Infobrief 415 (21/2018): Finanzminister gegen Behördensprache

1. Presseschau vom 18. Mai bis 24. Mai 2018

  •  Finanzminister gegen Behördensprache
  •  Die deutsche Sprache und ihr Ruf

2. Unser Deutsch

  •  Unserdeutsch

3. VDS-Termine

4. Literatur

  • Eine Woche voller Poesie
  • Gegen das Vergessen

5. Denglisch

  •  Sprachwirrwarr durch Englisch

 

 

1. Presseschau vom 18. Mai bis 25. Mai 2018

Finanzminister gegen Behördensprache


Foto: Pixabay, User falco, CC0 1.0-Lizenz

Eine Steuererklärung oder einen Antrag zur Riester-Rente auszufüllen, stellt viele Menschen vor enorme Verständnisprobleme und erzeugt eine Menge Frust. Grund dafür ist oft ein undurchdringliches Behördendeutsch. Um gegen lange Warteschlangen in den Beratungsstellen der Finanzämter und den Unmut der Bürger vorzugehen, haben die Finanzminister der Länder nun eine „Bürgerfreundliche Sprache in der Finanzverwaltung“ auf die Agenda der am 24. und 25. Mai in Goslar stattfindenden Jahreskonferenz gesetzt. Nordrhein-Westfalen hat bei diesem Vorhaben die Federführung übernommen und bereits rund 600 Vordrucke überarbeitet, berichtet die FAZ. Bis 2019 soll auch die Neugestaltung der Einkommensbescheide abgeschlossen sein. Zurückführen lasse sich das Behördendeutsch auf den Versuch der Verwaltungen, rechtssicher zu arbeiten, mit dem Ergebnis, dass Gesetzestexte bisher einfach in Formulare übernommen wurden, ohne diese zu erklären. Eine vorläufige Lösung könne die Ergänzung der Paragrafen durch verständlichere Formulierungen sein, empfiehlt Isabel Klocke, Leiterin der Steuerabteilung. Langfristig müsse jedoch eine Änderung der Gesetzestexte selber, beispielsweise nach schwedischem Vorbild, angestrebt werden, sagt Sprachwissenschaftlerin Michaela Blaha von der Ruhr-Universität Bochum. Dort habe sich die Behördensprache inzwischen fast vollständig an die Standardsprache angepasst. (rp-online.de, wiwo.de, faz.net)

 

Die deutsche Sprache und ihr Ruf

Mitunter eilt der deutschen Sprache ein schlechter Ruf voraus, dessen Gründe weitaus tiefsitzender sind als der bloße Ärger mit der schwierigen Grammatik des Deutschen. Im Tagblatt hat der Schweizer Germanist Mario Andreotti die bis ins frühe Mittelalter zurückreichenden Vorurteile gegenüber der deutschen Sprache historisch aufgearbeitet. Damals bezog sich der Begriff der deutschen Sprache „nicht auf eine bestimmte Nationalsprache, sondern auf die Sprache des einfachen, wenig kultivierten Volkes“, die dieses stark vom Lateinisch sprechenden Klerus abgrenzte. Über die Jahrhunderte hinweg änderte sich an der Stellung des Deutschen wenig, wie eine Aussage Kaiser Karls V. aus dem 16. Jahrhundert belegt: „Ich spreche spanisch zu Gott, italienisch zu den Frauen, französisch zu den Männern und deutsch zu meinem Pferd.“ Im 17. und 18. Jahrhundert dann wird Latein durch das Französische als Sprache des Adels und der Diplomatie abgelöst. Auch das höhere Bürgertum bevorzugt Französisch, Deutsch hingegen wird stärker denn je als Sprache des Gesindels empfunden. Der deutsche Adel schämt sich gar für seine deutsche Muttersprache, so auch König Friedrich II., der seine Abhandlung über die deutsche Literatur auf Französisch verfasste. Der schlechte Ruf ist in Teilen bis heute geblieben, begründet ist er jedoch keineswegs, betont Andreotti. Mit seinem großen Wortschatz, einem variantenreichen Satzbau und der „Fähigkeit, auf einfachste Art Komposita zu bilden“ sei die deutsche vielen anderen Sprachen um Längen voraus. „Tragen wir daher, bei aller Wertschätzung sprachlicher Kreativität, Sorge zu unserer Sprache, denn sie ist letztlich die Grundlage unserer Identität“, schlussfolgert Andreotti. (tagblatt.ch)

 

