Infobrief vom 6. Februar 2021: Bibel in moderner Sprache

1. Presseschau

Bibel in moderner Sprache

Bild: BettinaF / pixelio.de

Immer wieder gibt es Versuche, die bis zu 3000 Jahre alten Texte der Bibel neu zu ĂŒbersetzen. Die Sprache sei zu altmodisch, der Satzbau zu verschachtelt – eine modernere und einfachere Sprache mĂŒsse her. Vor allem den jĂŒngeren Generationen fehle sonst der Zugang zur Bibel. Einer dieser Versuche ist die Basisbibel, die mit auffĂ€lliger Gestaltung, kurzen SĂ€tzen und einer klaren Sprache punkten soll, und kĂŒrzlich ihren Verkaufsstart feierte. Die „BibelĂŒbersetzung fĂŒr das 21. Jahrhundert“ nennt Christoph Rösel, GeneralsekretĂ€r der Bibelgesellschaft, das Projekt. Alleinstellungsmerkmal der Basisbibel sei, dass die Texte fĂŒr das Lesen an Bildschirmen konzipiert seien – ein Vorzug, den bislang keine andere BibelĂŒbersetzung vorweisen konnte.

Was die Basisbibel in recht moderater Form versucht, wurde in anderen Übersetzungen bereits radikaler vollzogen. So existiert seit 2005 die Volxbibel. Sie ist verfasst in „Jugendsprache“, die sich von ursprĂŒnglichen Formulierungen weit entfernt hat und stattdessen auf „coole“, fast schon satirisch angehauchte Analogien setzt. Aus dem „Salz der Erde“ wird in der Volxbibel ein „KĂŒhlschrank, ohne den die Welt vergammeln wĂŒrde“, das „Licht der Welt“ ist nur noch ein „ultraheller LED-Strahler“. Auch die Krippe existiert nicht mehr: Jesus kommt in einer Tiefgarage zur Welt und wird, so die Prophezeiung der Volxbibel, „seine Leute aus dem Dreck retten, in dem sie stecken, wegen den Sachen, wo sie Mist gebaut haben“.

Das Anliegen scheint verstĂ€ndlich, junge Menschen sollen in BerĂŒhrung mit der Bibel gebracht werden. Über die Umsetzung mag man sich streiten. Was manche als „SprachschlĂŒssel zu den Herzen der heutigen Jugend“ befĂŒrworten, wird vor allem von der Kirche kritisiert. Solche Übersetzungen seien „gotteslĂ€sterlich“ und „ein ziemlich gruseliges und peinliches Elaborat“. (stuttgarter-zeitung.de)


Gender-Streit um Jan-Fedder-Promenade

Der Schauspieler Jan Fedder war ein Hamburger Original. Er starb 2019 , am Hamburger Hafen soll die Flaniermeile an den LandungsbrĂŒcken nach ihm benannt werden. WĂ€hrend zunĂ€chst der Vorschlag seiner Witwe begrĂŒĂŸt wurde, regt sich nun Widerstand. Nach dem Willen der Fraktion sollen kĂŒnftig keine Straßen, PlĂ€tze oder BrĂŒcken mehr nach „cis-MĂ€nnern“ benannt werden. So einer war Fedder, und das – so die GrĂŒnen in der Bezirksfraktion Hamburg-Mitte – wĂŒrde das Ungleichgewicht zwischen MĂ€nnern und Frauen bei der Benennung von Straßen und PlĂ€tzen verschĂ€rfen. Seit 1974 wurden in Hamburg 404 VerkehrsflĂ€chen nach MĂ€nnern benannt, 162 nach Frauen. Die GrĂŒnen haben daher einen eigenen Antrag eingereicht: „PrioritĂ€t sollen weibliche und diverse Benennungen haben. Ausnahmen fĂŒr MĂ€nner wĂ€ren aber möglich. Dann mĂŒsste aber ein besonderer Grund fĂŒr die Ehrung eines Mannes vorliegen und zeitgleich eine FlĂ€che nach einer Frau, einer inter, trans* oder non-binary Person benannt werden, heißt es im Antrag“, schreibt das Portal moin.de. In der Meldung des Abendblattes werden cis-MĂ€nner erwĂ€hnt. Wer an die Tongeschlechter denkt (cis-Moll, Cis-Dur), der irrt. Die PrĂ€fixe cis und trans (diesseits und jenseits) entdeckt man beispielsweise auf Reisen: die cisalpine und die transalpine Seite der Berge. (mopo.de, moin.de, abendblatt.de)


