Infobrief vom 11. Juni 2022: Frankreich für vielsprachiges Europa

1. Presseschau

Frankreich für vielsprachiges Europa

Der Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant stellt in der FAZ die Ergebnisse einer Kommission im Rahmen der französischen Ratspräsidentschaft vor, die untersuchen sollte, warum das Englische in den Einrichtungen der Europäischen Union bis heute eine dominante Stellung einnehmen kann. Geleitet wird die Kommission von dem Politologen Christian Lequesne, der in seinem Bericht feststellt: „Wenn es Frankreich nicht tut, geht kein anderes Land in Europa der Frage nach den Sprachen nach.“ Seine Arbeitsgruppe machte eine gründliche Bestandsaufnahme der Verwendung der Sprachen in den europäischen Institutionen (Kommission, Rat, Parlament, Gerichtshof) durch das Studium von Dokumenten, durch Gespräche und Anhörungen von Akteuren. Die Dominanz des Englischen sei noch stärker als erwartet, ist eines der Ergebnisse. Es bestehe die Gefahr, dass sich die Europäische Union sprachlich von ihrem Volk distanziert. Aber es werden auch 26 Empfehlungen für eine Verbesserung der Sprachsituation vorgelegt, darunter die Einstellung und Förderung mehrsprachiger Beamten, die Verwendung mehrerer Sprachen in Dokumenten, eine erhöhte Wachsamkeit für Sprachfragen sowie die Anwendung mehrerer Sprachen durch das Leitungspersonal. Möglicherweise werde die Nutzung und Förderung automatischer Übersetzungsinstrumente noch die wirksamste Maßnahme sein. „Der Rapport Lequesne ist ein Plädoyer für alle Sprachen Europas, auch für das Deutsche“, schreibt Trabant. (faz.net (Bezahlschranke))


„Powerfrau“ ein diskriminierendes Wort

Judith Fischer berichtet im Modemagazin Elle, dass sexistische Ausdrücke in der Sprache häufiger vorkommen als uns bewusst sei. Frauenfeindliche Muster gebe es in Filmen und in der Werbung, jedoch sei auch die Sprache durchzogen von Redewendungen und Ausdrücken, die oft vor allem Frauen herabwürdigen. Eine repräsentative Umfrage der Sprachlernplattform Babbel stellte heraus, dass die meisten Menschen sexistische oder von Rollenbildern geprägte Begriffe im Alltag verwenden. Zwar glaubten 61 Prozent der Befragten, dass sexistische Sprache bei ihnen nicht vorkomme, jedoch gehörten Wörter wie „Macho“, „Womanizer“ (Frauenheld), oder „Pussy“ (Synonym für unmännlich) zu ihrem alltäglichen Sprachgebrauch. Auffallend hierbei ist die Tatsache, dass es sich bei vielen der abgefragten sexistischen Begriffe um Anglizismen handelt. Laut einer Umfrage stören sich Männer weniger an sexistischer Sprache als Frauen und grundsätzlich seien Frauen stärker von Diskriminierung durch den Sprachgebrauch betroffen. Auch Begriffe wie „Powerfrau“, „Working-Mom“ und „Diva“ seien eine Form der Diskriminierung. Fischer rät zu mehr Feingefühl und Reflexion. (elle.de)


