Infobrief 425 (31/2018): Außer Spesen nichts gewesen: 20 Jahre Rechtschreibreform

1. Presseschau vom 27. Juli bis 2. August 2018

  •  Außer Spesen nichts gewesen: 20 Jahre Rechtschreibreform
  •  Sicherheit auf der Straße durch Deutsch
  •  Tradition lebt in Sprache weiter

2. Unser Deutsch

  •  Katzbuckeln

3. VDS-Termine

4. Literatur

  •  Vorsicht, dieser Inhalt könnte Sie verstören
  •  Buchempfehlung: Frank und frei

5. Denglisch

  •  Weniger ist mehr

 

 

1. Presseschau vom 27. Juli bis 2. August 2018

Außer Spesen nichts gewesen: 20 Jahre Rechtschreibreform


Foto: Pixabay Hans CCO-Lizenz

Wie es um die Rechtschreibreform steht, fasst Josef Kraus im Magazin Tichys Einblick in nur einem Wort zusammen: Schlechtschreibreform. Die am 1. August 1998 verbindlich an Schulen und Behörden eingeführte Reform muss sich dieser Tage, zum 20. Jubiläum, stärker denn je kritischen Blicken unterziehen – mit einem ernüchternden Ergebnis. Denn die ursprüngliche Idee zur Vereinfachung der Rechtschreibung scheiterte an strittigen Regeln, die auch in den nachfolgenden Revisionen nicht vollständig korrigiert werden konnten und vorwiegend Verwirrung stifteten. In einer Vergleichsstudie der Universität Siegen konnte belegt werden, dass sich die Fehlerquote von Viertklässlern zwischen den Jahren 1972 und 2002 verdoppelte. Hinzu kam, dass sich rund 90 Prozent der Deutschen von vornherein gegen die Rechtschreibreform aussprachen, schreibt Kraus und beruft sich auf Zahlen des Meinungsforschungsinstituts Allensbach. Bis heute ist dieser Wert konstant geblieben. Die breite Ablehnung hatte zur Folge, dass die neue Rechtschreibung größtenteils boykottiert und ignoriert wurde. Privatpersonen, Verlage und auch immer mehr Zeitungen, darunter die FAZ, lehnten die Reform von vornherein ab oder kehrten nach kurzer Zeit zur „bewährten Rechtschreibung“ oder „Hausorthographie“ zurück, so der SPIEGEL, der sich selbst 2004 dem „Akt des zivilen Ungehorsams“ anschloss. Der im gleichen Jahr mit dem Ziel, Ordnung ins Chaos zu bringen, gegründete Rat für deutsche Rechtschreibung, vermochte zu diesem Zeitpunkt nur noch wenig auszurichten. Im Gegenteil: Resignation, Ignoranz und Unverständnis scheinen seitdem beim Thema Rechtschreibung richtungsweisend zu sein, wie sich nicht nur an subversiven Erscheinungen wie der „Vong“-Sprache erkennen lässt. Besonders die aktuellen Debatten um eine geschlechtergerechte Schreibweise, die oftmals jegliche Regeln der Grammatik ignoriert, veranschaulichen, wie die Rechtschreibung systematisch abgelehnt wird. (tichyseinblick.de, mdr.de, spiegel.de, ejz.de)

 

Sicherheit auf der Straße durch Deutsch

Wer als Fahrer Großraumtransporte auf deutschen Straßen durchführen möchte, sollte auch in der Lage sein, deutschsprachige Verkehrsschilder und -anweisungen zu verstehen oder vom einem Dolmetscher begleitet werden. Nur so ist eine Kommunikation mit der Polizei, zum Beispiel in Gefahrenfällen, möglich. Zu diesem Urteil kam der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, wie die FAZ in dieser Woche berichtete. Vorausgegangen war der Verhandlung ein Streit zwischen einem litauischen Transportunternehmen und der Stadt Friedrichshafen, die bereits in der Vergangenheit die Auflage verabschiedet hatte, Großraumtransporte innerhalb Deutschlands nur unter Voraussetzung eines während der Fahrt anwesenden Sachverständigen mit Deutschkenntnissen zu genehmigen. Nicht immer, aber immer öfter stellt sich heraus: Die Landessprache sollte man beherrschen. (Druckausgabe der FAZ vom 1.8.2018, neckar-chronik.de)

 

