Infobrief 414 (20/2018): Gender-Sternchen bald im Duden?

1. Presseschau vom 11. Mai bis 17. Mai 2018

  • Gender-Sternchen bald im Duden?
  • Spielerische Sprachforschung
  • Zeitfenster fürs Sprachenlernen

2. Unser Deutsch

  • Migrationshintergrund

3. VDS-Termine

4. Literatur

  • Technische Nachahmung der Grimm-Märchen
  • Regionale Wortschätze

5. Denglisch

  • Stadtschreiberprojekt „Berlin Stories“

 

1. Presseschau vom 11. Mai bis 17. Mai 2018

Gender-Sternchen bald im Duden?


Foto: Wikipedia, User: Kalligraf, CC BY-SA 4.0-Lizenz

Das sogenannte „Gender-Sternchen“ gibt es bereits in einigen Parteiprogrammen, Verwaltungsschreiben und Hochschulverfassungen. Nun steht es kurz davor, eine weitere Hürde zu nehmen: Der Rat für deutsche Rechtschreibung will am 8. Juni über die Empfehlung einer geschlechtergerechten Schreibung entscheiden. Für Sabine Krome vom Rat für Rechtschreibung ist die Entscheidung „sprachpolitisch und erst in zweiter Linie orthografisch“. Der Rat für deutsche Rechtschreibung ist dem Institut für deutsche Sprache in Mannheim zugeordnet und soll die Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung bewahren.

Es bleibt zu hoffen, dass die Mannheimer Sprachwissenschaftler zu besseren Ergebnissen kommen als ihr Berliner Kollege Anatol Stefanowitsch. Dieser muss sich immer häufiger belehren lassen, zum Beispiel durch den Romanisten Helmut Berschien: „Der Versuch, das sprachkorrekte Genderdeutsch in der Alltags-, Zeitungs- oder Literatursprache durchzusetzen, muss scheitern, weil es sich hier um einen Eingriff in das grammatische Sprachsystem handelt, der die Verständlichkeit stört und viele Sprecher überfordert.“ Oder durch den Germanisten Helmut Glück: „Maskuline Personenbezeichnungen sind nicht sexusmarkiert, denn sie bezeichnen beide natürlichen Geschlechter. Bäcker schließt die Bäckerin ein, Lehrer die Lehrerin. Man sieht das an Bildungen wie Bäckerei, Bäckerinnung, Bäckerlehrling.“

Nicht mehr belehren lässt sich (vermutlich) die Feministin Marlies Krämer, die nun vor das Bundesverfassungsgericht zieht, weil ihre Sparkasse sie mit der Bezeichnung „Konotinhaber“ nicht als Frau wahrnimmt. Edo Reents von der FAZ schlug bereits vor, dass sie sich vorher in „Krämerin“ umbenennen sollte. (tagesspiegel.de, tichyseinblick.de, faz.net)

 

Spielerische Sprachforschung

Die Forschungsgruppe „The Mint“ vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena hat eine Spiele-App veröffentlicht, mit der die Entstehung von Sprachen erforscht werden soll. Bei „The Color Game“, wie die kostenlose App heißt, muss man einem Mitspieler eine zufällig vorgegebene Farbe mitteilen. Dafür kann man allerdings keine Wörter benutzen, sondern muss mit einer Auswahl von Schwarz-Weiß-Symbolen seinem Gegenüber verdeutlichen, welche Farbe man sieht. Schon aus vorangegangenen Experimenten wissen die Forscher, dass dies häufiger gelingt als dass es Zufall sein kann. Daraus schließen sie, dass die Spieler während des Spielens eine Sprache entwickeln, bei der die Symbole mit der Zeit eine Bedeutung gewinnen, die sie bei Spielbeginn noch nicht hatten. Die Forschergruppe erhofft sich mit diesen Daten Neues über die Entwicklung menschlicher Kommunikationssysteme zu lernen. (mpg.de)

 

