1. Presseschau
Verarbeitung von Musik und Sprache im Gehirn
Sprache und Musik ähneln einander akustisch. Das Gehirn nutzt kleine Unterschiede, um Wörter und Melodien in ein- und derselben Schallwelle auseinanderzuhalten, darüber berichtet Eva Obermüller in science.ORF über ein Forschungsprojekt der kanadischen McGill-Universität. Sprache wird vor allem in der linken Gehirnhälfte, Musik vor allem in der rechten verarbeitet. Eine Sonderform bildet dabei der Gesang – hier werden Text und Musik miteinander verbunden, sodass sich keine klare Grenze zwischen musikalischer und sprachlicher Verarbeitung ziehen lässt. Eine aktuelle Studie der kanadischen McGill University bestätigt dies: Wer Musik mit Gesang hört, nutzt beide Gehirnhälften für die Verarbeitung, jedoch nicht gleichermaßen. Je nachdem, ob der Fokus auf dem sprachlichen oder dem melodischen Aspekt der Musik liegt, ist entweder die linke oder die rechte Hälfte aktiver. (science.orf.at)
Markanter Kasus
In der FAZ beschäftigt sich der Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg mit dem Wandel der Kasusformen im Deutschen. Beim Dativ sei der Wegfall des Dativ-e (bei Tage) vom 14. bis 18. Jahrhundert zunehmend zu beobachten. Die heute übliche Auslautverhärtung bei Dativ-Formen (im Haus) sei für das Deutsche typisch.
Den Genitiv regieren heute nur noch wenige Verben: eines Unrechts beschuldigen. Die Gründe für diesen Rückzug seien vielfältig und komplex, so Eisenberg. Diese auch noch im heutigen Deutsch „einheitlichste und markanteste Kasusmarkierung‟ wurde so stark, „dass sie wegen auditiver Penetranz wieder rückgebaut werden musste‟. Mit anderen Worten: Die Sprecher konnten den Genitiv nicht mehr hören. So schrieb Goethe noch „gutes Mutes‟ und „schnelles Schrittes“. Eine ähnliche Entwicklung macht derzeit „dieses Jahres‟ durch. „Der Akkusativ sieht aus wie der Gewinner des Gegenwartsdeutschen‟, schließt Eisenberg. Seine Stärke beruhe nicht nur auf der großen Zahl, sondern ebenso auf seiner syntaktischen Flexibilität (oder laienhaft, aber weniger genau gesagt: um wieviel leichter der Akkusativ über die Zunge geht).
Kostenpflichtiger Beitrag: faz.net.
Wie sprechen wir über Behinderungen?
Sprache beeinflusst unsere Wahrnehmung – wenn wir Menschen mit Behinderung bewundern, weil sie „trotz ihrer Behinderung“ einkaufen gehen oder Dinge unternehmen, dann vermittelt das den Eindruck, die Behinderung sei eine schmerzhafte Bürde, unter der der Betroffene leide. Raúl Aguayo-Krauthausen, Blogger, Moderator, Menschenrechts- und Inklusionsaktivist kritisiert dies. Anstatt davon zu erzählen, dass jemand „tapfer sein Schicksal meistert“, könne man doch darüber reden, mehr Aufzüge zu bauen oder barrierefreie Schulmaterialien zu erfinden. Auch die Perspektive sei hierbei wichtig: Nimmt man die Person mit Behinderung als Problem für die Gesellschaft wahr, für das es Lösungen zu finden gilt? Krauthausen argumentiert, dass zu selten gefragt werde, ob nicht die Gesellschaft das Problem für den Behinderten sei. (taz.de)
Freundlicher schreiben mit Algorithmus
Die Aachener Nachrichten stellen (hinter einer Bezahlschranke) die Firma Precire vor, die Muster für die Sprachanalyse im offiziellen und geschäftlichen Schriftverkehr entwickelt. Die Firma misst die Wirkungsweise von Sprache auf einer Grundlage von 38 Millionen Datensätzen und erstellt daraus ein persönliches Kommunikationsprofil. Die Nutzer (zum Beispiel Führungskräfte oder Telefondienstmitarbeiter) werden so angeleitet, freundlicher und motivierender zu sprechen oder zu schreiben. Auch die Sprache von Bewerbern kann auf diese Weise ausgewertet werden. Wenn die Sprache der Chefin also zunehmend floskelhaft erscheint, könnte es sein, dass sie Kunde von Precire ist.