2. Unser Deutsch

Unserdeutsch

Das ist kein Schreibfehler von Unser Deutsch, der Rubrik im VDS-Infobrief, sondern der Name einer Kreolsprache, die um 1900 in der ehemaligen deutschen Kolonie ‚Papua-Neuguinea‘ entstand. Ihr Ursprung ist eindeutig belegt: In der katholischen Herz-Jesu-Mission Vunapope, nahe der Hauptstadt Kokopo, die damals Herbertshöhe hieß, wurden Kinder von europäischen oder asiatischen Vätern mit melanesischen Frauen in Hochdeutsch unterrichtet. Außerhalb des Unterrichts lernten die Kinder die lokale Kreolsprache Tok Pisin. Aus dem Kontakt beider Sprachen entstand Unserdeutsch als gemeinsame Sprache dieser Kinder. Als sie selbst Familien gründeten, gaben sie diese Form des Deutschen an ihre Kinder als Muttersprache weiter. 1914 wanderten die meisten Unserdeutsch-Sprecher nach Australien aus, nachdem die Kolonialherren ihr ozeanisches Reich aufgegeben hatten.

Was sind Kreolsprachen? Man erklärt ihre Entstehung meist so: Im Zuge der Kolonisation durch die europäischen Seefahrernationen – Portugal, Spanien, Frankreich, England, Niederlande – entstanden (zunächst in den Hafenstädten) Hilfsidiome aus der Mischung der Kolonialsprachen und der einheimischen Sprachen, die der nötigsten Kommunikation dienten. Wenn diese sogenannten Pidginsprachen an Kinder weitergegeben und so zu Muttersprachen wurden, entstanden eigenständige Sprachen, die heute als Kreolsprachen (nach dem spanischen Wort criollo ‚eingeboren‘) bezeichnet werden. Das Typische dieser Sprachmischung ist die Verbindung von Wortschatz aus der Kolonialsprache und Grammatik aus der Kontaktsprache. Dabei werden viele grammatische Züge der europäischen Sprachen radikal vereinfacht. In Unserdeutsch gibt es kein Genus der Substantive, der Artikel lautet immer de und der Plural wird nicht durch eine Pluralendung sondern lexikalisch gebildet (zum Beispiel alle Frau). Heute gibt es nur noch wenige Muttersprachler von Unserdeutsch auf Papua-Guinea, die meisten etwa 100 Sprecher leben in Ostaustralien. Dort entdeckte in den 70er Jahren ein australischer Student diese Enklave des Deutschen. Er ist inzwischen an der Dokumentation und Erforschung dieser einzigen deutsch-basierten Kreolsprache an der Universität Augsburg beteiligt.

Der Name Unserdeutsch (die englische Fachbezeichnung ist Rabaul Creole German) ist offenbar eine Selbstbezeichnung dieser Sprechergruppe. Sie bezeugt, wie Menschen ihre eigene Sprache wertschätzen.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de

 

3. VDS-Termine

28. Mai, Deutsches Musik Radio
„Wortspiel“ beim Deutschen Musikradio DMR mit Holger Klatte und Stefan Ludwig
Schwerpunkt: Deutsch im Ausland
Sendungsseite: http://www.deutschesmusikradio.de/dmr/wortspiel/
Zeit: 20 bis 21 Uhr, Wiederholung: 23 Uhr

29. Mai, Region 01; 09 (Dresden, Riesa; Chemnitz)
Mitgliederversammlung mit Wahl der Regionalleitungen Dresden und Chemnitz; mögliche Zusammenlegung der Regionen. Vortrag Prof. Dr. Walter Krämer (VDS-Vorstandsvorsitzender) : „Verlierer sprechen Denglisch – Die deutsche Sprache und das Geld“
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Ortsamt Dresden-Loschwitz
Grundstr. 3, 01326 Dresden

29. Mai, Region 50, 51 (Köln)
Gedenkfeier am Ehrengrab des Lehrers Heinrich Welsch anlässlich seines 170. Geburtstages
Zeit: 16 Uhr
Ort: Friedhof Köln-Kalk (Treffpunkt: Trauerhalle am Eingang), Kratzweg 1, 51109 Köln

30. Mai, Region 79 (Breisgau)
Regionaltreffen
Zeit: 17:30 Uhr
Ort: Gasthaus „Hirschen“, Dorfstr. 4, 79249 Merzhausen

30. Mai, Region 03 (Cottbus)
Mitgliedertreffen (immer am letzten Mittwoch des Monats)
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Hotel „Zur Sonne“, Taubenstr. 7, 03046 Cottbus