Amtsdeutsch leicht gemacht

Die BĂŒrokratie sei erfunden worden, um der BĂŒrokratie zu dienen. So schimpft der Volksmund. Amtliche Schreiben bedienen sich dabei einer oftmals komplizierten Sprache, die wenigen BĂŒrgern auf Anhieb verstĂ€ndlich ist: das Amtsdeutsch. Besondere BlĂŒten treibt diese VarietĂ€t des Standarddeutschen im Bereich der SteuererklĂ€rung. Eine Umfrage des Leibniz-Instituts fĂŒr deutsche Sprache (IDS) in Kooperation mit der Steuerverwaltung soll nun Steuerbescheide auf ihre VerstĂ€ndlichkeit ĂŒberprĂŒfen. Projektleiterin Christine Möhrs ist dabei folgender Ansicht: „Manche SĂ€tze in Steuerbescheiden sind einfach unverstĂ€ndlich und machen ein bisschen Bauchschmerzen, selbst Expertinnen und Experten der deutschen Sprache.“

Sprachkonstruktionen, die die VerstĂ€ndlichkeit erschwerten, seien Passivkonstruktionen, lange und ĂŒberkomplexe SĂ€tze sowie der Gebrauch von Fachtermini. Es gehe nun darum, die Formulierungen verstĂ€ndlich und gleichzeitig rechtssicher zu gestalten, so Möhrs. Einige ĂŒberarbeitete Formulierungen hĂ€tten bereits ihren Weg in den amtlichen Sprachgebrauch gefunden. Die Umfrage diene nun dazu, Handlungsbedarf noch genauer zu ermitteln. Da es sich um ein Bundesprojekt handelt, sei davon auszugehen, dass die Änderungen auch irgendwann flĂ€chendeckend eingefĂŒhrt wĂŒrden, so Möhrs. (deutschlandfunknova.de)


Gendern? Bitte nicht!

In Baden in der Schweiz fordern die GrĂŒnen eine gendergerechte Sprache fĂŒr kommunale Funktionen. Aus „Stadtammann“ soll „StadtprĂ€sidentin“ beziehungsweise „StadtprĂ€sident“ werden. Bis auf die Schweizerische Volkspartei haben Mitglieder aller Fraktionen den Antrag unterschrieben. MarlĂšne Koller, Mitglied im Gemeinderat von Untersiggenthal, lehnt eine solche Bezeichnung fĂŒr sich ab: „Ich bin stolz, mich Frau Gemeindeammann nennen zu dĂŒrfen. Ich finde, die Bezeichnung Gemeindeammann hat mehr Gewicht, mehr Tradition als GemeindeprĂ€sidentin“, sagt sie im Badener Tageblatt, das sie in einem anderen Artikel als GemeindeprĂ€sidentin bezeichnet und dafĂŒr von ihr eine E-Mail mit Bitte um Richtigstellung bekommen hatte.

Bezahlschranke: badenertagblatt.ch.


2. Unser Deutsch

systemrelevant

Was alles ist in Corona-Zeiten systemrelevant? Mancher wundert sich darĂŒber, dass nicht nur die Arztpraxen, Apotheken, Banken und SupermĂ€rkte geöffnet bleiben, natĂŒrlich auch die Altenpfleger, die Busfahrer und Taxifahrer arbeiten dĂŒrfen. Aber auch die ZeitungsaustrĂ€ger gelten als systemrelevant und viele andere. Im Reiseteil einer sĂŒddeutschen Zeitung wird gewitzelt, auch der Alpentourismus sei es, die Skipistenplanierer, dazu die Hotellerie und Gastronomie. Wenn das alles wegbrĂ€che, seien Staatshaushalte bedroht. Offenbar hat sich die Bedeutung und Verwendung des Wortes gewandelt. Dem gehen wir nach.