Eine solche Bewertung der menschlichen Sprache anhand psychologischer Merkmale durch Künstliche Intelligenz kann auch zu pauschalen Urteilen führen. Deswegen hat der Verein Digitalcourage die Firma im Jahr 2019 mit dem „Big Brother Award‟ ausgezeichnet – für „wissenschaftlich zweifelhafte, wahrscheinlich rechtswidrige und gefährliche Sprachanalyse‟. Der Chef der Firma, Thomas Belker, will als Antwort darauf einen „TÜV für Algorithmen‟ einführen. (aachener-nachrichten.de)
Gendersprache in der öffentlichen Kommunikation
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will künftig geschlechtergerechte Sprache nutzen. Bereits vor mehreren Jahren gab die EKD zusammen mit dem Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung ein Faltblatt heraus mit dem Titel „Sie ist unser bester Mann! – Wirklich? Tipps für eine geschlechtergerechte Sprache“. Nun wurde vom Rat der EKD offiziell beschlossen, sich für die öffentliche Kommunikation nach geschlechtergerechten Formulierungen zu richten.
Über die Frage, ob die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender Gendersprache verwenden sollten, wird am kommenden Samstag im Deutschlandfunk diskutiert: in der Sendung „Streitkultur‟ am 27.6. ab 17:05 Uhr. (evangelisch.de, deutschlandfunk.de)
2. Unser Deutsch
brutto und netto
Brutto und netto gehören zu den bekanntesten Fremdwörtern unserer Alltagssprache. Fremd sind sie aber nur in lautlicher Hinsicht, wegen des -o am Wortende. Denn im Deutschen waren die vollen Auslautvokale bereits im Mittelalter zu einem schwachen –e, linguistisch Schwa genannt, vereinfacht worden. Die Bedeutung ist uns aus täglichem Gebrauch vertraut: Gehalt, Lohn und Rente werden brutto berechnet, aber – nach Abzug von Steuer, Sozialversicherung, Soli u.a. – kommt netto weniger raus. Brutto = netto gibt es nur bei Käsch in de Täsch.
Woher kommen diese Wörter, warum haben sie ihre fremde Form bis heute bewahrt? Beide wurden in der Frühen Neuzeit aus dem Italienischen entlehnt. Damals florierte der Handel zwischen den deutschen Handelsstädten diesseits der Alpen mit den Partnern in Italien. Im kaufmännischen Rechnungswesen waren die Italiener führend. Sie haben uns ein ganzes Paket von Fachtermini vererbt, die meisten auf –o wie Giro, Konto, Saldo, Ultimo, Porto, Skonto, franko. Auch der Bankrott hat südliche Wurzeln: banca rotta wörtlich ‚zerbrochener Wechseltisch‘. Während Bankrott in der Gemeinsprache heimisch wurde und eine gewisse vereinfachende Integration erfuhr, haben die Fachtermini des Geldwesens ihre ursprüngliche Form erhalten, sie gehören zum internationalen Wortschatz der Finanzwelt.
Das Wortpaar brutto und netto bezog sich ursprünglich auf die Berechnung einer Ware, mit bzw. ohne Verpackung. Darauf macht Lessing (1778) aufmerksam: Man wird doch nimmermehr in Hamburg den ganzen Unterschied zwischen Brutto und Netto wollen streitig machen? Seit Beginn des 19. Jahrhunderts wird die Bedeutung erweitert: brutto heißt ein Zahlungsbetrag ‚ohne Abzüge‘, netto ‚nach Abzug der Kosten, Steuern, etc.‘ So nimmt netto zunehmend die Bedeutung ‚ausgezahlter Betrag, bares Geld‘ an.
