt der Briefmöwen mitzuwirken und Briefe gegen Einsamkeit zu schreiben, kann diese an folgende Adresse senden: Briefmöwen, Postfach 12 37, 24902 Flensburg. Auch wer selbst in einem Seniorenheim oder einer Ă€hnlichen Einrichtung arbeitet und Briefe dort verteilen möchte, meldet sich bei den Briefmöwen, am besten per Mail an info@briefmoewen.de. Genaueres zu dem Projekt gibt es in den sozialen Medien oder unter briefmoewen.de.


Tag der deutschen Sprache 2021

Der Tag der deutschen Sprache am 11. September 2021 ist leider auch in diesem Jahr nur eingeschrĂ€nkt möglich. Trotzdem wird es in einigen VDS-Regionen Veranstaltungen geben, natĂŒrlich stets unter Corona-Bedingungen, zum Beispiel die Verleihung des Sprachpreises „Gutes Deutsch in Mecklenburg-Vorpommern‟ und ein vom VDS gefördertes Literaturkonzert in OsnabrĂŒck. Eine vollstĂ€ndige Liste gibt es hier.

Im Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Köln findet eine Vortrags- und Diskussionsveranstaltung mit dem Titel „Gendersprache fĂŒr alle – wollen wir das?‟ statt, die von der VDS-Regionalgruppe Köln und insbesondere von Claus Maas organisiert wird. Es referieren dort unter anderem die Buchautorin Birgit Kelle und die Schauspielerin und Regisseurin Gabriele Gysi. FĂŒr alle Teilnehmer ist vorherige Anmeldung erforderlich und zwar ĂŒber dieses Formular auf der VDS-Internetseite.


6. Denglisch

Hustle – das Jugendwort mit AnpassungsfĂ€higkeit

Dass Jugendsprache einen hohen Anteil an Anglizismen aufweist, ist nichts Neues. FrĂŒher wurden die englischen Begriffe eingedeutscht (Streik fĂŒr strike) oder verdeutscht (KnautschprĂŒfung fĂŒr crashtest). Das geschieht im Schriftlichen kaum noch, dafĂŒr halten sich im Gesprochenen haarstrĂ€ubende Aussprachfehler, mit denen man sich vor EnglĂ€ndern ĂŒbrigens fabelhaft blamiert. Eine neue Entlehnung ist das Wort „hustle“, welches im Jahr 2019 zu den beliebtesten Jugendwörtern des Jahres in Deutschland gehörte. Im Englischen bedeutet es „drĂ€ngen“, „schubsen“ oder „hasten“. Als Nomen steht es fĂŒr „Abzocke“, „Schwindel“, auch fĂŒr „Betriebsamkeit“. Der Bedeutungsrahmen spannt sich jedoch weiter, als der erste Eindruck vermittelt. Umgangssprachlich kann man auch „Geld besorgen“ meinen. Laut einem Beitrag in futurezone lasse sich damit auch bezahlter Geschlechtsverkehr oder das Anschaffen auf dem Strich bezeichnen. Die Bedeutung hĂ€ngt, wie so oft, vom Zusammenhang ab. In der deutschen Jugendsprache wird das Wort „hustle“ meist in Zusammenhang mit harter Arbeit verwendet. (futurezone.de)


Der VDS-Infobrief enthĂ€lt Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. MĂ€nner sind mitgemeint, das Gleiche gilt fĂŒr andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete BeitrĂ€ge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Alina LetzelAsma Loukili, Dorota Wilke

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