1. Presseschau
Bayerns Kultusminister bricht das Gesetz
Das Deutsche als Wissenschaftssprache ist in Gefahr, besonders wenn seine politischen Vertreter nicht dafür einstehen. Mehr als 90 Prozent der Veröffentlichungen entfallen mittlerweile auf die englische Sprache, die Nachweis-Datenbanken sind rein englisch. Durch ein erzwungenes „Academic pidgin English“ sinkt erwiesenermaßen das Niveau in den Seminaren. Untersuchungen in mehreren europäischen Ländern kommen zu dem Ergebnis, dass das Verständnis und der Inhalt der wissenschaftlichen Lehre verflachen, wenn Englisch die Unterrichtssprache wird.
Bisher konnte nur durch den massiven Widerstand von Wissenschaftlern und von den Vertretern des ADAWIS verhindert werden, dass das Studium in Deutschland vom ersten bis zum letzten Semester in englischer Sprache erfolgen darf. So waren in Bayern englischsprachige Bachelorstudiengänge nur möglich, wenn es sich um einen sogenannten Zwillingsstudiengang zu einem bereits bestehenden deutschsprachigen handelte. Dies soll sich nun ändern: Kultusminister Bernd Sibler rät den bayerischen Hochschulpräsidenten in einem Brief dazu, möglichst bald rein englischsprachige Bachelorstudiengänge einzuführen. Die gesetzliche Grundlage dafür will er später schaffen. Das ist eine Aufforderung zum offenen Rechtsbruch. Josef Kraus dazu auf „Tichys Einblick‟: „Wenn sie seiner ‚Erlaubnis‘ folgen, handeln sie auf eigene Gefahr, und der Minister selbst verletzt seine Amtspflichten in der Rechtsaufsicht über die Hochschulen.‟ (tichyseinblick.de, adawis.de)
Sprache der 70er und 80er Jahre
Alle paar Jahre erscheint der Duden in einer neuen Auflage, mehrere tausend Wörter werden neu aufgenommen. Der Autor Hans Hütt untersucht in seinen Büchern diese neuen Wörter bezogen auf das Jahrzehnt, in dem sie Eingang in die Sprache fanden. Bereits vier Bände hat Hütt veröffentlicht. Anfang 2019 stellte er die 50er und 60er Jahre vor, später erschienen dann „Die 70er – Ein Jahrzehnt in Wörtern“ sowie der entsprechende Folgeband aus den 80er Jahren. Wörter aus den 70er Jahren sind „Fußgängerzone“, „Trimm-dich-Pfad“ oder „Bratschlauch“. Auch neue Anglizismen finden sich in jedem Duden, so spricht man beispielsweise vom „Softie“ oder von „Punks“. Jeweils hundert Wörter stellt Hütt pro Band vor. (focus.de)
Philipp von Zesen hat Geburtstag
Vor 400 Jahren wurde Philipp von Zesen geboren, der höchstwahrscheinlich Mitglied im Verein Deutsche Sprache e. V. geworden wäre, wenn es diesen damals schon gegeben hätte. Von Zesen gehörte zu den Sprachkritikern seiner Zeit, die sich über das verbreitete Latein oder die häufig gestelzten französischen Wörter in der deutschen Sprache ärgerten, weswegen er sich als Sprachschöpfer einen Namen gemacht hat. Ihm verdankt die deutsche Sprache Wörter wie Bücherei (für Bibliothek), Leidenschaft (für Passion), Rechtschreibung (für Orthographie) oder Rechtschreibung (für Assekuranz). Er erfand noch viele andere Entsprechungen für lateinische oder französische Wörter, die es allerdings nicht in den heutigen Wortschatz geschafft haben, darunter Tageleuchter (für Fenster) oder Nirgendland (für Utopia). Den größeren Teil des Werkes von Zesens machen allerdings Kirchenlieder und andere literarische Werke aus. Sein autobiographischer Roman Die Adriatische Rosemund von 1645 gilt als der erste große deutsche Roman der Barockzeit. (mdr.de)
2. Unser Deutsch
divers
Das kleine Wort wurde schon im 16. Jahrhundert aus lateinisch diversus ,abweichend, verschieden‘, entlehnt, hat Jahrhunderte seinen Dienst geleistet als Synonym zu verschieden, wurde immer im Plural gebraucht, früh in der Kaufmannssprache (diverse Waren) und bezeichnet noch heute ‚mehrere verschiedene Dinge in unbestimmter Anzahl‘, teils konkret (diverse Rohstoffe), teils übertragen (diverse Male, aus diversen Gründen). Verwandt sind die Lehnwörter diversifizieren, Diversität und Diversifikation. Auch diversity, der neueste Import aus dem Englischen gehört dazu.