Tradition lebt in Sprache weiter

Es gibt Dialekte, die einfach nicht den besten Ruf genießen, Sächsisch zum Beispiel. Auch beim Ruhrdeutschen war das lange Zeit so. Nun jedoch erfährt diese Alltagssprache ein immer höheres Ansehen. Aus der einstigen Arbeitssprache, die durch die vielen Nationalitäten der Gastarbeiter – besonders aber der Preußen und Polen zum Ende des 19. Jahrhunderts – geprägt, und in erster Linie mit Bildungsarmut in Verbindung gebracht wurde, ist heute ein nostalgisches Andenken geworden. „Je mehr sich das Industriezeitalter seinem Ende näherte, desto erfolgreicher wurden Glossen, Kabarett und Comedy, die Ruhrdeutsch als Erinnerungsort auf der Bühne und in den Medien präsentieren und wachhalten.“

Wie beliebt der Ruhrpott-Dialekt bei jung und alt ist, zeigt der WDR in seinem Kumpel-ABC, in dem Menschen aus der Region Begriffe aus dem Bergbau und der Ruhrgebietstradition erklären, darunter Bömmsken, Plörren und Knifte. Die Videos findet Sie in der WDR-Mediathek unter: wdr.de (faz.net)

 

2. Unser Deutsch

Katzbuckeln

In der Zeit absolutistischer Herrscher war der gebeugte Rücken, der Bückling, der Diener, der Kratzfuß, bei Frauen der Knicks, ein Ausdruck der Unterwerfung, dem sich alle Untergebenen zu fügen hatten. Ein kleiner Rest historischer Praxis ist der Hofknicks, den die englische Königin einfordert. Mit dem Bild der Katze, die ihren Herrn mit erhobenem Rücken umschmeichelt, wurde solches Verhalten abschätzig bewertet. Schon unsere Klassiker kannten das Wort, damals noch mit lebendiger Erfahrung, auch das zugehörige Substantiv, die Katzbuckelei. Unterwürfiges Verhalten ist zeitlos. Das Wort hat die Praxis des sozial gebotenen Buckelns in seiner übertragenen Bedeutung, dem unterwürfigen Verhalten, überlebt. So berichtet die Süddeutsche Zeitung: „Die amerikanischen Autokonzerne katzbuckeln vor Präsident Trump“.

Kurioserweise hat der Katzenbuckel eigentlich eine andere Funktion: Die Katze macht sich groß, sträubt die Haare und wenn das nicht hilft, dann faucht sie fürchterlich, um einen Gegner in die Flucht zu schlagen. So mag sich hinter manchem Buckel auch Zorn und Rachedurst verbergen.

Wie ist das Verb katzbuckeln gebildet? Wir sagen: ein Kompositum aus dem Verb buckeln und dem Substantiv Katze. ‚Wie eine Katze buckeln‘ ist das syntaktische Pendant, aus dem das neue Wort gebildet ist. Ähnlich danksagen, nottun, kopfstehen. In diesen Fällen sehen wir, dass das erste Kompositionsglied einmal mit dem Verb syntaktisch verbunden war: oft als Objekt (Dank zu sagen, Not tun) oder als adverbiale Ergänzung wie beim Katzbuckeln und Kopfstehen. Diesen Typ von Komposition hat man Inkorporation ‚Einverleibung‘ genannt, weil ein ursprünglich freies Wort in ein Kompositum integriert wurde. Man könnte auch sagen: Das Verb hat sein Objekt oder sein Adverb verschlungen, aber man sieht es noch – nun als Kompositionsglied.

Wir erkennen in dieser und vielen anderen Formen der Wortbildung, wie Satzinhalte lexikalisch verdichtet werden. Syntax des Satzes wird umgebildet zu einer Syntax des Wortes.

Zum Schluss noch ein Abstecher: Die Tiere unserer Alltagwelt sind seit eh und je bevorzugtes Mittel der Metaphorik. Was uns nah ist, wird zum Vergleich genutzt. Welch unterschiedliche Erfahrungen mit Katzen dabei metaphorisiert werden, zeigen folgende Komposita: der Katzensprung ‚geringe Entfernung‘, die Katzenmusik ‚misstönige Musik mit jaulenden Tönen‘, die Katzenwäsche ‚oberflächliches Sichwaschen‘, der Katzentisch ‚niedriger Tisch, an dem Kinder sitzen oder niedrige Gäste‘, der Katzenkopf ‚rundlich gehauener Pflasterstein‘, ‚kurzer Schlag auf den Kopf‘, das Katzenauge ‚Rücklicht beim Fahrrad‘, ‚graugrünes Mineral‘, das Katzengold ‚falsches Gold‘, und der Katzenjammer‚ ‚gedrückte Stimmung nach Misserfolg‘ – wir erinnern uns der Fußballweltmeisterschaft.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de

