Infobrief Nr. 477 (32. Ausgabe in diesem Jahr)

1. Presseschau

Sorge um Nachbarsprachen

Bild: M. Hermsdorf / pixelio.de

In den Niederlanden wächst die Sorge über die nachlassende Kenntnis der Nachbarsprachen Deutsch und Französisch. Lehrer sind schwer zu finden und Schulen bieten häufiger Sprachen wie Spanisch, Chinesisch oder Russisch an. Meist ist nur noch Englisch verpflichtend. „Gehen Sie nach Frankreich, Italien, aber auch nach Deutschland und versuchen Sie, sich auf Englisch zu verständigen. Das geht oft gar nicht “, wird Französischlehrer Jos Brink aus Nimwegen auf dem Nachrichtenportal „Der Fonds‟ zitiert. Bereits 2018 haben Wissenschaftler, Lehrer und Verbandsvertreter das „Manifest Buurtalen‟ veröffentlicht, das die Stärkung des Unterrichts in den Fächern Deutsch und Französisch fordert. (derfonds.net, buurtaalonderwijs.nl)


Ganze Note abziehen

Susanne Lin-Klitzing ist Erziehungswissenschaftlerin und seit 2017 Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes. In einem Interview mit dem Trierischen Volksfreund fordert sie, dass Rechtschreibfehler an den Schulen strenger geahndet werden sollten.

Für Oberstufenklassen schlägt Lin-Klitzing vor, bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Rechtschreibung in Leistungstests eine ganze Note abzuziehen. „Wenn gesellschaftlich und bildungspolitisch signalisiert wird, dass richtige Rechtschreibung egal ist, ist das völlig falsch‟, so Lin-Klitzing. Deswegen sehe man sie auch manchmal mit einem Edding falsche Apostrophe auf Plakaten verbessern. (volksfreund.de)


Hassliebe zu Abkürzungen

Einer Besonderheit des deutschen Wortschatzes ist die beeindruckende Länge mancher Wörter. Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz zum Beispiel. Um die vorhandenen Möglichkeiten der Wortbildung auszugleichen, wimmelt es im Deutschen von Abkürzungen. Für unser Beispiel: UntStFG. Die Deutsche Welle stellt von „AKK‟ bis „Waluliso‟ weitere vor und attestiert den Deutschen dazu gleich eine Hassliebe zu Abkürzungen.

Zeitersparnis wird als Grund für die oft schwer entschlüsselbaren Kurzwörter identifiziert. Aber spart es wirklich soviel Zeit, wenn Textnachrichten oder E-Mails mit „LG‟ oder „MfG‟ statt aufwendiger Abschiedsformel beschlossen werden oder ist es einfach unhöflich? Im Englischen ist man da konsequenter: umständliche Abschiedsformeln werden einfach weggelassen.

Nicht fehlen darf in dem Beitrag natürlich auch die popkulturelle Kritik an der deutschen Abkürzungswut: das Lied „MfG‟ der Fantastischen Vier. (dw.com)


Deutsch-Pflicht in der Kabine

Die ausländischen Spieler bei Schalke 04 sollen Deutsch lernen. Dazu verhilft ihnen der Schweizer Massimo Mariotti in seiner Rolle als Integrationsbeauftragter. Grüppchenbildung, wie es sie in der vergangenen Saison gab, soll durch Deutsch-Pflicht in der Kabine entgegengewirkt werden. Außerdem müssen die Spieler aus dem Ausland ihre Interviews auf Deutsch führen, berichtet sport.de unter Berufung auf Sport Bild. (sport.de)


