Infobrief vom 23. Januar 2022: Von rassistischen Affen und Kokosnüssen

1. Presseschau

Von rassistischen Affen und Kokosnüssen

„Die Affen rasen durch den Wald, der eine macht den andern kalt, …“ – ne ne ne, bitte nicht weitersingen! Denn das ist rassistisch! Das findet zumindest das ZDF auf seinem Instagram-Kanal AroundTheWorld. Das Lied würde Stereotype und Klischees reproduzieren. Es würde dunkelhäutige Menschen mit Affen gleichsetzen und zu Kriminellen machen, die klauen. Die Bild spricht von einem „Woke-Angriff auf Kinderlieder“, da auch andere Texte in den Fokus der politischen Korrektheit gerückt wurden, wie zum Beispiel „Alle Kinder lernen lesen“ (beinhaltet lt. ZDF diskriminierende Fremdbezeichnungen für Inuit und Native Americans, also die Ureinwohner Amerikas) und „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“ (bedient lt. ZDF anti-asiatische Ressentiments, die „anlasslose Kontrolle durch die Polizei wird als Racial Profiling und Polizeiwillkür kritisiert“). Wer genau diese Kritik äußert, sagt das ZDF nicht, die Kritiker bleiben ungenannt. Die taz entrüstet sich über das Instagram-Posting: „Das ZDF sollte sich entschuldigen“ titelt sie in einem Artikel. Dass es auf Lieder aufmerksam macht, die nicht mehr den heutigen Wertvorstellungen entsprechen, sei eine Sache, so Silke Mertins in ihrem Kommentar, was es aber als Schluss daraus ziehe, sei skandalös: „Nicht das Lied setzt Affen mit Schwarzen gleich, sondern das ZDF. Im Text hat das Affenbaby die Kokosnuss geklaut, die alle suchen. Was geht da in den Köpfen der Redakteure vor, wenn sie solche Assoziationen haben? Bei Affen an schwarze Menschen zu denken, ist eine ungeheure Entgleisung, für die das ZDF sich umgehend entschuldigen sollte.“ Es zeige außerdem, wie tief Rassismus selbst bei denen verwurzelt sei, die eigentlich das Gegenteil wollen. Rassismus immer nur bei „den anderen“, vorzugsweise den Rechten und Rechtsextremen, auszulagern, sei ein bequemer Irrweg. Prof. Walter Krämer, Vorsitzender des VDS, äußerte sich in einer Stellungnahme in den sozialen Medien: „Das ZDF hat Kinderlieder als neue Wurzel des Bösen ausgemacht. Natürlich ändern sich Wortbedeutungen, das ‚Weib‘ war früher der harmlose Begriff für die Ehefrau, heute wird er despektierlich verstanden. Fraglich ist, warum das ZDF das Lied aus seinem kindlichen Umfeld reißt und Kindern und Eltern gleichermaßen unterstellt, Rassismus zu fördern. Weitergedacht ist auch jeder Mallorca-Urlauber, der zu ‚Cowboy und Indianer‘ (Olaf Henning) mitfeiert ein Rassist, obwohl das Lied ein amouröses Abenteuer beschreibt. Und auch ‚Wo sind all die Indianer hin‘ (Pur) wäre dieser Logik zufolge nicht mehr ein Lied, das sich mit dem Verlust kindlicher Ideale beschäftigt, sobald diese erwachsen werden. Dass sich das ZDF gegen Rassismus positioniert, ist grundsätzlich löblich – peinlich ist jedoch die Umsetzung, die zeigt, dass man lieber mit Scheuklappen durch die Welt läuft und in jedem harmlosen Lied eine absichtliche Schlechtigkeit erkennen will.“ (bild.de, taz.de)


