Infobrief vom 6. Mai 2022: Bindestrich oder nicht Bindestrich

1. Presseschau

Bindestrich oder nicht Bindestrich

Unter der Überschrift „Sinnisolierende Schreibung unerwünscht“ beklagt Rainer Moritz, Leiter des Literaturhauses Hamburg, in der FAZ den Verfall der Bindestrich-Kultur im öffentlichen Sprachgebrauch. Während im Englischen Namensbestandteile und Zusammenfügungen von Wörtern, die keine neue Einheit bilden, sondern lediglich eine neue Begriffskonstellation erzeugen, einfach nebeneinander gestellt werden („Gas Station“, „National Library“ oder „Franklin Institute“), erforderten solche Kombinationen im Deutschen eine Signalisierung der Verbindung durch einen Bindestrich, was mehr und mehr in Vergessenheit gerate. Der Verfasser leide geradezu unter den „rätselhaften Aneinanderreihungen von Substantiven“ wie „Kinder Portion“, „Zauber Gewürz“ oder „Extra Gedeck“. Auch Universitäten und renommierte Institute setzten sich über die leserfreundliche Bindestrichlösung hinweg bzw. ignorierten sie zunehmend wie „Humboldt Forum“ statt „Humboldt-Forum“, „Erich Kästner-Schule“ statt „Erich-Kästner-Schule“, „Johann Wolfgang von Goethe-Universität“ statt „Johann-Wolfgang-von-Goethe-Universität“ oder sogar die „Oswald-von-Wolkenstein-Gesellschaft“, die sich – obwohl durchweg aus Germanisten bestehend – in ihrem neuen Jahrbuch tatsächlich „Oswald von Wolkenstein Gesellschaft“ nennt. Ein Leserbrief beklagt darüber hinaus, dass zunehmend auch Wörter zu sinnwidrigen oder schwer lesbaren neuen Begriffen zusammengefügt werden wie „Coronaisolation“ statt „Corona-Isolation“ oder „Wasserstoffanlage“ statt „Wasserstoff-Anlage“. (faz.net (Bezahlschranke))


Passiv-aggressive Phrasen

Wo Mimik und Gestik fehlen, kann vieles fehlinterpretiert werden. Deswegen ist es oft schwierig, Nuancen in einer E-Mail zu erkennen, geschweige denn so zu verstehen, wie sie gemeint waren. Manche Formulierungen sind wie geschaffen, falsch verstanden zu werden, zeigt jetzt eine Studie der E-Mail-Plattform GetResponse. Sechs Floskeln wurden dabei als besonders passiv-aggressiv eingestuft. So klinge z. B. „Künftig würde ich es bevorzugen, …“ wie ein Angriff, nachdem das Gegenüber einen Fehler gemacht hat. Auf diesen vermeintlichen Fehler wird dabei nicht konkret hingewiesen, sondern eher arrogant gefordert, dass er nicht mehr gemacht werden soll. Auch „Gemäß der letzten E-Mail von mir …“ ist eher negativ konnotiert. Der Satz klinge, als habe der Empfänger sich nicht die Mühe gemacht, die vorherige Mail zu lesen; dies wird ihm zum Vorwurf gemacht, so die Macher der Studie. Generell sei es besser, bei möglichen schriftlichen Kommunikationsproblemen kurz zum Telefon zu greifen. Allein durch Stimme und Stimmlage könnten mögliche Stimmungen besser erfasst und eingeschätzt werden. (arbeits-abc.de)


Sprachwandel in Mustern

Wissenschaftler der Universität Wien haben im Fachjournal Cognitive Linguistics eine Studie zum Sprachwandel veröffentlicht, worin sie feststellen, dass oft gebrauchte Lautmuster in unserer Sprache über Jahrhunderte hinweg häufiger wurden. Das Gehirn nehme bestimmte Sprachmuster bevorzugt wahr. Die Forscher analysierten mehr als 40.000 Wörter aus englischen Texten des frühen Mittelalters. Theresa Matzinger vom Institut für Anglistik in Wien erklärt „man kann sich Sprachwandel wie ein Stille-Post-Spiel vorstellen“. Häufige Sprachmuster der Elterngeneration werden aufgenommen und in einer leicht veränderten Version weitergegeben. Als Beispiel wird der englische Begriff to make sth. (etwas machen) aufgeführt. Im frühen Mittelalter noch als „ma-ke“, also mit zwei Silben und kurzem „a“ ausgesprochen, wurde es im späten Mittelalter zu „maak“, also einsilbig mit langem „a“. Die Forscher erklären diesen Wandel damit, dass das Gehirn bestimmte prototypische Laute bevorzugt wahrnimmt, wie den langen Vokal im genannten Beispiel, und somit Sprache über Jahrhunderte hinweg verändert werde. Als nächstes Ziel gaben die Forscher an, Sprachwandelphänomene auch in anderen Sprachen zu untersuchen. (medienportal.univie.ac.at)