2. Gendersprache

Gendern bei Audi – Termin steht

Mehr als ein Jahr ist vergangen, seitdem ein VW-Mitarbeiter Klage gegen Audi wegen dessen Genderleitfaden eingereicht hat. Nach mehreren Verzögerungen und Verlängerungen auf Audi-Seite ist es am Dienstag (14. Juni 2022) soweit: Vor dem Landgericht Ingolstadt soll sich klären, ob ein Mitarbeiter zur Nutzung einer vermeintlich gendergerechten Sprache genötigt werden kann. Der Kläger sieht durch den Gender-Leitfaden seine allgemeinen Persönlichkeitsrechte verletzt, so Focus Online. Audi hatte kurz vor der Klage Genderrichtlinien erlassen, die zum Beispiel neutrale Formulierungen („Führungskraft“ statt „Chef“) oder den sogenannten Gender-Gap vorsehen („Audianer_innen“ statt „Audianer“). Für die beiden Anwälte des Klägers ist das Verfahren auch eine Art Musterprozess: „Das ist eine Frage, die die Gesellschaft berührt“, sagte Rechtsanwalt Dirk Giesen. Audi selbst will zu dem laufenden juristischen Verfahren keine konkrete inhaltliche Erklärung abgeben, schreibt Focus Online. Laut Audi-Sprecher Wolfgang Schmidt setze man sich generell für gegenseitigen Respekt und Wertschätzung ein, „die Verwendung gendersensibler Sprache bedeutet eine Kommunikation, die alle Geschlechter und geschlechtlichen Identitäten wertschätzt und berücksichtigt.“ Prof. Walter Krämer, Vorsitzender des VDS, schrieb bei Twitter: „Gendern schafft keine Geschlechtergerechtigkeit. Es ist eine Nebelkerze, die echte Probleme verschleiert; Gender-Befürworter haben hier eine kleine Wohlfühloase, in der sie bequem rumpfuschen können, ohne sich die Hände schmutzig machen zu müssen.“ Bei dem Termin am Dienstag soll zunächst versucht werden, eine gütliche Einigung zwischen den Parteien zu erreichen, so ein Gerichts-Sprecher. Sollte das nicht gelingen, werde anschließend gleich die Hauptverhandlung beginnen. Wann es ein Urteil gibt, ist unklar. (focus.de, twitter.com)


Genderstern in Zürich

Die Stadtverwaltung in Zürich führt den Genderstern ein. Ein neues Regelwerk zur sprachlichen Gleichstellung wurde ausgearbeitet und künftig werden in Texten der Stadtverwaltung geschlechtsneutrale Formulierungen verwendet, sofern Briefe an Personen verfasst werden, deren Identität man nicht kennt. Die sprachliche Gleichstellung sei bereits seit 1994 ein Anliegen der Stadt. Wegen der gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre wurde das bestehende Regelwerk nun jedoch geändert. Es berücksichtigt Männer, Frauen, trans und nonbinäre Personen. Das Regelwerk sei jedoch nicht verbindlich für die Stadt und man verzichte weiterhin auf den Genderstern bei Anträgen an den Stadtrat, an das Parlament oder die Stimmberechtigten. Es gibt jedoch bereits Gegenstimmen, wie von der SVP-Parlamentarierin Susanne Brunner; sie erwägt eine Initiative gegen diese Anordnung. (nzz.ch)


3. Sprachspiele: Unser Deutsch

Wording, Vintage, Finals

Neue Anglizismen geben immer wieder Anlass zu Erklärung und Kommentar. Sie werden geboren in besonderen Bereichen der Kommunikation: zum Beispiel der Politik (wording), dem Handel (vintage) oder im Sport (Finals). Erstverwender sind Leute, die beruflich zweisprachig oder international unterwegs sind. Sie bedienen sich gerne untereinander der Wörter ihrer Zweitsprache, ein Gruppenmerkmal und ein Signal ihrer Weitläufigkeit. Sobald ihre Metiers öffentliches Interesse finden, wie zum Beispiel in der Sendereihe Bares für Rares, springen die Wörter in den allgemeinen Sprachgebrauch. Jetzt spätestens setzt auch ihre Integration in Aussprache, Schreibung und grammatischem Gebrauch ein. Substantive werden großgeschrieben, bekanntlich eine Eigenart der deutschen Orthographie. Fremde Laute wie das charakteristische englische w (w) werden durch unser bilabiales (v) ersetzt, in vintage setzt sich die obligatorische Auslautverhärtung durch und englisch Finals (´fainlz) wird zu deutsch (fi´na:ls). Hier knüpfen wir an das Finale eines Musikstückes an. Auffällig ist die Pluralform in Finals, offenbar eine neuere Entlehnung aus Sportreportagen. Der s-Plural war hier leicht zu übernehmen, da er seit langem im Deutschen heimisch ist: bei Wörtern mit vokalischem Auslaut wie den Autos und Uhus oder in Fremdwörtern wie in Songs, Babys und Hotels.

