1. Presseschau
Die Türkei ist kein Vogel
Der türkische Außenminister Mevlut Çavuşoğlu hat in einem Brief an die Vereinten Nationen (UN) die offizielle Namensänderung der Türkei bei der UN und anderen internationalen Organisationen beantragt. Das englische Wort „Turkey“ für die Türkei, der in der Diplomatie verwendet wird, sei auf peinliche Weise zweideutig, denn auch der Truthahn heißt so. Bereits seit Ende 2021 wird für Exportprodukte der Aufdruck „Made in Türkiye“ verwendet. Laut dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan drücke diese Bezeichnung „die Kultur, Werte und Zivilisation der Türkei am besten aus“. Der Staatssender TRT beklagt, dass Suchmaschinen bei der Recherche im Internet über „Turkey“ zumeist auf den in Nordamerika beheimateten Vogel verweisen. Der UN-Generalsekretär António Guterres hat bestätigt, dass die Namensänderung mit Erhalt des Schreibens aus Ankara sofort in Kraft getreten sei. (tagesschau.de)
Sprachpanscher des Jahres 2022
Bereits zum 25. Mal wird der „Sprachpanscher des Jahres“ gesucht. Personen oder Institutionen, die zuletzt besonders unsanft und nachlässig mit der deutschen Sprache umgegangen sind, werden von den Mitgliedern des Vereins Deutsche Sprache (VDS) für diese Auszeichnung gewählt. Mit Denglisch hat sich der aktuelle Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hervorgetan, der mit der Wortwahl an seinen Vorgänger anknüpft. So unterstützte er „Repurposing-Studien“ und erarbeitete die „Coronavirus-Surveillanceverordnung“. Peinlich berührt war man über Baden-Württembergs Grenzen hinaus, als Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Kampagne „Willkommen in The Länd“ vorstellte, nicht nur wegen des gequält lustigen Titels, auch die 21 Millionen Euro Kosten der Kampagne kamen nicht gut an bei den Bürgern. Als weitere Kandidatin ist Prof. Dr. Ulrike Lembke von der Berliner Humboldt-Universität am Rennen beteiligt. Sie stellte der Stadt Hannover ein Gefälligkeitsgutachten in Sachen Gendersprache aus, in dem sie forderte das Grundgesetz zu ändern, denn es sei nicht geschlechtergerecht (dabei ist nicht einmal die Sprache, in der es anders zu formulieren wäre, dort als Landessprache verankert). In Sachen Gendersprache ist der Oberbürgermeister der Stadt Freiburg, Martin Horn, als Kandidat nominiert. Er verstößt gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, indem er Stellenausschreibungen nur noch in der femininen Form formulieren und dahinter ein (a) für „alle“ setzen lässt. Fünfter Kandidat auf dem Wahlzettel ist die Kienbaum Consultants International GmbH, ein führender Anbieter von Personalberatung. Offenbar lässt sich das Wichtige nur auf Englisch zum Ausdruck bringen, deshalb flutet Kienbaum die Branche mit „People Convention“ (war mal die Jahrestagung), mit „People Sustainability“ und dem „Female Desk“ (ein weibliches Pult?) und vielem mehr. Für den VDS-Vorsitzenden Walter Krämer ist klar: „Wer mit so einer Schlagzahl mit Denglisch um sich wirft, dem ist die Fassade wichtiger als ein verständlicher Inhalt.“
Abstimmen können alle 37.000 Mitglieder des VDS – entweder über die VDS-Internetseite oder per Wahlzettel mit der Post – bis zum 5. August 2022. (vds-ev.de)
Französischer Lehneinfluss in Luxemburg