2. Unser Deutsch

Entnahme

Mir fällt auf, dass dies Wort neuerdings gerne gebraucht wird, wenn es um die Tötung geschützter Tiere geht. Kormorane bevölkern Karpfenteiche und fischreiche Flüsse, um sich an diesen gedeckten Tischen zu laben. Sie sind die Nahrungskonkurrenten der Teichwirte und der Angelvereine, aber gesetzlich geschützt. Abschießen ist verboten und Vergraulen gelingt nicht. Zur Not genehmigt dennoch ein Amt die Entnahme einiger Vögel. Ähnlich bei den Bibern, die Jahrhunderte als Fastenspeise geschätzt, deshalb fast ausgerottet, nun wieder ihre Dämme bauen dürfen, der Forstwirtschaft mit ihrem Nageeifer ins Gehege kommen und nächtens durch die umliegenden Felder robben. Zu schweigen von den Wölfen, die mühsam ausgewildert, endlich wieder auf die Jagd gehen dürfen. Einige Schäfer – auch sie eine aussterbende Population, aber ungeschützt – sorgen sich um ihre Schafe, müssen sie einzäunen und rund um die Uhr bewachen. Endlich erlaubt ein Amt die Entnahme einiger besonders aggressiver Tiere.

Wenn es dagegen um Rotwild und die Rotten der schlauen Schwarzkittel geht, dann darf abgeschossen werden. Regelmäßig wird der Lokalpresse die stolze Strecke präsentiert, nachdem ein Jagdfreund das Halali geblasen hat. Und die Jagdbeute ist willlkommene, als wertvolles Wildfleisch klassifizierte Ware für den Kochtopf.

Entnahme, das lernen wir, dient als verhüllendes Wort für den erlaubten Abschuss von Tieren, die im übrigen durch die europäische Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie von 1992 gesetzlich vor Verfolgung geschützt sind. Das Wort wird in Wörterbüchern als ‚papierdeutsch‘ oder ‚gehoben‘ eingeordnet. Es begegnet in Protokollen einer Bank (Entnahme von 100 Millionen Euro aus der Gewinnrücklage) oder Arzt-Berichten (Entnahme einer Gewebeprobe). Auch Organspenden, von Lebenden oder Toten, können als Entnahme benannt werden. Stets dient das Wort dazu, einen Sachverhalt zu verharmlosen bzw. das Unangenehme zu verbergen. Auch das gehört in das Feld der Metonymie, in dem eine allgemeine Bezeichnungen eine spezielle ersetzt.

Weshalb, fragen wir am Schluss, eignet sich gerade die Entnahme für diesen Zweck? Wie kommt die ‚gehobene‘ Bedeutung zustande? Wir erklären es sprachgeschichtlich. Das Abstraktum Entnahme aus dem Verb entnehmen ist in doppelter Weise als abgeleitetes Substantiv kenntlich: durch das Suffix -e und den Vokalwechsel von e zu a, den sogenannten Ablaut. Während mit -e unzählige Abstrakta aus Verben gebildet wurden wie die Bleibe von bleiben, Spüle von spülen, sind Bildungen mit Ablaut eine Seltenheit. Der Typ ist seit Jahrhunderten nicht mehr produktiv. Geblieben sind vor allem zwei Wortfamilien: mit Gabe (von geben) und –nahme (von nehmen) wie in Abgabe, Ausgabe, Preisgabe, in Entnahme, Stellungnahme, Inanspruchnahme. Diese Reste ausgestorbener Wortbildung gelten oft als ‚gehoben‘. Das macht sie gut verwendbar, um Alltägliches oder Unangenehmes zu verbrämen. Sprachkritik mag das als Täuschung tadeln, doch man könnte Sprache auch loben für diese Fähigkeit des Anderssagens.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de


3. Kultur

Finden Sie den Fehler

Mit „Direkt aus dem dpa-Newskanal“ ist ein Text aus der Süddeutschen Zeitung gekennzeichnet, der folgenden Schnipsel enthält: „Mit Wind of Change entscheidet sich von der Leyen für den wohl bekanntesten Hit der Scorpions, die wie sie in der Region Hannover zu Hause sind. Wind of Change ist einer der erfolgreichsten Rocksongs in deutscher Sprache und gilt als Hymne der Wendezeit.“ Offenbar wurde der dpa-Beitrag von fast allen Zeitungen so übernommen. Wer den Fehler findet, darf ihn behalten. (sueddeutsche.de)


