1. Presseschau
Logopädie immer gefragter
Zum Tag der Logopädie am 6. März meldet die Deutsche Gesellschaft für Sprachheilpädagogik, dass Sprachstörungen bei Kindern in den letzten Jahren „alarmierend zugenommen“ hätten. Dies betreffe vorwiegend die Sprachentwicklung und die Aussprache. Auch die Konzentration, die Aufmerksamkeit und die Merkfähigkeit der Kinder lassen nach. Fragt man nach den Ursachen, kommt schnell der Medienkonsum ins Bild. Medien tragen zwar gewiss nicht allein schuld an mangelnden Konzentrationsfähigkeiten oder Sprachstörungen bei Kindern, sind aber ein Faktor – und das sowohl auf Seiten des Kindes als auch bei den Eltern. Die Logopädin Clara Scholl gibt ein Beispiel: „Wenn eine Mutter die ganze Zeit auf ihr Handy schaut, während sie mit ihrem Säugling spricht, wie soll dieser dann lernen, den Blickkontakt zu halten?“ Laut Scholl dürfe man die Medien nicht verfluchen. Sie seien „nun mal da“. Man solle sich aber bewusst sein, dass der Umgang mit ihnen die Entwicklung des Kindes beeinflusst.
Problematisch sei auch, dass Behandlungserfolge in der Logopädie nicht dokumentiert würden. „Logopäden sollten den Nutzen ihrer Therapie für Patienten endlich messen und klar kommunizieren“, fordert die Logopädin und Unternehmer-Therapeutin Ute Wagner. Derzeit fehle in Deutschland eine Pflicht für Logopäden, den Erfolg ihrer Behandlung nachzuweisen. Dies führe mitunter zu mangelnder Transparenz für Patienten. Gerade in der Logopädie sei Transparenz wichtig, da es so viele verschiedene Ansätze gebe: „Therapeuten behandeln vergleichbare Störungsbilder auf sehr individuelle Weise und erzielen sehr unterschiedliche Behandlungserfolge“, so Wagner.
Der Tag der Logopädie wurde im Jahr 2004 durch den Europäischen Dachverband der Nationalen Logopädenverbände eingeführt. Jährlich soll zu diesem Anlass auf Sprachstörungen aufmerksam gemacht und über die Arbeit der Logopäden informiert werden. Auch das Verständnis der Bevölkerung für Betroffene soll dadurch erhöht werden. (siegener-zeitung.de, presseportal.de)
Duden weiter unter Druck
Wo Anfang des Jahres vermutlich noch Entspannung beim Duden herrschte, gerät nun die Redaktion verstärkt unter Druck. Überzeugt, dass die Mehrheit der Bevölkerung dahinter stünde, hat sich der Duden entschlossen, 12.000 Berufs- und Personenbezeichnungen zu gendern. Dagegen startete der VDS eine Unterschriftenaktion. Er fordert, der Duden solle die ausschließliche Betonung des biologischen Geschlechtes unterlassen. Seit Wochen nun steht der Duden im Rampenlicht und findet immer neue Erklärungen, mit denen er sein Vorgehen rechtfertigt. Wo es am Anfang noch hieß, das generische Maskulinum sei nie geschlechtsneutral gewesen (was schlichtweg falsch ist), verwies man kurz darauf auf die Forderung der Internetnutzer, nicht zu viele Klicks durchlaufen zu müssen, um zu einem Artikel zu gelangen. Die technischen Anforderungen seien das Hauptaugenmerk für die Gendereinträge gewesen (Red: Ein seltsames Argument, denn das ist ein Vorteil der Netzwelt: Man gewinnt von Klick zu Klick neue Erkenntnis, mit bedeutend weniger Aufwand als beim Blättern durch Papiere). Anschließend teilte man in einem Interview mit, man würde sich überlegen, wie