Infobrief Nr. 444 (50. Ausgabe in diesem Jahr)

1. Presseschau

  • Unentdeckte Vielfalt an Sprachen
  • Hohe Nachfrage nach Deutschkursen
  • Ein Blick über den Tellerrand
  • Streit um Mazedonien

2. Unser Deutsch

  • Herumeiern

3. Berichte

  • Ein runder Tisch in Australien

4. VDS-Termine

5. Literatur

  • Förderung der Literaturlandschaft
  • Jonglieren mit Medien
  • Musik trifft Lesung

6. Denglisch

  • Teutonismen

7. Schnipsel

8. Kommentar

  • Was Werbung ist

 

1. Presseschau

Unentdeckte Vielfalt an Sprachen

Bild: pixabay / geralt, CC0-Lizenz

Den wenigsten Leuten ist bewusst, wie viele Sprachen es gibt. In der Integrierten Gesamtschule (IGS) Obere Aar in Hahn stand für die 5. Klasse kürzlich die Reihe „1000 Bücher – 1000 Sprachen“ auf dem Lehrplan. Unter anderem galt es, die tatsächliche Zahl zu schätzen. Die Schüler hatten sich bis zu 500 hochgereizt und erfuhren dann von ihrer Lehrerin: Auch das war noch weit entfernt: Bis zu 7000 werden weltweit noch gesprochen. Einen Einblick in die Vielfalt bekamen die Schüler durch das Kinderbuch „Irgendwie Anders“, das zuerst auf Deutsch und dann in Teilen auf 18 anderen Sprachen vorgelesen wurde. Viele konnten die Schüler durch den Klang der Wörter erkennen, wie Französisch, Italienisch oder Spanisch, aber auch weniger vertraute Sprachen wie Polnisch, Albanisch, Arabisch oder Thai. Das Schriftbild einiger Sprachen wurde ebenfalls durchgenommen, wodurch sie lernten, in welchen Sprachen von rechts nach links geschrieben wird, oder dass es im Gegenstück sogar Sprachen ohne Schrift gibt, die nur mündlich überliefert werden. Zu den gesprochenen wurden den Schülern zwei weitere Formen präsentiert: die Sprache der Musik durch ein Stück auf der Violine sowie die Gebärdensprache, die eine elfjährige Schülerin vorstellte. (wiesbadener-kurier.de)

 

Hohe Nachfrage nach Deutschkursen

Das Interesse an der deutschen Sprache nimmt weiterhin zu. Allein in diesem Jahr nahmen im In- und Ausland 244 000 Menschen an den Deutschkursen des weltweit tätigen Goethe-Instituts teil, 2000 mehr als im Vorjahr. Bei den abgelegten Sprachprüfungen gab es einen Anstieg von 484 000 auf 510 000 Teilnehmer. Was dem Kulturinstitut Sorge bereitet, ist die abnehmende Kunst- und Meinungsfreiheit. Das Institut ist zwar selbst nicht betroffen, aber die Kooperationspartner vor Ort werden unter Druck gesetzt oder verunsichert, das erschwert die Zusammenarbeit. Daher soll in Zukunft die Martin-Roth-Initiative unterstützt werden. Sie soll gefährdeten Künstlern ermöglichen, für zwei bis drei Jahre in Deutschland oder in einem Nachbarland ihrer Region zu arbeiten. In der Türkei sollen ebenfalls Programme ausgebaut werden, die Kulturschaffenden mehr Möglichkeiten bieten. Daran anschließend plant das Goethe-Institut, seine Sprachangebote für Facharbeiter aus dem Ausland auszuweiten. (trt.net.tr)

 

Ein Blick über den Tellerrand

Vegan ist schon kein Fremdwort mehr. Überall findet man Fleisch- und Käseersatz, und immer mehr Menschen machen mit. Was auf dem Teller beginnt, hört nicht auf dem Teller auf. Tierschützer sind der Meinung, dass Tierleid sich auch in unserer Sprache offenbare. Redewendungen wie „ein totes Pferd reiten“ oder „zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen“ seien zwar an sich nur harmlose Ausdrücke, haben aber dennoch eine Bedeutung und können gemischte Signale über das Verhältnis zwischen Mensch und Tier aussenden, so Shareena Hamzah, Forscherin an der Swansea University in Wales. Dass die Tiermetaphern gänzlich aus unserer Alltagssprache verschwinden, sei aber unwahrscheinlich. Deshalb setzen Tierschützer auf „tierleidfreie“ Redewendungen, die anstelle der herkömmlichen Ausdrücke verwendet werden können. (merkur.de)