Die Handelskette NETTO macht sich diese Bedeutung werbend zu eigen. Beide Adjektive sind überdies in zahlreichen Zusammensetzungen präsent: Mit der Bruttoregistertonne (BRT) wird der gesamte Rauminhalt eines Schiffes gemessen, das Bruttosozialprodukt bezeichnet den ‚Wert aller Dienstleistungen und Produkte einer Volkswirtschaft‘, das Nettoeinkommen ist der Betrag nach Abzug aller Abgaben, das Nettogewicht ist das Reingewicht einer Ware ohne Verpackung. Mit dieser Erweiterung haben brutto und netto unsere Alltagssprache erreicht. Und sie haben auch unser Deutsch verändert. Deutsche Wörter dürfen jetzt auf -o auslauten wie Toto, Kino, Popo oder auf –a wie Prokura und Valuta, Firma und Papa, lila und prima. Unsere Sprache mischt sich nicht nur mit entlehnten Wörtern, sie mischt sich auch in Lautung und Schreibung. Das lehrt uns brutto und netto.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de
3. Kultur
Deutsch in Dänemark
Nachdem das Interesse an der deutschen Sprache in Dänemark in den vergangenen Jahren rückläufig war, wurde nun ein Programm entworfen, um dem entgegenzuwirken. Der Kontaktausschuss für die Deutsche Minderheit in Nordschleswig traf sich und diskutierte über verschiedene Vorschläge, wie man wieder mehr Begeisterung für die deutsche Sprache wecken könne. Hauptziel sei, dass Deutsch in Nordschleswig einen höheren Status als den einer Fremdsprache erhalte. Dafür sollte unter anderem der Deutschunterricht gestärkt werden. Auch für die Kultur ist Neues geplant: Ein Deutsches Museum soll in Sonderburg geöffnet werden.
Passend dazu ist kürzlich im IFB-Verlag das Buch „Grenzsprachen“ erschienen, es enthält Aufsätze über Sprachen im Gebiet der deutsch-dänischen Grenze. Niederdeutsch, Friesisch, Hochdeutsch, Dänisch und Synnejysk (Südjütisch) sind die Sprachen, die in Schleswig gesprochen werden. (nordschleswiger.dk, letzpaint.com)
Musik zwischen den Zeilen
Die Berliner Musikerin Elen hat ihr zweites Album herausgebracht. Nachdem das erste englischsprachig war, hat sie sich nun entschieden, die neue Platte auf Deutsch zu produzieren. Dadurch seien die Texte sehr persönlich geworden, erzählt sie. Sie habe gemerkt, dass ihr Englisch nicht gut genug sei, also habe sie beschlossen, künftig auf Deutsch weiterzumachen. Auch funktioniere manches auf Deutsch einfach besser – so beispielsweise das „Zwischen-den-Zeilen-Ding“. Die Themen, die Elen in ihren Liedern anspricht, tragen oft eine Art Melancholie in sich: Sucht, Leere, zerstörte Freundschaften und Sehnsüchte prägen ihre Texte, hier und da jedoch mit einem fröhlich selbstironischen Unterton. (volksstimme.de)
4. Berichte
Anstoß – ein Buch für jeden Schulanfänger
Die Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg verteilt derzeit mit der Aktion „Anstoß – ein Buch für jeden Schulanfänger“ bereits zum zwölften Mal ein Lesebuch an die rund 5.700 Erstklässler Nürnbergs. Auch in diesem Jahr wird die Aktion durch eine finanzielle Förderung der Nürnberger Manfred-Lochner-Stiftung in Höhe von 10 000 Euro möglich, die zweckgebunden über den Verein für Deutsche Sprache e. V. der Stadtbibliothek zur Umsetzung des Projekts zur Verfügung gestellt werden. Eigentlich sollte Ende April ein großes Lesefest in der Stadtbibliothek Zentrum mit vielfältigen Lese- und Vorleseaktionen für Schulanfänger und ihre Eltern stattfinden. Das Lesefest musste wegen der Corona-Einschränkungen abgesagt werden. (nuernberg.de)
