Infobrief vom 30. April 2022: Algorithmen erkennen Hassrede

1. Presseschau

Algorithmen erkennen Hassrede

An der Ruhr-UniversitĂ€t Bochum erforscht Prof. Dr. Tatjana Scheffler im Bereich Digitale Forensische Linguistik, auf welche Weise sich Hassrede im Internet auszeichnet und wie ihre systematische Erkennung automatisierbar sein kann. Algorithmen können mit Hilfe kĂŒnstlicher Intelligenz (KI) lernen, Aussagen verschiedenen Kategorien zuzuordnen. Sprachassistenten und Übersetzungsprogramme können mittlerweile ganz gut entziffern, ob eine Textpassage eine direkte Beleidigung enthĂ€lt oder nicht. Dies sei wichtig, denn durch Hassrede und Gewaltandrohungen in sozialen Medien kann Stimmung in Handlung umschlagen, wie bei dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021. Mit eben diesem Beispiel begann Schefflers Team. Es hat anhand tausender Nachrichten im Messenger-Dienst Telegram fĂŒnf Kategorien schĂ€dlicher Sprache definiert. Sie enthalten eindeutig aufwiegelnde Sprache („Gewalt ist gerechtfertigt“), abwertende Begriffe („Abschaum“) sowie solche, die im Kontext abwertend sein können, zum Beispiel, wenn Menschen als „Krankheit“ bezeichnet werden. Die weiteren Kategorien beinhalten die sprachliche Ausgrenzung von Menschen sowie „Insiderformulierungen“, mit denen man die eigene von anderen Gruppen abgrenzt, indem man einem Wort bei hĂ€ufiger Wiederholung einen anderen als den gewohnten Sinn zuordnet. Die Kategorisierung ermöglicht selbstlernenden KI-Algorithmen, Hassrede automatisiert zu ermitteln und gegebenenfalls zu entfernen oder zumindest zu markieren. „Ohne die Expertise des Menschen wird es aber auch nicht gehen“, sagt Scheffler. Es werde immer FĂ€lle geben, in denen Maschinen irren. Sprache und sprachliche Strukturen seien komplex, ausschlaggebend sei stets der Zusammenhang des Gesagten. (news.rub.de)


Schwimmen und Sprache

Im Rahmen des Bundesprogrammes „Integration durch Sport“ haben sich Oberhausener Sportvereine sowie mit Integration befasste Vereine zusammengeschlossen und das Gemeinschaftsprojekt „Schwimmen und Sprache“ ins Leben gerufen. Mit dem Projekt werden Kindern aus eingewanderten Familien mit traumatischen Erfahrungen Schwimmkurse angeboten, die auch eine intensive Sprachförderung beinhalten. „Unser Projekt Schwimmen und Sprache richtet sich an Kinder, die sowohl das Schwimmen als auch die deutsche Sprache noch nicht sicher beherrschen“, erklĂ€rt Wolfgang Funke, Abteilungsleiter Schwimmen des Behindertensports Oberhausen e. V. (BSO) Neben qualifizierten Schwimmlehrern und Sporthelfern beteiligt sich eine ausgebildete Sprachlehrerin an dem achttĂ€gigen Schwimm- und Sprachkurs. (lokalklick.eu)


SprachschĂŒler meiden Russisch

Das Institut fĂŒr russische Sprache und Kultur der UniversitĂ€t Moskau meldet eine massenhafte Abwanderung von auslĂ€ndischen SprachschĂŒlern. Weltweit haben sich SprachschĂŒler, die russische Grundkenntnisse erwerben wollen, von den angebotenen Kursen verabschiedet. Zu den gewohnten SprachschĂŒlern gehörten österreichische Skilehrer, arabische Boutiquenbesitzer, Ă€gyptische Hotelbetreiber oder italienische Event-Manager. Offenbar sind viele, die sich fĂŒr die russische Kultur und Sprache interessieren, nun von Moskaus Politik abgeschreckt. Weiterhin beliebt seien die Russischkurse bei wirklich Literaturbegeisterten, bei Studenten mit russischen Vorfahren sowie bei Verliebten mit russischem Partner, berichtet Benjamin Rifkin, Professor fĂŒr russische Sprache an der Hofstra UniversitĂ€t in New York. Zwar seien Chinesen weiterhin treue SprachschĂŒler, aber wenn russische Diplome nicht mehr anerkannt werden, fehlt vielen das Motiv zum Lernen. Andererseits gibt es Enthusiasten, die sich davon nicht abschrecken lassen. Der seit sieben Jahren in Russland lebende Syrer Belal Gazi sagt: „Es ist sehr interessant, weil andere europĂ€ische Sprachen dem Lateinischen sehr Ă€hnlich sind und nur Russisch eine so einzigartige Sprache ist. Es ist nicht wie andere Sprachen, man muss es fĂŒhlen. Und nur dann kann man verstehen, wie Russen denken. Deshalb mag ich es wirklich.“ (br.de)


