Infobrief 413 (19/2018): Inklusion durch Gebärdensprache

1. Presseschau vom 4. Mai bis 10. Mai 2018

  • Inklusion durch Gebärdensprache
  • Für dich immer noch Sie

2. Unser Deutsch

  • Beihilfe

3. Berichte

  • Aus Liebe zur Muttersprache
  • Europäische Bewegung Deutschland

4. VDS-Termine

5. Literatur

  • Eklat beim Literaturnobelpreis

6. Denglisch

  • Unübersetzbare Wörter
  • „Best of“ der Widersprüchlichkeit

 

 

1. Presseschau vom 4. Mai bis 10. Mai 2018

Inklusion durch Gebärdensprache


Foto: Fotolia (163148203)

In der Erfurter Gemeinschaftsschule am Roten Berg wird derzeit ein einzigartiges Inklusionsmodell getestet, bei dem hörende, gehörlose und Kinder mit Migrationshintergrund gemeinsam zweisprachig, das heißt auf Deutsch und in Gebärdensprache, unterrichtet werden. Acht der 20 Kinder weisen eine Hörschädigung auf, viele der anderen Schüler haben durch beeinträchtigte Familienangehörige bereits einen Zugang zur Gebärdensprache. Die Lehrkräfte, in der Regel eine hörende und eine gebärdensprechende, richten den Unterricht „losgelöst von Klassen am Leistungsfortschritt der Kinder“ aus, erklärt Lehrerin Cornelia Förster. Ziel des Modells ist es, bisher größtenteils ausgegrenzte Gehörlose als Teil der Gesellschaft zu verstehen und der Isolation in der Berufs- und Erwachsenenwelt vorzubeugen. Auch Migrantenkinder, die noch kein Deutsch sprechen, profitieren auf diese Weise von dem Projekt.

An Kitas wird die Gebärdensprache zunehmend für die Verständigung mit Kleinkindern, die noch nicht sprechen können, eingesetzt. Besonders in Norddeutschland ist die Methode des sogenannten „Baby-Signals“ inzwischen verbreitet, bei der das gesprochene Wort durch die Gebärde ergänzt wird. Ob diese Praxis den Spracherwerb fördert, ist bislang nicht erwiesen. Immerhin könne so jedoch „das ein oder andere kommunikative Missverständnis über zusätzliche Gesten ausgeräumt“ werden, erklärt die Pädagogin Barbara Hänel-Faulhaber von der Universität Hamburg. (meinanzeiger.de, spiegel.de)

 

Für dich immer noch Sie

In die Zeit Goethes, in der man seine Eltern noch siezte, will sicherlich niemand zurück. Aber auch das permanente Geduze der Gegenwart geht vielen zu weit. Das zwanglose Du täusche oftmals nur Hierarchielosigkeit vor, besonders in der Arbeitswelt, vermutet Deutschlandfunk Kultur. Während es vor wenigen Jahrzehnten noch undenkbar gewesen wäre, seinen Arbeitgeber zu duzen, scheint dies heute gängige Praxis zu sein. Besonders angesichts derzeitiger Arbeitsverhältnisse und akuter Sorge um die Vertragsbefristung, hat das Duzen „in dieser Angstkultur eine ganz bestimmte Funktion, nämlich es kuschliger zu machen, es vertrauter zu machen, uns zu suggerieren: Es ist alles gar nicht so schlimm, die sind ja alle so nett“, so der Journalist Holger Fuß, der aus dem Zwang zum Du eine „Tyrannei der Nähe“ schlussfolgert. (deutschlandfunkkultur.de)

 

2. Unser Deutsch

Beihilfe

Das Interessante an diesem Wort sind die beiden höchst unterschiedlichen Bedeutungen. Im Strafrecht liegt nach § 27 StGB Beihilfe vor, wenn jemand einem anderen bei dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe leistet. Wegen Beihilfe wurden in jüngster Zeit Personen zur Rechenschaft gezogen, die als Helfer in den NS-Vernichtungslagern zum Ablauf der Tötungsmaschinerie beigetragen haben. Laien haben es nie verstanden, warum diese Menschen lange Zeit unbestraft blieben.

Einen ganz anderen Charakter hat die Beihilfe, welche den Beamten als Krankenfürsorge gewährt wird. Sie erlaubt es ihnen, sich bei einer privaten Krankenkasse zu versichern, weil der Staat ihnen einen Teil der Krankenkosten (mindestens 50 Prozent) erstattet. Dies ist ein besonders geschätztes Privileg deutscher Beamter. Daneben taucht Beihilfe auch unspezifisch auf, zum Beispiel als EU-Beihilfe für die Landwirtschaft.

