Infobrief Nr. 448 (3. Ausgabe in diesem Jahr)

1. Presseschau

Unwort des Jahres 2018

Die „Anti-Abschiebe-Industrie“ ist Unwort des Jahres 2018. Stifter dieses Begriffs ist der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der als „aggressive Industrie“ jene kritisierte, die abgelehnte Asylbewerber rechtlich unterstützen und Abschiebungen auf dem Rechtsweg prüfen. Durch seine plakative Ausdrucksweise werde die Absicht unterstellt „auch kriminell gewordene Flüchtlinge zu schützen und damit in großem Maßstab Geld verdienen zu wollen“, heißt es in der Begründung der Jury. Laut Dobrindt gehe es darum, die Abschiebung von Kriminellen zu verhindern. Die Wahl zum Unwort des Jahres brandmarkt Dobrindts Wortschöpfung als Verhöhnung geltender Gesetze, als Verstoß gegen das Prinzip der Menschenwürde.

Was bezweckt die Aktion Unwort des Jahres?

Laut Netzauftritt der Aktion soll sie auf öffentliche Formen des Sprachgebrauchs aufmerksam machen und dadurch das Sprachbewusstsein und die Sprachsensibilität in der Bevölkerung fördern. Sie lenkt daher den sprachkritischen Blick auf Wörter und Formulierungen in der öffentlichen Kommunikation, zum Beispiel:

  • weil sie gegen das Prinzip der Menschenwürde verstoßen
  • weil sie gegen Prinzipien der Demokratie verstoßen
  • weil sie einzelne gesellschaftliche Gruppen diskriminieren
  • weil sie euphemistisch, verschleiernd oder gar irreführend sind.

Hier der komplette Text der Grundsätze des Unwortes: unwortdesjahres.net.

Die etwa 900 Einsendungen, aus denen das Unwort des Jahres gewählt wurde, enthielten in diesem Jahr mehr als 500 unterschiedliche Vorschläge, darunter der „Asyltourismus“ (Markus Söder) und der heiß diskutierte „Vogelschiss“ (Alexander Gauland).
(tagesschau.de, forschung-und-lehre.de, br.de, zeit.de)

Vorträger

Der Gebärdensprache liegt Grammatik zugrunde, die von der lautbasierten Schriftsprache abweicht. Der Transfer zwischen beiden fällt oft schwer. Eltern wird immer wieder empfohlen, ihren Kindern viel vorzulesen, um sie beim Erlernen der Schrift, des Lesens und Schreibens zu unterstützen. Dabei sitzen Elternteil und Kind dann gemeinsam vor dem Bilderbuch, das Kind hört, was vorgelesen wird und kann dabei Bilder und Wörter betrachten. Verständigen sich Eltern und Kinder jedoch in Gebärdensprache, wird das Vorlesen schwieriger, da Buch und Vorleser im Blickfeld des Kindes sein müssen und die Syntax der Gebärden nicht unbedingt mit der Syntax des zu lesenden Satzes übereinstimmt. Um das Vorlesen für gebärdende Eltern und Kinder zu erleichtern, hat das Unternehmen Huawei ein Programm entwickeln lassen, bei dem eine animierte Figur das Vorlesen unterstützt. Der Text von Kinderbuchklassikern wie Peter Hase kann mit dem Händi eingescannt werden, es wird von der Animationsfigur Star gebärdet. Hände und Augen dieser Figur sind übergroß gestaltet, damit Gebärden und die Mimik, die laut Animationsstudio oft viel wichtiger ist als die Gebärden, leichter erkannt werden können. Unternehmen wie Huawei suchen häufig gezielt nach Projekten wie diesem, mit denen sie ihr Produkt bewerben und die Anmutung des Unternehmens verbessern können. Kommerzialisierung und guter Zweck gehen hier Hand in Hand.(focus.de)

