1. Presseschau
Puschkin statt Putin
Die Schriftstellervereinigung PEN warnt vor einem Boykott russischer Literatur. „Der Feind heißt Putin, nicht Puschkin, Tolstoi oder Achmatowa“, so der deutsche PEN-Präsident Deniz Yücel laut FAZ. Die Forderung, keine russischen Bücher mehr zu kaufen oder russische Stücke aufzuführen, sei eine symbolische Ersatzhandlung. „Ein pauschaler Boykott beträfe zudem die mutigen Kolleginnen und Kollegen in Russland, die Putins skrupelloser Gewaltherrschaft und diesem Krieg widersprechen“, hieß es in der PEN-Mitteilung. Würde man sich von solchen pauschalen Anfeindungen hinreißen lassen, hätte „der Wahnsinn gesiegt, die Vernunft und die Menschlichkeit verloren.“ In einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk Kultur machte Yücel auch deutlich, wie wichtig die Positionierung russischer Autoren gegen den Krieg ist. Die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch habe nicht nur den Angriffskrieg kritisiert, sondern auch den Missbrauch der russischen Sprache für Kriegspropaganda angeprangert. (faz.net, deutschlandfunkkultur.de)
Sprache als Zeitenwende
Mit dem Regierungswechsel in der Politik wird auch die Sprache verändert. Die Bundesregierung steht dabei nicht nur vor der Bewältigung der Klimaprobleme und der Corona-Pandemie, sondern auch vor einem Krieg, den wohl kaum jemand hat kommen sehen. Diese Herausforderungen sorgten für einen sprachlichen Wandel, schreibt Daniel Hornuff in der Zeit. „Zeitenwende“ sei eines der Wörter, die jetzt häufiger vorkommen, es beziehe sich auf verschiedene Dinge wie „die Einrichtung eines sogenannten ‚Sondervermögens Bundeswehr‘, um laut Scholz ‚notwendige Investitionen und Rüstungsvorhaben‘ zu finanzieren“. Den Begriff „Energiewende“ gibt es schon länger. „Wer eine derartige ‚Wende‘ im Munde führt, gibt zumeist vor, diese durch politisches Handeln – und somit auch durch Sprache – Wirklichkeit werden zu lassen“, so Hornuff. Schwierig sei der Begriff in Bezug auf seine englische Übersetzung, denn das Pendant „watershed“ sei eher ein „Wendepunkt“, also eine deutlich kleinteilige, lokale Einheit, während die „Zeitenwende“ global bedeutungsvoll klingt. Wichtig sei, so Hornuff, Dinge beim Namen zu nennen, das schaffe Transparenz und wirke autokratischen Regimen entgegen: „Wenn Sprache Wirklichkeiten abbilden und zugleich bilden kann, ist die Arbeit an Begriffen ein demokratiepolitisches Muss.‟ Eine Verschärfung der Sprache auf der einen Seite könnte Interessen und Chancen verspielen, die man eigentlich verteidigen wollte: „Bedacht und Besonnenheit, ein kühler Kopf, die stete Abwägung – dies alles trägt dazu bei, das fragile Gebilde eines demokratischen Miteinanders zu erhalten und zu entwickeln. Freilich, dies schließt nicht grundsätzlich den Einsatz militärischer Mittel aus. Umso wichtiger sind solch vergleichsweise zerbrechlichen Bemühungen, wenn wir an einem guten Leben jenseits der Waffe festhalten wollen.“ (zeit.de)
Internationales „Wordle“