 

Streit um Mazedonien

Noch immer gibt es Uneinigkeit in der Debatte um den mazedonischen Staat. Darf sich das Land Mazedonien nennen oder läuft alles darauf hinaus, dass es in Zukunft „Nord-Mazedonien“ heißt? Vor allem in den Nachbarländern Griechenland und Bulgarien scheiden sich die Meinungen. Dem bulgarischen Verteidigungsminister Krasimir Karakachanov zufolge gebe es keine eigenständige mazedonische Sprache und auch die Griechen wehren sich dagegen, dass Mazedonisch als Amtssprache anerkannt werde. In Nordgriechenland gibt es ebenfalls Menschen, die den slawischen Dialekt Mazedoniens sprechen – ihnen wird jedoch das Recht abgesprochen, sich als mazedonische Minderheit zu bezeichnen. Nachdem am 17. Juni 2018 die Prespes-Vereinbarung bzgl. der Namensfrage unterzeichnet wurde, sollen durch eine Abstimmung zur Änderung einiger Verfassungsartikel am 15. Januar 2019 die letzten Bedingungen für den Vertrag erfüllt werden. (heise.de,
vgl. Infobrief Nr. 418; 24/2018: vds-ev.de)

 

2. Unser Deutsch

Herumeiern

Umgangssprachlich wird dies Verb oft abgekürzt zu ‚rumeiern, indem der erste, der unbetonte Teil des Verbzusatzes herum verschluckt wird. Dazu gibt es außerdem noch das Verbalsubstantiv das Rumgeeiere. Auch der Duden kennt beide Wörter. Uns interessiert vor allem die Verwendung im sogenannten politischen Diskurs. Werden Politiker in einer Talkshow nach einer heiklen Angelegenheit gefragt, sagen wir zum Diesel-Skandal, zur Migration oder zu den hohen Verlusten ihrer Partei, dann suchen sie nach rhetorischen Auswegen: Nur nichts Falsches sagen, die eigene Partei nicht belasten, sich keine Blöße geben gegenüber dem politischen Gegner. Sie gehen einer direkten Antwort aus dem Wege, reden um den heißen Brei herum. Der Moderator fragt nach, wiederholt, insistiert – der Befragte rudert vor und zurück, greift zu bewährten Versatzstücken seiner vielen Reden, das Publikum wird unruhig, schließlich gibt der Moderator auf. „Ich sehe, Sie wollen es nicht sagen.“
Woher kommt dies Bild vom Herumeiern? Wir holen ein bisschen aus. Oft sind solche Metaphern verdunkelt. Woher kommt zum Beispiel jemanden beim Schlafittchen packen im Sinne von ‚jemanden zu fassen kriegen‘? Duden 11 (Redewendungen) hilft weiter. Das Wort Schlafittchen habe sich aus Schlagfittich ‚Schwungfeder des Vogels‘ entwickelt. Fittich kennen wir nur noch in der Wendung jemanden unter seine Fittiche nehmen‚ jemanden beschützen, betreuen. Wir sehen das Bild eines Vogels, der seine Jungen mit den ausgebreiteten Flügeln schützt. Die Schlagfittiche sind also die Flügel, mit denen der Vogel sich auf- und abschlagend erhebt und losfliegt. Diese wiederum geben das Bild her für den Rockzipfel, an denen man jemanden packt wie eine Gans, die man einfängt. Hier blicken wir in die Bekleidungsmode der Vergangenheit, als der Mann noch keine Jeans und Pulli trug und als die Gans noch zum geflügelten Inventar vieler Haushalte gehörte.
Oder ein zweites Beispiel: die Kuh vom Eis kriegen, ‚ein schwieriges Problem lösen‘, seit langem ein geflügeltes Wort im politischen Geschäft. Wir sehen einen Bauern, der sein liebstes Tier ziehend, drückend oder mit dem Stock von einer Eisfläche fortschafft, auf der es einzubrechen drohte. Nur, wo gibt es das noch bei Stallhaltung? Bilder der Vergangenheit leben in unserem Wortschatz fort.
Anders beim Herumeiern. Es bezieht sich auf einen Vorgang, der vielen bekannt ist, zumindest jenen, die noch kochen in ihrer Küche. Es ist das ungleichmäßige Rotieren eines Eis auf einem Tisch. Dank der ovalen Form kann sich das Ei drehend in verschiedene Richtungen bewegen. Das Herumeiern ist die verbale Reaktion auf das Antippen des Moderators mit seiner Frage. Eine hübsche Metapher, die es uns erlaubt, umgangssprachlich den Finger auf eine Wunde zu legen, unsere Unzufriedenheit mit der politischen Klasse auszudrücken, mit jenem Missverhältnis von Reden und Handeln und dem Vertuschen eigener Fehler. Wem es gelingt, das Herumeiern zu meiden, Farbe zu bekennen und Mut zu zeigen für unbequeme Wahrheiten, der könnte die nächsten Wahlen gewinnen.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de