Jüngst erfuhr divers eine gänzlich neue Verwendung: als Adverb zur Bezeichnung trans- und intersexueller Prägung des Menschen. Gesucht wurde in Ausführung des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG) nach einem Wort, das sich als Ergänzung zu weiblich und männlich für eine Eintragung beim Standesamt eignet. Mit d wurde auch eine Abkürzung neben m und w gefunden. Dies hätte eine Randnotiz für seltene Fälle bleiben können, hätte nicht die Gender-Debatte um geschlechtergerechte Sprache das Wörtchen aufgenommen. Jene nicht-weiblichen und nicht-männlichen Menschen hätten doch auch Anspruch, in Stellenausschreibungen genannt zu werden. Könnten sie Klage führen, nicht mitgemeint zu sein, wenn von einem Bewerber und einer Bewerberin die Rede ist? So entstand die Klammer (m/w/d), die seither in solchen Texten an Personenbezeichnungen angehängt wird. Manchmal wird sie auch frauenfreundlich variiert zu (w/m/d). Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, wie folgende Auswahl aus der akademischen Zeitschrift ‚Forschung und Lehre‘ (8/19) und der Süddeutschen Zeitung vom 14./15. September zeigt:
Der Deutsche Hochschulverband sucht einen Volljuristen (m/w/d)…, oder: Perle (m/w/d) in Vollzeit für unseren gehobenen Privathaushalt in München gesucht, oder: Bauamtsleitung in Vollzeit (m/w/d)…, oder: Dipl. Ingenieur (m/w/d) oder staatlich geprüfter Techniker (m/w/d)…
Am GEOMAR…ist die Stelle der/des Wissenschaftlichen Direktorin/Direktors (m/w/d) zu besetzen, oder: …sucht eine/einen Rektorin/Rektor (m/w/d)…
Generaldirektor/in (m/w/d)… oder Arzthelfer/in (MFA) für urologisch-naturheilkundliche Praxis…
Am häufigsten begegnet die erste Variante: generisches Maskulinum plus (m/w/d). Sie knüpft an traditionelle Ausschreibungen an und erfüllt die Minimalforderung des Gleichstellungsgesetzes. Die zweite Variante verbindet die Paarformel mit der m/w/d-Klammer. Und die dritte verkürzt diese durch Querstrich: platzsparend und schwer lesbar. Wie aber passen Paarformel und m/w/d-Klammer zusammen? Erst sind es ausdrücklich die beiden Geschlechter, dann drei. Eigentlich wird hier doppelt gegendert, doppelt hält besser. Das wollten offenbar folgende Anzeigensteller vermeiden, die (in einer Tageszeitung) suchten nach Sekretärin (m/w/d) und nach persönliche Mitarbeiterin/persönlicher Mitarbeiter (d). Im ersten Fall wird Sekretärin quasi als Berufsbezeichnung gewählt, dann folgen die Geschlechtsvarianten. Im zweiten hat jemand die Verdoppelung vermeiden wollen. Nun darf der Mitarbeiter, darf die Mitarbeiterin auch divers sein. Man hat fast den Eindruck: die Sprache wehrt sich gegen diese Versexualisierung.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de
3. Kultur
DOK Leipzig
Zum 62. Mal findet in diesem Jahr das Dokumentarfilmfestival DOK in Leipzig statt. Insgesamt werden 310 Filme und interaktive Arbeiten aus 63 Ländern präsentiert. Das Festival blickt auf weltpolitische Prozesse, auf zeitgemäße Frauenbilder, auf Familienschicksale und politische Abgründe. Umwelt, Kapitalismus und Rechtsextremismus sind Themen, die besonders in den Fokus genommen werden. „Die Diversität, die wir durch unsere Filmauswahl nach Leipzig bringen können – auch in Form von Themen-Vielfalt und vielschichtigen Perspektiven – ist ein Qualitätsmerkmal“, erzählt Festivalleiterin Leena Pasanen. „Es geht uns aber nicht um Diversität um ihrer selbst willen. Unser Hauptaugenmerk liegt auf der künstlerischen Qualität der Dokumentar- und Animationsfilme.“ Das DOK Leipzig findet vom 28. Oktober bis 3. November statt. Eröffnet wird es am 28. Oktober mit der Weltpremiere des Films „Das Forum“ von Marcus Vetter. (leipziginfo.de)
4. Berichte
Henryk M. Broder in Bremen
Der Journalist und Buchautor Henryk M. Broder hielt auf Einladung der Bremer Regionalgruppe des Vereins Deutsche Sprache e. V. unter der Leitung von Wolfgang Schönfelder am 10. Oktober einen Vortrag in Bremen. Sein Thema: „Gender und andere Irrlichter‟. Einen Tag zuvor geschah der antisemitische Anschlag eines Rechtsterroristen in Halle/Saale. Die anwesenden Journalisten nutzten die Begegnung mit Broder deswegen, ihn zu seiner Einschätzung des aktuellen Geschehens zu fragen. Ein Filmbeitrag lief im Regionalmagazin „buten und binnen‟ auf Radio Bremen. Über den Vortrag erfährt man leider wenig. (weser-kurier.de, butenunbinnen.de)