2. Gendersprache

Kaskaden von Irrungen

Einst hat der Redakteur Christian Klepej das Binnen-I als guten Versuch verstanden, der Benachteiligung von Frauen entgegenzuwirken. „Was war ich töricht!“, schreibt er nun in seinem Leitartikel im Fazitmagazin. Was damals schon durchaus ästhetische Bedenken hervorgerufen habe, sei jetzt verkommen zu nicht enden wollenden „Kaskaden von bald täglich neuen Schwach- wie Irrsinnigkeiten, die noch vor wenigen Jahren von keinem des Denkens mächtigen Wesen für vorstellbar galten.“ Es habe sich eine Sprachpolizei entwickelt, mit der Orwell durchaus einen zweiten Teil seiner bekannten Dystopie „1984“ füllen könnte. Er glaubt, man habe sich ordentlich verrannt, weil man vor lauter guten Absichten nicht erkannt habe, dass eine immer stärkere Individualisierung inklusive der Trennung in „Bedürfnisgruppen, Geschlechtsidentitäten und Ethnien“ fatal enden werde. Damit würde genau das Gegenteil von dem erreicht, was man eigentlich auf dem Plan gehabt hätte. (fazitmagazin.at)


Umfrage zum Gendern und zu Anglizismen

Die Ostseezeitung fragt ihre Leser aktuell nach ihrer Meinung zum Gendern und zu Anglizismen. Die Ergebnisse können natürlich tagtäglich abweichen, aber aktuell ist ein Trend zu beobachten: Rund 70 Prozent lehnen das Gendern ab, knapp 60 Prozent finden, dass Anglizismen die deutsche Sprache bedrohen, 30 Prozent sagen, dass das nur manchmal der Fall sei. Besonders deutlich ist die Ablehnung der Gendersprache: Neun von zehn Lesern finden, dass gegenderte Texte den Lesefluss stören. (aktion.ostsee-zeitung.de)


3. Sprachspiele: Unser Deutsch

Millionär

Wer wird Millionär?‘ – die sagenhafte, unverwüstliche Sendung von Günther Jauch hat dem Wort einen zusätzlichen Glorienschein verliehen. Jeder kann es werden, wenn er nur gescheit genug ist – oder fleißig gelernt hat.

Noch immer schwingt beim Millionär die Vorstellung unendlichen Reichtums mit. Das mag vor 50 Jahren gegolten haben. Doch Inflation und gestiegene Einkommen haben das gründlich geändert. Mit der Million von damals konnte man viermal soviel kaufen wie heute. Eine Million – das reicht nun gerade für ein Reihenhäuschen in einer Großstadt. Wirklicher Reichtum ist anders. Etwa bei jenen, die sich eine luxuriöse Jacht leisten können. Dort ist längst die Milliarde ein Maßstab der Begüterten.

Woher kommt dieser Wortschatz? Million ist im 15. Jahrhundert entlehnt aus italienisch millione, eine Erweiterung von lateinisch mille ‚tausend‘ um das Vergrößerungssuffix –one. Anfangs stand dies einfach für eine sehr große Summe wie noch in Schillers Ode ‚An die Freude‘: Seid umschlungen, Millionen! Erst seit dem 17. Jahrhundert hat es den konkreten Zahlenwert 1000 x 1000.

Diese Herkunft hängt mit der dominierenden Rolle des italienischen Fernhandels und Rechnungswesens seit der Renaissance zusammen. Dem Italienischen sind auch brutto und netto, Provision und Risiko, Skonto, Valuta, Ultimo und viele andere Termini des Kaufmanns entlehnt.

