Infobrief Nr. 479 (34. Ausgabe in diesem Jahr)

1. Presseschau

Schostok ist Sprachpanscher des Jahres

Bild: PixelPower / stock.adobe.com

Die Mitglieder des Vereins Deutsche Sprache e. V. haben den Sprachpanscher des Jahres gewählt: Hannovers Ex-Oberbürgermeister Stefan Schostok. Er setzte sich durch gegen Verkehrsminister Scheuer und Modeikone Heidi Klum, den BUND und die Firma Südzucker. Schostok hatte im Frühjahr für Hannovers Behörden die Gendersprache verordnet mit „Mitarbeiter*innen‟, „Wählenden“ und „Radfahrenden“ und mit „Lehrenden“ statt Lehrern. Mit dieser Wahl zeigen die VDS-Mitglieder, dass ihnen die zwangsweise Einführung einer geschlechtergerechten Kunstsprache genauso zuwider ist wie der schleichende Austausch der deutschen durch die englische Sprache in immer mehr Bereichen des öffentlichen Lebens. Es wurden 3134 Stimmen abgegeben, davon Schostok 1542, Scheuer 624, Klum 502, BUND 421 und Südzucker AG 48.

In wieweit der Sprachpanscher-Titel für Stefan Schostock die Stadtverwaltung Münster bei der Entscheidung beeinflusst hat, den Genderstern nicht einzuführen, ist nicht bekannt. Schreibweisen wie der Genderstern, der Unterstrich („Bürger_innen“) und das Binnen-I (BürgerInnen) finden sich nicht im Regelwerk der deutschen Rechtschreibung, heißt es. (welt.de, vds-ev.de, muensterschezeitung.de)


Sprachprobleme bei der Einschulung

In den meisten Bundesländern sind die Sommerferien vorbei und für die ganz Kleinen beginnt mit der Einschulung der Ernst des Lebens. Viele Zeitungen greifen aus diesem Anlass noch einmal die Diskussion auf, ob Schüler auch ohne Deutschkenntnisse bereits eingeschult werden sollen. Die Dortmunder Grundschulleiterin Christiane Mika, die auch Vorsitzende des NRW-Grundschulverbands ist, hält die Sprachprobleme für „eine unserer größten Herausforderungen‟. 75 Erstklässler wurden in dieser Woche bei ihr eingeschult, 96 Prozent aus Zuwandererfamilien. Von Vorschulklassen für Kinder ohne Deutschkenntnisse, wie sie der CDU-Politiker Carsten Linnemann kürzlich forderte, hält Mika nichts. Dafür sei das notwendige Personal gar nicht vorhanden. Die Deutschförderung wird an ihrer Schule mit verschiedenen Mitteln bereitgestellt: eine Mutter-Kind-Gruppe vormittags, Zeit zum Übersetzen während des Unterrichts, ältere Kinder mit gleicher Muttersprache als Paten, zweisprachige Lernmittel.

Einen anderen Weg ist auch die Bezirksregierung Arnsberg gegangen: 16 Lehrer, die selbst als Flüchtlinge nach Deutschland kamen, aber in ihrer Heimat ein Studium abgeschlossen haben, wurden eingestellt.

In der Schweiz diskutiert man über ähnliche Themen. Für 170.000 Kinder hat nun die Schulzeit begonnen. Erziehungswissenschaftlerin Tina Hascher sieht jedoch nicht die Herkunftssprachen als größte Herausforderung, sondern die Nutzung von Internetmedien. Kinder würden mit Tablet oder Smartphone „ruhig gestellt‟. Damit „schränken diese Medien die Lernchancen für das Kind ein.‟ (waz.de, wz.de, nau.ch)


Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung wird 70 Jahre alt

Vor 70 Jahren, am 200. Geburtstag Goethes, wurde die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung mit einem Festakt in der Frankfurter Paulskirche gegründet. Der Akademie geht es seit damals um Meinungsfreiheit und den kritischen Umgang mit Sprache und ideologisch kontaminierten Begriffen. Von Beginn an beschäftigten sich die Mitglieder mit der Frage, wie die Nationalsozialisten Wortschatz, Satzbau und Grammatik verändert und missbraucht hatten. Mit insgesamt fünf Literaturpreisen, u.a. der Georg-Büchner-Preis, ehrt die Akademie jedes Jahr Autoren, die besondere Leistungen erbracht haben. „Wir begleiten die Entwicklung der deutschen Sprache“, sagt Ernst Osterkamp, Präsident der Akademie. Nicht der normative Umgang mit der Sprache steht im Mittelpunkt, sondern das Untersuchen der sprachlichen Entwicklungen. Seit mehreren Jahren hat die Akademie rund 190 Mitglieder, die aufgrund ihres Wirkens in der deutschen Literatur und Sprache zu Mitgliedern gewählt wurden. (domradio.de, deutschlandfunkkultur.de)


2. Unser Deutsch

Bärenstark

In der Genderdebatte haben entschiedene Feministinnen gefordert, auch bei allen Komposita das diskriminierende generische Maskulinum zu entfernen. Also soll es zum Beispiel bärinnenstark heißen statt bärenstark. Sonst entstehe der fälschliche Eindruck, nur Bärenmänner könnten stark sein.

Zur Klärung der Frage bin ich diesem Typus von Adjektiven nachgegangen. Man nennt sie metaphorische Zusammensetzungen. Unter ihnen gibt es eine Gruppe, in denen eine Eigenschaft (hier also stark) durch den Vergleich mit einem Tier (hier der Bär) hervorgehoben wird. Ich habe auf Anhieb ein gutes Dutzend gefunden, in denen wir die vertraute Tierwelt vergleichend heranziehen. Es sind: affengeil, aalglatt, bärenstark, bienenfleißig, hasenrein, hundemüde, lammfromm, mausetot, (mucks)mäuschenstill, rabenschwarz, rattenscharf, taubenblau, vogelfrei, wieselflink.

Einige sind erstaunlich alt. Schon im Nibelungenlied begegnet rabenschwarz:

„wir hœren sagen mære wie die degene / von rabenswarzer varwe truogen rîchiu kleit“. Damals waren Raben noch allgegenwärtig. Darum der Vergleich. Heute sind sie fast ausgestorben, wir kennen nur noch Amseln, ihre kleinen Schwestern. Das Wort ist geblieben.

Alt ist auch vogelfrei; mittelhochdeutsch vogelfrî hatte noch die ursprüngliche Bedeutung ‚frei wie der Vogel in der Luft‘. Erst im 16. Jahrhundert kommt in der Sprache der Landsknechte die heutige Bedeutung ‚geächtet, schutzlos‘ auf.

hundemüde verstehen wir heute als ‚todmüde‘; das Wort bezog sich ursprünglich auf die erschöpften Hunde nach der Jagd.

Aus der Jägersprache stammt auch hasenrein. So nennt man Jagdhunde, die Hasen aufspüren, aber nicht ohne Befehl verfolgen. Geblieben ist die Wendung nicht ganz hasenrein ‚nicht einwandfrei‘.

Kurios ist die Erklärung von mausetot. Es ist die Verhochdeutschung von niederdeutsch mu(r)sdōt ‚gänzlich tot‘; niederdeutsch murs wurde volksetymologisch umgedeutet als mūs ‚Maus‘, ein Sprachwandel, der manches aussterbende Wort betroffen hat.

lammfromm ‚sanft, geduldig‘ stammt aus ländlicher Lebenswelt, die heute vergangen ist. Auch aalglatt, meist abwertend übertragen gebraucht (‚schwer zu fassen‘, ‚undurchsichtig‘) ist nur noch den Sportanglern praktisch verständlich.

Welches sind die Gemeinsamkeiten dieser Bildungen?

1. Alle Tiere im Erstglied der adjektivischen Zusammensetzungen stammen aus unserer Alltagswelt. Das entspricht metaphorischer Praxis, das Naheliegende als Vergleich zu wählen. In einigen Fällen ist das Vergangenheit. Die Worte blieben.