Je länger, desto hartnäckiger
VDS-Mitglied und Rotarier Wiard Raveling untersucht in einem Internetbeitrag den Werdegang von Corona-Anglizismen. „In den Medien hört und liest man zunächst noch häufig das Wort ‚sogenannt‘: Das Abstandhalten, das sogenannte ‚Social Distancing‘, aber bald wird man ‚sogenannt‘ weglassen‟. Je länger es dauere, desto hartnäckiger würden sich die Anglizismen halten, schreibt Raveling. Als eine der wenigen kritischen Stimmen nennt er den VDS. Bekanntlich hat der Verein die öffentlich-rechtlichen Nachrichten wegen der Verbreitung von Corona-Denglisch zu Kandidaten für den Sprachpanscher des Jahres gemacht. (rotary.de)
Rastatt bleibt VDS-Mitglied
Der Gemeinderat der Stadt Rastatt hat beschlossen, die seit 2007 bestehende korporative Mitgliedschaft im VDS fortzusetzen. Ratsmitglied Jonas Weber (SPD) hatte beantragt, die Mitgliedschaft zu überdenken. Auch Oberbürgermeister Hans Jürgen Pütsch (CDU) erklärte, er sehe keinerlei Nutzen in der Mitgliedschaft. Hier wäre allerdings richtigzustellen, dass auch die Stadt Rastatt als VDS-Mitglied die kostenlose VDS-Sprachberatung nutzen, die VDS-Zeitschrift Sprachnachrichten in Kultureinrichtungen auslegen, Referenten zu Sprachthemen anfragen und Unterstützung bei Kulturprojekten mit sprachlichen Schwerpunkten bekommen könnte. Die Mehrheit im Gemeinderat hat sich nun dafür ausgesprochen, dass Schutz, Erhalt und Förderung einre klaren und für alle verständlichen deutschen Sprache Ziele sind, für die auch die Stadt Rastatt einstehen kann.
Kostenpflichtiger Beitrag: badisches-tagblatt.de.
2020 kein Kulturpreis Deutsche Sprache
Die für den 24. Oktober vorgesehene 20. Verleihung des Kulturpreises Deutsche Sprache fällt wegen der Corona-Krise aus. Einlasskontrollen, Abstandsgebote und Mundschutz wären den Preisträgern nicht gerecht geworden und hätten den festlichen Rahmen beeinträchtigt, erklärte die Jury. Die Preisverleihung sowie die Jubiläumsfeier werden im nächsten Jahr, am 16. Oktober 2021, im Kongress Palais Kassel nachgeholt. Der Kulturpreis Deutsche Sprache wird seit 2001 für besondere Verdienste um die deutsche Sprache vergeben. (deutschlandfunk.de)
5. Denglisch
Kitzinger Freibad hebt ab
Das Kitzinger Freibad „aqua-sole“ öffnet. Man muss eine Zeit buchen, wenn man ins Bad will: Zeitraum 1 (9-11 Uhr) oder Zeitraum 2 (12-20 Uhr); aber nein, es heißt „slot1“ und „slot2“ – ganz wie bei Flugzeugen am Flughafen für Starts und Landungen. Bernhard Sturn, VDS-Regionalleiter aus Kitzingen schrieb an die Stadtverwaltung: „Die deutsche Sprache braucht diese wunderbare Erweiterung!‟ Man dürfe gespannt sein, wer und was im Schwimmbad abhebt und vielleicht auch wieder landet. Oder bedeutet das, dass nur noch ins Bad darf, wer mit dem Flieger angereist ist oder zumindest damit abreist? (aqua-sole.de)
6. Termine
2. Juli, Region 18 (Rostock)
Mitgliedertreffen
Zeit: 18:00 Uhr
Ort: Gasthaus Zum Bauernhaus Biestow, Am Dorfteich 16, 18059 Rostock
9. Juli, Region 25 (West-Schleswig-Holstein)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Hotel Alter Kreisbahnhof, Königstr. 9, 24837 Schleswig
10. Juli, Region 65 (Wiesbaden/Kelkheim)
Mitgliedertreffen
Zeit: 19:00 Uhr
Ort: Restaurant Europa, Stadthalle Kelkheim, Gagernring 1, 65779 Kelkheim (Taunus)
IMPRESSUM
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.
Redaktion: Holger Klatte, Alina Letzel
© Verein Deutsche Sprache e. V.