Zeitfenster für Sprachenlernen

Um eine Sprache so zu erlernen, dass sie perfekt beherrscht wird, können Kinder später, damit beginnen, als man bisher angenommen hatte. Dies legt eine neue Studie des Massachusetts Instituts für Technologie (MIT) nahe. Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass man bis zum Alter von 17 oder 18 Jahren lernen kann eine Sprache einwandfrei zu beherrschen. Für ein muttersprachliches Niveau müsste man allerdings bereits mit 10 Jahren mit dem Lernen beginnen, danach sehen die Forscher um Joshua Hartshorne, Postdoc am MIT, einen Rückgang der Fähigkeiten. Da für die Studie mindestens eine halbe Million Teilnehmer benötigt wurden, erstellte Hartshorne ein Grammatikquiz, das in sozialen Medien viral geteilt wurde. (aerzteblatt.de)

 

2. Unser Deutsch

Migrationshintergrund

Was sind Personen mit Migrationshintergrund? Der Ausdruck, seit 2000 bei uns geläufig, seit 2009 im Duden verzeichnet, lässt vieles offen. Meist denken wir hier an die Kinder oder Enkel von Migranten oder Gastarbeitern. Fast alle sind hier geboren, besuchten unsere Schulen, viele haben studiert. Millionen sind hier berufstätig und zahlen Steuern. Die meisten besitzen, ob Kinder, Schüler oder Erwachsene, die deutsche Staatsbürgerschaft. Nicht wenige sind im öffentlichen Leben präsent: Journalisten, Politiker, Ärzte, Anwälte, Köche, Sportler – sehr viele Frauen, und wenn sie sprechen, fallen sie auf durch ihr gewähltes, makelloses Deutsch. Den Migrationshintergrund erkennen wir vor allem am fremden Namen. Er ist das Etikett ihrer familiären Herkunft.

Anders die amtliche Definition, die das Statistische Bundesamt seit 2005 verwendet. Sie lautet in jüngster Fassung von 2016: „Eine Person hat dann einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren ist.“ Das ist kurz, aber dennoch kompliziert. Anker der Definition ist einerseits die fremde Staatsangehörigkeit bei Geburt (also im Ausland), andererseits die Abstammung (Mutter oder Vater) einer solchen Person. Einerseits sind all jene gemeint, die selbst nicht eingewandert sind, nur ein Elternteil. Für sie passt der Ausdruck vom Migrationshintergrund. So auch der alltagssprachliche Gebrauch des Wortes. Mit ihnen werden aber in der amtlichen Statistik alle jene zusammengepackt, die wir als Flüchtlinge, Asylanten, Migranten kennen, die das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge identifiziert, kategorisiert, auf die Kommunen verteilt, versorgt oder abschiebt. Migration ist hier Gegenwart, ist Vordergrund, nicht Hintergrund. Alle zusammen machten 2015 nach amtlicher Statistik 21% der deutschen Bevölkerung aus (Witzbolde nennen den Rest von 79 % Biodeutsche). In Österreich ist der Anteil viel geringer. Warum? Weil sie den Migrationshintergrund anders definieren. Nur wenn beide Elternteile aus dem Ausland stammen. Auch die Schweiz zählt anders. Übrigens gelten (definitionsgemäß) auch alle Österreicher, Schweizer, Südtiroler und Elsässer (und deren Kinder), die hier wohnen, als Personen mit Migrationshintergrund. Wie man zählt, was man zählt, wofür und warum – das ist erklärungsbedürftig. Es muss offengelegt werden. Was wird mit der Publikation solcher Zahlen bezweckt? Wünschen wir uns nicht die Eingliederung aller Migranten in Sprache, Kultur und Arbeitswelt unseres Landes? Warum werden dann jene, die längst bei uns heimisch sind, mit allen neuen Migranten in einen Topf geworfen? Migrationshintergrund: das ist für die einen eine falsche Beschönigung, für die anderen eine Missachtung ihrer Integrationsleistung.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de

 

3. VDS-Termine

19. Mai, Region 36, 98 (Rhön-Rennsteig)
Regionalversammlung mit Wahl der Regionalleitung
Zeit: 16:00 Uhr
Ort: Hotel Restaurant „Peterchens Mondfahrt“, Wasserkuppe 46, 36129 Gersfeld

21. Mai, Deutsches Musik Radio
„Wortspiel“ beim Deutschen Musikradio DMR mit Holger Klatte und Stefan Ludwig.
Sendungsseite: http://www.deutschesmusikradio.de/dmr/wortspiel/
Zeit: 20 bis 21 Uhr, Wiederholung: 23 Uhr

21. Mai, Region 42 (Bergisch-Land)
Radiosendung im Bürgerfunk von Radio RSG
Zeit: 19:00 Uhr
Die Sendung ist auch über www.radiorsg.de zu empfangen.