Das Großherzogtum Luxemburg hat rund 630.000 Einwohner. Die Amtssprachen sind Luxemburgisch, Französisch und Deutsch, das von 80 Prozent „auch“ gesprochen wird, denn Lëtzebuergesch, wie es in der Eigenbezeichnung heißt, ist ein moselfränkischer Dialekt mit signifikanten Abweichungen vom Standarddeutschen, in dem zum Beispiel die Tageszeitung Luxemburger Wort erscheint: Vakanz sind die Ferien, Velo ist das Fahrrad und Hygieneregeln in der Corona-Zeit heißen Barrieregesten. Sie sind leicht als französische Lehnwörter zu erkennen. Rund 1300 Besonderheiten im Wortschatz des Deutschen in Luxemburg hat der Germanistikprofessor Heinz Sieburg (Universität Luxemburg) zusammengetragen. Der Volksfreund zitiert ihn: „Während das ‚deutschländische Deutsch‘ heute aber eher angloamerikanisch beeinflusst werde, laufe in Luxemburg – das an Frankreich grenzt – der französische Lehneinfluss weiter.“ Andere Begriffe, die sich für Fremde nicht sofort erschließen, sind die Gemeindemutter (Bürgermeisterin), die Körperdurchsuchung (Leibesvisitation) oder die Autonomie (die Reichweite oder Ladeleistung eines Akkus). (volksfreund.de)
2. Gendersprache
Ärztetag beschließt Verwendung von Gendersprache
Der 126. Deutsche Ärztetag hat nach heftiger Debatte mehrheitlich die Verwendung von Genderformen in den Spitzenorganisationen der ärztlichen Selbstverwaltung einschließlich ihrer Hauptversammlungen beschlossen. Der Antrag hierfür kam von mehreren Abgeordneten der Ärztekammer Berlin, die in der Gendersprache ein Mittel zur wertschätzenden Ansprache gegenüber Menschen „jeglicher Geschlechtsidentität“ sehen. Laut der Abgeordneten Helene Michler fühlten sich viele Ärztinnen vom Deutschen Ärztetag nicht repräsentiert. Der Anteil von Ärztinnen sei in den Führungspositionen und berufspolitischen Gremien weiterhin gering und man erhoffe sich durch den Einsatz von Gendersprache nicht nur die Sichtbarkeit und Repräsentation der weiblichen Kollegen, sondern auch die Gleichstellung. Michlers Vorschlag, die Bezeichnungen „Deutscher Ärztetag“ und „Bundesärztekammer“ zu gendern, wurde durch die Delegierten allerdings abgelehnt. (aerzteblatt.de)
3. Kultur
Fabel auf Saterfriesisch
Die Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg und der Regionalverband Ostfriesische Landschaft sammeln im Rahmen eines internationalen Projektes Übersetzungen von Äsops Fabel „Nordwind und Sonne“ wahlweise ins Plattdeutsche oder Saterfriesische. Das Projekt ist eingebunden in eine internationale Dokumentation europäischer Dialekte. Ziel ist es, interessierten Wissenschaftlern oder Laien die Sprachenvielfalt Europas darzustellen. Dialektsprecher sind aufgerufen, sich an dem Projekt mit eigenen Audiobeiträgen zu beteiligen. Bedingung ist eine klare, deutliche Stimme. Unter dem folgenden Link kann man seine Datei einreichen und hören, wie die Fabel in anderen europäischen Sprachen klingt: uol.de. (seeltersk.de)
Feuerfeste Magd
Im Protest gegen die zunehmenden Fälle von Bücherverboten in den USA hat der Verlag Penguin Random House zusammen mit der Autorin Margaret Atwood eine Sonderausgabe ihres dystopischen Romans „A Handmaid’s Tale“ („Der Report der Magd“) herausgebracht. Darin geht es um einen streng patriarchalischen und christlich-fundamentalistischen Gottesstaat, der mittels einer Militärdiktatur regiert wird und in dem Frauen weitgehend rechtlos dastehen. Dieses Buch und andere landen regelmäßig auf Listen verbotener Bücher in den USA. Allein im vergangenen Jahr verzeichnete die American Library Association, der Verband der Bibliotheken, knapp 1.600 Bücher, die auf Wunsch von Eltern oder – meist radikal-konservativen – Aktivisten aus den Regalen von Schulbibliotheken und kommunalen Leihbüchereien entfernt werden sollten, so die ZEIT. Darunter waren unter anderem das Buch „Beloved“ der US-amerikanischen Nobelpreisträgerin Toni Morrison, aber auch der Comic „Maus“ von Art Spiegelman, der darin die Geschichte seines Vaters erzählt, der in einem KZ interniert war. Die handgenähte, feuerfeste Ausgabe von „A Handmaid’s Tale“ besteht aus Material, das 660 Grad Celsius widersteht. So setzen Verlag und Autorin ein Zeichen gegen Zensur. Das Buch wird versteigert, der Erlös geht an die Schriftstellerorganisation PEN America. (youtube.com, zeit.de)
4. Berichte
„Mer losse d’r Dom en Kölle“
So sangen einst die Bläck Fööss. Doch nun soll der Kölner Dom aus dem Logo der Stadtverwaltung verschwinden. Eine Markenanalyse habe ergeben, dass das bisherige Verwaltungssignet als nicht mehr zeitgemäß beurteilt werde, heißt es. Viele Kölner sind empört, auch der Kölner VDS-Regionalleiter Ralph Aurand. Er hat nun eine Petition an die Oberbürgermeisterin der Stadt Köln gestartet – auch Nichtkölner dürfen sich beteiligen. (openpetition.eu, welt.de)
5. Denglisch
Weniger Franglais in Video-Spielen
Frankreichs staatliche Sprachkommission hat sich die englisch geprägte Welt der Video-Spiele vorgenommen. Zur Eindämmung des Franglais schlägt sie für 19 englische Ausdrücke französische Entsprechungen vor. Das Kultusministerium sieht im englischen Wortschatz in diesem thematischen Bereich eine „Verständnisbarriere“. Durch die französischen Entsprechungen wolle man der Bevölkerung die Kommunikation erleichtern. So wird aus „E-Sport“ „jeu vidéo de compétition“, aus „cloud gaming“ wird „jeu vidéo en nuage“ und statt „social game“, sagt man in Frankreich künftig „jeu social en ligne“. Behörden und staatliche Einrichtungen, auch die Schulen, sind von nun an verpflichtet, in ihren Veröffentlichungen die französischen Begriffe zu verwenden. Ob ihr Gebrauch durchsetzbar ist, wird sich zeigen. (spiegel.de, nzz.ch, legifrance.gouv.fr (ab Seite 58, PDF-Datei))
6. Soziale Medien
Fahndende
Dass sich viele Medien mittlerweile geradezu überschlagen, wenn es darum geht, möglichst politisch korrekt und „woke“ („erwacht“ im Sinne von „sensibel für vermeintliche Ungerechtigkeiten“) zu sein, ist nichts Neues mehr. Spannend ist aber, wie weit einige gehen, wenn es um den öffentlichen Diskurs in den Sozialen Medien geht. Plattformen wie Twitter, Facebook und Instagram sollen Diskussion und Austausch von Meinungen ermöglichen. Das ist beim Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), einem der größten deutschen Anbieter für überregionale Nachrichten, wohl noch nicht angekommen. In einem Tweet schrieb das RND am 31. Mai 2022: „Fahndende haben die #DWS-Zentrale in Frankfurt durchsucht. Die #DeutscheBank-Tochter soll sich ‚grüner‘ darstellen, als sie ist. Kritiker sehen Folgen für die gesamte Geldbranche.“ Darauf folgten Reaktionen, die das Wort „Fahndende“ beanstandeten: „Wie verballert kann man eigentlich sein?“ und „Journalistende haben einen an der Genderwaffel“ waren noch die netteren. Auch der VDS kommentierte den Tweet: „So viele Fragen: z. B.: Warum keine Kritiker*innen oder Kritisierende? Warum Tochter nicht Sohn? Ernsthaft, @RDN_de – hier passt wohl der Begriff ‚journalistisch Komplettversagende‘ am besten. Es ist ein Armutszeugnis, wenn Journalisten Ideologien verbreiten, statt zu informieren.