Das Aus für das „Fräulein“

Frau statt Fräulein. Der Runderlass des damaligen Bundesinnenministers Hans-Dietrich Genscher (FDP) war da deutlich: Auch eine unverheiratete Frau war in Schreiben der öffentlichen Verwaltung nur noch als „Frau“ anzureden. Das „Fräulein“ hat am 16. Januar 1972 ausgedient. In der Nachkriegszeit war es noch eine meist freundlich gemeinte Form, um auf einen standesamtlichen Personenstand hinzuweisen. Doch immer häufiger regte sich Unmut bei den jungen Frauen, die nach dem Krieg nicht mehr den Muff der alten Zeit mittragen wollten. Das „Fräuleinwunder“ war in der jungen Bundesrepublik noch nicht mal so verpönt, wurde es doch vor allem durch die neu aufgekommene Vielfalt im Fernsehen und im Kino als positiv dargestellt: Lieselotte Pulver verlieh ihrem „Fräulein Ingeborg“ in Billy Wilders „Eins, zwei, drei“ eine herrliche Leichtigkeit und Lebensfreude, und auch „Fräulein Rottenmeier“ aus Heidi stellte klar: Ich brauche keinen Mann, um durchs Leben zu gehen. Selbst Alice Schwarzer, die Pionierin der Frauenbewegung, sah darin in jungen Jahren keine Probleme: „Als ich eine junge Frau war, also in den 60er-Jahren, war das ‚Fräulein‘ selbstverständlich – auch für ältere, nicht verheiratete Frauen“, sagt sie in der Welt, „wir ‚Fräuleins‘ haben uns nichts dabei gedacht.“ Das Unbehagen an dem Begriff sei erst mit der Frauenbewegung aufgekommen. Das „Fräulein vom Amt“ wollte in seiner Arbeit ernstgenommen, nicht verniedlicht werden. Ein Pendant zum unverheirateten Mann, das „Männlein“, gab es schließlich auch nicht. Die SPD-Politikerin und ehemalige Justizsenatorin von Hamburg und Berlin, Lore Maria Peschel-Gutzeit, erinnert sich an die mentalen Widerstände gegen die Abschaffung des Fräuleins. „Häufig war zu hören, es sei unpassend, eine 17-Jährige als ‚Frau‘ zu bezeichnen. Ich fand das selbstverständlich.“ Es gebe nicht den geringsten Grund, die Frau verbal kleinzumachen. Die Abschaffung des Wortes „Fräulein“ war nur ein kleiner Schritt in der jungen Bundesrepublik für mehr Frauenrechte. Auch die Entscheidung, dass die Frau für die Eröffnung eines eigenen Kontos nicht länger die Erlaubnis ihres Mannes brauchte, zählt zu den vielen Schritten der Emanzipation. Der Schritt weg vom „Fräulein“ hin zur „Frau“ sei zwar nur formal, aber dennoch wichtig gewesen auf dem Weg der Gleichberechtigung. „Sprache prägt Bewusstsein“, sagt Lore Maria Peschel-Gutzeit. Die historische Diskussion über das „Fräulein“ lasse sich ihrer Ansicht nach aber nicht ganz auf die aktuelle gendersprachliche Debatte übertragen. Es sei notwendig, immer beide Geschlechter zu nennen. Schwierigkeiten habe sie jedoch mit Beistrichen und Sternchen. „Das ist zu künstlich, so läuft Sprache nicht, wir können weder ein Sternchen noch einen Unterstrich noch eine Pause mitsprechen. Wann immer eine Fernsehmoderatorin von Vertreter – Pause – -innen spricht, kommt mir sofort die Assoziation: Und was ist außen?“ (welt.de)

Anmerkung: In Wirklichkeit kam vielleicht doch die Henne vor dem Ei. Beispielsweise galt das Wort „Fräulein“ einmal für Lehrerinnen an Volksschulen – die nicht einmal verheiratet sein durften. Was nicht durchzuhalten war, und so verschwand das Wort nach und nach, es passte nicht mehr. Dass es irgendwann gestrichen wurde, entsprach einer vorangegangenen Entwicklung in der Gesellschaft, nicht umgekehrt.


