Infobrief vom 8. Februar 2020: Sprache der Gewalt

1. Presseschau

Sprache der Gewalt

Bild: Burkard Vogt / pixelio.de

Worte können Balsam sein, aber auch verletzen – und zwar beabsichtigt und unbeabsichtigt. Sprache als Kränkung zu benutzen, ist dabei so alt wie die Menschheit selbst, allerdings ist die Wirkung dieser Funktion erst seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts zum Inhalt von wissenschaftlichen Untersuchungen geworden. Die „Hass-Rede“, wie sie in den vergangenen Jahren immer häufiger im Internet zu finden ist, ist dabei eine neue Stufe der wörtlichen Gewalt. Claudia Mäder kommt in ihrem Kommentar jedoch zu dem Schluss, dass Worte eine andere Ebene der Verletzbarkeit darstellen. Diese Ebene kann vom Empfänger selbst bestimmt werden: „Zu einem harten Schlag aufs Schienbein kann sich ein Mensch nicht selbstbestimmt verhalten, sein Knochen bricht, ob er es will oder nicht. Zu Worten dagegen, die einem an den Kopf geworfen werden, kann man, wenn auch vielleicht erst nach einem Schock, eine eigene Haltung einnehmen und demnach über ihre Wirkung mitbestimmen.“ Das heißt: Der Sprecher kann eine Beleidigung beabsichtigen, aber sie kann durchaus ins Leere laufen. Dafür muss sich der Betroffene aber aus seiner Opferrolle herausbewegen und lernen, eine starke Gegenposition einzunehmen. (nzz.ch)


SPIEGEL jetzt mit Gendersprech

Der Betrugsfall Claas Relotius war für die Zeitschrift Spiegel der Anlass, sich selbst einen Leitfaden für besseren, transparenten und qualitativ hochwertigen Journalismus zu geben. In mehreren Arbeitsgruppen wurden Ist-Zustände erfasst, anschließend entstand ein Leitfaden, an den sich alle Spiegel-Beschäftigten halten sollen. Neben Hinweisen zum Umgang mit Quellen und Zitaten geht es in dem Leitfaden auch um sprachliche Feinheiten. Dabei geht der Spiegel ab sofort den Weg, Texte zu gendern: „Das generische Maskulinum soll nicht mehr Standard sein. Alle streben an, in ihren Texten beide Geschlechter abzubilden. (…) Oft lassen sich Sätze so formulieren, dass gar keine Wörter vorkommen, die eindeutig Männer oder Frauen bezeichnen (Studierende statt Studenten, Lehrkräfte statt Lehrer et cetera).“ (SPIEGEL-Standards, S. 31). Der Spiegel verabschiedet sich aus Sicht des VDS damit von lesbarer und verständlicher Sprache.

Ganz anders die F.A.Z., zumindest laut Aussage von Herausgeber Werner D‘Inka. Der schrieb als Antwort auf einen Leserbrief: „da, wo wir es selbst in der Hand haben, bleiben wir beim sogenannten generischen Maskulinum“. Wenn er aus Gender-Gründen gezwungen würde, „Steht auf, wenn ihr Schalkende seid“ zu singen, ginge er nicht mehr ins Stadion. (FAZ von Montag, 3.2.20, spiegel.de, spiegel.de (pdf))