Zuhören kommt gut an

PlagiatsvorwĂŒrfe, geschönte LebenslĂ€ufe und nachgemeldete EinkĂŒnfte – im Wahlkampf lief es nicht rund fĂŒr Annalena Baerbock. Nach ihrer Ernennung zur Bundesaußenministerin liegt die GrĂŒnen-Politikerin auf der Politiker-Beliebtheitsskala weit oben – nur ihr Kollege Robert Habeck genießt bessere Werte. Viele Außenstehende verwundert diese Wandlung. Björn Dake fĂŒhrt das in seinem Beitrag auf der Onlineplattform des Bayerischen Rundfunks auf die bĂŒrgernahe Sprache und das Auftreten Baerbocks zurĂŒck. WĂ€hrend sie auf Pressekonferenzen auch abliest, tritt sie im unmittelbaren Kontakt mit Menschen locker auf. Sie scheue sich nicht, klare Worte zu nutzen: „Dem russischen PrĂ€sidenten Putin wirft sie ‚Kriegsverbrechen‘ vor. Die deutsche Energiepolitik und das Festhalten an Nordstream 2 nennt sie ‚fatal‘.“ Wo Bundeskanzler Scholz distanziert wirke, hole sie die Menschen ab: „Klarer als er spricht sie sich dafĂŒr aus, schwere Waffen in die Ukraine zu liefern. Es wirkt in diesen Tagen so, als sei Baerbock eine Art Übersetzerin des Kanzlers, als mĂŒsse sie im Ausland erklĂ€ren, was die Bundesregierung eigentlich will.“ DafĂŒr gab es sogar von der Opposition Zuspruch. Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sagte nach einer ihrer Reden: „Frau Außenministerin: Sie haben gerade die Rede gehalten, die wir von unserem Bundeskanzler erwarten.“ Inhaltlich unterscheide sie sich von ihrem VorgĂ€nger Heiko Maas nicht, aber ihr Umgang mit den BĂŒrgern sei ein anderer – sie höre zu, so Dake. (br.de, fnp.de)


2. Gendersprache

Wie alt ist das generische Maskulinum?

Verfechter der Gendersprache, auch manche Sprachwissenschaftler behaupten unermĂŒdlich, das (angeblich frauenfeindliche) generische Maskulinum sei erst seit relativ kurzer Zeit in der deutschen Sprache zu finden. Es sei insbesondere erst entstanden, nachdem bestimmte Gesellschaftsbereiche auch Frauen offen standen, z. B. viele Berufe. Wenn in einer sprachgeschichtlichen Quelle von „BĂŒrgern“ oder „Bauern“ die Rede ist, so die Argumentation der Gendervertreter, sei nicht auszuschließen, dass damit tatsĂ€chlich nur mĂ€nnliche Vertreter gemeint waren.

Diese Behauptung wird nun abgerĂ€umt. Die Linguisten Ewa Trutkowski (Leibniz-Zentrum fĂŒr Allgemeine Sprachwissenschaft Berlin) und Helmut Weiß (Goethe-UniversitĂ€t Frankfurt a. M.) haben nun eine Studie veröffentlicht, mit der sie die generische Verwendung von maskulinen Personenbezeichnungen seit althochdeutscher Zeit belegen. Sie haben nach allgemeinen Personenbezeichnungen wie Gast, Freund oder LĂŒgner gesucht. Ihr erster Beleg ist eine althochdeutsche Schilderung der Hochzeit von Kana, die „sich solcher hohen GĂ€ste rĂŒhmen konnte“, also: sih gĂ©sto guati \ sĂșlihhero ruĂĄmti. Denn diese GĂ€ste waren Christus und seine Mutter: Thar was KrĂ­st guater \ joh sĂ©lba ouh thiu sin mĂșater. Das Substantiv ‚gĂ©sto‘ ist maskulin plural, wird an dieser Stelle also eindeutig generisch verwendet.

