Infobrief vom 31. Januar 2020: Rechtschreibung – wichtig oder unnütz?

1. Presseschau

Rechtschreibung – wichtig oder unnütz?

Andrea Damm / pixelio.de

Rechtschreibung ist nicht so wichtig – das findet zumindest Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg. „Kluge Geräte“ seien schließlich in der Lage, Fehler zu erkennen und Änderungen vorzuschlagen. Rechtschreibung müsse daher nicht die höchste Priorität in der Schule haben, so Kretschmann in einem dpa-Interview. Ein Grundgerüst an Rechtschreib-Kenntnissen reiche aus.

Der VDS widerspricht dieser populistischen Aussage energisch. Rechtschreibung ist der Garant für eine gelungene Kommunikation. Gerade Kretschmann als ehemaliger Biologie- und Chemielehrer sollte wissen, wie wichtig korrekte Rechtschreibung ist. Auch kluge Geräte könnten nicht die Absicht des Autors erkennen, wenn dieser sich versehentlich vertippt hat und aus einer endothermen eine exotherme Reaktion macht.

Tobias Peter vom Redaktionsnetzwerk Deutschland stellt in seinem Kommentar auch die wichtige Verbindung von Handschrift und Rechtschreibung her, die Kretschmann bagatellisiert. (welt.de, vds-ev.de, rnd.de)


Sieg gegen Genderunfug

Die Züricher Gemeinderätin Susanne Brunner hat einen Sieg gegen die Verfechter der Gendersprache errungen. Im Sommer 2019 wurde einer ihrer Anträge ans Stadtparlament zurückgewiesen, weil er nicht gendergerecht formuliert war. Brunner ging dagegen vor – und bekam jetzt vom Bezirksrat Recht. „Sprachformale Vorgaben seien keine ausreichende gesetzliche Grundlage für eine Rückweisung“, heißt es in der Begründung. Das Büro des Gemeinderats hat bereits signalisiert, nicht gegen die Entscheidung vorgehen zu wollen – der Gemeinderat selbst muss darüber noch abstimmen. Wenn er der Empfehlung seines Büros folgt, ist die Entscheidung des Bezirksrats rechtskräftig. Dies hätte sicherlich auch Folgen für die Rechtsprechung in Deutschland. (nzz.ch, blick.ch, tagesanzeiger.ch, zuonline.ch)


Verrohung der Sprache

Die Schriftstellervereinigung PEN ist entsetzt über eine neue Sprache der Verrohung, die sie seit einigen Jahren wahrnimmt. Diese dringe vom rechten Rand der Gesellschaft vor, so die PEN-Präsidentin Regula Venske. Gezielte Tabubrüche sorgten dafür, dass Sexismus und Rassismus wieder klängen wie respektable Meinungen aus der Mitte. Das Recht auf freie Meinungsäußerung sei dabei jedoch kein Freifahrtschein für Hass und Hetze. (deutschlandfunk.de)


2. Unser Deutsch

Ruhender Verkehr

Ist dieser Ausdruck nicht eine Contradictio in adiecto, wörtlich übersetzt ‚ein Widerspruch im Beiwort‘? Darunter versteht die antike Rhetorik einen Ausdruck, in dem das adjektivische Attribut in semantischem Widerspruch steht zu dem Substantiv, auf das es sich bezieht. Klassische Beispiele sind beredtes Schweigen, altes Kind, militärische Befriedung. Wenn Schweigen herrscht, wird nicht geredet. Aber der Ausdruck sagt: auch Schweigen kann eine Mitteilung sein, zum Beispiel eine Verweigerung der Auskunft. Und wenn ein Kind alt genannt wird, dann wird etwas über sein Verhalten gesagt, das seinem Kindsein widerspricht. Das ist der Kniff dieser rhetorischen Figur: Durch den semantischen Widerspruch zwischen den beiden Gliedern wird die Aufmerksamkeit auf ein auffälliges, unübliches Phänomen gelenkt. Eine andere Funktion sehen wir in der militärischen Befriedung. Hier beschönigt der Ausdruck den militärischen Einsatz als Instrument der Friedenswahrung. Wir werden gleich an die sogenannte Friedensgrenze der ehemaligen DDR erinnert, die mit Waffengewalt aufrechterhalten wurde.