Duden-Chefin zu neuen Wörtern

Kathrin Kunkel-Razum, die Chefredakteurin der Duden-Redaktion, hat sich in einem kurzen Spiegel-Interview zu neuen Wörtern geäußert, die in der Onlineversion des Wörterbuchs aufgenommen worden sind. Dazu gehören u. a. „woke“ („erwacht“, gemeint ist das Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeit), „podcasten“ (das Erstellen und Veröffentlichen abonnierbarer Mediendateien) und „boostern“ (das Auffrischen einer Corona-Impfung). Sie stünden für die „Kreativität unseres Sprachsystems, für die Fähigkeit, Fremdwörter zu integrieren“, so Kunkel-Razum. In der nächsten gedruckten Version müssten wieder viele Wörter weichen und gestrichen werden, sie würden zu selten genutzt, wie z. B. „Stempelständer“ und „Gedunsenheit“. Der Duden solle als Buch mit einer Hand zu greifen sein. Zuletzt waren „Vorführdame“, „Kammerjungfer“ und „Lehrmädchen“ gestrichen worden – dies aber nicht aus Gründen der Frauenfeindlichkeit, sagt Kunkel-Razum. Der Duden beobachte, er werte nicht. Wenn ein Wort viel diskutiert werde, bekomme es manchmal einen Gebrauchshinweis wie „heute diskriminierend“. (spiegel.de (Bezahlschranke))


2. Gendersprache

Kein Bestandteil von Demokratie

Bei der rund 30-minütigen Gesprächsrunde Diskuthek ging es beim Stern um die vermeintlich gendergerechte Sprache. Neben der nicht-binären Aktivistin Nathaniel Klaus Schuster waren auch der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch und der junge CDU-Politiker Lukas Honemann (der auch Mitglied beim VDS ist und hier die Arbeitsgemeinschaft CDU/CSU für gutes Deutsch leitet) zu Gast. Stefanowitsch sieht eine Pflicht zum Gendern, auch schon in Kitas und Schulen. Die deutsche Sprache lasse gar keine Wahl, sie erlaube es uns nicht, nicht zu gendern. Das Bundesverfassungsgericht, so Stefanowitsch, habe der Gesellschaft eine Aufgabe zugewiesen, dem Eintrag „divers“ nachzukommen, dies müsse auch sprachlich geschehen, so seine Folgerung. Gendern sei ein „Aufbrechen der Besessenheit, alles in zwei Geschlechter aufteilen zu wollen“, sagte er. Schuster, die selbst in einem Umfeld mit vielen nicht-binären Menschen lebt, hält Gendern ebenfalls für selbstverständlich und angebracht: „Ich finde es wichtig, dass sich andere immer korrekt angesprochen fühlen, und ich kann es auch von meinem Umfeld erwarten, wenn ich es selbst biete.“ Beim Gendern gehe es darum, Stereotype aufzubrechen und auch Randgruppen in die Gesellschaft aufzunehmen. Honemann widerspricht: Gleichberechtigung gebe es in der Sprache bereits. Eine Pflicht zu Gendern, etwa in Kitas und Schulen, lehne er ab. Man dürfe auch für einen höheren Zweck niemanden zu etwas zwingen, das sei kein Bestandteil von Demokratie: „In dem Moment, in dem ich anfange, Menschen vorzuschreiben, wie sie zu reden oder zu handeln haben, bin ich nicht mehr inklusiv – dann bin ich einfach nur noch böse.“ (stern.de)