2. Unser Deutsch

Tschüss

Mit diesem Abschiedsgruß gedenkt eine große Zeitung dreier Politiker, die 2018 ihren Abschied genommen oder bekommen haben: Schulz (SPD), Seehofer (CSU) und Merkel (CDU). Auch die Nachrichtensprecherin, bis vor kurzem noch Garant der deutschen Standardsprache sagt tschüss, wenn sie ihre Blätter einpackt. Offenbar hat dieser verbale Ausdruck nunmehr die Niederungen verbalen Schulterklopfens verlassen, sozusagen das Handschlagniveau erreicht. Die Konkurrenz auf Wiedersehen ist abgedrängt ins Förmliche, Distanzierte, in das sprechsprachliche Pendant zu mit freundlichen Grüßen, das die Mitteilungen der Behörden ziert.

Nun fragt auch mancher: woher haben wir diese hübsche Münze der Kommunikation? Der Ursprung liegt in spanisch adiós (wörtlich ‚zu Gott‘), das über die Seemanssprache ins Niederländische gelangte, von dort zu niederdeutsch adjüs, atschüs weitergegeben und schließlich zu tschüss verkürzt wurde. In den 70er Jahren hat die Jugendsprache den umgangssprachlichen norddeutschen Gruß für sich entdeckt. Ihre Mode wurde zum Standard. Neben ihm blühen viele landschaftliche Varianten wie tschüssi im Osten, tschüssing an der Ostsee, tschö und tschökes im Rheinland, tschüssle in Schwaben.

Im Süden des deutschen Sprachgebiets war lange adé verbreitet, das bereits im Mittelalter aus altfranzösisch a de (aus lateinisch ad Deum ‚Gott befohlen‘) entlehnt wurde. Daran erinnern viele Volkslieder wie Ade, nun zur guten Nacht; Ade, mein Schatz, ich scheide; Winter ade, scheiden tut weh. Heute ist adé nur noch den süddeutschen Dialekten geläufig. Denn schon im 18. Jahrhundert machte ihm adieu aus der französischen Zweitsprache adliger und gebildeter Deutscher Konkurrenz. Daneben ist in Bayern pfüeti ‚behüt Dich (Gott)‘ verbreitet, auch saloppes Servus wörtlich ‚(gehorsamster) Diener‘ Und über die Alpen ist tschau (aus italienisch ciao)zu uns gekommen. Man vermutet, dass dieser Abschiedsgruß über die österreichische Radetzky-Armee (in Italien) nach Österreich gelangte.

Und was, so fragen wir am Ende, hat es mit dem standardsprachlichen Gruß Auf Wiedersehen auf sich? Er ist erst im I. Weltkrieg aufgekommen, ein Kunstprodukt, eine Lehnübersetzung von französisch au revoir, aus sprachpuristischem Antrieb eingeführt.

Fazit: Alle Abschiedsgrüße sind entlehnt, bis zur Unkenntlichkeit verkürzt, regional verschieden und ständigem Wandel unterworfen. Ihre Bedeutung ist allein der Gruß zum Abschied, ein verbales Winken, vertraulich, förmlich oder gruppenbezogen. Wörtlich nehmen kann man nur eines: Auf Wiedersehen. Aber dem würde mancher zuweilen gerne ein nimmer hinzufügen.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de

3. Berichte

VDS in den Medien

Die Forderung des VDS, Deutsch als „Sprache der Bundesrepublik Deutschland“ ins Grundgesetz einzupflegen (vds-ev.de) wird erwähnt in einem Beitrag zu „70 Jahren Grundgesetz“ des Bayrischen Rundfunks (bei BR24). Der Beitrag stellt die Frage, ob das Grundgesetz immer mehr Erweiterungen und Präzisierungen, immer neue Verbesserungen benötige, oder ob es nicht an der Zeit wäre, sich an das Grundgesetz „endlich mal zu halten.“ Zu oft schon musste das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber „zurückpfeifen“, weil Gesetze nicht grundgesetzkonform sind. (br.de)

