Infobrief Nr. 458 (13. Ausgabe in diesem Jahr)

1. Presseschau

Interpunktion und Interpretation

Bild: pixabay / geraltPixabay-Lizenz

Die Medienlinguisten Jannis Androutsopoulos und Florian Busch haben die Verwendung von Satzzeichen in der Internetkommunikation junger Menschen untersucht. In einer Studie an einem Korpus mit 10.000 Nachrichten sollte unter anderem geklärt werden, ob durch die Internetkommunikation Satzzeichen aussterben. Dies verneinen die Forscher. Vielmehr entstünden neue Regeln, zum Beispiel bei der Verwendung von Punkten in Kurznachrichten. Da die Nachrichten häufig einzelnen Gedanken entsprechen, die dann separat verschickt werden, müsse das Ende nicht zusätzlich durch einen Punkt markiert werden. Wird ein Punkt gesetzt, so wird der Abschluss betont und kann dann bedeuten: „Dies ist mein Standpunkt, hier gibt es keine weitere Diskussion“ – das Thema ist beendet. Satzzeichen können auch Gefühle darstellen, nicht nur, wenn sie zu einem Gesicht zusammengestellt werden ;-). Anhand der Zahl der Ausrufezeichen könne das Erregungsniveau eines Kommunikationspartners abgeschätzt werden. Hierzu müsse aber das Normalniveau des Schreibers bekannt sein. Die Häufung von Ausrufezeichen wird oft Mädchen zugeschrieben. Sie sei aber auch bei Jungen zu beobachten und „eine Ressource, die soziale Bedeutung trägt, und von beiden Geschlechtern genutzt werden kann“, so Linguist Busch, beispielsweise um beim Flirten den richtigen Ton zu finden. (sueddeutsche.de, nzz.ch, deutschlandfunknova.de, sueddeutsche.de)


„Am Ende sind selbst die Gutmeinenden abgestoßen“

Das Milieu, in dem sich der Theatermacher Bernd Stegemann aufhält, umfasst eine „Menge Leute, die glauben, man könne über die Kontrolle der Sprache zu einer besseren Welt kommen.“ Das kritisiert Stegemann: „Wenn Linke meinen, die Menschen moralisch erziehen zu müssen, sind sie auf dem Holzweg.“ Im gedruckten SPIEGEL der zu Ende gehenden Woche findet sich im weiteren Verlauf des Gesprächs dieser Wortwechsel:

Spiegel: Was genau haben wir unter politischer Korrektheit zu verstehen?

STEGEMANN: Sprachhygiene ist vielleicht ein zu starkes Wort, aber in jedem Fall Sprachüberwachung. Politische Korrektheit sagt: Wenn sich jemand von einer Bezeichnung gekränkt fühlen könnte, dann muss dieses Wort unbedingt vermieden werden. Das Fundament der politischen Korrektheit ist die Kränkung.

Spiegel: Man könnte argumentieren, dass politische Korrektheit nur eine Form der Höflichkeit sei.

STEGEMANN: Leider wird die Höflichkeit oft mit groben Mitteln durchgesetzt. Kränkung ist ein höchst subjektives Gefühl, das dazu zu berechtigen scheint, andere ausgrenzen zu dürfen. Insofern ermöglicht politische Korrektheit nicht die Debatte, sie erstickt sie.

Professor Bernd Stegemann ist – neben Sarah Wagenknecht – Mitbegründer der linken Sammlungsbewegung Aufstehen. Das ungekürzte Gespräch ist gegen eine geringe Gebühr erhältlich im Spiegel-Archiv: magazin.spiegel.de


Sprachgendern bereits eine Norm

„In diesen Zeiten müssen wir besonders auf unsere Werte achtgeben, auch wenn gendergerechte Sprache längst eine Norm ist, die kaum jemand mehr zu hinterfragen wagt.“ Das stand in der taz, auf die wir vor zwei Wochen hingewiesen haben. (taz.de)

Kommentar

Ab wann gilt eine Sprachregelung als Norm? Wenn sich eine – offenbar überschaubare – Minderheit einredet, gegenderte Sprache sei bereits eine Norm, „die kaum jemand mehr zu hinterfragen wagt?“ Dazu müsste kaum jemand eine Mehrheit bilden. Eine Mehrheit, die schweigt, weil sie einverstanden ist? Oder verweigert die wahre Mehrheit das Mitmachen, weil das Thema (ging es nicht um Gleichstellung?) glatt verfehlt wird? Dann würde es sich bei der Minderheit um ein gesellschaftliches Milieu handeln, in dem Lautstärke und mediale Reichweite mit Bedeutsamkeit verwechselt werden. (ob)


Deutsch in den Niederlanden unbeliebt

Anlässlich des Tags der deutschen Sprache in den Niederlanden warben am Dienstag 215 niederländische Grundschulen für Deutsch als Fremdsprache. Mitarbeiter mit Deutschkenntnissen sind bei niederländischen Unternehmen gefragt. Lange galt für viele: „Fast alle Niederländer sprechen Deutsch“. Jetzt aber lernen junge Niederländer eher Weltsprachen wie Spanisch oder Chinesisch. Deutsch wurde in manchen Schulen wegen mangelnder Nachfrage bereits vom Lehrplan gestrichen. Sogar trotz fallender Schülerzahl werden im kommenden Jahr bereits 135 Deutschlehrer fehlen, da die Sprache auch bei Lehramtsstudenten unbeliebt wird. Größere Städte wie Amsterdam, Rotterdam, Den Haag und Utrecht umwerben junge Absolventen deshalb bereits mit Prämien, versprechen beispielsweise ein eigenes Auto.

Eine Prämie erhielt auch der kenianische Lehrer Peter Tabichi, der in Dubai als bester Lehrer der Welt ausgezeichnet wurde. Tabichi, der regelmäßig einen Teil seines Gehaltes für die Unterstützung ärmerer Schüler spendet, erhielt als Preisgeld eine Million Dollar. (deutsch.rt.com, deutsch.rt.com)


Nahrung und Sprache

„Viele Frischvermählte feiern fröhlich Feste“ war schwer auszusprechen, so lange man das Fleisch noch ungekocht verzehrte. Der Sprach- und Kulturforscher Paul Widmer sieht einen Zusammenhang zwischen der Ernährungsweise und der Fähigkeit zur Bildung bestimmter Konsonanten. Laute wie f und v fehlten in Sprachen von Jäger- und Sammlergesellschaften. Dies sei auf die Ernährung mit unverarbeitetem Fleisch zurückzuführen. Härtere Nahrung habe dramatische Auswirkungen auf das Gebiss, der Unterkiefer wandere nach vorne. Die sogenannten Lippenzahnlaute, bei der die oberen Schneidezähne die Unterlippe leicht berührten, können so schlecht gebildet werden. Gebisse, die mehrere tausend Jahre alt sind, wurden mit Gebissen heutiger Gemeinschaften mit ähnlicher Ernährungsweise verglichen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Sprachen dieser Menschengruppen Lippenzahnlaute aufweisen, sei viel geringer als man es aufgrund von Zufall erwarten würde, so Widmer. (mdr.de)


2. Unser Deutsch

Festival oder Festiväl

Eine Leserin aus Frankreich wundert sich, dass das Wort Festival im deutschen Fernsehen wie Festiväl ausgesprochen würde, früher habe man das <a> in Festival eben als [a], wie in deutschen Wörtern, gesprochen. Auch höre sie jetzt öfter den Namen David als [̕de:vɪt], den sie noch als [̕da:vɪt] kenne. Sie fragt: Haben wir ein Englisch-Trauma? Das wird zu diskutieren sein. Sicher ist: Nach längerer Abwesenheit von Deutschland fällt der Sprachwandel auf, auch der im Umgang mit englischen Lehnwörtern.

Ein ähnlicher Fall ist die Aussprache von Amazon, dem Online-Händler.Man hört die englische Variante [̕æmǝzᵊn], aber auch [̕amatsɔn] sowie Mischformen von beidem. Interessant ist daran, wer welche Variante bevorzugt. Ich fand, dass die Verbraucher, also die Paketbesteller, meist [̕amatsɔn] sagen, also die eingedeutschte Form benutzen. Für sie ist das einfach eine Bestelladresse in Deutschland. Dagegen bevorzugen Journalisten, Nachrichtensprecher und Wirtschaftsleute die englische Form. Für sie ist es ein Konzern aus den USA, also englisch auszusprechen.

Die Frage der Leserin erinnert mich an ein Beispiel, das ich vor langer Zeit in einen wissenschaftlichen Text untergebracht hatte. Ich zitierte Sportfans mit dem Spruch: „Berti Vogts und Heinkes Jupp holten den UEFA-Cup. Jupp reimt nur auf Cup, wenn man beides als u ausspricht. Die Fußballfans der 70er Jahre waren offenbar noch nicht so gut mit dem Englischen vertraut und wandten die Regeln des Deutschen auf den Cup an. Ich vermute: heute sagen alle [kap]. Es gibt jedoch einige ältere Anglizismen, die diesem Muster folgen: Bungalow, Bunker, Puzzle (obwohl auch hier schon ganz Gescheite [̕pʌzᵊl] sagen). Häufiger findet sich deutsche Aussprache bei a wie in Tanker, Camping, Caravan und auch in Professional.

Warum konnte sich diese Praxis nicht durchsetzen? Warum übernehmen wir die englische Schreibung und, soweit wir können, auch die englische Aussprache? Als Grund wird zumeist die weite Verbreitung des Englischen in Schule und Öffentlichkeit genannt. Doch das gilt für fast alle Länder Europas. Und dennoch gibt es Unterschiede. Das zeigt sehr anschaulich ein Wörterbuch, das Dictionary of European Anglicismen (2001) von Manfred Görlach. Offenbar geht uns der Nationalismus vieler Nachbarn in Sprachfragen ab. Das kommt auch in der mangelhaften politischen Fürsorge fürs Deutsche zum Ausdruck. Wir akzeptieren gerne das Fremde, wenigstens in den Lehnwörtern.

Aber offenbar gibt es hier Unterschiede in der Sprachgemeinschaft. Es sind die Mobilen in unserer Gesellschaft, die Sprachgewandten, meist Studierte, die häufiger dem Englischen zugewandt sind. Ein Trauma der Intellektuellen? Vielleicht. Es bleibt verdeckt, es steuert das Sprachverhalten aus der Tiefe des Unbewussten. Dies kommt auch in der Schreibung und der Aussprache von Entlehnungen zum Ausdruck. Und natürlich überhaupt im unnötigen Gebrauch von Anglizismen. Die Debatte um Anglizismen ist auch ein Protest von unten gegen die Missachtung des Deutschen, ein Aufruf für bessere Wertschätzung und Pflege des Wichtigsten, das die Deutschen miteinander verbindet: ihre Sprache.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de


3. Berichte

VDS-Aufruf im Fernsehen

Unser Mitglied Prof. Dr. Dieter Rasch (Regionalleiter Region 18) weist auf einen Beitrag vom 25. März zum VDS-Aufruf zum Thema geschlechtergerechte Sprache im Kulturmagazin des Senders 3SAT hin. Sie können den Beitrag in der 3SAT-Mediathek ansehen: 3sat.de.


4. Kultur

LEVliest!

Zum zehnten Mal findet in diesem Jahr die Leverkusener Buchwoche LEVLiest! statt. Vom 5. bis zum 10. April gibt es eine Vielfalt an Veranstaltungen: öffentliche Lesungen, Vorstellungen von Literaturverfilmungen, szenische Aufführungen oder ausgefallene Veranstaltungen wie ein literarisches Whiskey-Tasting. Alle zwei Jahre wird LEVliest! von Kulturbüro und Stadtbibliothek mit zahlreichen Kooperationspartnern veranstaltet. Mehr Infos unter: rp-online.de und kulturstadtlev.de.


Donots feiern 25-jährigen Geburtstag

Anfangs auf Englisch, mittlerweile auf Deutsch – die aus Ibbenbüren stammende Band Donots feiert dieses Jahr ihr 25-jähriges Bestehen, unter anderem mit einem Konzert im Düsseldorfer Stahlwerk. Nachdem sie 21 Jahre lang englische Texte schrieben, veröffentlichten sie 2014 das erste deutsche Stück und bleiben seitdem bei deutschsprachiger Musik. Ingo Knollmann, Sänger, Keyboarder und Frontmann der Donots, erzählt, dass eine derart lange und erfolgreiche Karriere zur Gründungszeit nie angedacht war. Dennoch sind die Mitglieder dabei geblieben. Die Band pflegt engen Kontakt zu anderen Bands wie den Toten Hosen und den Broilers. (duesseldorfer-anzeiger.de)


5. Denglisch

Wohnen in Berlin

Um bezahlbaren Wohnraum geht es in Berlin, zusammen mit der Frage nach Arbeitsbedingungen und Lebensqualität. Deshalb findet diese Woche die Veranstaltung Shaping Berlin‘s future statt, auf der die Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) über die Zukunft der Hauptstadt spricht. Im Zuge der Veranstaltung werden auch das Stadtlabor sowie der Coworking-Space „B-Part“ eröffnet. Der Think Tank für New Work and Life will Arbeitswelten der Zukunft und neue Aspekte von Urbanität erforschen. „Aber lösen Anglizismen und neue Wörter wirklich Berlins Probleme?“ fragt die taz. (taz.de)


6. Schnipsel

Looks like shit. But saves my life.

Der Deutsche Verkehrsrat (dvr.de) meldet: „Die Mehrheit der Deutschen findet die Kampagne sehr gut oder eher gut. Vermutlich ohne es zu merken, lernt diese Mehrheit falsches Englisch. „Looks like shit“ wäre richtig, wenn der Helm einem kleinen, braunen Häufchen ähnelte. Gemeint hat die sprachschöpferische Werbeagentur: „It looks shit“, ähnlich im Deutschen: „Es sieht Scheiße aus.“ Das ist in beiden Sprachen keine vornehme Ausdrucksweise, aber bei Jugendlichen bis etwa 77 ein korrektes Register der Gemeinsprache. Wie sagte der Winzer auf dem Sterbebett: „Man kann Wein auch aus Trauben machen“; und mit Sprachen kann man mehr als Effekthascherei anstellen.


Radwege

Dank gilt einem Leser des Infobriefes letzter Woche, er hat uns eine „furchtbare Entgleisung“ vorgeworfen. Wir sind der Sache nachgegangen: Nicht nur auf unserer Abbildung, sondern auf sämtlichen Radwegen des Campus der Technischen Universität, sowie auf – bislang ungezählten – Dortmunder Radwegen sind ausschließlich HERRENRÄDER abgebildet!


7. VDS-Termine

1. April, Region 52 (Aachen)
Vortrag und Diskussion: Regionalleiter Claus Günther Maas zum Thema „Fack ju Deutsch – was passiert mit unserer Sprache?“. Es handelt sich um eine zweiteilige Veranstaltung. Teil zwei folgt am 6. Mai.
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Volkshochschule Jülicher Land, Am Aachener Tor 16, 52428 Jülich

3. April, Region 07 (Gera, Jena)
Erster Stammtisch der Region
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Paulaner Wirtshaus Gera, Clara-Zetkin-Str. 14, 07545 Gera

4. April, Region 28 (Bremen)
Mitgliedertreffen mit Wahl der Regionalleitung
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Lesumer Hof, Oberreihe 8, 28217 Bremen

5. April, Region 24 (Kiel, Flensburg)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Sportrestaurant Altenholz, Klausdorfer Str. 78b, 24161 Altenholz

8. April, Region 42 (Wuppertal, Remscheid, Solingen)
Mitgliedertreffen
Zeit: 17:15 Uhr
Ort: Gaststätte „Kaiser-Treff“, Hahnerberger Str. 260, 42329 Wuppertal-Cronenberg

8. April, Region 20, 22 (Hamburg)
Jahres-Mitgliederversammlung
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Hotel Ibis Alsterring, Pappelallee 61, 22089 Hamburg

10. April, Region 04 (Leipzig)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Raum A 122, Universität Leipzig, Augustusplatz 9, 04109 Leipzig

11. April, Region 83 (Rosenheim, Oberbayern)
Themen- und Diskussionsabend: „Die deutsche Sprache im Zangengriff zwischen Anglizismen und Gender“
Zeit: 18:30 Uhr
Ort: Landgasthof Bauernwirt, Ströbinger Str. 1, 83093 Bad Endorf

13. April, Region 78 (Bodensee/Ostschwarzwald)
Zeit: 15:00 Uhr
Ort: Café am Marktplatz, Marktplatz 2, 78234 Engen

23. April, Region 01 (Dresden, Riesa)
Besuch im Schulmuseum mit Besuch einer Schulstunde zur Kaiserzeit (zusätzliche Veranstaltung, Kosten 9 €, Anmeldung erforderlich)
Zeit: 16:00 Uhr
Ort: Schulmuseum Dresden, Seminarstraße 11, 01067 Dresden

24. April, Region 03 (Cottbus)
Mitgliederversammlung
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Hotel „Zur Sonne“, Taubenstraße 7, 03046 Cottbus

29. April, Region 50, 51 (Köln)
Regionalversammlung
Zeit: 17:00 Uhr
Ort: Cöllner Hof, Hansaring 100, 50670 Köln

IMPRESSUM

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind auch diesmal mitgemeint, genau wie alle anderen Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln die Meinung der Redaktion, oder auch nicht.

Redaktion: Oliver Baer, Alina Letzel

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