Und woher kommt der Millionär? Hier hat das Französische mit millionniare Pate gestanden, anfangs noch in der originalen Schreibung, aber bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts orthographisch integriert. In allen Gallizismen auf –aire wurde das französische Suffix im Deutschen zu –är wie bei Salär und Reaktionär (aus französisch salaire und réactionaire) oder in den Adjektiven pekuniär, sanitär, imaginär (aus französisch pécuniaire, sanitaire, imaginaire). Auch die Milliarde ist dem Französischen entlehnt (milliard), schon der Lexikograph Campe kennt sie (1801) und der Milliardär ist dem Millionär nachgebildet. Wann wird ihn der Billionär ablösen? Bescheiden wir uns lieber mit einer einfachen Million. Genug für ein Häuschen, ein Auto oder eine Reise, und dazu ein hübsches Geschenk.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de

4. Kultur

Familiennamen

Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) beschäftigt sich in ihrer aktuellen Podcast-Folge mit Familiennamen. Dr. Rita Heuser von der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz gibt einen ersten Überblick über die Herkunft. Familiennamen kamen offenbar zuerst im 12. Jahrhundert vor und wurden immer häufiger eingesetzt, um eine Person oder eine ganze Familie konkret zu benennen. Zunächst in Städten genutzt, breitete sich ihre Verwendung auch in der Landbevölkerung aus. Im 15./16. Jahrhundert hatte fast jede Familie einen eigenen Familiennamen. Es gab im Mittelalter vor allem praktische Gründe, einen Familiennamen zu führen: Die meisten Menschen waren nach Heiligen benannt, so konnte es in einem Dorf mehrere „Johannes“ (oder „Hannes“ bzw. „Hans“) geben. Damit jeder wusste, wer in einem Gespräch gemeint war, bekam also einer den Namen „Hans der Schmied“; das Pronomen verschwand im Laufe der Zeit, und schließlich ging der Nachname auch auf die Kinder über, selbst wenn diese nicht mehr den Beruf des Schmiedes ausübten. Viele Familiennamen können auch regional zurückverfolgt werden, so Heuser – z. B. gibt es den Nachnamen „Petersen“ eher im Norden, während „Heberle“ ein typischer Name im Schwabenland ist. (gfds.de)


Fest der Sprache

Im Weimar wird an diesem Wochenende das Themenjahr der Sprache eröffnet. Ein Wochenende lang gibt es Vorträge, Rundgänge und Ausstellungseröffnungen. Viele der Angebote sind kostenlos. Bis zum Herbst folgen Veranstaltungen rund um das Thema „Sprache“. So lockt die Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek mit einer Kalligraphie-und einer Druckwerkstatt; unter dem Titel „Weimarer Kontroversen“ werden zu verschiedenen Terminen sprachliche Themen diskutiert, die polarisieren; schließlich wird am 28. August ein Fest anlässlich des Goethe-Geburtstages gefeiert – das gab es übrigens schon zu Goethes Lebzeiten. (klassik-stiftung.de)


Nordeuropäische Rhetorik-Meisterschaft in Lübeck

Am 14. und 15. Mai finden in Lübeck die nordeuropäischen Rhetorik-Meisterschaften statt. Diese werden von der gemeinnützigen Bildungsorganisation Toastmasters International veranstaltet. Hierfür treffen sich 150 redegewandte Menschen aus Deutschland, Dänemark, Schweden und Norwegen zu verschiedenen sprachlichen Wettbewerben. Die Teilnehmer müssen in ihren Landessprachen jeweils eine vorbereitete, siebenminütige Rede halten, zwei Minuten Stegreifreden sowie anderen Rednern Tipps geben, um sich zu verbessern. Laut Veranstalter hilft der Wettbewerb den Teilnehmern, mit wirkungsvoller Kommunikation bessere Führungspersönlichkeiten zu werden. (zeit.de)