Was verbindet beide Bedeutungen, was leistet das Präfix bei- ? Werfen wir dazu einen Blick auf einige der gut 30 Zusammensetzungen dieses Typs. Häufig fügt bei- dem Grundwort den Aspekt ‚zusätzlich‘ hinzu, beispielsweise in Beiblatt, Beiboot, Beigabe, Beiname, Beiprogramm. Manchmal ist dieser Zusatz störend, so in Beigeschmack (zum Beispiel bei einem Getränk) oder dem Beiklang in einer Tonaufnahme. Der Beifang der Fischer bezeichnet alle Fische, die nicht zum eigentlichen Fang gehören, sie kommen zurück ins Meer oder werden zu Fischmehl. Als Beilage bezeichnet man in der Gastronomie alles, was der Fleischportion beigelegt wird, zum Beispiel Kartoffeln, Gemüse, Salat. So nehmen die Wörter Bedeutungsaspekte des Bezeichneten an.

Eine Verengung seiner Bedeutung hat Beileid erfahren: im 18. Jahrhundert noch allgemein ‚mitempfundenes Leid‘, heute nur noch im Todesfall.

Eigenartig, dass für die Wiedervereinigung das Wort Beitritt (der DDR zur BRD) gewählt wurde, es wirkt wie eine Verniedlichung der staatlichen Selbstaufgabe, an der bis heute viele leiden. Das Wort hat aber nichts mit Tritt zu tun. Es ist eine Substantivierung des Verbs beitreten.

Natürlich gibt es in dieser Wortfamilie auch Mitglieder, die undurchsichtig, heute nicht mehr erklärlich sind. Dazu gehört der Name der Gewürzpflanze Beifuß, der schon im Althochdeutschen als pīpōz belegt ist und in niederdeutsch bifot eine volksetymologische Umdeutung erfahren hat: In Anlehnung an einen antiken Glauben soll die Pflanze, ans Bein gebunden, den Wanderer vor Müdigkeit schützen. Auch das häufigste Bei-Wort, unser Beispiel, stellt eine volksetymologische Umformung dar: mittelhochdeutsch bīspel ‚Gleichnis, Redensart‘, wörtlich ‚das dazu Erzählte‘. Der untergegangene Stamm –spel wurde zu -spiel umgedeutet. (Wir finden es noch in englisch gospel aus altenglisch god-spell ‚gute Nachricht‘, eine Übersetzung von evangelium.)

Und schließlich gibt es auch in dieser Wortgruppe verhüllende Bezeichnungen wie Beischlaf und Beilager, die das Gemeinte metonymisch verbergen, indem sie Benachbartes, den Schlaf oder das Lager, sprechen lassen. Beischlaf ist zum Rechtswort erstarrt, Mediziner ziehen es vor, vom Beisammensein zu sprechen (eine andere Verhüllung), das dem Englischen entlehnte Kurzwort Sex kommt vielen zu nüchtern oder vulgär vor.

Unser Wortschatz, das zeigen diese Beispiele, verbindet Ererbtes und Jüngstes, Selbsterklärendes und Undurchsichtiges, direkt Benanntes und Verhüllendes – es lohnt immer, irgendwo hineinzugreifen und unsere Wörterbücher nach ihnen zu befragen.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de

 

3. Berichte

Aus Liebe zur Muttersprache

Mit dem Wochenkurier hat VDS-Mitglied Klaus Reichelt über seine Liebe zur deutschen Muttersprache und ihre Verluste durch englische Einflüsse gesprochen. „Uns geht es nicht darum, die Alltags- und Umgangssprache als ‚hölzernes Deutsch‘ zu kultivieren und zum Aufstand gegen Fremdwörter aufzurufen. Wörter wie Computer, E-Mail oder okay sind allgemeiner Sprachgebrauch geworden“, aber eine Verdrängung deutscher Begriffe durch Denglisch ärgere ihn. „Wir sind gefordert, die Schönheit und Präzision in ihr zu pflegen und zu wahren“, betonte Reichelt. (wochenkurier.info)

 

Europäische Bewegung Deutschland

Zum Kulturerbejahr, das 2018 in ganz Europa stattfindet und den Zusammenhalt in Europa fördern soll, richtet die Europäische Bewegung Deutschland, zu der auch der Verein Deutsche Sprache gehört, zahlreiche Veranstaltungen und Wettbewerbe aus. Teil des umfangreichen Programms ist auch ein Schülerwettbewerb über Europa, der Europäische Wettbewerb, der bisher über 85.000 Schülerinnen und Schüler erreicht hat und in dem sich Kinder und Jugendliche kreativ mit Europas kulturellem Erbe befassen – mit Denkmälern und historischen Orten, mit Vereins- oder Schriftkultur und mit dem digitalen Zeitalter. (netzwerk-ebd.de, sharingheritage.de)

 

4. VDS-Termine

14. Mai, Region 42 (Wuppertal, Remscheid, Solingen – „Bergisch Land“)
Stammtisch der Regionalgruppe
Zeit: 17:00 Uhr
Ort: Gaststätte „Kaiser-Treff“, Hahnerberger Str. 260, 42329 Wuppertal

14. Mai, Deutsches Musik Radio
„Wortspiel“ beim Deutschen Musikradio DMR mit Holger Klatte und Stefan Ludwig.
Schwerpunkt: Karl Marx und die deutsche Sprache
Sendungsseite: http://www.deutschesmusikradio.de/dmr/wortspiel/
Zeit: 20 bis 21 Uhr, Wiederholung: 23 Uhr

15. Mai, Region 31 (Nienburg, Wunstorf, Hildesheim, Stadthagen, Hameln, Peine)
Vortrag von VDS-Vorstandsmitglied Dr. Reiner Pogarell über „Luther und die deutsche Sprache“
Zeit: 17:00 Uhr
Ort: Rudolf-Steiner-Haus, Brehmstr. 10, 30173 Hannover

15. Mai, Region 57 (Siegen)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Landgasthof Merje, Kredenbacher Str. 18, 57223 Kreuztal

15. Mai, Region 67, 68, 69 (Rhein-Neckar)
Regionaltreffen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Gastwirtschaft „Goldene Gans“, Bismarck-Platz 7, 68165 Mannheim

 

5. Literatur

Eklat beim Literaturnobelpreis

Wegen mehrerer Skandale wird die Verleihung des Nobelpreises für Literatur dieses Jahr ausgesetzt. Vorausgegangen waren Missbrauchsvorwürfe gegen den Ehemann des Akademiemitglieds Katarina Frostenson, in deren Folge acht von 18 Akademiemitglieder ihr Amt niederlegten und die Jurystatuten so nicht mehr eingehalten werden konnten. Hinzu kamen Vorwürfe des Geheimnisverrats und der Günstlingswirtschaft, wie der SPIEGEL berichtete, die zu der Entscheidung führten, den Preis erst wieder im kommenden Jahr zusammen mit dem Preis für 2019 zu vergeben. „Wir halten es für nötig, Zeit zu investieren, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Akademie wieder herzustellen, bevor der nächste Preisträger verkündet werden kann“, begründete der derzeitige Akademiesekretär Anders Olsson diese Konsequenz. Es ist zwar nicht das erste Mal, dass der Preis eines Jahres erst im Folgejahr nachgeholt wird, jedoch sehen die Statuten ein solches Vorgehen nur vor, wenn die Akademie kein angemessenes literarisches Werk bestimmen kann. (spiegel.de, taz.de)

 

6. Denglisch

Unübersetzbare Wörter

Gern verweisen soziale Netzwerke und Videokanäle auf die Klarheit und die Prägnanz des deutschen Wortschatzes. Die Zeitschrift Neon widmete sich in dieser Woche „einzigartigen Sprachkreationen“ der deutschen Sprache, die unübersetzbar sind und deshalb unverändert in andere Sprachräumen auswanderten, darunter „Zugzwang“, „Schadenfreude“ oder „Weltschmerz“. Auch das „Fernweh“ bezeichnet ein bestimmtes Gefühl, für das andere Sprachen umständliche Umschreibungen benötigen, die den genauen Ton letztlich doch nicht zu treffen vermögen – wie das englische Äquivalent „itchy feet“, das so viel wie „juckende Füße“ bedeutet. (stern.de)

 

„Best of“ der Widersprüchlichkeit

Eigentlich geht es bei der 10. Fachtagung „Sprache“ in Heidenheim um Sprachförderung und -entwicklung – anscheinend aber nicht zugunsten der deutschen Sprache. Denn das Motto der diesjährigen Veranstaltung am 8. und 9. Juni lautet „Themen der Zukunft – Ein best of!“. Besonders wenn die Schwerpunkte bei aktuellen sprachlichen Entwicklungen hinsichtlich Migration und Integration liegen, verwundert der Titel. Auch die Programmpunkte, wie eine „Podiumsdiskussion nach dem Fish-Bowl-Prinzip“ und Vorträge zum „Digital Turn“ lassen nicht auf die Wertschätzung der zu fördernden (deutschen) Sprache schließen. (fachtagung-sprache.de, inar.de)

 


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten und Nachrichten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache.

RECHTLICHE HINWEISE

Verein Deutsche Sprache e. V. Dortmund
Redaktion: Lea Jockisch, Holger Klatte, Silke Niehaus-Scherpenberg

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