man das Problem besser lösen könne. Dann tauchte unter dem männlichen Begriff in der Online-Ausgabe ein Extra-Hinweis auf, dass das gesuchte Wort (zum Beispiel „Arzt“) in bestimmten Fällen auch Personen aller Geschlechter bezeichnen könne. Und schließlich berichtet die Duden-Chefredakteurin Dr. Kathrin Kunkel-Razum, das generische Maskulinum habe man nie abschaffen wollen. In diese Kerbe schlägt auch das Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Darin erwähnt Kunkel-Razum die vielen geharnischten Briefe an die Duden-Redaktion. Erneut behauptet sie, dass der Duden nur die Sprachrealität abbilde, aber nicht schaffe. (sueddeutsche.de)
Nele Pollatschek plädiert für geschlechtslose Sprache
Sie selbst bezeichnet sich als „Schriftsteller“ und möchte in der Öffentlichkeit auch so vorgestellt werden: Nele Pollatschek. In Gesprächsrunden über geschlechtergerechte Sprache ist sie des Öfteren zu Gast und spricht sich gegen das Gendern aus. So auch vergangene Woche in der Sendung von Sandra Maischberger. Allein die Vorstellung Pollatscheks als „Schriftsteller“ sorgte für Nachfragen. Welches Geschlecht sie habe, erklärte Pollatschek, gehe „in der Öffentlichkeit niemanden etwas an“. Natürlich habe sie eine geschlechtliche Identität, nur sei diese im Zusammenhang mit ihrer Funktion als Gast in der Sendung nicht relevant. „Ich habe natürlich ganz viele Aspekte, wie jeder Mensch, und dann frage ich mich: Warum ist das einzige, was wir hier sichtbar machen wollen, das Geschlecht?“
Pollatschek hält die ständige Kennzeichnung des Geschlechts für unnötig, aber auch für unpraktisch, weil dadurch Unterkategorisierungen entstünden: „Wenn jemand zu einem Menschen sagt, der Brote backt: ‚Sie sind der beste Bäcker‘, dann ist das eine ganz andere Aussage als ‚Sie sind die beste Bäckerin‘.“ (prisma.de)
2. Unser Deutsch
Sprachgefühl
Was ist und wie funktioniert das Sprachgefühl? Man spürt es, sobald es verletzt wird. Dann macht sich ein Unbehagen breit, das ausufern kann zu Widerwillen und Zorn. Es lohnt, der Sache nachzugehen.
Das umfangreiche 10-bändige Duden-Wörterbuch definiert: „Gefühl, Sinn für den richtigen u. (im Sinne einer gültigen Norm) angemessenen Sprachgebrauch“. Das DWDS sagt es ähnlich: „Sinn für sprachliche Normen“, und fährt dann fort „für die in einer Sprache vorhandenen Möglichkeiten des Gebrauchs und der Entwicklung“.
Beide Male wird auf eine Norm verwiesen. Wir fragen weiter: Wer repräsentiert diese Norm? Wo kommt sie eigentlich her? Dazu fragen wir nach ihrer Entstehung. Am Anfang steht der Spracherwerb des Kindes, dann folgt mit dem Schuleintritt der Erwerb des Schreibens und Lesens. Das erste können wir (vereinfacht) den biologischen, das zweite den kulturellen Spracherwerb nennen. Im ersten wird das eigentliche Sprachvermögen entwickelt. Es besteht in der Fähigkeit zu sprachlicher Interaktion mit den Regeln der Grammatik und dem Lexikon. Dazu gehört auch die Fähigkeit, neue Wörter mit den Regeln der Wortbildung und neue Bedeutungen mit den Regeln metaphorischer und metonymischer Übertragung zu bilden und zu verstehen. Die Weitergabe einer Sprache von Generation zu Generation sichert Sprachnormen, die über Jahrhunderte Bestand haben.
Machen wir von hier aus einen Sprung in die Praxis. In einer Verlautbarung einer Stadtverwaltung werden die Verbraucher*innen angesprochen. Was soll das Sternchen? Sind hier nur die Frauen gemeint? Ein Nachrichtensprecher verweist auf Ministerpräsident(hick)innen. Hat er Schluckauf? Beides entspricht nicht der Norm des Deutschen. Wörter mit der Endung –in beziehen sich immer auf weibliche Personen. Das zu wissen, gehört zur Sprachkompetenz. Auch wenn inzwischen bekannt ist, dass der glottale Hick das * ersetzen soll – beides ist, gemessen am Erlernten und dem üblichen Gebrauch, normwidrig. Man würde das wohl hinnehmen, wenn es nicht in einem amtlichen Text und im öffentlichen Fernsehen aufträte. Denn sie gelten als verantwortliche Träger der gemeinsamen Sprachnorm. Darum schlägt das Gefühl um in Zorn über den Missbrauch dieser Institutionen. Der feministische Hintergrund lässt befürchten, hier solle uns Ideologie aufgezwungen, zur neuen Norm gemacht werden. Dies ist nicht jener Wandel, dem jede Sprache in der Widerspiegelung der Lebensverhältnisse unterliegt, es ist Zwang, es ist Oktroi von oben. Dagegen sträubt sich das Sprachgefühl und übernimmt die Verantwortung für die Bewahrung der Sprachnorm.
Horst Haider Munske
Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e.V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de
3. Kultur
Zahlreiche Komposita und Neologismen
Die deutsche Sprache wird stetig verändert. Die Wortschöpfungsmöglichkeiten durch Neologismen, Komposita und Prä- und Suffixkonstruktionen sind unbegrenzt. Gerade in Zeiten, in denen der Mensch mit neuen Situationen konfrontiert wird, zeigen sich die Anpassungsmöglichkeiten der deutschen Sprache. Dies ist unseren britischen Nachbarn nicht verborgen geblieben, so beschäftigt sich ein Artikel des Guardian mit den deutschen Corona-Wortschöpfungen. So werden die Begriffe Abstandsbier, Impfneid oder Coronafrisur den britischen Lesern näher gebracht. Prominent wird berichtet über das Projekt des Leibniz-Instituts für deutsche Sprache (IDS), das sich dem Sammeln und Systematisieren von Corona-Begriffen verschrieben hat. Die Corona-Pandemie habe die Schöpfung von Wörtern massiv beeinflusst, so seien mittlerweile über 1200 Begriffe neu entstanden. Normalerweise gebe es pro Jahr etwa 200 Wörter. Die Menschen setzten sich mit neuen Situationen auseinander und bemühten sich um ihre angemessene Beschreibung. (spiegel.de, theguardian.com)
Eine gute Übersicht über die neuen Begriffe bietet das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS), welches von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften betreut wird. In einem speziellen Corona-Glossar werden hier die neuen Begriffe umfangreich lexikographisch bearbeitet. Das Glossar wird stetig aktualisiert und umfasst aktuell etwa 300 Begriffe. Hierbei werden nicht nur medizinische Fachbegrifflichkeiten, sondern auch Begriffsumnutzungen aufgenommen und erklärt. (dwds.de)
Schweiz kämpft für bedrohte südafrikanische Sprache