5. Berichte

Offener Brief an Mönchengladbachs Oberbürgermeister

Mit einem Offenen Brief wendet sich der VDS an Mönchengladbachs Oberbürgermeister Felix Heinrichs. Die Stadt will in der Neufassung der Allgemeinen Geschäftsanweisung den Genderleitfaden als Grundlage für den Schriftverkehr festlegen. „So etwas kann den Mitarbeitern einer Stadt weder verordnet noch zugemutet werden“, sagt Prof. Walter Krämer, Vorsitzender des VDS. Einer Stadt muss bewusst sein, dass sie es mit Bürgern zu tun hat, die Sprache natürlich nutzen – und nicht so, wie ideologische Erzieher es gern hätten. Der Genderleitfaden verstößt nicht nur gegen die geltenden Rechtschreibregeln, sondern auch gegen den ausdrücklichen Willen der Sprachgemeinschaft, die das Gendern mit großer Mehrheit ablehnt – das haben in den vergangenen Jahren mehrere Umfragen deutlich gezeigt. Für mehr Geschlechtergerechtigkeit würden Sternchen, Doppelpunkte und andere Zeichen innerhalb von Wörtern ebenfalls nicht sorgen: „Keine Frau wird wegen ihnen besser bezahlt, keine Mutter findet leichter einen Job, kein Transsexueller muss weniger um seine Sicherheit bangen, wenn er auf Menschen trifft, die ihn nicht akzeptieren – Gendern ist eine Nebelkerze, die uns nur eine bessere Welt vorgaukeln will“, so Krämer. (vds-ev.de)


6. Denglisch

Anne Vogds Gedanken

Etwas unschlüssig lassen einen „Anne Vogds Gedanken“ auf SWR 3 zurück. „Cooler Move, aber legit, wer beim Smalltalk, Straighttalk oder Deeptalk keine englischen Wörter dropped“, heißt es da. Und „Deutsch dagegen ist nicht fame. Deutsch ist mega uncool. Damit kann man nicht wirklich connecten.“ Gut, dass der Beitrag in der Rubrik „Comedy“ zu finden ist. Auf dem einleitenden Foto zu dem Beitrag hält ein bekannter Sprachpfleger mit Schnauzer ein Protestplakat hoch. Er wird nicht einmal namentlich vorgestellt, was man möglicherweise so deuten darf, dass das überbordende Denglisch auch Widerspruch erzeugt. (swr3.de)


Zwei Sprachen, zwei Farben

Sie gilt mitunter als die „Grande Dame des Denglisch-Kabaretts“: die gebürtige US-Amerikanerin und heutige Wahl-Berlinerin Gayle Tufts. Sie gesteht ein, sie „war nie lang genug hier“, um richtig Deutsch zu lernen. In einem Interview mit der Wiener Zeitung gibt sie sich jetzt versöhnlich: Sie könne die Sorge derjenigen verstehen, die Denglisch ablehnen. „Ich benutze das Denglisch als eine Art Malerei“, sagt sie. „Heute sehe ich die beiden Sprachen als zwei Farben, die ich benutzen kann, gemeinsam mit Musikalität und Humor, um etwas Neues zu kreieren. Meine Absicht war nie, die Sprache kaputt zu machen.“ (wienerzeitung.at)


7. Soziale Medien

Pronomen-Frage

Auf Twitter wurde diese Woche häufig über Pronomen diskutiert. Anlass waren Tweets mit einer kurzen Videosequenz, die das Internetformat Funk von ARD und ZDF gezeigt hat. Die nicht-binäre „Influencerin“ Avi Jakobs erklärte die Pronomen sie/ihre, mit denen sie angesprochen werden möchte. Unabhängig davon, dass es selbstverständlich allein der Respekt fordert, Menschen in ihrer Andersartigkeit zu akzeptieren, wurden in der kurzen Sequenz allerdings vermeintliche Probleme geschildert, die von den Twitter-Nutzern meist mit Befremden, häufig mit harscher Kritik aufgenommen wurden. Avi Jakobs forderte, man solle sich möglichst mit seinen Pronomen vorstellen, damit das Gegenüber gleich weiß, wie man angesprochen werden möchte. Eine erste Begegnung könnte also lauten: „Hallo, ich bin Jan, und meine Pronomen sind er/seine.“ Tatsächlich ist es im Alltag alles andere als üblich, sich Fremden so vorzustellen. Das Video wurde vor allem als lebensfern dargestellt. Selbst Betroffene, die häufig in der homosexuellen/queeren Szene unterwegs sind, sparten nicht mit deutlichen Worten, so auch der Journalist Daniel Cremer, der selbst homosexuell ist: „Das ist halt so weit von der Lebensrealität queerer Menschen entfernt – also den wenigen, die außerhalb von Berlin-Mitte wohnen. Da wird man nämlich ganz ohne nach dem Pronomen zu fragen, zusammengeschlagen.“ (twitter.com, twitter.com)


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Claus Maas, Dorota Wilke, Jeanette Zangs

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