Sprache ist Kernbereich des Persönlichkeitsrechts

Mitarbeiter dürfen nicht zum Gendern gezwungen werden. Zu dieser Einschätzung kommt der Rechtsanwalt Michael R. Moser in der Zeitschrift Lebensmittel-Praxis (1/22). Der Mensch sei ein soziales Wesen, das sich nur in Interaktion mit anderen Menschen entfalten könne – und zwar durch Sprache und Sprachgebrauch. Beide gehörten zum Kernbereich des Persönlichkeitsrechts; darin einzugreifen, bedürfe einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Daher dürfe ein Betrieb nicht per Direktionsrecht eine bestimmte Sprachregelung vorschreiben, weil diese in das Persönlichkeitsrecht eingreife. Bei dem VW-Mitarbeiter, der aktuell (mit Hilfe des VDS) gegen die Gendersprache beim VW-Tochterkonzern Audi klagt, die in ihrer internen und externen Kommunikation gendert, sieht er gute Chancen auf Erfolg: „Rechtlich sehe ich keinen Rechtfertigungsgrund für einen solch tief in die Rechte des Mitarbeiters greifenden Zwang durch den Arbeitgeber“, so Moser. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das Diskriminierungen am Arbeitsplatz verhindern soll, spiele hier keine Rolle, es solle vor allem dafür sorgen, dass bei Einstellungen und Stellenbesetzungen alle Geschlechter gleich behandelt werden. Generell sei ein respektvoller Umgang mit den Mitarbeitern wichtig: „Toleranz und Respekt sollten in der Unternehmenskultur fest verankert sein; das muss sich nicht in der Deformation unserer Sprache durch ‚Gendern‘ niederschlagen“, sagt Moser. Mitarbeiter, die man zu einem Sprachgebrauch zwinge, der ihnen auf Dauer missfalle, würden ein Unternehmen verlassen. (lpv-online.de)


Vorlage wegen Nicht-Lesbarkeit abgelehnt

In Dresden hat der Stadtbezirksbeirat Loschwitz jetzt eine gegenderte Vorlage des Rathauses abgelehnt – wegen Nicht-Lesbarkeit. Nicht der Titel der Vorlage „Fachförderrichtlinie der Landeshauptstadt Dresden über die Gewährung von Zuwendungen zur Pflege und Erhaltung von Kulturdenkmalen“ war der Stein des Anstoßes, sondern das allzu aufdringliche Bemühen um Geschlechtergerechtigkeit. Nicht nur Gendersternchen störten („Zuwendungsempfänger*innen“), teilweise waren ungewöhnliche – und rechtlich durchaus bedenkliche – Formulierungen („besitzhabende Personen“) enthalten. Dem Stadtbezirksbeirat Helfried Reuther (CDU) missfiel das: Obwohl er den Inhalt der Vorlage „gut und richtig“ finde, habe er sie deshalb abgelehnt und „überraschenderweise“ sei ihm die Mehrheit gefolgt, schreibt das Portal Tag24.de. Grüne und Freie Wähler haben dafür kein Verständnis. „Gute Anträge aus ideologischen Gründen abzulehnen, ist nicht okay“, sagte dazu Susanne Dagen (Freie Wähler), die das Gendern selbst ebenfalls ablehnt. Weil es ideologisch ist? (tag24.de)


CDU Sachsen-Anhalt kritisiert Das Erste

Die CDU Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt unterstützt den Vorschlag des Medienministers Rainer Robra, den Sender Das Erste als eigenständigen Kanal zukünftig abzuschaffen. ZDF und dritte Programme sollen demnach übrig bleiben. Den Platz als nationalen Sender würde das ZDF einnehmen, welches seit 1963 im Betrieb ist. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt, Markus Kurze betonte jedoch, dass dies eine langfristige Vision sei, die nicht sofort umzusetzen sei, aber laut Landtagsfraktion entferne sich der Sender zunehmend vom Zuschauer. Minderheitenmeinungen kommen stärker vor als Mehrheitsmeinungen, außerdem fordert Kurze den Verzicht der Gendersprache durch die Journalisten. Nach Kritik aus der Opposition und durch Medienportale korrigierte Kurze jedoch seine Aussage. Den Sender „abzuschalten“ sei eine falsche Wortwahl gewesen. Vielmehr geht es den Christdemokraten darum, das Sendeangebot umzuwandeln. Produktionen der einzelnen regionalen Rundfunkanstalten sollten demnach mehr Sendezeit bekommen. (mz.de, rnd.de)