Das Spiel mit Wörtern namens „Wordle“ ist ein neuer viraler Zug, der seit Monaten die Runde macht. Der Name ist eine Anspielung auf den Erfinder Josh Wardle, nur eben mit einem „o“, um das englische „Word“ aufzugreifen. Das Ziel: ein Wort erraten, das aus genau fünf Buchstaben besteht. Korrekte Buchstaben an der richtigen Stelle auf dem Bildschirm werden grün markiert, korrekte Buchstaben an der falschen Stelle orange. Insgesamt sieben Versuche hat man, um das richtige Wort zu finden oder über Kombinationen zu entschlüsseln. Pro Tag gibt es nur ein neues zu erratendes Wort. In den 1970ern gab es bereits ein Spiel mit einem ähnlichen Spielprinzip, Mastermind, bei dem man eine Farbreihenfolge verwirklichen musste. Die englischsprachige Version von Wordle wurde kürzlich für einen „niedrigen siebenstelligen Betrag“ von der New York Times erworben. Mittlerweile gibt es das Rätsel auch Deutsch, Spanisch, Türkisch. Neu ist die jiddische Variante. Amir Livne Bar-On, im Alltag IT-Experte für Verkehrssysteme, hat sie programmiert, der Name: „Meduyeket“ (hebräisch für „genau“). Bereits am ersten Tag hatte das Spiel 2.000 Nutzer. 50.000 hebräische , Wörter mit fünf Buchstaben stehen zur Verfügung. (juedische-allgemeine.de, wordle.at, forbes.com)
Hessen fördert Sprachunterricht für ukrainische Schüler
Der hessische Kultusminister Alexander Lorz (CDU) zeigt sich in der FAZ optimistisch und versichert, das hessische Schulsystem sei auf die Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen gut vorbereitet. Die ukrainischen Schüler können laut Lorz in das bestehende System der Intensivklassen integriert werden. Außerdem verfüge Hessen seit Jahren über ein bundesweit einmaliges „Gesamtsprachförderkonzept“, das von der Zeit vor der Einschulung bis zum Übergang ins Berufsleben reiche. Schulbesuchsberechtigten Kindern und Jugendlichen, die bei Verwandten und Freunden aufgenommen wurden, soll ein möglichst schneller Zugang in Vorlaufkurse der Grundschulen oder in die Intensivklassen der allgemein- und berufsbildenden Schulen gewährt werden. Die staatlichen Schulämter dienen hierbei als erste Anlaufstelle nach der Meldebehörde. Derzeit besuchen rund 15.000 Kinder und Jugendliche eine der 912 Intensivklassen in Hessen. Während der großen Flüchtlings- und Zuwanderungswelle in den Jahren 2015 bis 2017 wurden am Höhepunkt im Mai 2017 rund 28.000 Schüler in 1.400 Intensivklassen beschult. Rund 6.000 hessische Lehrer verfügen mittlerweile über die Qualifikation „Deutsch als Zweitsprache“. Die umfangreichen Fortbildungsmaßnahmen erlauben Lehrern mit dieser Qualifikation die Intensivklassen zu unterrichten. Das Land stellt rund 2.200 Stellen zur Verfügung. Das hessische Kultusministerium will zur Information die Broschüre „Erfolgreich Deutsch lernen“ einsetzen. Die Broschüre, welche nun ins Ukrainische und Russische übersetzt werden soll, erklärt den Familien das Sprachförderkonzept und soll den ankommenden Flüchtlingen den Übergang erleichtern. (faz.net)
Artikel-Quiz
Spätestens beim Brotaufstrich aus Haselnüssen kann ein gemütliches Sonntagsfrühstück zu einem Familienstreit ausarten. Ist es der, die oder das nutella. Die Herstellerfirma Ferrero hat es auf ihrer Internetseite salomonisch gelöst: „Ganz einfach: DER Brotaufstrich, DIE Nuss-Nougat-Creme und DAS leckerste Frühstück! nutella ist ein im Markenregister eingetragenes Fantasiewort.“ Dennoch ist auch bei vielen sonst alltäglichen Worten oft nicht klar, welcher Artikel dazugehört. Pyjama und Paprika sind nur ein paar der Beispiele die auf dem Portal t-online.de in einem kleinen Quiz zusammengefasst sind: t-online.de.