 

3. Berichte

Ein runder Tisch in Perth

Zweieinhalb Millionen Menschen leben in Westaustralien, davon eineinhalb in der Hauptstadt Perth. Die Bevölkerungsdichte in ganz Westaustralien beläuft sich auf eine Person je Quadratkilometer. Seit der Jahrhundertwende lernen die Menschen in diesem australischen Bundesstaat eher asiatische als europäische Fremdsprachen. Dem Trend entgegen wirkt der German Language Round Table. Er hat neben dem Goethe-Institut und der Goethe Society eine beeindruckende Reihe von Unterstützern gefunden. Aus ihrer Mitwirkung entstehen zahlreiche Veranstaltungen, Vorträge und Gespräche, offenbar mit Erfolg: Im Jahr 2015 wurde an 15 Schulen Deutsch unterrichtet, mittlerweile sind es 40, und mit der gesetzlichen Verankerung einer zweiten Sprache im Lehrplan dürften es noch mehr werden. Australier stehen in solchen Dingen mit beiden Beinen auf der Erde, dafür sorgen schon die wachsenden Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Australien.

Bericht von Wolfgang Leonhardt, für den Infobrief von der Redaktion gekürzt

 

4. VDS-Termine

15. Dezember, Region Elfenbeinküste
Tag der deutschen Sprache in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut und der deutschen Botschafter
Zeit: 9:00 Uhr
Ort: Lycée Moderne de Bongouanou, Bongouanou, Elfenbeinküste

9. Januar, Region 04 (Leipzig)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Seminargebäude der Universität Leipzig, Universitätsstr., 04109 Leipzig

14. Januar, Region 42 (Wuppertal, Remscheid, Solingen)
Mitgliedertreffen
Zeit: 17:15 Uhr
Ort: Gaststätte „Kaiser-Treff“, Hahnerberger Str. 260, 42329 Wuppertal-Cronenberg

16. Januar, Region 07 (Gera, Jena)
Mitgliederversammlung
Vortrag von Vorstandsmitglied Jörg Bönisch: Gendersprache – Geschlechter(un)gerechtigkeit und Sprach(zer)störung
Zeit: 17:00 Uhr
Ort: Sanitäts- und Gesundheitshaus Carqueville, Flurstr. 6, 07586 Kraftsdorf

17. Januar, Region 70/71/73/74 (Stuttgart, Nordwürttemberg)
Regionalversammlung
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Brauereigaststätte Dinkelacker, Tübinger Str. 46, 70178 Stuttgart

 

5. Literatur

Förderung der Literaturlandschaft

„Buch und Literatur Ost+“, das gemeinsame Förderprogramm der kantonalen Kulturämter der Ostschweizer Kantone und des Fürstentums Liechtenstein, setzt sich für das Zusammenspiel verschiedener Autoren im Buchwesen ein und versucht so die Literaturlandschaft der Ostschweiz und des Fürstentums Liechtentein zu erweitern. Durch das Projekt sollen bestehende Werke weiter entwickelt werden und regionsübergreifende Netzwerke gestärkt werden. Die Projektsteuerungsgruppe hat nun die ersten drei zu fördernden Projekte ausgewählt:

  1. Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura von Irmtraud Morgner
  2. Die Orchideen Liechtensteins von Dr. Wilhelm Ganss
  3. eine Sammlung von Textbeiträgen und künstlerischen Arbeiten, basierend auf Haftgenossen von John Berger.