„Geh ich Fußballplatz“

Die meisten Deutschen mögen ihre Sprache – aber sie machen sich Sorgen, dass diese mehr und mehr verkommt. Das ist eines der Ergebnisse des Erfurter Instituts INSA CONSULERE GmbH im Auftrag der Theo-Münch-Stiftung für die Deutsche Sprache in Düsseldorf. In Sachen Gendersternchen und Co. ist erneut klar geworden: Die meisten Befragten (über 60 Prozent) lehnen solche Konstruktionen ab. Nur 9 Prozent halten sie für sehr wichtig. Umso verwunderlicher ist es, dass öffentliche Stellen verstärkt auf die Stimme einer Minderheit hören, die keinen Rückhalt in der Bevölkerung hat. Dass die Deutsche Sprache immer mehr verkommt, sagen 61 Prozent der knapp 2.080 Befragten. Als besonders schädlich und zerstörerisch werden dabei reduzierte Sprechweisen und die verschiedenen Formen des sogenannten „Kiezdeutsch“ gesehen (zum Beispiel „Geh ich Fußballplatz“). Generell beklagten die Befragten ein sinkendes Bildungsniveau und eine allgemeine Verrohung der Sprache. Anglizismen halten 44 Prozent der Befragten für schädlich. (epochtimes.de)


Anwalt lehnt maskulin formulierte Schriftsätze ab

Mit einem eher ungewöhnlichen „Statement“ hatte es jetzt das Berliner Landgericht zu tun. Es verhandelt aktuell eine Klage gegen mehrere Bewohnerinnen eines Hauses, die sich selbst als „anarcha-queer-feministisches Hausprojekt“ bezeichnen. Der Anwalt der Beklagten hatte einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter gestellt, weil dieser in Schriftsätzen nur die maskuline Form genutzt hatte – Kernanliegen seiner Mandantinnen sei jedoch gerade die Geschlechterneutralität, so der Anwalt. Da der Antrag zurückgestellt werden sollte, verließ er kurzerhand die Verhandlung und nahm im Zuschauerbereich Platz. (bz-berlin.de)


2. Unser Deutsch

Brief

Stirbt der handgeschriebene Brief? Zuvor sei dem Wort eine Glosse gewidmet. Wort und Sache haben eine lange Geschichte. Schon früh wurde spätlateinisch brēve in alle altgermanischen Sprachen entlehnt, das eine Vorstufe hat in brevis libellus ‚kurzes Schriftstück‘. Das neue Lehnwort markiert gleichsam die Adaption lateinischer Schriftkultur durch die germanischen Völker.

Ursprünglich bezeichnete althochdeutsch briaf eine ‚Urkunde‘, eine ‚kurze Niederschrift‘, was heute noch in Zusammensetzungen wie Schuldbrief, Meisterbrief, Frachtbrief oder der Wendung mit Brief und Siegel und dem Verb verbriefen fortlebt. Die spätere Briefkultur entwickelte sich mit der Verbreitung von Schreiben und Lesen sowie dem Postwesen, das einen schnellen Transport der papiernen Fracht ermöglichte. Briefsteller leiteten zum Briefeschreiben an. So schreibt Christian Fürchtegott Gellert in seiner ‚Practischen Abhandlung von dem guten Geschmack in Briefen‘ von 1751: „Das erste was uns bey einem Briefe einfällt, ist dieses, daß er die Stelle eines Gesprächs vertritt.‘ In der Tat liegt die Besonderheit des Briefes in der Simulation des Gesprächs, in der Nähe zum Adressaten, als säßen oder als stünden sie sich gegenüber. Die Vielfalt von Grußformeln, von Stillagen und Themen macht den Reichtum der Textsorte aus. Das belegen aufs anschaulichste die ca. 20.000 Briefe Johann Wolfgang Goethes an 1.700 Adressaten. Die meisten wurden „aufs Papier gesprochen“, wie er es nannte, also diktiert, korrigiert und dann von fremder Hand ins Reine geschrieben.

Mit der Einführung des Telefons verloren Briefe alsbald ihre kommunikative Bedeutung. Mit Verzögerung in der ehemaligen DDR. Solange nur Ärzte, Pastoren, Ämter und Parteifunktionäre ein Telefon haben durften, blieb die private Briefkultur intakt. (Soweit nicht die Sorge vor der Zensur eine Grenze setzte.) Meine Frau und ich haben über ein halbes Jahr täglich einen Brief ausgetauscht, zwischen Ost und West. Heute unvorstellbar. Hier hat die digitale Revolution einen Kahlschlag erzeugt. Kurioserweise lebt jedoch in dem Kurzwort SMS (Short Message Service), das lateinische brevis semantisch fort. Nun ist sogar die Höchstlänge nach Zahl der Buchstaben vorgegeben. Andererseits hat das Mailen an PC, Tablet oder Handy den Schriftkontakt und die schnelle Antwort ungemein erleichtert. Auch wenn die persönliche Handschrift oftmals aufs Unterschreiben, die Beurkundung, verkürzt wurde, die neue Technik hat dem schriftlichen Gespräch eine neue Zukunft gegeben.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de

3. Kultur

Punk-Pop jetzt auf Deutsch

Die deutsche Punk-Pop-Band Itchy bringt nach sieben englischsprachigen Alben jetzt ihr erstes auf Deutsch raus. Der Sänger Sebastian Hafner hat dabei festgestellt, dass das Texten der Lieder jetzt anders vonstatten geht: „Im Englischen kann es schon mal einen Füllersatz geben, der nicht konkret etwas anspricht. Uns waren gute Texte zwar immer wichtig, aber die deutsche Sprache verzeiht nichts.“ Man könne sich nicht mehr durch Plattitüden retten, jetzt müsse man drauf achten, dass jede Zeile etwas Wichtiges zum Lied beiträgt: „Wir wollten Bilder zeichnen mit der Sprache, das macht dann etwas mit dem Zuhörer“, so Hafner. Das Texten in einer neuen Sprache hat außerdem dafür gesorgt, dass die Kreativität aus den drei Musikern nur so heraussprudelte. Fast 50 neue Lieder wurden geschrieben, von denen es natürlich nur ein kleiner Teil aufs Album geschafft hat. (fan-lexikon.de, stern.de)


Schwierigste Sprache der Welt

Wer verschiedene Sprachen neben seiner Muttersprache gelernt hat, der weiß: Einige gehen einem leichter von der Zunge, andere weniger. Ein Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie hat festgestellt, dass eine Sprache schwieriger zu lernen ist, je weniger sie mit der eigenen Muttersprache verwandt ist. Darüber hinaus gibt es verschiedene Faktoren, die eine Sprache erschweren, zum Beispiel eine komplizierte Grammatik oder die Veränderung auf phonetischer Ebene. Ein Beispiel sei das Chinesische: Von der Wortbildung ist es verhältnismäßig einfach, jedoch ergeben eine andere Betonung oder Melodik einen ganz andere Bedeutung. Ein schwedischer Linguist hat weitere Faktoren benannt, zum Beispiel nasalierte Vokale, verschiedene Zeitformen und Höflichkeitsfloskeln. Als besonders komplex und schwierig wurde Burashaski eingeordnet, eine Sprache im Norden Pakistans, die von rund 100.000 Menschen gesprochen wird. Spanisch hingegen sei zwar komplex, aber wegen seiner Regelmäßigkeit dennoch leicht zu lernen. Insgesamt habe sich gezeigt: Je mehr eine Sprache sich ausbreitet und je stärker sie von verschiedenen Gruppen übernommen wird, desto leichter ist sie zu lernen. (swr.de)


4. Denglisch

Maker Education für Schüler

Unsere Welt wird immer technischer. Leider zieht das auch mit sich, dass es überall, wo von technischem Fortschritt die Rede ist, nur so von Anglizismen wimmelt. Die Zeitschrift bildung+ hat einen Artikel zum Thema technische Bildung in der Schule veröffentlicht – und bereits in der Überschrift sind von sieben Wörtern nur drei deutsch. „Maker Education ‚meets‘ Ingenieure ohne Grenzen Challenge“ lautet der Titel des Beitrags, welcher auf die „Maker Education“ als Eckpfeiler einer zukunftsfesten technischen Bildung für Schüler hinweist. Um sich auf den technischen Wandel der Welt vorzubereiten, müsse man schon früh die sogenannten „Future Skills“ ausbilden, die für die Gestaltung von transformativen Technologien notwendig seien. Dafür gibt es den „Maker Space“, in dem man zusammenkommt, um eigene technische Projekte zu realisieren und die Gestaltung von Technik zu lernen. (friedrich-verlag.de)


Toy Award für die besten Spielzeuge

Auf der Spielwarenmesse in Nürnberg wurden die Sieger des „Toy Award“ geehrt – eine Auszeichnung für die kreativsten und hochwertigsten Produkte aus der Spielzeugwelt. Dabei wurde in den fünf Kategorien Baby, Vorschule, Schulkinder, Teenager und Start-Up jeweils das beste Spielzeug ausgezeichnet. Als wäre der Name des Spielzeugpreises („Toy Award“) nicht schon genug Denglisch, trägt auch jedes einzelne Spielzeug einen englischen Namen. Hier die diesjährigen Preisträger: Calculix number bricks, Playmobil 1.2.3 Aqua, Knight‘s Castle Ball Track, Balloon Puncher und Mystery House. (boerse-express.com, nuernberger-blatt.de)


5. Termine

7. Februar, Region 42 (Wuppertal, Remscheid, Solingen)
Ausstellungseröffnung mit Karikaturen von Friedrich Retkowski (im 1. OG)
Zeit: 17:00 Uhr
Ort: Stadtbibliothek Solingen, Mummstr. 10, 42651 Solingen

10. Februar, Region 65 (Wiesbaden/Kelkheim)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Europa, Stadthalle Kelkheim, Gagernring 1, 65779 Kelkheim (Taunus)

10. Februar, Region 20/22 (Hamburg)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Hotel Ibis Alsterring, Pappelallee 61, 22089 Hamburg

12. Februar, Region 97 (Würzburg)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Gaststätte Am Stift Haug, Textorstr. 24, 97070 Würzburg

12. Februar, Region 52 (Aachen)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Soers Hotel-Restaurant, Krefelder Str. 86, 52070 Aachen

12. Februar, Region 76 (Karlsruhe, Baden-Baden)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Hotel Leonardo, Ettlinger Str. 23, 76137 Karlsruhe

14. Februar, Region 24 (Kiel, Flensburg)
Mitgliedertreffen, anschließend Mythenerzählung: Thor bei Utgardloki
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Hotel Hohenzollern, Moltkestraße 41, 24837 Schleswig

18. Februar, Region 57 (Siegen)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Landgasthof Merje, Kredenbacher Str. 18, 57223 Kreuztal-Kredenbach

20. Februar, Region 18 (Rostock)
Regionalversammlung mit Fernsehvorführung: Dieter Nuhr Jahresrückblick 2019
(Anmeldung erforderlich)
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Gasthaus Zum Bauernhaus Biestow, Am Dorfteich 16, 18059 Rostock

27. Februar, Region 18 (Rostock)
Vortrag von Otto Ringel: Humorvoller Streifzug durch die deutsche Sprache
(Anmeldung erforderlich)
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Gasthaus Zum Bauernhaus Biestow, Am Dorfteich 16, 18059 Rostock

27. Februar, Region 70/71/73/74 (Stuttgart, Nordwürttemberg)
Regionalversammlung
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Brauereigaststätte Dinkelacker, Tübinger Str. 46, 70178 Stuttgart

29. Februar, Region 72/78 (Bodensee/Ostschwarzwald)
Mitgliedertreffen
Zeit: 15:00 Uhr
Ort: Café Reiter, Haldenstr. 11, 78166 Donaueschingen

9. März, Region 20/22 (Hamburg)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Hotel Ibis Alsterring, Pappelallee 61, 22089 Hamburg

10. März, Region 65 (Wiesbaden/Kelkheim)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Europa, Stadthalle Kelkheim, Gagernring 1, 65779 Kelkheim (Taunus)

IMPRESSUM

Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Holger Klatte, Alina Letzel, Dorota Wilke

© Verein Deutsche Sprache e. V.

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