Infobrief Nr. 493 (48. Ausgabe in diesem Jahr)

1. Presseschau

An oder zu Weihnachten?

Bild: pixabay / lindavrengs | Pixabay-Lizenz

Die kleinsten Wörter erzeugen manchmal die größten Diskussionen. Heißt es „an“ oder „zu“ Weihnachten? Die einen fahren zu Weihnachten die Familie besuchen, die anderen bleiben an Weihnachten lieber daheim. Falsch ist weder das eine noch das andere. Beide Varianten finden wir im Duden, jedoch sind sie je nach Region unterschiedlich verbreitet. In Westdeutschland und Süddeutschland bevorzugt man „an Weihnachten“, in Ostdeutschland und Österreich sagt man dagegen lieber „zu Weihnachten“. Auch eine dritte Variante ist bekannt – ganz ohne Präposition: „Weihnachten fahren wir zu Oma.“ Diese Formulierung findet man in Südniedersachsen, ein bisschen auch in Nordthüringen und in Westfalen. „Wir denken uns das nicht aus, sondern analysieren kontinuierlich das sogenannte Dudenkorpus in digitaler Form, wo Texte verschiedener Textsorten und verschiedener Regionen drin sind“, erklärt Ilka Pescheck von der Dudenreaktion. „Dann kann man schauen, in welchen standardsprachlichen Texten eben welche Wendung häufiger gebraucht wird. Alle Wendungen sind korrekt.“ (mdr.de)


Vierjährige erfinden neue Sprache

Schon im jungen Alter wird miteinander kommuniziert. Wenn gesprochene Sprache dabei nicht verwendet werden darf, klingt das zwar erst einmal kompliziert, ist aber eigentlich kinderleicht. In einem Experiment von drei Psychologen der Universität Leipzig und des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie sollte eine gehörlose Gruppe nachgestellt werden. Kinder zwischen vier und acht Jahren sollten miteinander kommunizieren und sich gegenseitig Bilder erklären, durften dabei aber nicht sprechen. Problemlos vermittelten die Kinder ihrem Gegenüber Begriffe wie Fahrradfahren oder Haare bürsten. Im Verlauf des Spiels wurden die Gesten immer abstrakter, wurden aber trotzdem jedes Mal verstanden. Die Forscher konnten dabei zusehen, wie Sprache entsteht. Ihnen zufolge nutzten die älteren Kinder sogar grammatische Strukturen für ihre Gesten, um darzustellen, ob etwas groß oder klein war, ob die Katze den Affen jagt oder andersherum. In weniger als einer halben Stunde entwickelten die Kinder eine komplexe Zeichensprache – sogar abstrakte Begriffe wie Leere oder Nichts wurden erklärt und verstanden. (deutschlandfunknova.de)


Wort des Jahres 2019

Das Wort „Respektrente“ ist das diesjährige Wort des Jahres geworden. Die Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) gab die Entscheidung in Wiesbaden bekannt und erklärte, das Wort habe das Jahr 2019 in besonderer Weise charakterisiert. Die „Respektrente“ stehe in Bezug zu der geplanten Einführung einer Grundrente für Menschen, die nach langjähriger Erwerbstätigkeit nur eine geringe Rente beziehen. Der Begriff hebe außerdem die besondere Fähigkeit der deutschen Sprache hervor, durch das Zusammensetzen von Wörtern nahezu unbegrenzt neue Wörter bilden zu können. Zum ersten Mal genannt wurde der Ausdruck von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Er hatte sich in der Debatte über die geplante Grundrente immer wieder dafür eingesetzt, dass Lebensleistung Respekt verdiene, und hatte gesagt: „Nennen Sie es ruhig Respektrente oder Gerechtigkeitsrente.“ Auf dem zweiten Platz für das Wort des Jahres steht der Begriff „Rollerchaos“, der sich auf die E-Roller bezieht, die in diesem Jahr vermehrt genutzt wurden und häufig in den Städten Chaos hinterließen. Die ersten zwei Plätze kommen hervorragend ohne Denglisch aus, danach kommt dann aber auch schon wieder die englische Sprache ins Spiel. Auf dem dritten Platz steht ein Anglizismus, der 2019 in aller Munde war: „Fridays for Future“. Das Wort des Jahres wird seit 1977 regelmäßig vergeben. Dabei sucht die GfdS Wörter und Wendungen, die das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben eines Jahres sprachlich in besonderer Weise bestimmt haben. (zeit.de)


Rechtschreibumfrage

Wie schreiben Sie? Rund 21 Jahre nach der Rechtschreibreform sind immer noch verschiedene Schreibweisen und orthographische Vorlieben verbreitet. Mittels einer Umfrage möchte die VDS-Regionalgruppe in Schleswig-Holstein herausfinden, welches Regelwerk bevorzugt wird. Wir freuen uns über Ihre Antworten, um durch viele Teilnehmer ein möglichst aussagekräftiges Bild zu erhalten. Die Teilnahme dauert ungefähr 4 Minuten. Leiten Sie die Umfrage gerne an Freunde und Verwandte weiter.

Hier geht es zur Umfrage: umfrageonline.com.