7.000 gesprochene Sprachen gibt es auf der Welt – mindestens 43 Prozent drohen auszusterben, schätzt die UNO. Die 87-jährige Katrina Esau aus Südafrika ist der einzige Mensch, der noch N|uu als Muttersprache spricht. Der Strich in der Mitte steht für einen Klicklaut, der beim Sprechen gemacht wird. Als sie 15 Jahre alt war, kam die konservative Nationale Partei an die Macht. „Wir gaben N|uu auf und lernten Afrikaans, obwohl wir keine Weißen waren – das hat unsere Identität geprägt“, sagt sie im schweizerischen Tagblatt. Erst mit der Zeit, als es immer weniger Menschen gab, mit denen sie sich in ihrer Muttersprache unterhalten konnte, keimte in ihr die Idee, N|uu erhalten zu wollen. Unterstützung kommt aus der Schweiz. Eine Kinderbuch-Organisation unterstützt mit 22.000 Schweizer Franken (ca. 20.000 Euro) ein Projekt, bei dem ein Lehrbuch für N|uu entstehen soll. Als erstes muss ein Alphabet geschaffen werden, denn N|uu ist nur mündlich überliefert. Immerhin, erste kleine Erfolge gibt es bereits: Jeden Nachmittag bringt Katrina Esau Kindern in ihrem Haus N|uu bei – und auch ihre Enkelin kann wieder wie ihre Vorfahren sprechen. (tagblatt.ch)
Streit um Gorman-Übersetzung
Die junge amerikanische Dichterin Amanda Gorman wurde im Januar schlagartig bekannt: Bei der Amtseinführung von Präsident Joe Biden trug sie ihr Gedicht „The Hill We Climb“ vor, in dem sie auch ihre Abstammung von Sklaven thematisiert. Die Übersetzung in verschiedene Sprachen gestaltet sich jedoch schwierig, da die Übersetzer mit Vorurteilen zu kämpfen haben. Jetzt traf es den renommierten katalanischen Übersetzer Victor Obiols. Dieser hat bereits Shakespeare ins Katalanische übersetzt. Laut Welt sei ihm mitgeteilt worden, sein „Profil“ passe nicht, sagte er der französischen Nachrichtenagentur AFP. Seine Qualifikation sei dabei nicht infrage gestellt worden, man wollte jedoch eine junge Aktivistin, im besten Fall schwarz, so Obiols: „Aber wenn ich eine Dichterin nicht übersetzen kann, weil sie jung, weiblich, schwarz und eine Amerikanerin des 21. Jahrhunderts ist, dann kann ich auch keinen Homer übersetzen, denn ich bin kein Grieche des 8. Jahrhunderts vor Christus. Oder ich hätte auch Shakespeare nicht übersetzen können, weil ich kein Engländer aus dem 16. Jahrhundert bin.“ Damit ist Obiols schon der zweite Übersetzer, der sich unverschuldet von dem Projekt zurückziehen muss. Erst kürzlich hat die preisgekrönte niederländische Autorin Marieke Lucas Rijneveld das Handtuch geworfen. Ihr wurde vorgeworfen, sie sei die Falsche für die Übersetzung, da sie zum einen nicht schwarz sei, zum anderen sich als nicht-binär sieht, sich also mit dem weiblichen und männlichen Geschlecht gleichermaßen identifiziert. Dieses Profil, so die Stimmen in den sozialen Medien, mache sie ungeeignet, das Gedicht einer Afroamerikanerin zu übersetzen. (welt.de, deutschlandfunkkultur.de)
4. Denglisch
Vom Sehnsuchtsort zum Brennpunkt
Der Journalist Martin Zips widmet sich in der Südddeutschen der Verwendungsgeschichte des Begriffs „Hotspot“. Vormalig sei dieser positiv besetzt gewesen. Monaco wurde als „Hotspot des Jetsets“ und Weimar als veritabler „Goethe-Hotspot“ positiv belegt. Mittlerweile werde der Begriff jedoch nicht nur „immer inflationärer“ verwendet, so Zips, sondern er sei nunmehr negativ belegt. Spreche man von „Hotspots“, seien damit im Besonderen Infektionsherde gemeint, wie „beliebte österreichische Skiorte“ oder „nordrheinwestfälische Schlachtereien“. Dabei war der Begriff, der erstmalig 1948 in einer deutschsprachigen Tageszeitung verwendet wurde, ursprünglich mit dem Konflikt zwischen den USA und der UdSSR verbunden. „So fröhlich also, wie er später manchmal schien, war der Begriff schon anfangs nicht“, so Zips. Der Autor lässt offen, ob der Begriff wieder eine positive Anmutung bekommen könne. (sueddeutsche.de)
Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln mitunter die Meinung der Redaktion.
Redaktion: Frank Reimer, Dorota Wilke, Alina Letzel