Das Adjektiv taucht erstmals im Zusammenhang der Finanzkrise von 2008, der Pleite von Lehman Brothers auf. Der Begriff wurde im amerikanischen Englisch geprĂ€gt: systemically relevant (oder: important), ĂŒbersetzt als systemrelevant. Too big to fail ‚zu groß um zu scheitern‘ war das Stichwort. Weltweit wurden Banken gestĂŒtzt, um den Zusammenbruch des weltweiten Finanzsystems zu verhindern. Auch in Deutschland wurde Systemrelevanz zur BegrĂŒndung fĂŒr massive staatliche UnterstĂŒtzung.

Hier knĂŒpft die neuere Verwendung des Wortes in der Corona-Krise an. Jetzt geht es um Berufe, welche zur Aufrechterhaltung eines funktionierenden Gemeinwesens unverzichtbar sind. Sie werden vom allgemeinen Lockdown, von den Corona-bedingten EinschrĂ€nkungen ausgenommen. Das betrifft im wesentlichen die Bereiche Grundversorgung, Gesundheit und Sicherheit. Der MĂŒllmann wird ebenso gebraucht wie der Chefarzt, der BĂ€cker wie der Bankenchef und die Kassiererin im Supermarkt. Aber solche AufzĂ€hlungen lassen auch erkennen, dass der Begriff System etwas hochgegriffen ist. Vor allem wird damit die Frage umgangen, warum die Pleiten in der Gastronomie, unter Frisören, KĂŒnstlern und Ladenbesitzern hingenommen werden, warum deren Lebensleistungen nicht zum System unseres Gemeinwesens gehören. Die Betroffenen werden mit Kurzarbeit und anderen Zuwendungen abgefunden.

Ein bisschen werden wir erinnert an den Gebrauch von alternativlos. Damit werden Debatten abgeschnitten. Letztlich ist das Wort systemrelevant ungeeignet, die nötigen Maßnahmen zur Erhaltung des Lebens in der Corona-Pandemie zu begrĂŒnden. System ist zu abstrakt, relevant zu dĂŒnn. Es geht hier nicht ums globale Finanzsystem. Gemeint ist doch das Lebensnotwendige fĂŒr jedermann: Essen, Ă€rztliche Hilfe, Schutz. Das kann man auch den Kritikern verstĂ€ndlich machen. Dazu braucht es keinen hochtrabenden Sammelbegriff, der den Verdacht erweckt, mehr zu verschleiern als zu erklĂ€ren. Die drastischen EinschrĂ€nkungen und die ungleichen Belastungen mĂŒssen konkret begrĂŒndet werden, um sie zu verstehen und vielleicht zu ertragen.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor fĂŒr Germanistische Sprachwissenschaft an der UniversitĂ€t Erlangen-NĂŒrnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e.V. ErgĂ€nzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de


3. Kultur

Sprache ist mehr als ein Werkzeug

Der Sprachwissenschaftler JĂŒrgen Trabant appelliert in seinem, nach eigener Aussage letzten Buch SprachdĂ€mmerung fĂŒr die Pflege der Muttersprache und den Erhalt der internationalen Vielsprachigkeit. Trabants Buch stellt einen Querschnitt durch sein bisheriges Schaffen dar, er behandelt Thesen ĂŒber den sprachlichen Wandel. Der Verlust, beziehungsweise das sukzessive Aussterben von Sprachen ist das zentrale Thema. Die GefĂ€hrdung von Sprachen lasse sich dabei auf zwei weit verbreitete Fehlmeinungen zurĂŒckfĂŒhren. Erstens, dass Sprache als reine Kommunikation verstanden wird. Wenn dem so wĂ€re, mĂŒssten alle Sprachen zugunsten einer Weltverkehrssprache aufgegeben werden, um eine VerstĂ€ndigung ohne Reibungsverluste zu ermöglichen. Diese Funktion kĂ€me höchstwahrscheinlich dem Englischen zu. In der Verbreitung des Englischen bestehe bereits jetzt eine Gefahr fĂŒr das Deutsche, denn eine Sprache sei nicht erst dann ausgestorben, wenn sie niemand mehr sprĂ€che. Die Verfallstendenzen setzten weitaus frĂŒher ein. Zum Beispiel wenn zentrale Diskursbereiche, wie Administration, Bildung und Wissenschaft, nicht mehr auf die deutsche Sprache zurĂŒckgriffen. Zweitens, dass Sprache objektive Sachverhalte korrekt abbilden könne. Sprache sei kein Instrument zur naturwissenschaftlichen Vermessung, sondern Ausdruck eines besonderen Zugriffs auf die Welt: „Die Art, wie der Mensch sich die Welt aneignet, folgt der Vorgabe der Sprachgemeinschaft.“ HierfĂŒr sprĂ€chen auch die vielen Begriffe, die sich nur mittelbar ĂŒbersetzen ließen. JĂŒrgen Trabant plĂ€diert schließlich dafĂŒr, die Muttersprache zu pflegen, sich aber auch mit anderen Sprachen zu befassen. Gleichzeitig solle durch Übersetzungen ein reger Kontakt zwischen den Sprachgemeinschaften sichergestellt werden. (spektrum.de)


US-Wörterbuch nimmt „Second Gentleman“ auf

Als „First Lady“ bezeichnet man in englischsprachigen Staaten die Ehefrau eines Staatsoberhaupts. Geht es um die Ehefrau eines VizeprĂ€sidenten, wird gemeinhin von der „Second Lady“ gesprochen. Auch die entsprechenden mĂ€nnlichen Formen werden hin und wieder gebraucht, sind aber aufgrund der mĂ€nnlichen Dominanz in Regierungspositionen nicht weit verbreitet – einen „First“ oder „Second Gentleman“ kannten etwa die USA bislang nur aus einzelnen US-Bundesstaaten. Durch die Wahl von Joe Biden Ă€ndert sich dies: Mit Kamala Harris nimmt erstmalig eine Frau das Amt des VizeprĂ€sidenten ein. Ihr Ehemann ist damit der erste „Second Gentleman“ des gesamten Landes. Das Wörterbuch Merriam Webster sieht dies als Anlass, den Begriff aufzunehmen. „Er ist endlich verbreitet genug, um unsere Eintragskriterien zu erfĂŒllen“, so das Unternehmen. Sprache sei ein „Maß“ fĂŒr Kultur und Zeit, es brauche immer wieder neue Wörter, um die Welt, in der wir leben, zu beschreiben. (leonberger-kreiszeitung.de)


4. Denglisch

Lockdown – Anglizismus des Jahres 2020

Der Berliner Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch und Kollegen haben „Lockdown“ zum Anglizismus des Jahres 2020 gewĂ€hlt. Das Wort habe sich besonders gut in den deutschen Sprachgebrauch eingefĂŒgt und fĂŒhre bereits ein Eigenleben, heißt es in der Pressemitteilung; das zeige sich zum Beispiel an Zusammensetzungen wie „Lockdown-Regeln“ und „Lockdown-VerstĂ¶ĂŸe“. Insgesamt hatte Corona die Auswahlliste fest im Griff, zur Wahl standen unter anderem „Social Distancing“ und „Homeschooling“. In seiner Kolumne „Der Denglische Patient“ setzt sich der Autor Peter Littger dafĂŒr ein, gerade in solche Zeiten wie der Corona-Pandemie nicht alles zu ĂŒbernehmen, was aus dem vermeintlich Englischen zu uns ins Deutsche rĂŒberschwappt. Statt dessen sollten wir hĂ€ufiger versuchen, deutsche Begriffe, die ebenfalls treffend sind, fĂŒr ein PhĂ€nomen zu finden. (spiegel.de, anglizismusdesjahres.de, n-tv.de)


Denglisch perfekt ĂŒbersetzt

Der Youtuber Varion widmet sich auf seinem Kanal alltĂ€glichen Situationen, in denen er verschiedene Rollen annimmt und Lebenslagen auf kuriose Weise neu interpretiert. Eines seiner aktuellen Videos beschĂ€ftigt sich mit einem ganz normalen Plausch am FrĂŒhstĂŒckstisch. Darin verzichtet einer der GesprĂ€chspartner auf englische Begriffe, das lĂ€sst seine GegenĂŒber verstĂ€ndnislos und dezent sauer zurĂŒck. Ein humoriger Blick aufs Denglisch. (youtube.com)


Der VDS-Infobrief enthĂ€lt Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. MĂ€nner sind mitgemeint, das Gleiche gilt fĂŒr andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete BeitrĂ€ge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Alina Letzel, Dorota Wilke, Frank Reimer

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