Otto Ringel erhält „Sprachvorbild 2019“
Am diesjährigen Tag der deutschen Sprache wurde dem Hagenower Autor Otto Ringel der Titel „Sprachvorbild 2019“ verliehen. Der Laudator Professor Dr. Dieter Schott beschrieb Otto Ringel als einen überaus begeisterten Liebhaber der deutschen Sprache, was sich unter anderem in seinem kleinen Büchlein „Humorvoller Streifzug durch die deutsche Sprache“, aber auch in vielen weiteren Publikationen zeige. Die deutsche Sprache schätzt Otto Ringel wegen ihrer Vielfalt, Ausdruckskraft und Schönheit. Jedoch stört ihn die übertriebene Verwendung von Anglizismen oder der teilweise nachlässige Sprachgebrauch in den Medien.(svz.de)
5. Denglisch
Neuigkeiten-Zimmer im Bundesverkehrsministerium
Immer häufiger richten Unternehmen einen sogenannten „Newsroom“ ein, um die Kommunikation zwischen verschiedenen Abteilungen effizienter zu machen. Ziel dabei ist es, Mitarbeiter aus allen Bereichen zusammenzubringen, um medial einheitlich und umfassend zu kommunizieren. Im Bundesverkehrsministerium wurde kürzlich ein solcher Raum eingerichtet. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CDU) nennt ihn allerdings nicht „Newsroom“, sondern führt stattdessen den deutschen Begriff „Neuigkeiten-Zimmer“ ein. Die Inhalte, die in dem Neuigkeiten-Zimmer erarbeitet werden, sollen insbesondere über die Sozialen Netzwerke verteilt werden. Scheuer erklärt in einer Mitteilung: „Dieses Neuigkeiten-Zimmer […] soll ein offener Raum sein – in dem die Mitarbeiter der Kommunikationsreferate kreativ und eng zusammenarbeiten.“ (meedia.de)
6. Termine
19. Oktober, Region 34 (Kassel)
Verleihung des Kulturpreises Deutsche Sprache
Preisträger: Prof. Dr. Peter Eisenberg, die Musikgruppe „Tonbandgerät‟, die Kaukasische Post
Zeit: 16:00
Ort: Kongress Palais Kassel – Stadthalle
19. Oktober, Region Elfenbeinküste
Veranstaltung zum Tag der deutschen Sprache
21. Oktober, Region Österreich (Wien – Verein Muttersprache)
70-Jahr-Feier Verein Muttersprache
Zeit: 18:30 Uhr
Ort: Magistratisches Bezirksamt, 3. Bezirk, Karl-Borromäus-Platz 3, 1030 Wien, Österreich
25. Oktober, Region 24 (Kiel, Flensburg)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Sportrestaurant Altenholz, Klausdorfer Str. 78b, 24161 Altenholz
26. Oktober, Region 42 (Wuppertal, Remscheid, Solingen)
Teilnahme an der Remscheider Nacht der Kultur und Kirchen: Deutschland ist (D)englischland
Zeit: 18:00 – 22:00 Uhr
Ort: Café Marktlücke, Ambrosius-Vassbender-Platz 1, 42853 Remscheid
28. Oktober, Region 50/51 (Köln)
Vierteljährlicher Stammtisch
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Cöllner Hof, Hansaring 100, 50670 Köln
2. November, Region 48 (Münsterland)
Literaturnachmittag
Zeit: 16:00 Uhr
Ort: Bürgersaal Saerbeck, Ferrières-Str. 12, 48369 Saerbeck
6. November, Region 07 (Gera, Jena)
3. Stammtisch
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Paulaner Wirtshaus Gera, Clara-Zetkin-Str. 14, 07545 Gera
7. November, Region 28 (Bremen)
Mitgliedertreffen / Treffen der Sprachfreunde Bremen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Luv, Schlachte 15, 28195 Bremen
8. November, Region 08 (Zwickau, Plauen)
Mitgliederversammlung
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Gaststätte zum Vogtländer, Schmidtstr. 17, 08606 Oelsnitz
11. November, Region 24 (Kiel, Flensburg)
Mitgliedertreffen
Zeit: 17:30 Uhr
Ort: Restaurant St. Knudsborg, Munketoft 33, 24937 Flensburg
11. November, Region 65 (Wiesbaden/Kelkheim)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Europa, Stadthalle Kelkheim, Gagernring 1, 65779 Kelkheim (Taunus)
11. November, Region 20/22 (Hamburg)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Hotel Ibis Alsterring, Pappelallee 61, 22089 Hamburg
14. November, Region 18 (Rostock)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Gasthaus „Zum Bauernhaus Biestow“, Am Dorfteich 16, 18059 Rostock
IMPRESSUM
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.
Redaktion: Holger Klatte, Alina Letzel
© Verein Deutsche Sprache e. V.