“ Dieser Tweet, die beiden anderen Beispiele sowie knapp 40 übrige waren dem RND unangenehm, er verbarg sie: Das bedeutet, sie sind nicht mehr beim ersten Abrufen sichtbar. Dazu muss man wissen, sie sind über eine spezielle Funktion dennoch zu sehen. Lange unbemerkt blieb dieser Eingriff nicht, viele Nutzer, deren Kommentare verborgen (versteckt) wurden, beschwerten sich über das RND und warfen ihm mangelnde Diskurs- und Kritikfähigkeit vor. Eine direkte Reaktion gab es nicht – aber immerhin: Die neuerlichen Kommentare zu den ausgeblendeten Antworten sind (vorerst) zu sehen. (twitter.com)
7. Kommentar
Ende der digitalen Verdummung der Kinder
„Hast Du eingekauft, was ich Dir auf meinem Zettel notiert hatte?“ – „Nicht ganz, den habe ich vergessen. Aber alles, was nicht darauf stand, habe ich mitgebracht.“ Ein alter Scherz. Dass er die Wahrheit trifft, kann jeder im Selbstversuch erproben: Was wir uns aufschreiben, merken wir uns eher als wenn wir glauben: „Das vergesse ich nicht!“
„Schreiben ist ein kognitiver Prozess, der die Erinnerung des Gelernten verbessert,“ schrieb Christoph Onkelbach am 1. Juni 2022 in der Westdeutschen Allgemeinen (WAZ). Offenbar legt das langsame Formen der Buchstaben mit der Hand Gedächtnisspuren an. Beim Tippen auf der Tastatur geschieht dieses nicht. Warum? Weil die die Tippbewegung in keiner Beziehung zur Form des Buchstabens steht. Da fehlt die Stabilität einer festen Verbindung. Das Schreiben mit der Hand ist also kein Luxus, es gehört zur Grundlage der Erziehung. Was die Kinder stattdessen auf ihren Bildschirmen eingeben, ist nicht nur weitgehend nutzlos, sondern auch schädlich, es verkrüppelt die Entwicklung ihrer kognitiven Fähigkeiten. Die daraus folgenden Behinderungen wurden während der Schulschließungen sogar noch verstärkt. Dafür mag es gute Gründe gegeben haben, jetzt gibt es noch bessere, das Versäumte schleunigst nachzuholen und die Schulen dafür auszustatten.
Onkelbach berichtet von der anschaulichen Schilderung einer Lehrerin. Sie habe nach dem Daheimlernen – hübsch verharmlost als Homeschooling – den Schülern „erst wieder beibringen müssen, dass man von links bis zum rechten Rand schreibt und weder in der Mitte des Papiers anfängt noch über den rechten Rand hinaus schreibt.“ Laut der Stepstudie des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) beklagen 76 Prozent der Lehrkräfte diese fehlende Schreibkultur, 71 Prozent zu langsames und 65 Prozent unleserliches Schreiben. Betroffen sind übrigens Jungen mehr als Mädchen (54 und 31 Prozent in der Sekundarstufe). Das müsste auch den Gleichstellungsbewegten aufstoßen, am besten bevor sie sich noch Diskriminierungsklagen einfangen oder die Städte und Länder mit Klagen auf Schadenersatz überzogen werden. Klagen mit Aussicht auf Erfolg.
Sicher werden digitale Medien wichtiger, sie sind aber kein Ersatz, sie dürfen nur Ergänzung sein. Beim Schreiben von Hand, daran erinnert Onkelbach, werden „verschiedene Areale im Gehirn aktiviert, die für Wahrnehmung, Informationsverarbeitung und Bewegungskontrolle zuständig sind.“ Die digitale Verdummung der Kinder ist nicht länger hinnehmbar. Also, in den Schulen muss nicht nur mehr Deutsch (als Grundlage) unterrichtet werden, es muss auch mit der Hand geschrieben werden, das ist eine Kernkompetenz. (waz.de (Bezahlschranke), schwaebische.de, vbe.de)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion.
Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs