Infobrief Nr. 462 (17. Ausgabe in diesem Jahr)

1. Presseschau

Sprache lernen durch Bewegung

Bild: pixabay / landersbPixabay-Lizenz

Lernen wird spannend, wenn das Gelernte direkt angewendet werden kann. Darauf baut Gelsensport, die Dachorganisation der knapp 300 Sportvereine in Gelsenkirchen mit dem neuen Projekt Sprache durch Bewegung. Zugewanderten Kindern und Jugendlichen soll das Erlernen der deutschen Sprache nahegebracht werden. Im Rahmen einer Sportwoche gab es nun ein buntes Angebot an Bewegungsspielen. Der Fokus lag auf solchen, die ohne Sprache nicht auskommen wie „Fischer, Fischer, wie tief ist das Wasser?“ sowie auf Spielen, in denen Sprachübungen eingebunden werden können. Die Kinder sind darauf angewiesen, die Regeln zu verstehen, groß ist daher der Antrieb zur sprachlichen Weiterentwicklung. (waz.de)


Gendern in anderen Sprachen

In Deutschland hat die Debatte um gendergerechte Sprache Fahrt aufgenommen, aber gibt es ähnliche Diskussionen in anderen europäischen Ländern? In Italien und den Niederlanden herrscht wenig Aufregung. Italienische Linguisten setzen sich kaum mit dem Thema auseinander, da Projekte diesbezüglich kaum gefördert werden. In den Niederlanden gab es in den 1970er- und 1980er-Jahren einen Aufschwung der feministischen Linguistik, der jedoch zur Jahrtausendwende wieder stark zurückging. Die Möglichkeit der Verweiblichung von Wörtern durch das Anhängen von „-in“ ist zwar im Niederländischen möglich, wird aber nicht genutzt. In Frankreich wird darüber gesprochen, ohne viel Begeisterung. „Dem Thema kommt aktuell also auf jeden Fall wieder Aufmerksamkeit zu“, sagt Ralph Ludwig vom Institut für Romanistik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Jedoch sei die Herangehensweise sehr vorsichtig, da Genderthemen durchaus heikel zu besprechen seien. (jetzt.de)


Hassbotschaften im Netz

Die Sprachenvielfalt bei Facebook hat Vorteile wie Nachteile. Der Dienst wird weltweit in 111 Sprachen angeboten; weitere 31 Sprachen werden stark genutzt. Jedoch gelingt es nicht, die in den weniger geläufigen Sprachen verfassten Beiträge der Nutzer ausreichend zu überwachen. So kommt es immer wieder zu Hassbeiträgen und der Verherrlichung von Gewalt, die in den Regeln von Facebook verboten sind. Das Regelwerk ist jedoch noch nicht in alle Sprachen übersetzt und die automatisierte Erkennung von Hass im Netz „funktioniert“ bislang nur in 30 Sprachen. Laut einer Facebook-Sprecherin hängt die Übersetzung der Regeln in eine weitere Sprache davon ab, ob ihr Gebrauch eine kritische Masse erreiche und ob Facebook eine führende Informationsquelle für ihre Sprecher sei. (handelsblatt.com, mimikama.at)


2. Unser Deutsch

Geburtstagskind

Unlängst feierte meine Universität ihren 275. Geburtstag und wurde dabei auch scherzhaft das Geburtstagskind genannt. Warum nicht, denn der Geburtstag einer Institution, meist das Gründungsjahr, ist ja schon eine übertragene Verwendung des Wortes. Es geht um Datum und Jahr, in dem die Friedrich-Alexander-Universität in diese Welt gebracht wurde. Und wenn Menschen am Tage ihrer Geburt das Geburtstagskind sind, warum nicht auch Institutionen?

Aber woher kommt dieses hübsche Wort Geburtstagskind? Wörterbücher geben ja über Zusammensetzungen nur beschränkte Auskunft. Im Grimm’schen Wörterbuch wird es nur kurz erwähnt. Das Textarchiv des Digitalen Wörterbuchs der Deutschen Sprache nennt als ältesten Beleg eine Stelle aus Wilhelm Raabes ‚Chronik der Sperlingsgasse‘ vom Jahre 1857:

„Dann erhob sich das alte, bekränzte Geburtstagskind, beklagte sich über Nachtkühle und Nachtfeuchte und das Fest war vorbei!“

Die Rede ist offenbar nicht von einem Kind. Das entspricht der heutigen Wörterbuch-Bedeutung: ‚jemand, der Geburtstag hat‘. Jeder, der seinen Geburtstag feiert, ist an diesem Tag das Geburtstagskind. Aber wieso Kind? Hier kann man nur Vermutungen anstellen. Ich stelle mir einen Kindergeburtstag vor, eine lustige Runde von Mädels und Buben. Und da fragt einer: Wer ist eigentlich das Geburtstagskind? Dies da, dies Kind hat heute Geburtstag, es ist das Geburtstagskind.

Bleibt natürlich bei Institutionen wie einer ehrwürdigen Universität die Frage: wieso eigentlich Kind? Ein Mensch kann wohl Kind sein, aber eine Uni? Es sei denn, sie benimmt sich kindisch mit dem ganzen Allotria von Gender und Diversity, zu deutsch ‚Geschlecht und Vielfalt‘, welche uns vorschreiben will, was die Universalität einer Universität ist. Ist es gar eine teutonische Eigenart, jedweder Ideologie zu verfallen, die mit dem Anspruch auf Weltverbesserung auftritt?

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de


3. Beobachtung

Nass ist nass

In der Sendung Lebenszeit des Deutschlandfunks kam es am 26. April zu einem Gespräch zwischen einer Genderlinguistin, einer feministischen Schriftstellerin und dem Autor. Die beiden Frauen vertraten ihre Sache in der offensichtlichen Überzeugung, sie stünden auf der Seite einer demokratischen Mehrheit für das Sprachgendern, zumal unter jungen Leuten.

Dass man seine eigene Meinung mit der einer Mehrheit verwechselt, ist verständlich. Wir nehmen am liebsten zur Kenntnis, was unsere Auffassung bestätigt. Zum Zeitpunkt des Radiogesprächs war jedoch das Ergebnis einer INSA-Umfrage längst bekannt: Nur 28 Prozent der Frauen und Männer aller Altersstufen halten gendergerechte Sprache für „eher wichtig“ oder „sehr wichtig“; fast drei Viertel lehnen sie ab. Unterstellen wir keinen bösen Willen, so bleibt die Frage: Wie kann man so ein Ergebnis übersehen?

Filterblasen gab es schon immer. Wir bewegen uns im Kreise Gleichgesinnter, früher in der Kneipe und im Klub, neuerdings im Internet. Seit Suchmaschinen und soziale Netzwerke dem Netzbürger vorzugsweise servieren, wofür er sich am meisten zu interessieren scheint, trifft er auf fundierten Widerspruch nur noch, wenn er ihn — bewusst und mit einiger Mühe — sucht. Wer nicht gegen den gefilterten Informationsfluss schwimmt, verwechselt seinen vertrauten Teich mit dem Weltmeer: Nass ist nass.

Die Mühe muss aber sein. Tut das Denken nicht weh, sind die Gedanken nicht selbst angefertigt sondern Abbilder von anderer Leute Gedanken. Da gerät man leicht ins Glauben, wo nur Wissen weiter führt. Wissenschaftlern sollte das bekannt sein; Skepsis gegenüber der eigenen Erkenntnis ziert den ernstzunehmenden Wissenschaftsbetrieb.

INSA-Umfrage: Ungeliebter Stern: faz.net

Die Sendung in der Mediathek: Gesellschaftliche Sensibilisierung – ist eine gendergerechte Sprache wichtig? deutschlandradio.de


4. Kultur

300 Jahre Robinson Crusoe

Die Geschichte eines Schiffbrüchigen auf einsamer Insel. So erfolgreich der im Jahre 1719 erschienene Roman auch gewesen sein mag, es gibt immer wieder kritische Stimmen. „Der Roman ist ein Handbuch, wie man diese neuen Territorien in Amerika und Afrika, also die Ressourcen nutzte, aber auch die Arbeitskräfte“, sagte die Literaturwissenschaftlerin Susan Arndt einst in einem Interview. Nachdem Robinson Crusoe, die Hauptfigur des Romans, auf einer Insel strandet, begegnet er einem Inselbewohner. Er nennt ihn Freytag und macht ihn zum Sklaven. „Ich brachte ihm auch bei, Herr zu sagen und mich so zu nennen“, heißt es im Roman. Arndt kritisiert, dass der Autor Daniel Defoe es als normal und legal ansehe, dass Weiße Schwarze versklavten. Auch der britische Lyriker Charles Boyle meint, man solle dem Roman nicht ungefragt huldigen. Einerseits werden pädagogisch wichtige Werte wie Selbstständigkeit oder Verantwortungsbewusstsein vermittelt, andererseits seien sie verschränkt mit Themen wie Rasse, Unterdrückung und Kolonialismus. (rnz.de, sueddeutsche.de)

Kommentar:

Am besten wir schreiben die gesamte Weltliteratur neu – alle fünfzig Jahre!