Freiburg verwendet „a“ bei Stellenausschreibungen

Die Stadt Freiburg geht auf dem Weg der politischen Korrektheit einen Schritt weiter: Bei Stellenausschreibungen benutzt sie ab sofort die weibliche Form der Berufsbezeichnung, ergänzt durch ein „(a)“, also ein a in Klammern, ähnlich wie bei (m/w/d für männlich / weiblich / divers). In einer Stellenanzeige würde es demnach so heißen: „Vermessungsingenieurin (a)“. Das a stehe für alle, heißt es, und solle alle Menschen, unabhängig von Geschlecht oder sexueller Orientierung ansprechen. „Die unzähligen, individuellen Unterschiede einer vielfältigen Gesellschaft sind eine Bereicherung und sollen nicht nur mitgedacht, sondern künftig offensiv von uns eingeworben werden“, erklärte Oberbürgermeister Martin Horn (parteilos). Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Dritten Geschlecht verwenden die meisten Unternehmen in Stellenausschreibungen die Kennzeichnung m/w/d, um den Anforderungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) gerecht zu werden. Die Stadt will mit der expliziten Nennung der weiblichen Form einer Berufsbezeichnung ein „sichtbares Zeichen für die Selbstverständlichkeit der Gleichheit setzen“, so Horn. (stuttgarter-zeitung.de)

Anmerkung: Offenbar übersieht der Oberbürgermeister, dass es einen Unterschied zwischen einer generischen Form, die alle anspricht, und einer männlichen Form gibt – beide klingen gleich, erklären sich jedoch im Zusammenhang ihrer Verwendung. „Generisch“ bedeutet „allgemeingültig“.


3. Sprachspiele: Unser Deutsch

Ungeimpfte – Nichtgeimpfte

Ein kritischer Leser stößt sich an der Bezeichnung Ungeimpfte. Das sei tendenziös und unpassend. Damit würden Menschen, die wegen einer Vorerkrankung nicht geimpft werden, mit radikalen Impfgegnern und Impfmoglern in einen Topf geworfen. Müsste es nicht besser heißen Nichtgeimpfte?

Es lohnt, dieser Frage nachzugehen. Zumal der Punkt schon früher eine Rolle gespielt hat. So wurde das Adjektiv unehelich schon 1969 in einem Gesetz durch nichtehelich ersetzt. Das betreffende Gesetz, das die rechtliche Stellung nichtehelicher Kinder behandelt, hieß nun Nichtehelichengesetz.

Vergleichen wir die un- und *nicht-*Adjektive nach Bedeutung, Bildung und Häufigkeit. Als erstes finden wir einen großen Unterschied: un- ist ein altes, sehr geläufiges Präfix, es gibt über 1500 un-Adjektive und noch einmal halb so viele un-Substantive. Zusammensetzungen mit nicht- kommen dagegen nur vereinzelt vor. Entscheidend ist die semantische Frage. Die Bildungen mit nicht bezeichnen die Negation, das Fehlen dessen, was im Grundwort bezeichnet ist. So bilden die beiden Wörter verheiratet und nichtverheiratet ein Wortpaar mit kontradiktorischer Bedeutung. Man ist entweder verheiratet oder nicht. Das gleiche gilt für geimpft und nichtgeimpft.

Etwas vielfältiger ist die Lage bei den *un-*Präfigierungen. Die allermeisten entsprechen nicht-Bildungen. Dazu gehören etwa die komplementären Wortpaare dicht – undicht, datiert – undatiert, echt- unecht, deklinierbar – undeklinierbar und eben auch geimpft – ungeimpft. Bei den anderen stehen Ableitung und Basis eher in einem konträren Gegensatz, zum Beispiel bei unschön. Es bedeutet ‚garnicht schön‘, aber auch abgeschwächt ‚recht unerfreulich‘. Manchmal haben solche Ableitungen eine abwertende Bedeutung. Nämlich immer, wenn eine positive Basis negiert wird, zum Beispiel in unanständig, unmoralisch, aber auch in unaufdringlich. Zur semantischen Vielfalt gehören auch die vielen undurchsichtigen Bildungen wie unverhohlen, unbefangen, unbedarft, ungehobelt, die häufig eine negative Eigenschaft bezeichnen.