2. Unser Deutsch

Dingsda und Dingsbums

Man nennt diese Wörter ‚Platzhalter‘. Sie stehen für etwas, dessen Namen dem Sprecher gerade nicht einfällt oder den er nicht sagen will. „Gib mir mal das Dings da“, sagt jemand und zeigt auf etwas – so können wir uns die Erweiterung von Dings zu Dingsda erklären. Zugrunde liegt mittelhochdeutsch dinges, ein partitiver Genitiv von dinc. Diese Art von Genitiv ist heute fast ausgestorben, lebt nur noch in festen Wendungen fort, wie des Guten zuviel oder der gehobenen Wendung eine Flasche guten Weins. In unserem Fall hat sich dieser Gebrauch lexikalisiert, Dings ist zu einem eigenen Substantiv geworden. Ähnlich ist auch die Negation nichts aus einem Genitiv von nicht entstanden.

Genug der Deutung. Seit wann unser Dingsda geläufig ist, wissen wir nicht. Es taucht jedoch schon 1921 literarisch auf, in der Operette Vetter aus Dingsda von Eduard Künneke (1885-1953). Der Direktor des Berliner Theaters am Nollendorfplatz, Hermann Haller, hatte das Libretto nach einem Lustspiel von Max Kempen-Höchstedt verfasst. Dingsda war ein Ort auf der fernen Insel Java, in dem der Geliebte der Heldin aus Kindertagen lebte. Dingsda steht gleichsam für einen Ort ‚irgendwoin der Ferne‘. Der Platzhalter kann sich aber auch auf vielerlei beziehen, wofür einem das Wort nicht einfällt. Ein großes Wörterbuch zitiert einen schönen Satz aus den Memoiren von Katja Mann: „Du hast doch so einen schwarzen Dingsda für Universitätsangelegenheiten, einen Talar.“

Ähnlich kann man auch vom Dingsbums sprechen. Es hat mit dem Bums, einem ‚dumpfen Schlag‘ nichts zu tun, ist einfach nur eine Verlängerung des kurzen Dings, ähnlich wie Dingsda.

Wenn man diese Wörter in einem Digitalen Wörterbuch aufruft, werden gleich weitere hübsche Platzhalter genannt. Zum Beispiel Pipapo, das seit 1980 im Duden steht. „Mit allem Pipapo“ heißt ‚mit allem, was dazugehört‘.

Dort taucht auch das Gedöns aus norddeutscher Umgangssprache auf, das der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder bekannt machte, als er sein Ministerium für ‚Familie, Senioren, Kinder und Jugend‘ kurzerhand als Familie und Gedöns titulierte. Gedöns ist ein schillerndes Wort. Man sagt „mach kein Gedöns“ (keine Umstände) oder sagt „das ganze Gedöns“ und hat damit eine Art Sammelbegriff für Unwichtiges. So wurde Schröders Ausspruch medienweit kritisiert, war aber vielleicht nur ein ironischer Schlenker gegen die umständliche lange Bezeichnung dieses Ministeriums.

Hierher gehört auch das Brimborium. „Mach nicht so viel Brimborium“ ‚soviel Aufhebens‘, eine Entlehnung aus französisch brimborion ‚Lappalie‘, das wir zu einem lateinischen Fremdwort eingebürgert haben.

Dingsda, Dingsbums, Pipapo, Gedöns und Brimborium sind unentbehrliche Helfer im Alltagsgespräch. Linguistisch mag man sie als syntaktische ‚Platzhalter‘ einordnen, aber eigentlich sind sie viel mehr: verbale Gesten, die etwas beiseiteschieben, als belanglos, nicht wissenswert abtun. Dafür sind sie uns unentbehrlich.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de


3. Kultur

Deutsche Musik findet Gehör

Die deutsche Popgruppe „Orange Blue“ hat bislang englischsprachige Musik gemacht. Nun ist die dritte Single aus dem kommenden Album erschienen und lautet „Die Welt steht still“. Eine Art Momentaufnahme unserer aktuellen gesellschaftlichen und politischen Lage – und das erfreulicherweise sogar auf Deutsch. Pianist Vince Bahrdt erklärt, woher der Sinneswandel kommt: „Wir haben bemerkt, dass so viele Dinge, die uns heute beschäftigen, in englischer Sprache in Deutschland einfach nicht das nötige Gehör finden würden.“ Sänger Volkan Baydar ergänzt dazu: „[…] diese uns umgebende fortschreitende Akzeptanz von populistischen Aussagen tut einfach weh. Da mussten eben Songs auf Deutsch her.“ Komplett von der englischen Sprache verabschieden möchten sie sich nicht, aber Fans von deutschsprachiger Musik dürfen sich trotzdem freuen. Neben „Die Welt steht still“ wird es auf dem neuen Album nämlich noch weitere deutsche Stücke geben. (fan-lexikon.de)