2. Semantisch hat das Erstglied zumeist verstärkenden Charakter: bärenstark ist ‚sehr stark‘, bienenfleißig ‚besonders fleißig‘, wieselflink ‚sehr schnell‘; in mausetot, hundemüde, rabenschwarz ist der ursprüngliche Vergleich nicht mehr lebendig. Reine Verstärkung zeigt das jüngste dieser Wörter: affengeil. Affen- ist schon verstärkendes Präfix in den Substantiven Affenhitze, Affentempo, Affentheater. Zu bärenstark passt der Bärenhunger.

3. Man sieht in unterschiedlichen Stadien der Entwicklung, wie der Tiervergleich in den Hintergrund rückt, wie das Wort zur lexikalischen Einheit wird. Solche Lexikalisierung ist ein Charakteristikum aller Zusammensetzungen. Es ist feministische Laienlinguistik, solche Wörter auf maskuline Elemente abzuklopfen und diese gendergerecht zu ersetzen. Wünscht sich gar jemand ein äffinnengeil?

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de

3. Kultur

Nur 150 deutsche Bücher

Die Kultursoziologin Gisèle Sapiro untersucht seit einigen Jahren den internationalen Buchmarkt und stellt fest, dass zwar immer mehr Bücher übersetzt werden, die kulturelle Vielfalt jedoch zusehends verschwindet. Das liegt daran, dass der Markt übersetzter Bücher vom Englischen dominiert wird. Im Jahr 2002 beispielsweise haben deutsche Verlage 3.782 amerikanische Bücher übersetzt, während von amerikanischen Verlagen nur 150 deutsche Bücher eingekauft wurden. Insgesamt stammen knapp 60 Prozent aller Übersetzungen aus dem Englischen. Deutsche Literatur kann da mit acht bis neun Prozent nicht ganz mithalten, steht aber dennoch gemeinsam mit französischer Literatur an erster Stelle nach dem Englischen. Diese Stellung sei hauptsächlich den deutschen Klassikern, auch aber der deutschen Philosophie zu verdanken, erklärt Sapiro. (zeit.de)


4. Denglisch

Roller statt Scooter

Bekanntlich revolutionieren Tretroller derzeit das Verkehrswesen in deutschen Städten, insbesondere weil sie auf Gehwegen rumstehen, Fußgänger schneiden oder in Fluss und Parksee landen. „E-Scooter‟ war zunächst eine häufige Bezeichnung dafür. Es setzt sich mittlerweile jedoch Tretroller oder E-Tretroller durch. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung bleibt konsequent bei dieser Bezeichnung. Das ist auch richtig, denn die Fortbewegung durch Treten ist hier auch ohne zugeschalteten Motor möglich. In Frankreich stellt sich das Problem der Bezeichnung nicht, hier heißen sie „Trottinettes‟.

Genauso so sinnlos ist es auch, Fahrräder mit Elektromotor auf einmal E-Bike zu nennen, weil sich die hauptsächliche Tätigkeit, der man bei Benutzung nachgeht, gar nicht ändert. (faz.net)


5. VDS-Termine

5. September, Region 28 (Bremen)
Treffen der Sprachfreunde Bremen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Luv, Schlachte 15, 28195 Bremen

6. September, Region 25 (West-Schleswig-Holstein)
Mitgliedertreffen
Zeit: 17:00 Uhr
Ort: Gaststätte Tante Jenny, Schiffbrücke 12, 25813 Husum

6. September, Region 48 (Münsterland)
Infostand auf dem Wochenmarkt
Zeit: 10:00 – 12:00 Uhr
Ort: Wochenmarkt Saerbeck, Marktstraße, 48369 Saerbeck

6. September, Region 53 (Bonn, Voreifel, Ville und Siebengebirge)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Tennis-Club Heiderhof, Sommerbergweg 4, 53177 Bonn

7. September, Region 38 (Braunschweig, Salzgitter, Wolfsburg)
Verleihung des Sprachpreises Braunschweiger Till
Zeit: 10:00 – 12:00 Uhr
Ort: St. Ulrici-Brüdern-Kirche (Bugenhagen-Zimmer, 1. Stock), Schützenstr. 21A, 38100 Braunschweig

7. September, Region 48 (Münsterland)
Infostand auf dem Wochenmarkt
Zeit: 10:00 – 12:00 Uhr
Ort: Wochenmarkt Saerbeck, Marktstraße, 48369 Saerbeck