Dies alles ist der Grund, warum auch ungeimpft als abwertend verstanden werden kann. Soll man darum die Ungeimpften durch die Nichtgeimpften ersetzen? Kann eine Sprachregelung überhaupt helfen, den Konflikt ums Impfen zu heilen? Wohl kaum. Die Wörter sind in ihrer Hauptbedeutung synonym, sie bezeichnen die Abwesenheit einer Impfung. Man kann sie nebeneinander gebrauchen. Und hoffen, dass möglichst wenige Ungeimpfte und Nichtgeimpfte an Covid 19 erkranken.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de


4. Kultur

Deutsche Netflix-Show erntet Kritik wegen Dialekt

Eine deutsche Sendung hat es wieder einmal in die Liste der beliebtesten 10 der bekannten Streaming-Plattform Netflix geschafft. In der Sendung Kitz geht es um die Kellnerin Lisi Madlmeyer, die in Kitzbühel eine gutgelaunte und feierwütige Gruppe aus München antrifft. Im Zuge der Sendung kommen dunkle Geheimnisse rund um Lisi und ihre Freundesgruppe heraus. Im Austauschforum Reddit erntet die in Österreich spielende deutsche Show jedoch heftige Schelte. Vor allem sei die Sprache unauthentisch, denn die Charaktere sprechen durchgehend Hochdeutsch. Es lässt sich keinerlei heimischer Dialekt heraushören. Auch sei die Darstellung der Österreicher von Vorurteilen belastet und sie gelten als Gegner der Münchener Protagonisten. Laut der Beschwerdeführer in den Foren klinge die Sprache „einfach nur deppert“. Tatsächlich sind in der Sendung keine Dialekte zu finden, jedoch sind die Dialoge mit Anglizismen gespickt. Andere verteidigen die Produktion, durch den Einsatz von Hochdeutsch könnten alle Menschen die Sendung ohne zusätzliche Untertitel verstehen. (watson.de, nw.de)


Poetin untersucht die Grenzen der Sprache

Im Interview mit dem Deutschlandfunk spricht die Poetin und Professorin am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig Ulrike Draesner über ihren Jubiläumsband „hell & hörig“, den sie anlässlich ihres 60. Geburtstags veröffentlicht hat. In dem Jubiläumsband finden sich Gedichte aus 25 Jahren, welche auch persönliche Erfahrungen und Schicksalsschläge der Autorin behandeln. In thematische Kapitel eingeteilt, untersucht Draesner in ihren poetologischen Reflexionen die Verbindung von Sprache und Körperlichkeit. Entgegen Ludwig Wittgensteins Auffassung, unsere Sprache sei die Grenze unserer Welt, betont Draesner, die Sprache sei kleiner als der Körper. Sinneseindrücke könne man in ihrer Komplexität durch die Grenzen der Sprache nicht vollständig wiedergeben. In einem ihrer Gedichte von 2001 behandelte sie ihre Fehlgeburt, die seinerzeit ein völlig neues Thema in der Poesie war. Ihr Ziel sei, neue poetische Gegenstände zu behandeln und auch die Grenzen der Sprache zu erkunden.

Draeser war bei einem einjährigen Aufenthalt in Oxford völlig in Englisch „eingetaucht“ und bei der Rückkehr nach Deutschland guckte sie das Deutsche „plötzlich mit Abstand an.“ So habe sie die „Erstsprachen-Illusion“ abgelegt, dass „ein Baum eben ein Baum sei und Schluss.“ Man könne je nach Sprache auf ganz andere Arten und Weisen mit Zeit umgehen oder Metaphern bilden. (deutschlandfunkkultur.de)