Vielsprachiger Kosmopolit

Vor 25 Jahren am 14. August 1994, starb der Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger Elias Canetti im Alter von 89 Jahren. Die Jüdische Allgemeine erinnert an den großen Schriftsteller, den die Kriege und politischen Umbrüche von Kindheit an quer durch Europa trieben. Canetti sprach Englisch, Französisch, Bulgarisch, Türkisch und Ladino (Judenspanisch), veröffentlichte seine Texte aus allen Genres aber auf Deutsch. „Die deutsche Sprache ist seine Heimat‟, schrieb das Nobelpreiskomitee 1981. Über sein letztes Werk „Buch gegen den Tod‟, welches 2014 zwanzig Jahre nach dem seinen erschien, schrieb der Rezensent in der Zeit: „Was für eine Prosa! Gedrängt und klar, ohne die geringste Trübung durch Mode oder Jargon, bilderreich und schlank; eine Prosa, wie sie sonst keiner schrieb.‟ (schwarzwaelder-bote.de)


4. Denglisch

Hässlich oder hart und unmelodisch

Gar nicht so schlecht weg kommt die deutsche Sprache im Urteil der 17-jährigen Hanna Machura-Badge in der Nordwest-Zeitung. Die Redaktion ist offenbar davon ausgegangen, dass die Schülerin kein gutes Haar an der deutschen Sprache lässt. Es klingt zumindest ein wenig so. Zwar stellt Badge einen „Minderwertigkeitskomplex der Deutschen‟ in Bezug auf den Klang ihrer Sprache fest („etwas Eigentümliches, Unförmiges‟). Sie räumt aber ein, dass das Deutsche „aber unheimlich präzise‟ ist und durch die „unerschöpflichen Wortkombinationen und -aneinanderreihungen‟ beinahe alles ausdrücken kann. Auch literarisch und philosophisch könne die Sprache mit einer reichen Geschichte aufwarten. Immerhin! (nwzonline.de)


5. VDS-Termine

21. August, Region 18 (Rostock)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Gasthaus „Zum Bauernhaus Biestow“, Am Dorfteich 16, 18059 Rostock

22. August, Region 42 (Wuppertal, Remscheid, Solingen)
Mitgliedertreffen
Zeit: 17:15 Uhr
Ort: Gaststätte Kaiser-Treff, Hahnerberger Str. 260, 42329 Wuppertal-Cronenberg

23 August, Region 24 (Kiel, Flensburg)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Sportrestaurant Altenholz Klausdorfer Str. 78b, 24161 Altenholz

24. August, Region Österreich (Wien)
Stammtisch des Jungen VDS
Zeit: 20:00 Uhr
Ort: Café Ritter am Ottakring, Ottakringer Str. 117, 1160 Wien

27. August, Region 57 (Siegen)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Landgasthof Merje, Kredenbacher Str. 18, 57223 Kreuztal

28. August, Region 03 (Cottbus)
Mitgliederversammlung
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Hotel „Zur Sonne“, Taubenstraße 7, 03046 Cottbus

5. September, Region 28 (Bremen)
Treffen der Sprachfreunde Bremen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Luv, Schlachte 15, 28195 Bremen

6. September, Region 48 (Münsterland)
Infostand auf dem Wochenmarkt
Zeit: 08:00 – 12:00 Uhr
Ort: Wochenmarkt Saerbeck, Marktstraße, 48369 Saerbeck

6. September, Region 53 (Bonn, Vor-Eifel und Siebengebirge)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Tennis-Club Heiderhof, Sommerbergweg 4, 53177 Bonn

7. September, Region 48 (Münsterland)
Infostand auf dem Wochenmarkt in Emsdetten
Zeit: 8:00 – 13:00 Uhr
Ort: Am Brink, 48282 Emsdetten

7. September, Region 67, 68, 69: (Rhein-Neckar)
Infostand anlässlich des TdS auf dem Mannheimer Paradeplatz
Zeit: 10:00 – 16:00 Uhr
Ort: Quadrat N1, nahe Eingang Hauptost, Mannheim

IMPRESSUM

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Holger Klatte, Oliver Baer

© Verein Deutsche Sprache e. V.

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