23. Mai, Region 70/71/73/74 (Stuttgart, Nordwürttemberg)
Regionalversammlung mit Wahl der Regionalleitung
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Brauereigaststätte Dinkelacker, Tübinger Straße 46, 70178 Stuttgart

24. Mai, Region 53 (Bonn, Eifel)
Regionalversammlung mit Wahl der Regionalleitung und Vortrag von VDS-Vorstandsmitglied Dr. Reiner Pogarell „Woran sterben Sprachen?“
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Tennis-Club Heiderhof, Sommerberg Weg 4, 53177 Bonn

 

4. Literatur

Technische Nachahmung der Grimm-Märchen

Die Märchen der Gebrüder Grimm zählen zu den wichtigsten deutschen Kulturgütern und sind weltweit bekannt. Viele versuchen an diesen Erfolg anzuknüpfen, so auch das amerikanische Künstlerkollektiv Botnik, das nun mithilfe eines Computerprogramms ein Märchen im Stil der Gebrüder Grimm zu verfassen versucht hat. Der Algorithmus wurde mit Wörtern und Wortfolgen aus rund 200 Grimm-Märchen gefüttert, woraus dieser eine neue Geschichte zusammensetzte, mit der man die „Tonalität der Grimms habe treffen wollen“, berichtet die WELT. „Wir sind für die Gebrüder Grimm, was Jurassic Park für die Dinosaurier ist“, erklärte Michael Acton Smith, der Auftraggeber des Experiments. Das Märchen namens „Die Prinzessin und der Fuchs“ ist als Hörspiel konzipiert und soll Kindern das Einschlafen erleichtern. (welt.de)

 

Regionale Wortschätze

In seinem neuen Buch „Wo kommt dat her?“ geht Peter Honnen, Sprachwissenschaftler des Landschaftsverbands Rheinland (LVR), auf die Suche nach den Ursprüngen von linguistischen Eigenheiten rheinischer und ruhrdeutscher Regionen. Seine wissenschaftlich fundierten Wortgeschichten zu „Pillepalle“, „Füppes“ und „knöttern“ beweisen viel Witz und Humor und zeigen sehr eindrucksvoll, dass deren Wurzeln zum Teil bis in die Römerzeit zurückreichen. (wz.de)

 

5. Denglisch

Stadtschreiberprojekt „Berlin Stories“

Das „studierendenWerk Berlin“, eine Anstalt des öffentlichen Rechts für die Berliner Hochschulen, leistet sich neuerdings ein Stadtschreiberprojekt mit dem Titel „Berlin Stories“. Die neue Stadtschreiberin wird Charlotte Wührer, Studentin der „English Studies“ und gebürtige Engländerin. Sie kündigte an, ihre Texte, die sich künftig um das Leben in Berlin drehen und regelmäßig auf einem Literaturblog erscheinen, auf Denglisch zu verfassen. Der Schreibstil habe die Jury überzeugt, erläuterte eine Sprecherin. Beworben hatten sich 51 Studenten aus zehn Hochschulen.

Stadtschreiber gibt es in verschiedenen deutschen Städten. Meist ist das Amt mit einem Literaturpreis oder -stipendium oder auch einer kostenlosen Wohnung verbunden. Man darf gespannt sein, ob Denglisch hier als kulturelle Leistung verstanden werden soll oder als schlechtes Deutsch. (rbb24.de)


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten und Nachrichten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache.

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Redaktion: Lea Jockisch, Holger Klatte, Silke Niehaus-Scherpenberg

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