(appenzell24.ch)

 

Jonglieren mit Medien

Wer hat behauptet, dass heutzutage keiner mehr liest? Literatur ist nach wie vor ein Thema, sowohl bei Erwachsenen als auch bei Jugendlichen. Jugendmedienforscherin Christina Lötscher ist nicht der Meinung, dass unsere technologiebestimmte Welt Leute vom Lesen abhielte. Im Gegenteil: Jugendliche mussten noch nie so viel lesen wie heute. Nahezu jede Tätigkeit am Computer verlangt, dass Texte gelesen werden. Sie mögen in ihrer Länge variieren, aber dass die Jugend nicht mehr liest, lässt sich keinesfalls behaupten. Mit der Klage könnte ausschließlich die Lektüre von gedruckten Büchern gemeint sein, was verständlich wäre, denn Papier ist längst nicht mehr das einzige verfügbare Medium. Christina Lötscher meint, wenn jemand gerne lese, dann halten ihn auch Filme oder Serien nicht davon ab. So oder so sucht man sich immer seine bevorzugten Medien aus – bei dem einen ist das eben Netflix, bei dem anderen das klassische Buch. Eine Serie kann beispielsweise auch einen guten Einstieg ins Lesen eines Buches bieten und das Verständnis erleichtern. Vor allem bewundert Lötscher wie die Jugendlichen mit den verschiedenen Medien „jonglieren“. (tagblatt.ch)

 

Musik trifft Lesung

In der Reihe der Bad Säckinger Kammermusik-Abende gibt es im Kursaal am 15. Dezember eine besondere Veranstaltung. Das Casal Quartett präsentiert das Programm „Sagenhaftes Nordenland“ und darf sich an schauspielerischer Untermalung von Katja Riemann erfreuen. Markus Fleck, Geiger und Bratschist des Quartetts, interessiert sich für die nordeuropäisch-spätromantische Epoche und erklärt, dass so das Thema des Konzerts zustande kam. Es wird drei Geschichten von nordischen Autoren zu hören geben, die sich besonders für schauspielerische und musikalische Unterstützung eignen. (badische-zeitung.de)

 

6. Denglisch

Teutonismen

Matthias Stadler ist Journalist bei der Luzerner Zeitung. 2017 gewann er den Urner Medienpreis mit einer Geschichte über das Leben im kleinen Dorf Bristen, das im Herzen der Schweiz liegt, abgeschnitten von der Außenwelt. „Mir liegt viel am Erhalt unserer Sprache“, erzählt Matthias Stadler. Das sei auch der Grund dafür, dass er ganz strikt weder Anglizismen noch Teutonismen in seinen Artikeln verwendet. Das heißt, es gibt für ihn weder englische Wörter noch speziell in Deutschland gebräuchliche Wörter – er befürwortet die sprachlichen Eigenheiten, die es in der Schweiz gibt. Beispielsweise würde man in seinen Texten niemals von einem Zebrastreifen lesen, sondern von einem Fußgängerstreifen. Auf die Frage, weshalb er sich so strikt daran halte, antwortet Matthias Stadler: „Weil mir die Sprache sehr wichtig ist und ich finde, dass diese gepflegt werden muss.“ (luzernerzeitung.ch)

 

7. Schnipsel

„Um Abendgarderobe wird gebeten“, heißt es am Ende der Einladung zum Empfang. „Aber gerne,“ grübelt die Frieda: „Gewaschen und im Beutel?“

 

8. Kommentar

Was Werbung ist

Zur Erntezeit heißt es: „Bei Peters gibt es Pistazien aus Persien.“ Das ist eine Antwort auf die Frage: „Was gibt es wann und wo?“ Die Antwort ist Werbung ­- in ihrem ursprünglichen, betriebswirtschaftlichen Sinn. Wenn den Peters diese verboten wird, und stattdessen das Amt für Nüsse und Kerne bekannt gibt: „Bei Peters gibt es Pistazien aus Persien,“ dann ist das eine Information, keine Werbung! Ist doch klar, wenn es einem so nett erklärt wird.


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten und Nachrichten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln.

Redaktion: Alina Letzel, Oliver Baer

© Verein Deutsche Sprache e. V.

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