Musik für Marathonläufer

Vor fünf Jahren entstand in Düsseldorf eine Idee zur Umrahmung des jährlichen Marathons: Das Rennen sollte durch Musik belebt werden. 2017 wurde die Idee erstmals in die Tat umgesetzt. Unter dem Titel Rock die Strecke spielen am Straßenrand 35 Künstler auf die 42 Kilometer verteilt. Die Musik reicht auch dieses Jahr von Hip Hop über Rock bis zu Jazz. Infos zu den Standorten der Künstler unter: rockdiestrecke.org, wz.de.


5. Denglisch

Neue Wortschöpfungen

Schon mal was von Kaffeekünstlern gehört? Nein? Sagt ja auch niemand. Stattdessen spricht man von Coffee Artists, also von Leuten, die aus Milchschaum Gemälde zaubern. Im kreativen Bereich ist die deutsche Sprache offenbar unbeliebt. Wer etwas in sozialen Medien hochlädt, bezeichnet sich als Content Creator, oder wenn es noch besser klingen soll, als Content Artist. Und wer es ganz weit bringen will: In Zürich wird aktuell ein Social Media Wizard für „professional.ch“ gesucht. Die Stellenanzeige beginnt mit den Sätzen: „Lookalikes, Business Manager, Conversion Rate und Custom Audience sind für dich keine Fremdworte sondern daily business? Du hast in einer Agentur gearbeitet, möchtest aber lieber auf die Kundenseite wechseln oder bist ready für eine kleine inHouse-Agentur?“ (watson.ch, ​medienjobs.ch)


6. VDS-Termine

29. April, Region 50, 51 (Köln)
Regionalversammlung
Zeit: 17:00 Uhr
Ort: Cöllner Hof, Hansaring 100, 50670 Köln

2. Mai, Region 28 (Bremen)
Treffen der Sprachfreunde Bremen, Thema: „Fontane“
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Luv, Schlachte 15, 28195 Bremen

2. Mai, Region 18 (Rostock)
Mitgliederversammlung mit Vortrag von Dr. Reiner Pogarell: Leichte Sprache – was ist das? Brauchen wir das? Wo brauchen wir das?
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Gasthaus „Zum Bauernhaus Biestow“, Am Dorfteich 16, 18059 Rostock

3. Mai, Region 24, 25, 26 (Schleswig-Holstein)
Mitgliederversammlung mit deutschsprachigen Liedern
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Hotel Alter Kreisbahnhof, Königstr. 9, 24837 Schleswig

8. Mai, Region 17 (Neubrandenburg, Greifswald)
Mitgliederversammlung
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Hotel Restaurant „Sankt Georg“, St. Georg 6, 17033 Neubrandenburg

9. Mai, Region 65 (Wiesbaden)
Mitgliedertreffen, Vorstandswahl und Vortrag von und mit Herrn Prof. Walter Krämer
Zeit: 17:00 Uhr
Ort: Ristorante Pizzeria Da Calogero (im Bürgerhaus), Rathausplatz 3, 65779 Kelkheim (Taunus)

11. Mai, Region 99 (Weimar, Thüringen)
Mitgliedertreffen mit Wahl der Regionalleitung
Zeit: 15:30 Uhr
Ort: Zum Hamster, Hauptstr. 24, 99100 Großfahner

13. Mai, Region 42 (Wuppertal, Remscheid, Solingen)
Mitgliedertreffen
Zeit: 17:15 Uhr
Ort: Gaststätte „Kaiser-Treff“, Hahnerberger Straße 260, 42329 Wuppertal-Cronenberg

13. Mai, Region 20, 22 (Hamburg)
Mitgliederversammlung
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Hotel Ibis Alsterring, Pappelallee 61, 22089 Hamburg

17. Mai, Region 24, 25, 26 (Schleswig-Holstein)
Mitgliederversammlung und Vortrag „Wertschätzend miteinander sprechen: Gewaltfreie Kommunikation
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Sportrestaurant Altenholz, Klausdorfer Str. 78b, 24161 Altenholz

28. Mai, Region 01 (Dresden, Riesa)
Sinnvolle und hilfreiche deutsche Werbung oder sinnlose „denglische“ Werbung in Dresdens Handel und Gewerbe am Beispiel. Jeder bringt ein Beispiel mit (Foto oder Text mit Ortsangabe); (es könnte eine Aktion in der Altmarktgalerie folgen: „Wie wirkt die Werbung auf die Kunden?“)
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Ortsamt Dresden-Loschwitz, Grundstraße 3, 01326 Dresden

29. Mai, Region 03 (Cottbus)
Mitgliederversammlung
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Hotel „Zur Sonne“, Taubenstraße 7, 03046 Cottbus


IMPRESSUM

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Auch feministische Männer sind mitgemeint, alle übrigen Menschen sowieso. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Oliver Baer, Alina Letzel

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