Trutkowski und Weiß stellen deswegen klar: Gendersprache biete vor allem eine gĂŒnstige Gelegenheit fĂŒr Unternehmen und Institutionen, die sich dadurch „‚pinkwashen‘ und entsprechende ‚awareness‘ signalisieren wollen, aber bis zum Hals im Gender-Pay-Gap stecken“ – alles fernab von der sprachlichen RealitĂ€t. In einem Beitrag in der WELT stellen die Sprachwissenschaftler weitere Belege aus Ă€lteren Sprachstufen des Deutschen vor. Der Text der Studie ist im Netz zugĂ€nglich. (welt.de, ling.auf.net (PDF-Datei))

Gegenderte JĂŒnger

Der SĂ€nger Heinz Rudolf Kunze hat sich erneut in Sachen Gendersprache positioniert. In einem Interview mit der Berliner Zeitung bezog er Stellung zum Thema Kirche und Gendern. Als ĂŒberzeugter Christ war er zu Ostern irritiert, dass sich das Gendern in vielen Predigten wiederfand: „Vor vier Wochen sprach irgendein Pastor in seinem Wort zum Sonntag von ‚Jesus und seinen JĂŒngern und JĂŒngerinnen‘. Da wollte ich wieder mal aus der Kirche austreten. Die Geschichte so umzulĂŒgen, weil einem nicht gefĂ€llt, dass Jesus keine JĂŒngerinnen besaß, macht mich rasend.“ Er ist ĂŒberzeugt, dass Gendern nur deswegen so um sich greife, weil diejenigen, „die diese Meinung vertreten, sehr aggressiv und durchsetzungsfĂ€hig sind“. Ähnlich wie der Philosoph Peter Sloterdijk empfinde er das Gendern als „neo-mittelalterliche Tollwut“: „Die deutschen bestimmten Artikel der, die, das sind nicht geschlechtsversklavend. Denn jeder ist DER Mensch, jeder ist DIE Person und jeder ist DAS Opfer – egal ob MĂ€nnlein, Weiblein, divers, Pinguin oder Edelstein.“ (promisglauben.de)


3. Kultur

Krieg beschÀdigt Sprache

In ihrem Artikel fĂŒr taz.de erklĂ€rt Sabine Berking, dass die mediale Schmutzkampagne Russland gegen die Ukraine, welche sich auch des Vokabulars des 2. Weltkriegs bediene, die russische Sprache und Kultur nachhaltig verĂ€ndern werde. Berking erkundet in ihrem Artikel, ob Sprache und Kultur eine Mitschuld an Kriegsgrausamkeiten haben und ob sich die Menschen vom Russischen abkehren werden, Ă€hnlich wie es bei dem Deutschen seit dem 2. Weltkrieg und der Schoa geschah. Berking bezieht sich auf den in der Ukraine lebenden Schriftsteller Andrej Kurkow, der im New Yorker ĂŒber die Folgen des Krieges fĂŒr seine Muttersprache berichtet. So geben ukrainische Kinder an, dass sie Russisch nicht als Fremdsprache lernen möchten, weil sie damit die traumatischen Kriegs- und Verlusterfahrungen verbinden. Putin zerstöre also nicht nur die Ukraine, sondern auch Russland und die russische Sprache. Berking, die die Sprache in der DDR lernte und ein positives VerhĂ€ltnis zum Russischen hat, bedauert, dass die Sprache „ihre Unschuld verloren hat“. (taz.de)


Beim Deudaades!

Kölsch, Ruhrdeutsch, SĂ€chsisch – keine Sprache ist Asterix, dem kleinen Gallier mit dem FlĂŒgelhelm fremd. Die Mundart-Ausgaben des Comics erfreuen sich großer Beliebtheit. Jetzt ist auch eine Geschichte auf OberfrĂ€nkisch erschienen. „Asterix als Gladiator“ heißt der Klassiker im Original – der Comedian und Musiker Stefan („Das Eich“) Eichner hat daraus „Dunnerkeil“ gemacht. Beim Online-VersandhĂ€ndler Amazon hat der Comic bereits die Mundart-Ausgaben auf Plattdeutsch und Bayerisch ĂŒberholt, so das Portal infranken.de. Wer die Oberfranken-Ausgabe bestellt, muss aktuell mit einer Lieferzeit von bis zu zwei Monaten rechnen. (infranken.de)