4. VDS-Termine

29. Januar, Region 01 (Dresden, Riesa)
Mitgliedertreffen mit Buchvorstellung „Youssefs Gesetz“ von und mit Dr. Kurt Gawlitt
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Ortsamt Dresden-Loschwitz, Grundstraße 3, 01326 Dresden

7. Februar, Region 28 (Bremen)
Treffen der Sprachfreunde Bremen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Luv, Schlachte 15, 28195 Bremen

8. Februar, Region 53 (Bonn, Vor-Eifel und Siebengebirge)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Tennis-Club Heiderhof, Sommerbergweg 4, 53177 Bonn

11. Februar, Region 42 (Wuppertal, Remscheid, Solingen)
Mitgliedertreffen
Zeit: 17:15 Uhr
Ort: Gaststätte „Kaiser-Treff“, Hahnerberger Straße 260, 42329 Wuppertal

5. Literatur

Die schöne Kunst

Ein Projekt des Literaturhauses Villa Clementine in Wiesbaden möchte mehr Menschen Zugang zur Literatur verschaffen. Hierzu wurden mehrere Autoren eingeladen, die ihre Erfahrungen zum Schreiben von Literatur in Leichter Sprache vermitteln sollen. „Leichte Sprache ist keine Kindersprache“ und „Literatur und Leichte Sprache schließen einander nicht aus“. (wiesbaden-lebt.de)

Wer da liest

Zwei Beiträge im Generalanzeiger und im Tagesspiegel stellen die Literaturszene in Berlin und die Buchhändler-Landschaft in Bonn vor. Wie sieht „der Leser“ heute so aus, wofür interessiert er sich, und welche Gewohnheiten hat er? Die Berliner Literaturszene wird dabei mit literarischen Salons des 18. und 19. Jahrhunderts verglichen. Sie könne durchaus mit unterschiedlichen Veranstaltungsformaten und aktivem Publikum aufwarten. (tagesspiegel.de, general-anzeiger-bonn.de)

6. Denglisch

Anglizismen und Denglisch karikiert

Den dümmlichen Umgang mit der Muttersprache führt der Verein Deutsche Sprache mit einer Karikaturen-Ausstellung in der Remscheider Stadtbibliothek vor. Darüber berichtet RP-Online (rp-online.de). Die darauffolgende Netzdebatte pro und kontra ist nur für Abonnenten lesbar, der Verlauf solcher Scheingespräche im Netz war und bleibt jedoch vorhersehbar. Die Ausstellung kann jedenfalls bis zum 9. Februar besucht werden.

7. Kommentar

Auf dem politischen Parkett geht man auf die Argumente des Gegners nur zum Schein ein. Stattdessen wiederholt jeder nur, was ihm zur Rechtfertigung des eigenen Standpunktes einfällt. Mehr haben die Medien oft auch nicht zu bieten. Noch einmal zum Mitschreiben: Der VDS hat keine Angst vor fremden Sprachen, der VDS beobachtet mit Sorge, dass die Muttersprache (nicht zu verwechseln mit dem Vaterland) nicht nur im Alltag durch einen dümmlichen Gebrauch englischer Worthülsen verpanscht wird. Dabei sind die Anglizismen (besonders „die englischen Anglizismen“, wie Olaf Schubert so treffend bemerkt) nur der leicht sichtbare Teil des Problems. Dabei bleibt die Tatsache übersehen, dass gutes Englisch nur lernen kann, wer seine Muttersprache gut beherrscht. Dabei nützen Anglizismen nur zufällig. Im Gegenteil, die meisten Entlehnungen aus der englischen Sprache führen in die Irre, viele sind so blödsinnig, dass es unseren englischen Freunden die Sprache verschlägt.

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten und Nachrichten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln.

Redaktion: Oliver Baer

© Verein Deutsche Sprache e. V.

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