 

3. VDS-Termine

keine Termine

 

4. Literatur

Vorsicht, dieser Inhalt könnte Sie verstören

William Shakespeares Werke sind voller Gewalt, Ovids „Metamorphosen“ beinhalten problematische sexuelle Beschreibungen und das Frauenbild der letzten Jahrhunderte kann heute pure Verzweiflung hervorrufen. Weil immer mehr Studenten sich dafür einsetzen, vor der Lektüre eines Buches auf verstörende Inhalte hingewiesen zu werden, entbrennt an britischen und amerikanischen Universitäten derzeit eine Diskussion um mögliche Warnhinweise in den Lehrplänen. „Traumatisierte Studierende sollen auf diese Weise vor plötzlichen emotionalen Konfrontationen bewahrt werden, die ihre seelischen Wunden wieder aufbrechen lassen“, erklärt die Süddeutsche Zeitung. Nicht nur Literaturwissenschaftler halten dieses Vorhaben für, gelinde gesagt, unnötig. Auch Psychologen bezweifeln einen messbaren Effekt auf die Psyche der Studierenden. Vielmehr noch habe sich gezeigt, dass eine vorherige Warnung mitunter die Wirkung einer „selbsterfüllenden Prophezeiung“ habe, die Angst somit erst durch den Hinweis selbst hervorgerufen werde. Statt einer Auseinandersetzung mit historisch und gesellschaftlich existenten (Horror-)Szenarien sei letztlich mit einer Meidung solcher Werke zu rechnen, warnen Experten. „Das allerdings gab es schon immer, nur dass junge Menschen klassische Literatur früher noch aus banalen Gründen verweigerten: Sie fanden sie wahnsinnig öde“, scherzt die SZ. (sueddeutsche.de)

 

Buchempfehlung: Frank und frei

Deutsch und Französisch haben mehr Gemeinsamkeiten als man erst einmal annehmen würde. Besonders aus dem Altfränkischen finden sich viele Einflüsse auf die französische Sprache, die sich über die Jahrhunderte veränderten und verfremdeten und heute kaum noch erkennbar sind. Diese Verwandtschaften wieder aufzudecken, hat sich VDS-Mitglied Gernot Sander in seiner im IFB Verlag Deutsche Sprache erschienenen Publikation „Frank und frei“ zur Aufgabe gemacht. Neben Wortlisten enthält das Buch auch historische Einschübe, aus denen Sander Rückschlüsse auf die deutsche Geschichte ziehen konnte. „Die Franken müssen lange Zeit viel friedlicher gewesen sein als unsere Geschichtsbücher schreiben“, erklärt Sander im Göttinger Tageblatt anhand vieler Worte, die das gesellschaftliche und familiäre Miteinander der Zeit belegen.

Gernot Sander, Frank und Frei. Die Franken und die französische Sprache. Eine quantitative Analyse“ IFB Verlag deutsche Sprache. 19,90 Euro, ISBN 9783942409735. (goettinger-tageblatt.de)

 

5. Denglisch

Weniger ist mehr

Englisch wird nicht nur gern als Weltsprache verkauft, sondern gilt vor allem im Internet als Lingua franca. Zwar hat sie mit rund 378 Millionen eine große Sprecherzahl hinter sich, im Vergleich zum Chinesischen mit fast 1300 Millionen Muttersprachlern kann man ob der Hoheitsstellung des Englischen jedoch nur lächeln. Umso mehr überrascht, welche Relevanz der deutschen Sprache im Internet zukommt. Denn mit 6,3 Prozent ist Deutsch die – nach Englisch mit 52,9 Prozent – meist gebrauchte Sprache mit Netz. Und das bei „nur“ 105 Millionen Muttersprachlern. Der Anteil chinesischer Inhalte liegt hingegen bei unter 2 Prozent, Chinesisch landet somit gerade einmal auf dem zehnten Platz der Internetsprachen. Auch Spanisch, das nach Chinesisch die zweitgrößte Sprecherzahl (442 Millionen) weltweit aufweist, schafft es bei der Internetpräsenz mit 5,1 Prozent nur auf den vierten Platz – hinter Russisch mit 6,1 Prozent im Internet bei 154 Millionen Muttersprachlern. (watson.ch)

 


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten und Nachrichten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache.

RECHTLICHE HINWEISE

Verein Deutsche Sprache e. V. Dortmund
Redaktion: Lea Jockisch
© Verein Deutsche Sprache e. V.

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