4. Berichte

Keineswegs inklusiv

Der Erziehungswissenschaftler und Theologe Axel-Bernd Kunze hat auf einem Diskussionsabend der Kommunalpolitischen Vereinigung Mönchengladbach ein Referat gehalten, in dem er der Frage nachging „Warum ‚gendergerechte‘ Sprache gerade nicht gerecht ist
“. Die Gendersprache „ist keineswegs inklusiv, sondern erschwert etwa den sprachlichen Zugang fĂŒr Personen nichtdeutscher Muttersprache, mit Lernbehinderungen, Hör- oder SprachbeeintrĂ€chtigungen“, so Kunze. (christlichesforum.info)


5. Denglisch

Über den Wolken

Ganz gleich ob Booking-Systeme, Fly-and-Drive-Angebote oder Backpacker-Touren – wer verreist, ist von Englisch umgeben. Der MDR stellt daher in seinem Podcast „Deutsch als Fremdsprache“ die Frage: Was ist eine Airline? Das klinge, als wĂŒrde das Flugzeug einem nicht gehören. „Air leihen“, vielleicht könnte man sich den Flieger ausborgen, so ein Privatjet ist ja schließlich teuer. Das Wort FluglinieFluggesellschaft sei wohl nicht gesellig genug. Mit Airline fĂŒhle man sich auch viel eher â€žĂŒber den Wolken“, so die Podcast-Macher. (mdr.de)


6. Soziale Medien

Wieviel verdient eigentlich ein Zimmer?

Das Bundesarbeitsministerium zeigt sich beim Kurznachrichtendienst Twitter von seiner besonders politisch korrekten Seite. Beim Hinweis auf den „Girls Day“, bei dem MĂ€dchen und junge Frauen in „typische“ MĂ€nnerberufe reinschnuppern können, macht das Social-Media-Team sich fĂŒr die gleiche Bezahlung im Handwerk stark. Als Beispiel wird der Beruf des „Zimmer“ vorgestellt. Richtig gelesen – denn das bleibt als Wortstamm ĂŒbrig, wenn man das Sternchen, mit dem das Arbeitsministerium das Wort garniert hat, weglĂ€sst. Gemeint ist selbstverstĂ€ndlich der Beruf des „Zimmerers“ – die weibliche Form ist jedoch „Zimmererin“ bzw. „Zimmerin“. Statt den Beruf korrekt zu benennen, hat sich das Arbeitsministerium dazu entschieden, den korrekten Berufstitel zu entstellen. Im gesprochenen Text des kurzen Videos wird der Beruf mit Genderpause gesprochen, also „Zimmer(Pause)innen“. Die Kommentare unter dem Video zeigen die sprachliche Problematik auf, die beim Gendern entsteht: Ein Nutzer fragt, ob man mit der Ausbildung „Zimmer“ im Hotel arbeiten kann, ein anderer vermutet, dass jemand, der eine Mauer baut, dann ein „Mauer*in“ sei. (twitter.com)


7. Kommentar

WĂ€hrend Genderfreunde mit immer neuen Wendungen („JĂŒnger und JĂŒngerinnen Jesu“) ihre Energie vergeuden, wĂ€chst ein nicht erdachtes Problem. Allen Ernstes wird in Orchestern gestritten, ob das angekĂŒndigte Tschaikowskykonzert nicht dringend zu ersetzen sei, und die vor ihrem Regime geflĂŒchteten Russen (egal welcher Gesinnung) erleben Ausgrenzung wegen ihrer Sprache. Hierzulande sollte uns die GedankenblĂ€sse dieser Tendenz bekannt vorkommen. Lange kamen Deutsche in amerikanischen Filmen vorzugsweise mit knallharter Starksprache vor und, damit nichts schief ging, erkannte man sie an ihren Wehrmachtshelmen, die offenbar auch im Wohnzimmer nicht abgenommen wurden. Zugegeben, zwölf Jahre lang kam kulturell nicht viel aus unserem Land. Jetzt sind die Russen dran. Pfeift auf Tschechow, Dostojewski, Solschenizyn: Russisch ist eklig, denn „die Russen glauben der Staatspropaganda!“ Nun, Kultur findet trotzdem statt. Nebenbei sei daran erinnert, auch fĂŒr viele Ukrainer ist Russisch die Muttersprache. Das Kind muss nicht mit dem Bade ausgeschĂŒttet werden. Merke: Die Sprache kann nichts dafĂŒr. Die Sprache entscheidet nichts, sie grenzt nicht aus, sie tut ĂŒberhaupt nichts. Sie kann das gar nicht, das können nur Menschen, indem sie die Sprache missbrauchen. (ob)


Der VDS-Infobrief enthĂ€lt Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. MĂ€nner sind mitgemeint, das Gleiche gilt fĂŒr andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete BeitrĂ€ge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke

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