Wohin gehört der ruhende Verkehr? Gemeint sind haltende oder parkende Autos im öffentlichen Verkehrsraum. Sie unterliegen kommunaler Überwachung, bei Nichtbeachtung der Regeln gibt es Knöllchen oder Strafanzeige. Verkehr aber ist ‚Beförderung oder Bewegung von Fahrzeugen‘. Wenn er ruht, ist er im Grunde kein Verkehr mehr. Mit dem harmlos scheinenden Ausdruck ruhender Verkehr wird auch die Nicht-Bewegung der Fahrzeuge als Teil des öffentlichen Straßenverkehrs definiert und anerkannt. Das ist die Beschönigung eines Unwesens, das zunehmend zum Skandal wird: Die Verbarrikadierung der Straßenränder und der Bürgersteige durch parkende Fahrzeuge. Dieser Raum soll dem fließenden Verkehr dienen, nicht dem kostenlosen Abstellen. Allenfalls Anhalten (maximal drei Minuten) kann als Teil der Verkehrsbewegung angesehen werden. Aber schon das verbreitete Halten in zweiter Reihe mit Warnblinken, das sich Zulieferer jeglicher Art zu eigen machen, überschreitet dies Recht. Busse müssen sich im Slalom durch die Straßen winden, weil rechts und links alles vollgeparkt ist. Für Radler ist kaum Platz und Fußgänger sind überhaupt die Letzten im Straßenverkehr. Mit der Erlaubnis des Parkens auf öffentlicher Straße wird dem Auto ein unangemessener Vorrang eingeräumt. Verkehr wird im wesentlichen als Autoverkehr, ja überhaupt als Benutzung von Autos verstanden, die auch ruhen dürfen. So dient der Ausdruck ruhender Verkehr zur Verschleierung des Umstands, dass dies gar kein Verkehr ist und dass dies auch gar nicht kostenfrei gestattet werden muss. Verkehr ist eben nur die fließende Bewegung im öffentlichen Verkehrsraum, sei es durch Autos, Radler, Roller oder Fußgänger. Ihnen ist der begrenzte Raum zu verteilen nach Gesichtspunkten der Ökologie, des flüssigen Fortkommens und natürlich der Vermeidung gegenseitiger Gefährdung. Auf den Ausdruck ruhender Verkehr fürs Parken kann verzichtet werden, wenn man es nicht mehr gestattet.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de

3. Kultur

Sprache und Diskriminierung

Die deutsch-türkische Journalistin und Bloggerin Kübra Gümüşay hat ein Buch über Sprache und Diskriminierung geschrieben. Sprache bedeute ein Stück weit auch immer „Grenze“. Dinge, die benannt werden könnten, werden häufig als streng abgesteckt wahrgenommen und sprachlich fixiert. Wichtig sei es deswegen, sich dieser Grenzen bewusst zu werden und sie zu hinterfragen. Menschlich zu sprechen sollte das Ziel jeder Kommunikation sein. (deutschlandfunk.de)


Plattdeutsch finanziell gefördert

Das Institut für niederdeutsche Sprache (INS) setzt sich in Bremen für den Erhalt des Plattdeutschen ein. Mehr als 35 000 plattdeutsche Bücher stehen bereits in der Bibliothek des Instituts, und als nächstes großes Projekt soll ein Tonarchiv entstehen, in dem Schallplatten, CDs und Tonspuren von Videos mit plattdeutschen Texten gesammelt werden. Um das INS in seiner technischen Aufrüstung für das Vorhaben zu unterstützen, hat die VR-Stiftung der Volks- und Raiffeisenbanken dem Institut eine Spende in Höhe von 5000 Euro überreicht. Damit solle das INS als „einzigartige Institution“ gefördert werden – es leiste wichtige Arbeit, damit die plattdeutsche Sprache erhalten bleibe, und kooperiere unter anderem mit Schulen, Kindergärten, Musikern, Medien- und Theatergruppen. (nwzonline.de)


Wegweiser für die deutsche Grammatik

Ingeborg-Veronika Reinhardt hat seit ihrer Kindheit davon geträumt, irgendwann mal ein Buch zu schreiben. Dass es ein Werk über die deutsche Grammatik werden würde, hätte sie allerdings nicht erwartet. Normalerweise schreibt Reinhardt Gedichte, hat nun aber ihr erstes Buch auf den Markt gebracht. „Aufbau und Regeln der deutschen Sprache. Ein Wegweiser durch die Grammatik“ nennt es sich und soll uns dienen, wenn wir mal wieder Lust verspüren, der Grammatik auf den Grund zu gehen oder dieselbe aufzufrischen. (niederrhein-nachrichten.de)


4. Denglisch

Anglizismus des Jahres

„… for future“ ist der Anglizismus des Jahres. Das hat die Jury der Initiative Anglizismus des Jahres mitgeteilt. Er sei ein positiver Zuwachs zur deutschen Sprache und bereichere sie. Grund sei die zentrale Bedeutung, die der Zusatz zur Klimaschutzdebatte habe. Die Bewegung „Fridays for future“ habe ihn etabliert. Publikumsliebling bei der Abstimmung war der Begriff „Ok Boomer“, der als kurze und prägnante Ablehnung stereotyper Ansichten der Baby-Boomer-Generation verwendet wird. (zeit.de)


5. Termine

5. Februar, Region Österreich (Wien)
Stammtisch des Jungen VDS
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Siebensternbräu, Siebensterngasse 19, 1070 Wien

6. Februar, Region 28 (Bremen)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Lesumer Hof, Oberreihe 8, 28217 Bremen

7. Februar, Region 42 (Wuppertal, Remscheid, Solingen)
Ausstellungseröffnung mit Karikaturen von Friedrich Retkowski (im 1. OG)
Zeit: 17:00 Uhr
Ort: Stadtbibliothek Solingen, Mummstr. 10, 42651 Solingen

10. Februar, Region 65 (Wiesbaden/Kelkheim)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Europa, Stadthalle Kelkheim, Gagernring 1, 65779 Kelkheim (Taunus)

10. Februar, Region 20/22 (Hamburg)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Hotel Ibis Alsterring, Pappelallee 61, 22089 Hamburg

14. Februar, Region 24 (Kiel, Flensburg)
Mitgliedertreffen, anschließend Mythenerzählung: Thor bei Utgardloki
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Hotel Hohenzollern, Moltkestraße 41, 24837 Schleswig

18. Februar, Region 57 (Siegen)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Landgasthof Merje, Kredenbacher Str. 18, 57223 Kreuztal-Kredenbach

20. Februar, Region 18 (Rostock)
Regionalversammlung mit Fernsehvorführung: Dieter Nuhr Jahresrückblick 2019
(Anmeldung erforderlich)
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Gasthaus Zum Bauernhaus Biestow, Am Dorfteich 16, 18059 Rostock

27. Februar, Region 18 (Rostock)
Vortrag von Otto Ringel: Humorvoller Streifzug durch die deutsche Sprache
(Anmeldung erforderlich)
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Gasthaus Zum Bauernhaus Biestow, Am Dorfteich 16, 18059 Rostock

27. Februar, Region 70/71/73/74 (Stuttgart, Nordwürttemberg)
Regionalversammlung
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Brauereigaststätte Dinkelacker, Tübinger Str. 46, 70178 Stuttgart

29. Februar, Region 72/78 (Bodensee/Ostschwarzwald)
Mitgliedertreffen
Zeit: 15:00 Uhr
Ort: Café Reiter, Haldenstr. 11, 78166 Donaueschingen


IMPRESSUM

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Holger Klatte, Alina Letzel, Dorota Wilke

© Verein Deutsche Sprache e. V.

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