7. September, Region 67, 68, 69 (Rhein-Neckar)
Infostand anlässlich des TdS auf dem Mannheimer Paradeplatz
Zeit: 10:00 – 16:00 Uhr
Ort: Paradeplatz, Quadrat N1, nahe Eingang Hauptpost, 68161 Mannheim

9. September, Region 20, 22 (Hamburg)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Hotel Ibis Alsterring, Pappelallee 61, 22089 Hamburg

10. September, Region 01 (Dresden, Riesa)
Festveranstaltung zum Tag der deutchen Sprache: LachHaft auf Bewährung mit Lars Jung (Text), Cornelia Schumann (Viola), Thomas Mahn (Tasten)
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Ortsamt Dresden-Loschwitz, Grundstraße 3, 01326 Dresden-Loschwitz

10. September, Region 65 (Wiesbaden/Kelkheim)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Europa, Stadthalle Kelkheim, Gagernring 1, 65779 Kelkheim (Taunus)

10. September, Region 77 (Offenburg)
Vorstellung des neuen Buches des Schriftstellers Klaus Huber
Poesie in Klängen, die glücklich machen
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Gemeindeverwaltung Sasbachwalden, Kirchweg 6, 77887 Sasbachwalden

12. September, Region 70/71/73/74 (Stuttgart, Nordwürttemberg)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Brauereigaststätte Dinkelacker, Tübinger Str. 46, 70178 Stuttgart

13. September, Region 20, 22 (Hamburg)
Verleihung des Elbschwanenordens 2019 an den Hamburger Verein Leseleo e. V.
Zeit: 18:30 – 21:30 Uhr
Ort: Gästehaus der Universität Hamburg, Rothenbaumchaussee 34, 20146 Hamburg

14. September, Region 07 (Gera, Jena)
Festveranstaltung zum Tag der deutschen Sprache
Zeit: 14:00 Uhr
Ort: Am Schloss 1, 07907 Schleiz

14. September, Region 56 (Koblenz)
Preisverleihung im XII. Wettbewerb Werbewerke
Zeit: 14:05 Uhr
Ort: Sparkasse Koblenz, Bahnhofstraße 11, 56068 Koblenz

14. September, Region 66 (Pfalz)
Festveranstaltung zum Tag der deutschen Sprache
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Bürgerhaus Waldmoor, Saarpfalzstraße 12, 66914 Waldmoor

15. September, Region 97 (Würzburg)
Feierliche Verleihung des regionalen Sprachbewahrerpreises
Zeit: 15:00 – 17:00 Uhr
Ort: Barockhäuser, Ignaz-Neumann-Stube, Neubaustr. 12, 97070 Würzburg

15. September, Region 50/51 (Köln)
Verleihung des Lehrer-Welsch-Sprachpreises
Zeit: 17:00 Uhr (Einlass ab 16:15 Uhr)
Ort: Aula, Hildegard-von-Bingen-Gymnasium, Leybergstr. 1, 50939 Köln

16. September, Region 44 (Bochum, Dortmund, Herne)
Vortrag und Buchvorstellung von VDS-Mitglied Horst Hensel: Die Sehnsucht der Rosa Luxemburg
Eintritt 2,50€
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Studio B, Stadt- und Landesbibliothek, Max-von-der-Grün-Platz 1-3, 44137 Dortmund

17. September, Region 42 (Wuppertal, Remscheid, Solingen)
Mitgliedertreffen
Zeit: 17:00 Uhr
Ort: Gaststätte Kaiser-Treff, Hahnerberger Str. 260, 42329 Wuppertal-Cronenberg

22. September, Region 18 (Rostock)
Verleihung des Sprachpreises Gutes Deutsch in Mecklenburg-Vorpommern sowie Sprachvorbild 2019
Zeit: 16:00 – 18:00 Uhr
Ort: Gasthaus Zum Bauernhaus Biestow, Am Dorfteich 16, 18059 Rostock

25. September, Region 03 (Cottbus)
Mitgliederversammlung
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Hotel Zur Sonne, Taubenstraße 7, 03046 Cottbus

IMPRESSUM

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Holger Klatte, Alina Letzel, Oliver Baer

© Verein Deutsche Sprache e. V.

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