4. Berichte

US-amerikanischer Blick auf die deutsche Sprachkritik

Ein Redakteur des in New York beheimateten Internetmediums The Outline hat einige Stellen in Deutschland besucht, die sich mit Sprachpflege und Sprachkritik beschäftigen, darunter die „Aktion Deutsche Sprache‟ in Hannover, die „Erlebniswelt Deutsche Sprache‟ in Köthen und Vertreter des VDS. Zu Wort (allerdings ins Englische übersetzt) kommen Wolfgang Hildebrandt, der VDS-Regionalleiter Dietmar Kinder und Bruno Klauk, der VDS-Vorsitzende Walter Krämer und der Londoner Sprachwissenschaftler Falco Pfalzgraf, der erklärt: „Der Verein Deutsche Sprache konnte Neo-Nazis aus seinen Reihen fernhalten‟. Es geht um deutsch-englischen Mischmasch in der Werbung, englische Speisekarten in Berlin, den VDS-Anglizismen-Index und um das Verhältnis zwischen Sprachpurismus und Nationalismus. (theoutline.com)


5. Denglisch

Konsumismus jetzt auch auf Englisch

Das deutsche Erntedankfest klingt nach Besinnlichkeit und vielleicht einem Gottesdienstbesuch, während das US-amerikanische Äquivalent eine etwas andere Ausrichtung aufweist. Zwar wird auch in den USA Thanksgiving nicht im Kaufhaus gefeiert, jedoch verdient der Freitag nach Thanksgiving, der sogenannte „Black Friday“, unsere Aufmerksamkeit. Zum Start ins Weihnachtsgeschäft bieten viele Einzelhändler und Versandhäuser große Rabatte an, was in den USA schon zu tumultartigen Situationen führte. Verwunderlich ist nun, dass dieser „Black Friday“ oder auch die „Black Week“ nach Deutschland überschwappte. Ohne sprachliche Übersetzung, versteht sich.

Das kann verwundern, so schätzen im Jahr 2018 nur 24 Prozent der Deutschen das Verhältnis zu den USA als gut ein. Nichtsdestoweniger werden Bräuche wie Halloween oder alltagssprachliche Verfasstheiten scheinbar kritiklos übernommen. Der Autor, Publizist und Mitherausgeber der Zeit Josef Joffe sieht den Grund darin, dass Europa seinen kulturellen Einfluss weitestgehend verloren habe. Filme und Musik, die weltweit rezipiert werden, kämen hauptsächlich aus den USA. Auch die Wissenschaft habe sich amerikanisiert – 16 der 20 besten Universitäten weltweit befänden sich in den USA.

Dieser „Verlust der europäischen Kulturhoheit schmerzt zu Recht und nährt das Ressentiment gegen die Parvenüs jenseits des Atlantiks“, so Joffe. Aber die Annäherung an die US-amerikanische Kultur wirke aufgrund der US-skeptischen Haltung der Deutschen paradox.

Auf eine simple Formel gebracht: Die Deutschen würden etwas imitieren, ohne es eigentlich zu mögen, eine Art Nachahmreflex. (zeit.de)


Weihnachtsmänner für einen guten Zweck

In Bielefeld findet am kommenden Sonntag der „Santa Run“ statt – eine Benefizaktion in Weihnachtsmannkostümen. Es soll ein gemütlicher Spaziergang für die ganze Familie durch die weihnachtlich geschmückte Stadt sein. Einzige Voraussetzung: Ein Weihnachtsmannkostüm muss getragen werden. Das Kostüm erhält automatisch jeder, der sich für den Lauf anmeldet und die Startgebühr zahlt. Die Einnahmen von den Startgebühren fließen in die Benefizaktion „Alle starten gleich! Kein Schulstarter ohne Schulranzen“. Eine nette und lustige Aktion eigentlich – einzig die Frage bleibt, wieso man dem Weihnachtsmann einen englischen Namen verpassen muss. (bielefeld.de)


6. Termine

9. Dezember, Region 20/22 (Hamburg)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Hotel Ibis Alsterring, Pappelallee 61, 22089 Hamburg

10. Dezember, Region 65 (Wiesbaden/Kelkheim)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Europa, Stadthalle Kelkheim, Gagernring 1, 65779 Kelkheim (Taunus)

11. Dezember, Region 01 (Dresden, Riesa)
VDS-Jugend-Stammtisch
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Altmarkt Dresden, 01067 Dresden

20. Dezember, Region 50/51 (Köln)
VDS-Jugend-Stammtisch
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Brauhaus am Dom in Köln
Anmeldung nötig unter: vds-stammtisch@web.de

9. Januar, Region 18 (Rostock)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Gasthaus Zum Bauernhaus Biestow, Am Dorfteich 16, 18059 Rostock

24. Januar, Region Österreich (Wien – Verein Muttersprache)
Hauptversammlung des Vereins Muttersprache mit anschließendem Festvortrag: Recht und Sprache
Zeit: 17:00 Uhr
Ort: Bezirksmuseum Floridsdorf, Prager Str. 33, 1210 Wien, Österreich

29. Januar, Region 03 (Cottbus)
Mitgliederversammlung
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Hotel Zur Sonne, Taubenstr. 7, 03046 Cottbus

IMPRESSUM

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Holger Klatte, Alina Letzel, Frank Reimer

© Verein Deutsche Sprache e. V.

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