5. Berichte

Dokumentation bedrohter Sprachen bewahrt bewährtes Wissen

Die Linguistin Mandana Seyfeddinipur leitet das Archiv für bedrohte Sprachen: „Endangered Languages Documentation Programme“. Sie erklärt, dass trotz des technischen Fortschritts nur selten bedrohte Sprachen in Übersetzungsprogramme übernommen werden, da es nicht genug Daten gäbe. Um Sprachen digital erfassen zu können, muss die Sprache geschrieben werden und viel Text vorhanden sein, dies treffe jedoch auf 95 Prozent der Sprachen nicht zu. Als Beispiel nimmt sie die afrikanischen Sprachen Swahili, Hausa oder Yoruba, die zumeist nur mündlich überliefert werden und somit keine Chance auf Digitalisierung haben. Ohne die Mehrheitssprachen Englisch oder Spanisch sei man von der digitalen Welt ausgeschlossen, bedrohte Sprachen würden noch unbedeutender. Die digitale Dokumentation und Archivierung bedrohter Sprachen sei für sie also ein essenzieller Beitrag, um bedrohte Sprachen zu retten.

Mit der Metapher „sterbende Sprachen“ ist Seyfeddinipur nicht einverstanden. Sie lenke in die falsche Richtung, denn „Sprachen sterben nicht, Menschen sterben. Sprachen tun gar nichts. Menschen tun etwas.“ Der Verlust der linguistischen Diversität und des unterschiedlichen Wissens, das über Jahrhunderte durch die einzelnen Sprachen vermittelt wurde, wäre fatal. Zwar betont Seyfeddinipur, ein gewisser Sprachverfall sei normal, aber das Tempo dieses Zerfalls sei durch die Globalisierung erhöht. Menschen, die unter politischem und ökonomischem Druck stehen und migrieren, geben ihre Sprachen gezwungenermaßen oder freiwillig auf. Das sei aber kein linguistisches Problem, sondern ein politisches.

Sie selbst sieht sich nicht als Retterin der Sprachen und warnt davor, Menschen zu erklären, wie sie ihre Sprachen zu retten haben. Ihre Organisation unterstützt vor allem lokale Sprachgemeinschaften und Wissenschaftler bei der Forschung, beispielsweise in Mexiko. In ihrem ausführlichen Interview mit der taz geht sie auf die verschiedenen Tätigkeitsbereiche der Organisation ein und erzählt von ihrem persönlichen Werdegang und der Bedeutsamkeit des Spracherhalts. (taz.de)


6. Denglisch

„Boostern“ ist so falsch wie „browsern“

In einem Leserbrief in der Rheinischen Post geht es um das englische Wort „booster“ (auf Deutsch: Verstärker, Zusatztriebwerk), welches derzeit als Verb vermutlich zu einem der häufigsten Anglizismen im Deutschen gehört und auch auf der Vorschlagsliste für das Unwort des Jahres stand. Abgesehen davon, dass „nachimpfen“ oder „Impfung auffrischen“ treffender wäre, macht der Leserbriefschreiber darauf aufmerksam, dass die ins Deutsche übertragene Form „boostern“ falsch ist, sie ist von dem englischen Verb „to boost“ abgeleitet. Wenn schon Denglisch, müsse es richtigerweise heißen „ich bin geboostet“ oder „heute lasse ich mich boosten“. Sogar im besten Denglisch sage man nicht „ich browsere im Netz“, sondern „ich browse“ oder eben auch nicht „ich werde gestalkert“, sondern „ich werde gestalkt“. Hier zeigt sich wieder mal, dass englisch-süchtige Deutsche nicht davor zurückschrecken, englische Wörter (hier das Substantiv booster) in eine im Englischen nicht existente (und unsinnige) Verbform zu zwingen.

Anmerkung: Eine derart gedankenlose Hingabe zur vermeintlichen Weltsprache vermindert die hierzulande ohnehin weit überschätzte Englischfertigkeit. Mit Stummelenglisch ist jedenfalls kein Blumentopf zu gewinnen, geschweige denn Weltläufigkeit.


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke

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