30. Mai, Region 02 (Görlitz, Hoyerswerda, Bautzen)
Gemeinsames Treffen mit dem Sprachrettungsclub Bautzen, VDS-Mitgliederversammlung mit Wahl der Regionalleitung.
Diethold Tietz vom Sprachrettungsclub Bautzen referiert über „Erläuterung einer künftigen Zusammenarbeit mit dem VDS e. V.“
Vortrag Prof. Dr. Walter Krämer (VDS-Vorstandsvorsitzender) über „Verlierer sprechen Denglisch – Die deutsche Sprache und das Geld“
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Gasthaus „Lusatia“, Löbauer Str. 26, 02625 Bautzen

 

4. Literatur

Eine Woche voller Poesie

Vom 24. bis zum 31. Mai findet das 19. poesiefestival in Berlin statt. Rund 150 Dichter und Künstler aus 50 Ländern kommen zusammen, darunter der chinesische Künstler und Menschenrechtsaktivist Ai Weiwei und die Frauenrechtlerin Ketty Nivyabandi. Die acht Tage bieten den etwa 10.000 erwarteten Besuchern ein volles Programm aus Lesungen, Arbeitsgruppen, Konzerten und Ausstellungen. „Das poesiefestival berlin zeigt, welche Kraft und Inspirationsquelle die Poesie besitzt. Es verschafft der Sprachkunst Aufmerksamkeit, beschreitet neue Wege der Präsentation, Publikation und Distribution und erreicht weltweite Ausstrahlung“, heißt es auf der Veranstaltungsseite. Um Sprachkunst geht es auch bei der Auftaktveranstaltung am 25. Mai, bei der unter dem Titel „Weltklang“ zahlreiche internationale Künstler gemeinsam in ihrer jeweiligen Muttersprache singen und lesen. Seit 2000 richtet das Haus der Poesie zusammen mit der Akademie der Künste das Literaturfestival mit dem Ziel aus, Poesie erlebbar zu machen und für sie so einen nachhaltigen Platz in der Gesellschaft zu schaffen. (haus-fuer-poesie.org, focus.de)

 

Gegen das Vergessen

Das Wort „Luftikus“ leitet sich von „luftig“ ab und bezeichnet einen leichtsinnig handelnden Menschen. Im 19. Jahrhundert galt das substantivierte Adjektiv noch als weit verbreiteter Wortwitz in akademischen Kreisen, heute hört man ihn nur noch selten. Um an solche verlorenen und durch Sprachmoden verdrängte Wörter zu erinnern, hat die Journalistin Katharina Mahrenholtz zusammen mit Dawn Parisi das Buch „Luftikus und Tausendsassa – verliebt in 100 vergessene Wörter“ herausgegeben. Darin erklärt sie nicht nur Bedeutung und Herkunft von Wörtern wie „Memmen“, „Dünkel“ oder „Zipperlein“, sondern bewahrt die Begriffe auch vor dem Vergessen.

Katharina Mahrenholtz, Dawn Parisi: Luftikus und Tausendsassa. Verliebt in 100 vergessene Wörter, 159 S., Duden-Verlag, Berlin 2018, 15 Euro. (deutschlandfunk.de)

 

5. Denglisch

Sprachwirrwarr durch Englisch

Wie viele afrikanische Länder hat auch die Republik Südafrika erhebliche Bildungsschwierigkeiten, besonders im Bereich des Lesens und Sprechens. In dem von Armut geplagten Land fehlen nicht nur Mittel zur Förderung, sondern auch eine sinnvolle Sprachpolitik im Bildungswesen. Elf offizielle Amtssprachen gibt es, darunter Afrikaans und Englisch, die jedoch nur etwa 20 Prozent der südafrikanischen Einwohner sprechen. Die restliche Bevölkerung spricht eine von neun afrikanischen Sprachen als Muttersprache – zumindest in den ersten Lebensjahren. Ab der vierten Klasse müssen die Kinder dann zu Englisch als Unterrichtssprache wechseln, mit verheerenden Folgen. Denn die Kinder beherrschen dann weder ihre Muttersprache richtig noch reicht die Englischkompetenz aus, um dem Unterricht adäquat folgen zu können. Die konsequente Stärkung der Muttersprache über die Grundschuljahre hinaus könnte der Sprachmisere vorbeugen, ist von der Regierung jedoch nicht vorgesehen. Die Organisation PRAESA (Project for the Study of Alternative Education in South Africa) hat sich deshalb in Zusammenarbeit mit der Universität Kapstadt zum Ziel gesetzt, die muttersprachliche Entwicklung der Kinder zu fördern und so eine Basis für das Erlernen anderer Sprachen zu schaffen. (deutschlandfunk.de)


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten und Nachrichten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache.

RECHTLICHE HINWEISE

Verein Deutsche Sprache e. V. Dortmund
Redaktion: Lea Jockisch, Holger Klatte, Silke Niehaus-Scherpenberg

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