Der Hauptgrund für die Entlehnung liegt in der Semantik, dem besonderen Gebrauch eines Wortes in der Gebersprache. Beginnen wir mit dem Wording, das man mit deutsch ‚Wortwahl‘ oder ‚Formulierung‘ übersetzen kann. Im aktuellen Sprachgebrauch unserer Politiker ist es mehr. Es steht für eine geplante, eine überlegte Darstellung eines Problems, ggf. die geschickte Verschleierung oder zumindest die Umgehung von Missinterpretationen. Wording ist die Kunst, den Wählern eine Sache im Sinne ihrer politischen Vertreter, oft etwas beschönigend vorzustellen.

Ganz anders bei Vintage. Das Wort stammt aus der Winzersprache und bezeichnet im Englischen den Jahrgang (eines Weins), bei älteren auch mit dem Nebensinn besonderer Qualität. Hier setzt die Übertragung ein. In Mode und Design steht Vintage für die Produkte erfolgreicher früherer Kollektionen, auch für Kleider mit absichtlich hergestellten Gebrauchsspuren wie Löchern oder Flicken in Jeans. Vintage sind die Entwürfe bedeutender Designer. Man kann Schnäppchen auf Flohmärkten machen. Vintage kann Kunsterlebnis sein, Freude am Gestrigen und Ausdruck von Lebensgefühl.

Bei den Finals, die in der Sportberichterstattung immer häufiger vorkommen, handelt es sich meist um eine besondere Kategorie von ‚Endspielen‘, um abschließende Entscheidungen in Meisterschaften und Pokalen, vor allem in internationalen Wettbewerben. Mit dem s-Plural setzt sich das Wort vom gebräuchlichen Finale eines Musikstückes ab.

Alle drei Neologismen haben den Duden noch nicht erreicht. Er wartet zurecht, bis sie gemeinsprachlich geworden sind, bis sich ihr Gebrauch gefestigt hat oder bis sie wieder verschwunden sind.

Horst Haider Munske

Der Autor ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vereins Deutsche Sprache e. V. Ergänzungen, Kritik oder Lob können Sie schicken an: horst.munske@fau.de


4. Kultur

Deniz Yücel gründet PEN Berlin

Mitte Mai berichtete der Infobrief über Deniz Yücels Rücktritt als Präsident der Schriftstellervereinigung PEN-Zentrum Deutschland. Nun gründet er mit 231 weiteren Autoren, Publizisten und Übersetzern die Autorenvereinigung PEN Berlin. Die Gründer erklären, man wolle einen „zeitgemäßen und diversen PEN“. Meinungsfreiheit sowie der offene Diskurs seien für den neuen PEN von entscheidender Bedeutung. Hintergrund sind Streitigkeiten des deutschen PEN-Zentrums über Aussagen Yücels zum Ukraine-Krieg. In der Vergangenheit habe er damit gegen das Neutralitätsgebot der Vereinigung verstoßen. Nach einer kurzen Amtszeit legten Yücel und der gesamte Vorstand das Amt nieder. Die formale Gründung des neuen PEN erfolgte am 10. Juni, zu den Vorsitzenden wurden der Journalist Deniz Yücel und die Schriftstellerin Eva Menasse gewählt. PEN Berlin sieht sich selbst als „eine Nichtregierungsorganisation, die sich den Idealen der Aufklärung, der Meinungsvielfalt, der Toleranz und der Solidarität verpflichtet“, da die Meinungsfreiheit weltweit bedroht sei. Das deutsche PEN-Zentrum sieht die Berliner Neugründung als Bereicherung, und die Generalsekretärin betont, man wolle den Kontakt suchen, da die Autoren, die sich zur Neugründung bekannt haben, weiterhin auch Mitglieder des PEN-Zentrum Deutschlands seien. (zeit.de)