2. Gendersprache
Keine Gleichberechtigung durch Genderstern
Die Nutzung des Gendersternchens soll dazu dienen, dass Leser beide Geschlechter gleich stark wahrnehmen. Eine Untersuchung von Psycholinguisten der Unis Kassel und Würzburg beweist indes das Gegenteil. Die Forscher haben rund 600 Probanden Sätze mit drei verschiedenen Genderformen „Autor*innen“, „Autoren“ sowie „Autorinnen und Autoren“ vorgelegt. Dazu zeigten sie ihnen einen zweiten Satz, in dem entweder von Männern oder von Frauen die Rede war. Die Probanden verknüpften die Form mit dem Gendersternchen öfter mit Frauen als mit Männern. Bei „Autoren“ war es umgekehrt. Die Verbindung des generischen Maskulinum mit dem Männlichen war stärker ausgeprägt als die Verbindung von der mit Stern gegenderten Form mit dem Weiblichen. Die Forscher schließen aus diesen Befunden, dass das Problem der Ungleichbehandlung nicht durch den Gebrauch des Sterns gelöst sei. Eine gleich starke Vorstellung von Männern und Frauen wurde erzeugt, wenn weibliche und männliche Form miteinander gebraucht wurden, das ist die sogenannte Beidnennung. (faz.net)
3. Sprachspiele: Unser Deutsch
Sonderoperation
Sprachvorschriften und Sprachverbote sind ein charakteristisches Mittel moderner Diktaturen. Die Nationalsozialisten führten den verbindlichen Hitlergruß ein. Nur ältere werden sich erinnern, dass der Schulunterricht so begann: Alles aufstehen, die rechte Hand vorstrecken und gemeinsam rufen: Heil Hitler. Auch beim Bäcker waren Guten Tag und Grüß Gott verpönt. Und in behördlichen Briefen wurden die freundlichen Grüße durch den Hitlergruß ersetzt. Das ist Geschichte. Näher sind die Spracherfahrungen aus der DDR. Parteimitglieder sprachen sich, in Erinnerung an eine sozialdemokratische Tradition, als Genosse an. Die ehrwürdigen Begriffe Frieden und Freundschaft mussten herhalten, um die guten Beziehungen zur Sowjetunion zu bekräftigen. Die Oder-Neiße-Grenze hieß Friedensgrenze. Unzählige Straßennamen in Städten und Dörfern beschworen das Erwünschte. Dagegen gab es aber auch Ulk. In Anlehnung an Orwells 1984 wurde die Sowjetunion als Der Große Bruder apostrophiert. Dieses entlarvende Buch von Orwell war in der DDR verboten.
Aktuell erleben wir die Sprachregelungen der russischen Führung unter Wladimir Putin. Der Überfall auf die Ukraine am 24. 2. 2022 heißt im offiziellen Sprachgebrauch Sonderoperation. Die zutreffenden Wörter Krieg und Invasion sind in diesem Zusammenhang verboten. Die russischen Soldaten, welche Tod und Zerstörung verbreiten, heißen Friedenstruppen. Putin hat von Hitler gelernt. Der nannte die Liquidierung der Juden Europas einfach Sonderbehandlung. Die Vermeidung entlarvender Wörter war System. Das zeigte auch das Protokoll der Wannsee-Konferenz. Und der Film darüber. Aus der Vergangenheit lernen heißt die Sprache der Diktaturen kritisch lesen, selber aber wahrhaftig bleiben.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de.
4. Kultur
Ein Gottesdienst in Mundart
Im thüringischen Kleinschmalkalden wurde ein gesamter Gottesdienst in Mundart gehalten. Pfarrerin Linda Heinlein sprang zum Verständnis nur an Stellen ein, die schwer zu übersetzen waren, wie das Vater unser oder das Glaubensbekenntnis. Den thüringischen Dialekt beherrschten alle Teilnehmer des Gottesdienstes, und wer nichts verstand, der „hoad Beech gehoad“ (hat Pech gehabt). Durch die Lockerungen der Coronaschutzverordnung und das Faschingsfest, welches weiterhin nicht wie gewohnt gefeiert werden konnte, hielt man laut Frank Genzler, einer der Organisatoren, den Zeitpunkt für genau richtig. Denn ein Gottesdient in Mundart war bereits seit längerer Zeit geplant. Neben der Liturgie und Predigt wurden zwei selbstgedichtete Lieder vorgetragen. Und auch bekannte Songs wie „Yesterday“ von den Beatles oder „Heart of Gold“ von Neil Young wurden zur Belustigung in das Kleinschmalkalder Platt übersetzt. Lektor Steffen Günther erklärt: „Wer nicht mehr lacht, hat aufgehört Mensch zu sein“. (insuedthueringen.de)
Mit Spaß Mundart lernen