5. Berichte

VDS-Region Bergisches Land geht wieder auf Sendung

VDS-Aktive aus Solingen, Remscheid und Wuppertal (Region 42) stellen die Themen des VDS regelmäßig im Bürgerfunk des Lokalsenders RSG. Die nächste Sendung mit dem VDS wird am 19. Juni ab 19 Uhr ausgestrahlt. Anzuhören entweder über UKW (92,2 Mhz, 94,3 Mhz, 107,9 Mhz) oder über das Netzradio (RSG LIVE). Laut Regionalleiter Hans-Ulrich Mundorf geht es in der Sendung um den „Dauerbrenner Denglisch“ und um die Frage „Wird Gendern was ändern?“. (radiorsg.de)


Ausschreibungen für den Literarischen Nachwuchs

AG-Leiterin Tatjana Kohler hat die Liste mit Ausschreibungen und Wettbewerben für den schreibenden Nachwuchs aktualisiert. Das Projekt richtet sich an Schüler, Jugendliche und literarische Anfänger. (vds-ev.de)


ABCM-Zweisprachigkeit hat Geburtstag

Im September 1991 wurden die ersten zweisprachigen Klassen an zwölf Schulen im Elsass und im Moseldepartement eingerichtet. Diese Schulen sind in dem Netzwerk ABCM-Zweisprachigkeit (für Association pour le Bilinguisme en Classe dès la Maternelle) organisiert, das sich für die mehrsprachigen Schulen, mit Hochdeutsch und Dialekt, in den französischen Regionen einsetzt. Am 11. Juni findet im Château de Pourtalès à Strasbourg eine Festveranstaltung zum 30. Geburtstag des Netzwerks statt. (fab.alsace)


6. Denglisch

Aufgeblähte Stellenanzeigen

Erstaunlich viele Berufsbezeichnungen in Stellenanzeigen werden mittlerweile ins Englische übertragen. Bewerber finden dort den Content King (für Redakteur) oder Office Acrobat (für eine Assistenzstelle). Die Arbeitsagentur führt sogar den Funeral Master (Bestattermeister). Für mehr Bewerber sorgen die englischen Bezeichnungen nicht. So werden englische Stellenanzeigen im Internet seltener gelesen, wie Vergleichsstudien herausgefunden haben. Ein Beitrag in der FAZ erklärt einige Regeln für englische Berufsbezeichnungen. Demnach wendet sich der Zusatz „Junior“ an Berufseinsteiger mit bis zu drei Jahren Berufserfahrung, „Senior“ gilt für Stellen, für die mehr Erfahrung Einstellungsbedingung ist. Interessant ist auch der erste Kommentar von Nutzer „Rabenhirt“, der zu dem Beitrag hinterlassen wird: „Ich kann mir kaum eine dümmere Idee vorstellen, als das Aufplustern von banalen Jobs mit irgendwelchen Angebertiteln.“ (faz.net (Bezahlschranke))


7. Kommentar

„Der Klimawandel wird um zwanzig Jahre verzögert, wenn in der Frühe jeder, bevor er sich seinem Tagewerk zuwendet, als erstes 15 Minuten mit der Sonne spricht.“ An der Idee könnte etwas stimmen, etwas Symbolisches, etwas Identitätstiftendes, vielleicht auch Metaphysisches (dem Sonnengott gebührenden Respekt zollen). Das kann man für möglich halten, man darf es in unserer Gesellschaft öffentlich äußern. Andererseits darf man derlei auch für Humbug halten, denn rational gibt die Sonnenidee nichts her, ein kausaler Zusammenhang ist nicht nachweisbar. Die Aufforderung dürfte daher straflos ignoriert werden, es sei denn, die Sonnenbesprecher würden ohne Unterlass in allen Medien zitiert: „Die Verwendung sonnensensibler Sprache bedeutet eine Kommunikation, die den Planeten wertschätzt und berücksichtigt.“ Mit anderen Worten: Wer da nicht mitmacht, der vergeht sich an der Erde, an unseren Enkeln. – Na ja, viel primitiver geht es nicht, aber es ist alles schon da gewesen. (ob)


Der VDS-Infobrief enthält Neuigkeiten der vergangenen Woche zur deutschen Sprache. Männer sind mitgemeint, das Gleiche gilt für andere Geschlechter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln gelegentlich die Meinung der Redaktion.

Redaktion: Oliver Baer, Holger Klatte, Asma Loukili, Dorota Wilke, Jeanette Zangs

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