Verschwinden werden Dialekte nicht – aber sie werden stark verändert. Davon ist Tobias Streck, Sprachwissenschaftler an der Uni Freiburg, überzeugt. Im badischen Raum würden sich die „alten‟ Ortsdialekte immer mehr einander angleichen und sich zu einem großflächigen Regionaldialekt entwickeln, der dann auch näher an der Schriftsprache sei: „Da wird dann aus ,gloffe’ beispielsweise ,glaufe’“, so Streck. Lediglich einzelne Wörter gehen verloren, sie werden nicht mehr gebraucht, darunter landwirtschaftliches Vokabular, das früher gängig war. Generell würde auf dem Land häufiger Dialekt gesprochen als in der Stadt. In Freiburg liege das vor allem an der Zusammensetzung der Bevölkerung: Hier leben am Universitätsstandort viel mehr unterschiedliche Milieus auf engerem Raum. Dass Dialektsprecher schlechtere berufliche Chancen hätten, ändere sich mittlerweile auch. Heute wird der Dialekt als eine Art „Fremdsprache“ wahrgenommen; wer zu Hause Dialekt spricht, hat es später meist leichter, eine ‚echte‘ Fremdsprache zu erlernen. Im badischen Raum haben sich mehrere Vereine gebildet, um die Mundart auch wieder verstärkt an die Schulen zu bringen, zum Beispiel mit Hilfe von Musikern und Kabarettisten, außerdem gibt es Mundartwettbewerbe für Kinder. Auch Bücher helfen dabei, so gibt es Bilderbücher, CDs mit Geschichten, aber auch traditionelle Märchen zum Vorlesen – in verschiedenen Dialekt-Versionen. (badische-zeitung.de)
5. Berichte
13.000 Unterschriften zum Erhalt des Deutschunterrichts
Über 13.000 Unterschriften sind jetzt bei einer Elternpetition in Polen zusammengekommen, um den Deutschunterricht an Schulen nicht zu kürzen. Die polnische Regierung hatte den Unterricht in Deutsch als Minderheitensprache deutlich gekürzt, dagegen gab es Protest – nicht nur von der Opposition, sondern auch von verschiedenen Kultur-Verbänden. „Gemeinschaften, Gemeinden, Schulen und vor allem die Kinder werden durch die Entscheidung des polnischen Parlaments benachteiligt“, sagt Martin Lippa, der Vizepräsident des Verbandes der deutschen Sozial-Kulturellen Gesellschaften in Polen. Martin Buballa, ein betroffener Vater, stellte klar: „Es ist ein Angriff auf Kinder, weil ihnen das Recht und die Möglichkeit genommen wird, Deutsch, die Sprache ihrer Vorfahren, zu lernen. Warum ist das so? Weil wir kleiner, schwächer sind?“ Der Sejm-Abgeordnete der deutschen Minderheit, Ryszard Galla, sicherte zu, den Bildungsminister aufzufordern, diese Vorschrift zurückzuziehen. Auch Andrea Polański, die Vertreterin der Jugend der deutschen Minderheit, forderte die Politik auf, die Auswirkungen einer Begrenzung der Deutschstunden für Kinder und Jugendliche noch einmal zu prüfen. (wochenblatt.pl, skgd.pl)
6. Denglisch
Englisch als Sprache in Kriegszeiten
Egal auf welcher Seite man ist: In einem Krieg will man verstanden werden, vor allem von den Bündnispartnern, aber auch von der Gegenseite, die man verbal angreift. So ist es nicht verwunderlich, dass im Ukraine-Krieg die deutschen Politiker ins Englische wechseln, wenn es um Stellungnahmen geht. Englisch bleibt „die Leitsprache auch dieser Weltkrise“, schreibt Peter Littger in seiner Kolumne für die Wirtschaftswoche. Dabei gebe es jedoch Fallstricke, vor allem für Nicht-Muttersprachler. Falsche Präpositionen oder die „if/would“-Falle (Sätze mit „if“ werden ohne „would“ gebildet) sind dabei nur einige Beispiele. Auch die Frage, ob es „Ukraine“ oder „die Ukraine“ heißt, wird in den beiden Sprachen unterschiedlich beantwortet. Anglizismen, so Littger, werden eher dort verwendet, wo es um operative Vorgehensweisen geht. (wiwo.de)
Anmerkung 1: Der if/would-Regel entspricht bei uns, wenn auch weniger streng: „Wennsätze sind würdelos“. Hingegen ist if mit could gesellschaftsfähig wie in diesem Reim, den englischsprachige Kinder gerne singen:
How much wood would a woodchuck chuck
If a woodchuck could chuck wood?
Anmerkung 2: Schlechtes Englisch kann in Krisenzeiten besonders gefährlich werden. Besser ist, man gibt einem guten Dolmetscher die Gelegenheit, richtig zu übersetzen, was man wirklich sagen wollte.
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion.
Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke